Ein Mitarbeiter war als "Vice President Sales" in einem Großunternehmen der Informationstechnologie direkt dem Vorstand unterstellt und mehreren regionalen Vertriebsleitern gegenüber weisungsbefugt, stritt mit seinem Arbeitgeber über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, einer ordentlichen Änderungskündigung sowie um Weiterbeschäftigungs- und Vergütungsansprüche. Der Arbeitgeber hatte die betriebsbedingte Kündigung mit der unternehmerischen Entscheidung des Vorstandes begründet, zum nächstmöglichen Zeitpunkt die Vertriebsorganisation zu straffen. Damit seien wesentliche Aufgaben des Klägers - insbesondere seine Hierarchieebene - sowie das Bedürfnis für dessen Weiterbeschäftigung entfallen. Einer Sozialauswahl habe es nicht bedurft. Das Arbeitsverhältnis ist durch die streitgegenständlichen Kündigungen weder aufgelöst noch inhaltlich verändert worden. Die Beendigungskündigung und die Änderungskündigung waren sozial ungerechtfertigt, entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg. Die Berliner Richter führen aus, dass eine Kündigung insbesondere dann aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt ist, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren Umsetzung im Betrieb das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Die Organisationsentscheidung muss ursächlich für den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses sein. Die Entscheidung des Arbeitgebers darf nicht offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sein. Eine kündigungsrechtlich anzunehmende Missbräuchlichkeit einer Unternehmerentscheidung könne vorliegen, wenn ineinander greifende unternehmerische Reorganisationsmaßnahmen nur darauf abzielen, einen Arbeitsplatz zu beseitigen und dem Stelleninhaber betriebsbedingt zu kündigen, ohne damit auf einen "irgendwie gearteten betriebswirtschaftlicher Erfolg" abzuzielen. Dann würde die kündigungsrechtlich anzuerkennende unternehmerische Entscheidungsfreiheit zum Selbstzweck und der Kündigungsschutz des betroffenen Arbeitnehmers ausgehebelt, was nicht der Idee der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit in der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung entspräche. Denn das dort anerkannte Primat der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit mit seinen von den Arbeitsgerichten hinzunehmenden kündigungsrechtlichen Folgen für den Bestand des betroffenen Arbeitsverhältnisses ist kein Selbstzweck, heißt es im Urteil, sondern bezieht sich auf das unternehmerische Handeln, insbesondere auf die Stellung des Unternehmens am Markt. Solche unternehmerischen Entscheidungen dürfen Arbeitsgerichte nicht auf Zweckmäßigkeit oder ähnliches überprüfen. Der Unternehmer soll frei von arbeitsgerichtlicher Kontrolle sein unternehmerisches Handeln darauf ausrichten können, mit seiner Betriebsorganisation und seinen betrieblichen Produkten am Markt bestehen zu können. Er müsse in diesem Zusammenhang auch personalpolitisch entscheiden, also Anzahl und Inhalt der von ihm zur Verfügung gestellten Arbeitsplätze bestimmen können. Die Zubilligung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit sei auf dieses Ergebnis ausgerichtet und solle nicht dazu dienen, den Arbeitgeber kündigungsrechtlich freizustellen. Freie Unternehmerentscheidung bedeute in diesem Zusammenhang nicht, dass die Entscheidung frei von jeder rechtlichen Bindung sei, sondern dass die betriebswirtschaftliche Entscheidung für sich genommen unangetastet bleibt. Ob sie kündigungsrechtlich Bestand hat, ist laut LAG Berlin-Brandenburg unter Berücksichtigung der vom Bundesverfassungsgericht zur Berufsfreiheit (Artikel 12 Grundgesetz) aufgestellten Grundsätze zu überprüfen.
RA Sagsöz
Quelle:
LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.11.2010
Aktenzeichen: 2 Sa 707/10
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