Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 20.04.1994, Az.: BVerwG 11 C 17.93
Vetorecht mit Abwehr- und Sperrwirkung; Selbstverwaltungskörperschaft; Initiativrecht; Anordnungen der Straßenverkehrsbehörde; Ermessensfehlerfreie Entscheidung; Städtebauliche Entwicklung; Gemeindliche Vekehrskonzepte; Planungs- und Entwicklungsbelangen
Bibliographie
- Gericht
- BVerwG
- Datum
- 20.04.1994
- Aktenzeichen
- BVerwG 11 C 17.93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 13519
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Ansbach - 09.12.1991 - AZ: 10 K 635/91
- VGH Bayern - 27.07.1992 - AZ: 11 B 702/92
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BVerwGE 95, 333 - 341
- BWVPr 1994, 254-255
- BayVBl 1995, 156-158
- DVBl 1994, 1194-1196 (Volltext mit amtl. LS)
- DokBer A 1994, 258-262
- DÖV 1994, 1049-1051 (Volltext mit amtl. LS)
- JuS 1995, 464-465 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1994, 544 (amtl. Leitsatz)
- NVwZ 1995, 165-167 (Volltext mit amtl. LS)
- NZV 1994, 493-494 (Volltext mit amtl. LS)
- VA 1995, 173 (Urteilsbesprechung von Prof. Dr. K. Steiner)
- VD 1995, 37-45
- VRS 88, 142 - 147
- VRS 1995, 142
- VerkMitt 1994, 89-91
- ZfS 1995, 39
- zfs 1995, 39 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
§ 45 Abs. 1 b Satz 2 StVO enthält zum Schutz der Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft nur ein Vetorecht mit Abwehr- und Sperrwirkung gegenüber ihr nicht erwünschten Anordnungen der (staatlichen) Straßenverkehrsbehörden. Ein darüber hinausgehendes Initiativrecht auf straßenverkehrsbehördliche Anordnung läßt sich dieser Regelung ebensowenig entnehmen wie ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde über einen solchen Antrag der Gemeinde.
- 2.
Indem § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 StVO die Straßenverkehrsbehörden ermächtigt, Anordnungen zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zu treffen, ermöglicht er eine Förderung auch gemeindlicher Verkehrskonzepte und dient damit nicht nur staatlichen Interessen, sondern zugleich den zum Selbstverwaltungsbereich gehörenden Planungs- und Entwicklungsbelangen einer Gemeinde. Deshalb kann eine Gemeinde insoweit beanspruchen, daß die Straßenverkehrsbehörde von dieser Ermächtigung ermessensfehlerfreien Gebrauch macht.
Redaktioneller Leitsatz
- 1)
Lediglich ein Vetorecht mit Abwehr- und Sperrwirkung wird zum Schutz der Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft gegenüber nicht erwünschter Anordnungen der staatlichen Straßenverkehrsbehörde von § 45 Abs. 1b Satz. 2 StVO erfaßt.
Weder ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde über einen Antrag der Gemeinde, noch ein Initiativrecht auf Anordnungen der Straßenverkehrsbehörde läßt sich aus § 45 Abs. 1 b Satz 2 StVO entnehmen.
- 2)
Die Ermächtigung des § 45 Abs. 1b Satz 1 Nr. 5 StVO an die Straßenverkehrsbehörde für Anordnungen zur Unterstützung städtebaulicher Entwicklungen führt einerseits zur Ermöglichung, daß gemeindliche Verkehrskonzepte gefördert werden können, andererseits dient § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 StVO hierduch, neben den Interessen des Staates, den zu dem Selbstverwaltungsbereich gehörenden Planungs- und Entwicklungsbelangen der Gemeinde. Auf einen ermessensfehlerfreien Gebrauch der Straßenverkehrsbehörde von dieser Ermächtigung hat die Gemeinde einen Anspruch.
In der Verwaltungsstreitsache
...
hat der 11. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung
vom 20. April 1994
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Diefenbach und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bonk, Dr. Storost, Kipp und Dr. H. Müller
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Juli 1992 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h in zwei innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen.
Die E.-Straße und die S.-Straße sind nichtqualifizierte Ortsstraßen in der Stadt E. und bilden einen durchgehenden Straßenzug. Die E.-Straße verläuft durch eine Gegend, die - jeweils teilweise - als Gewerbegebiet, Mischgebiet und allgemeines Wohngebiet ausgewiesen ist. Die S.-Straße ist teils reines, teils allgemeines Wohngebiet; an ihr liegen ein Altenheim und eine Sportanlage. Im Flächennutzungsplan ist der Straßenzug als Hauptverkehrsstraße ausgewiesen.
Der Verkehrs- und Planungsausschuß der Klägerin beschloß am 10. Oktober 1990, die zulässige Höchstgeschwindigkeit in der E.-Straße und einem sich daran anschließenden Teilstück der S.-Straße bis zur Einmündung der Straße A.M. auf 30 km/h zu beschränken. Am 13. November 1990 erließ die Klägerin als Straßenverkehrsbehörde die entsprechende straßenverkehrsbehördliche Anordnung und begründete sie im wesentlichen wie folgt: Die Geschwindigkeitsbegrenzung könne den Durchgangsverkehr, der auf diesen Straßenzug nicht angewiesen sei, unattraktiv machen und diene dem Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen sowie der Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung. Die Geschwindigkeitsbegrenzung diene auch der Erleichterung des Fußgängerverkehrs und der Schulwegsicherung.
Im Dezember 1990 wurden die entsprechenden Verkehrsschilder aufgestellt. Hiergegen erhob der Beigeladene mit Schreiben vom 15. und 17. Januar 1991 Widerspruch mit der Begründung, er befahre den betroffenen Straßenzug recht häufig auf dem Wege zu Bekannten und sei in seinen Rechten eingeschränkt; die Voraussetzungen für die Geschwindigkeitsbeschränkung seien nicht gegeben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 1991 hob die Regierung von M. die Anordnung der Straßenverkehrsbehörde der Klägerin auf. In der Begründung ist im wesentlichen ausgeführt: Die Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h sei als Maßnahme zum Lärmschutz ungeeignet, weil die Absenkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht die nach den maßgeblichen Richtlinien notwendige Pegelminderung um mindestens 3 dB(A) bewirke. Die Geschwindigkeitsbeschränkung sei auch nicht zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Abgasen gerechtfertigt, weil der Schadstoffausstoß im Bereich zwischen 30 und 50 km/h überwiegend von der Fahrweise abhängig sei. Die Anordnung der Klägerin sei ferner nicht als Maßnahme zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung nach § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 StVO gerechtfertigt. Insoweit fehle es gegen die rechtlichen Grenzen des Ermessens.
Mit der vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Klägerin geltend, das Berufungsurteil verneine zu Unrecht die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO; der Widerspruchsbescheid greife auch in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ein. Die Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung enthalte insoweit planerische Elemente, als städtebauliche und verkehrsplanerische Aspekte in sie eingeflossen seien. Seit der Einführung des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 StVO im Jahre 1980 dürften verkehrsrechtliche Anordnungen auch aus planerischen Gesichtspunkten erfolgen. Im vorliegenden Fall gehe ihr planerisches Bestreben dahin, durch die Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung die Nutzungsart "Wohnen" im fraglichen Straßenzug zu erhalten.
Der Beklagte und der Oberbundesanwalt verteidigen das Berufungsurteil.
II.
Die Revision hat keinen Erfolg. Das Berufungsurteil verletzt zwar Bundesrecht, soweit es die Klagebefugnis der Klägerin verneint; es stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Klage, die sich nach § 79 Abs. 1 Nr. 2 VwGO allein gegen den Widerspruchsbescheid der Regierung von M. richtet, ist zulässig, aber nicht begründet.
1.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Klagebefugnis bei einer Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 2 VwGO dann zu bejahen, wenn nach dem Vorbringen des Klägers die Verletzung seiner Rechte möglich ist. Dies ist allerdings dann nicht der Fall, wenn die vom Kläger behaupteten Rechte offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihm zustehen können (vgl. etwa BVerwGE 44, 1 <3>; 75, 147 <154>; 82, 246 <249>; Beschluß vom 21. Januar 1993 - BVerwG 4 B 206.92 - Buchholz 310 § 42 VwGO Nr. 188, jeweils m.w.N.). Ob der Kläger nach seinem zu substantiierenden Vorbringen in seinen Rechten verletzt sein kann, ist dabei nach den Vorschriften des materiellen Rechts zu beurteilen (vgl. BVerwGE 60, 154 <161>; 61, 256 <262>; Beschluß vom 21. Januar 1993, a.a.O.).
Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt, daß die Klagebefugnis der Klägerin - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - auf der Grundlage von § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5, 2. Alternative StVO zu bejahen ist.
a)
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bereits entschieden, daß eine Gemeinde gegen einen Widerspruchsbescheid nicht klagebefugt ist, wenn dieser Bescheid nicht den eigenen, sondern den übertragenen Wirkungskreis betrifft; denn insoweit nimmt die Gemeinde nicht Selbstverwaltungs-, sondern staatliche Aufgaben wahr und kann daher durch eine von ihren Wünschen oder Vorstellungen abweichende Entscheidung der Widerspruchsbehörde grundsätzlich nicht in ihren Rechten im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO verletzt sein (vgl. BVerwGE 19, 121 <123>; Urteile vom 11. März 1970 - BVerwG 4 C 59.67 - Buchholz 445.4 § 19 WHG Nr. 3 S. 7 und vom 29. Juni 1983 - BVerwG 7 C 102.82 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 13). Die Aufgaben und Befugnisse der (örtlichen) Straßenverkehrsbehörde zur Regelung des Straßenverkehrs gehören seit jeher zu den staatlichen Aufgaben, nicht zu den Angelegenheiten des gemeindeeigenen, durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Wirkungskreises (Urteile vom 19. März 1976 - BVerwG 7 C 71.72 - Buchholz 442.151 § 44 StVO Nr. 1 S. 3 und vom 29. Juni 1983, a.a.O., S. 12). Das gilt auch für die Rechtslage nach § 45 StVO in der hier maßgeblichen Fassung der Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 21. Juli 1980 (BGBl. I S. 1060). Demgemäß erfüllt eine Gemeinde, wenn sie - wie die Klägerin - durch ihre Straßenverkehrsbehörde nach den §§ 45, 44 Abs. 1 StVO i.V.m. Art. 3 und 6 des bayerischen Gesetzes über die Zuständigkeiten im Verkehrswesen vom 28. Juni 1990 (GVBl S. 220) eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnet, Aufgaben im übertragenen (staatlichen) Wirkungskreis. Daraus folgt, daß die (höhere) Straßenverkehrsbehörde nicht schon dadurch in das kommunale Selbstverwaltungsrecht im Sinne des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG eingreift, daß sie entgegen dem Wunsch der Gemeinde von einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf bestimmten Straßen absieht. Dasselbe gilt auch dann, wenn - wie hier - die Gemeinde als örtliche Straßenverkehrsbehörde eine derartige verkehrsbeschränkende Anordnung trifft, die zuständige Widerspruchsbehörde diese Regelung aber auf den zulässigen Widerspruch eines Verkehrsteilnehmers (vgl. BVerwGE 27, 181 <185>; 92, 32 <35 ff.>) gegen den Willen der Gemeinde aufhebt (vgl. dazu Art. 109 Abs. 2 und Art. 119 Nr. 2 der bayerischen Gemeindeordnung). Insoweit ist eine Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten nicht möglich.
b)
Die erforderliche Klagebefugnis der Klägerin ergibt sich ferner nicht aus § 45 Abs. 1 b Satz 2 StVO. Nach dieser durch die vorgenannte Änderungsverordnung vom 21. Juli 1980 (a.a.O.) eingeführten Vorschrift ordnen die Straßenverkehrsbehörden die dort im einzelnen aufgeführten Maßnahmen im Einvernehmen mit der Gemeinde an. Den Gemeinden sollte damit bei städtebaulich begründeten straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen der Straßenverkehrsbehörden ein Gestaltungsspielraum für eigenverantwortliche Entscheidungen gewährt werden (vgl. die Amtliche Begründung, VkBl 1980, 511 <520>). Daraus folgt jedoch entgegen der Meinung der Klägerin nicht, daß die Anordnung eine Maßnahme im Selbstverwaltungsbereich ist. Dazu gehört lediglich die Entscheidung der Gemeinde darüber, ob sie die verkehrsregelnde Anordnung der Straßenverkehrsbehörde durch Erteilung ihres Einvernehmes ermöglicht oder aber durch Versagung des Einvernehmens verhindert. Die Anordnung selbst bleibt eine staatliche Angelegenheit. Liegt das Einvernehmen vor, so entscheidet die Straßenverkehrsbehörde über diese staatliche Angelegenheit in eigener Verantwortung ohne Bindung an die Wünsche der Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft. Insofern verhält es sich hier ebenso wie im Falle des notwendigen gemeindlichen Einvernehmes nach § 36 BBauG: Die Versagung der Zustimmung der Gemeinde hindert an der Erteilung einer Baugenehmigung; die positive Beurteilung durch die Gemeinde bindet die Genehmigungsbehörde dagegen nicht (vgl. Beschlüsse vom 16. Dezember 1969 - BVerwG 4 B 121.69 - und vom 10. Oktober 1991 - BVerwG 4 B 167.91 - Buchholz 406.11 § 2 BauGB Nr. 4 und § 36 BBauG Nr. 45). § 45 Abs. 1 b Satz 2 StVO enthält damit zum Schutz der Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft nur ein Vetorecht mit Abwehr- und Sperrwirkung gegenüber bestimmten, ihr nicht erwünschten Anordnungen der (staatlichen) Straßenverkehrsbehörde. Ein darüber hinausgehendes Initiativrecht der Gemeinde auf straßenverkehrsbehördliche Anordnungen läßt sich dieser Regelung ebensowenig entnehmen wie ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Straßenverkehrsbehörde über einen solchen Antrag.
c)
Das Berufungsurteil verletzt hingegen Bundesrecht, soweit es eine Klagebefugnis der Klägerin auch aus § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 StVO verneint. Danach treffen die Straßenverkehrsbehörden auch die notwendigen Anordnungen zum Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung.
aa)
Der Schutz der Bevölkerung vor Lärm und Abgasen - mit dem die hier streitige Geschwindigkeitsbeschränkung u.a. begründet worden ist - gehört zum Bereich staatlicher Aufgaben und betrifft daher für sich genommen die Gemeinde nicht in eigenen Rechten.
bb)
Etwas anderes gilt jedoch, soweit die Klägerin geltend macht, sie sei durch die Aufhebung der streitigen Geschwindigkeitsbeschränkung in ihrem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über eine Unterstützung ihrer geordneten städtebaulichen Entwicklung gemäß § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5, 2. Alternative StVO beeinträchtigt. Insoweit kann die Klagebefugnis der Klägerin nicht verneint werden, weil dieser Vorschrift Schutzwirkung zugunsten der Gemeinde zukommt:
Drittschutz vermitteln nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts solche Vorschriften, die nach dem in ihnen enthaltenen, durch Auslegung zu ermittelnden Entscheidungsprogramm für die Behörde auch der Rücksichtnahme auf Interessen eines individualisierbaren Personenkreises dienen (vgl. z.B. BVerwGE 81, 329 <334>). Indem § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 StVO die Straßenverkehrsbehörden ermächtigt, Anordnungen zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zu treffen, ermöglicht er eine Förderung auch gemeindlicher Verkehrskonzepte und dient damit nicht nur staatlichen Interessen, sondern zugleich den zum Selbstverwaltungsbereich gehörenden Planungs- und Entwicklungsbelangen der betroffenen Gemeinden.
Daß bestimmte örtliche Verkehrsplanungen im Rahmen der Bauleitplanung zu den der Gemeinde obliegenden (eigenen) Aufgaben gehören, ergibt sich bereits aus dem geltenden Bundesbaurecht, wonach gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 BBauG im Flächennutzungsplan der Gemeinde die Flächen für den überörtlichen Verkehr und für die örtlichen Hauptverkehrswege dargestellt werden können, sowie aus § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB, wonach die Verkehrsflächen sowie Verkehrsflächen besonderer Zweckbindung, wie Fußgängerbereiche, Flächen für das Parken von Fahrzeugen sowie den Anschluß anderer Flächen an die Verkehrsflächen, im Bebauungsplan festgesetzt werden können. Diese Befugnisse der Gemeinden sind auf der Grundlage des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 6. April 1980 (BGBl. I S. 413) mit der darin enthaltenen Änderung des § 6 Abs. 1 Nr. 15 StVG und durch § 45 StVO der Änderungsverordnung zur Straßenverkehrsordnung vom 21. Juli 1980 (a.a.O.) verstärkt worden, indem nunmehr die städtebauliche Entwicklung (auch) durch straßenverkehrsrechtliche Anordnungen unterstützt werden kann. Der Begriff der geordneten städtebaulichen Entwicklung ist - aufgrund der Stellungnahme des Bundesrats im Gesetzgebungsverfahren (BT-Drs. 8/3150, S. 17 zu Nr. 15) - bewußt und in Anlehnung an das Bundesbaugesetz (jetzt Baugesetzbuch) gewählt worden (vgl. etwa § 1 Abs. 3, § 20 Abs. 1 Nr. 3, § 31 Abs. 2 Nr. 2, § 34 Abs. 4 Satz 2 BauGB). Er gehört - wie die Bauleitplanung - zur Planungshoheit der Gemeinde und erfaßt solche Planungen, die zwar nicht Bestandteil wirksamer Bauleitpläne (Flächennutzungspläne oder Bebauungspläne) sein müssen, aber bereits hinreichend konkrete Konzepte der Gemeinde enthalten, mit denen sie in eigener Zuständigkeit die städtebauliche Entwicklung auch durch verkehrliche Maßnahmen verändern und verbessern will. Auch im Gesetzgebungsverfahren ist davon ausgegangen worden, daß die Gemeinden im Zusammenhang mit Verkehrsplanungen über Bauleitpläne hinaus unter bestimmten Voraussetzungen einen gewissen Gestaltungsspielraum erhalten sollen. Die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 6 Abs. 1 Nr. 5 StVG weist darauf hin, daß es sich bei der Einrichtung eines Fußgängerbereichs oder einer verkehrsberuhigten Zone um eine bedeutende lokale städteplanerische Entscheidung der Gemeinde handelt, die nicht der Straßenverkehrsbehörde vorbehalten ist; dies sollte auch der Begriff der - der Straßenverkehrsbehörde vorbehaltenen, eher exekutiven und technischen - "Kennzeichnung" dieser Bereiche deutlich machen (BT-Drs. 8/3150, S. 10 zu Nr. 15). In der Begründung des Bundesministers für Verkehr zu der Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 21. Juli 1980 (a.a.O.) ist zu den geänderten und neu eingefügten Regelungen des § 45 StVO ferner darauf hingewiesen, daß "die städtebaulichen Aufgaben und damit auch die Wohnumfeldverbesserung durch Verkehrsberuhigung zu den gemeindlichen Selbstverwaltungsangelegenheiten (gehören). Den Gemeinden ist daher bei städtebaulich begründeten straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen ein Gestaltungsspielraum für eigenverantwortliche Entscheidungen zu gewähren" (VkBl 1980, 511 <520>). Dies bedeutet zwar nicht, daß § 45 StVO seinen Charakter als straßenverkehrsrechtliche Norm im Bereich des sachlich begrenzten Ordnungsrechts (BVerfGE 40, 371 <380>; 67, 299 <320>; BVerwGE 92, 32 <36>) mit Rechten und Pflichten für die (staatlichen) Straßenverkehrsbehörden verliert. Die Gemeinden sind aber in ihrer Eigenschaft als Selbstverwaltungskörperschaften und Träger eigener Rechte und Pflichten wegen der ihnen zustehenden Planungshoheit insoweit in den Schutzbereich nach § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5, 2. Alternative StVO einbezogen, als sie gegenüber den Straßenverkehrsbehörden einen Anspruch darauf haben, daß diese von der Ermächtigung, ein gemeindliches Konzept zur geordneten städtebaulichen Entwicklung zu unterstützen, ermessensfehlerfreien Gebrauch machen.
Es ist nach dem Vorbringen der Klägerin nicht von vornherein ausgeschlossen, daß sie in diesem ihr zustehenden Recht durch den angefochtenen Widerspruchsbescheid verletzt worden ist. Die Klage ist demnach zulässig.
2.
Sie ist aber nicht begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts stellt sich im Ergebnis als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO).
Voraussetzung dafür, daß die Straßenverkehrsbehörde eine Anordnung "zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung" im Sinne des § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5 StVO treffen kann, ist nämlich, daß ein städtebauliches Verkehrskonzept der Gemeinde bereits vorhanden ist; erst und nur dann kann die straßenverkehrsrechtliche Anordnung ihre insoweit dienende Funktion entfalten (vgl. Steiner NJW 1993, 3161 <3163>). Welche inhaltlichen und verfahrensmäßigen Anforderungen an ein solches kommunales Verkehrskonzept zu stellen sind, bedarf hier keiner abschließenden Entscheidung. Es muß jedenfalls - erstens - hinreichend konkret die verkehrsmäßigen Planungen in einem bestimmten räumlichen Bereich darstellen, die aus Gründen der geordneten städtebaulichen Entwicklung für erforderlich oder zweckmäßig gehalten werden. Das städtebauliche Verkehrskonzept muß - zweitens - von den für die Willensbildung in der Gemeinde zuständigen Organen beschlossen worden sein. Soweit es die Veränderung von Verkehrsstraßen und -strömen zum Inhalt hat, muß es - drittens - den Erfordernissen planerischer Abwägung genügen und insbesondere darlegen, weshalb bestimmte Straßen(züge) entlastet und welche neuen Straßen(züge) in für dortige Anwohner zumutbarer Weise belastet werden sollen und können (vgl. dazu Urteil vom 4. Juni 1986 - BVerwG 7 C 76.84 - BVerwGE 74, 234 <238 ff.>).
Nach den für das Bundesverwaltungsgericht bindenden, mit Verfahrensrügen nicht beanstandeten tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) sind im vorliegenden Fall diese Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 5, 2. Alternative StVO nicht erfüllt. Der streitigen Geschwindigkeitsbeschränkung auf der E.- und der S.-Straße lag kein städteplanerisches Konzept zugrunde. Die bloße Absicht der Klägerin, den Durchgangsverkehr durch eine isolierte Maßnahme der Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h aus diesem Straßenzug zu verdrängen, obwohl er nach ihrem eigenen Flächennutzungsplan gerade dafür vorgesehen ist, stellt noch kein Konzept einer städtebaulichen Entwicklung dar, das durch straßenverkehrsrechtliche Anordnungen "unterstützt" werden könnte. Zu einem solchen Konzept würden - wie dargelegt - jedenfalls Angaben darüber gehören, welche anderen Straßen den Durchgangsverkehr aufnehmen können und sollen, den die Klägerin von der E.- und der S.-Straße fernhalten will. Dies war zumindest bis zum maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheids nicht geschehen, wie sich aus den im Berufungsurteil in Bezug genommenen Akten der Klägerin und aus ihrem Prozeßvortrag ergibt: Schon in einer Stellungnahme der Polizeiinspektion E. vom 19. August 1988 war bemängelt worden, daß die Klägerin keine Alternativstrecken vorgeschlagen habe. In einer Stellungnahme der Stadtverwaltung - Straßenverkehrsaufsicht - vom 28. Februar 1989 heißt es, trotz eingehender Prüfung habe "keine geeignete Umleitungsstrecke gefunden werden können". In dem Beschluß des Verkehrs- und Planungsausschusses vom 10. Oktober 1990 wird in dieser Hinsicht lediglich bemerkt, die Geschwindigkeitsbegrenzung könne den Durchgangsverkehr, der auf die E.- und die S.-Straße "nicht angewiesen" sei, "unattraktiv machen". In der Begründung der verkehrsrechtlichen Anordnung der Geschwindigkeitsbegrenzung vom 13. November 1990 kehrt diese nicht näher konkretisierte Formulierung wieder. Erstmals nach Erlaß des Widerspruchsbescheids findet sich in einer Stellungnahme des Verkehrs- und Planungsausschusses vom 9. April 1991 die Angabe einer Alternativstrecke "über die K.S.-Straße, die S.-Spange und die P.-Straße". Diese Ost-West-Verbindung wird auch noch in der Klagebegründung als Alternativstrecke erwähnt. Dagegen benennt die Klägerin in ihrer Berufungserwiderung und in ihrer Revisionsbegründung eine weiter nördlich verlaufende Ost-West-Strecke über andere - bisher nicht genannte - Straßen als "geeignete und den Verkehrsteilnehmern zumutbare Alternativstrecke". Dieser Wechsel des Vorbringens der Klägerin bestätigt, daß sie bislang, jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung, kein plausibles Konzept über eine - von der Darstellung im Flächennutzungsplan abweichende - Verkehrsführung des fraglichen Straßenverkehrs entwickelt hat. Damit stimmt auch die Feststellung des Berufungsurteils überein (UA, S. 8), "die planerischen Vorgaben für die Verwendung des Verkehrszugs E.-/S.-Straße als Bereich mit herabgesetzter Höchstgeschwindigkeit" lägen nicht vor.
3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
B e s c h l u ß
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 5.000 DM festgesetzt (§ 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 GKG; vgl. hierzu den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit - DVBl 1991, 1239 -, Stichwort: Verkehrsrecht/Verkehrsregelnde Anordnung).
Dr. Diefenbach
Dr. Bonk
Kipp
Dr. Bonk
Dr. Storost
Kipp
Dr. H. Müller