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Bundessozialgericht
Beschl. v. 14.05.2024, Az.: B 8 SO 10/23 B

Anspruch einer Klinik auf Erstattung von Aufwendungen für die Behandlung eines Patienten ohne Versicherungsschutz; Angeordnete vorläufige Unterbringung auf einer geschlossenen Station des Klinikums

Bibliographie

Gericht
BSG
Datum
14.05.2024
Aktenzeichen
B 8 SO 10/23 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 1837
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:BSG:2024:140524BB8SO1023B0

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hamburg - 30.03.2022 - AZ: S 52 SO 291/18
LSG Hamburg - 30.03.2023 - AZ: L 4 SO 33/22 D

Redaktioneller Leitsatz

1. Der Beschwerdeführer muss darlegen, warum nicht bereits aus der Rechtsprechung des BSG, der zufolge ein Anspruch nach dem § 25 SGB XII nur in Betracht kpmmt, solange der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hattte, abzuleiten ist, dass mit der Kenntnis vom Leistungsfall vor der Aufnahme in das Krankenhaus ein Anspruch nach dem § 25 SGB XII jedenfalls ausgeschlossen ist. 2. Im Rahmen der Divergenz muss eine bewusste Abweichung dargelegt werden, nämlich die Herausarbeitung und Benennung abstrakter Rechtssätze, die sich im Grundsätzlichen widersprechen.

Der 8. Senat des Bundessozialgerichts hat am 14. Mai 2024 durch
die Vorsitzende Richterin Krauß sowie die Richter Prof. Dr. Bieresborn
und Prof. Dr. Luik
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. März 2023 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I

1

Zwischen den Beteiligten steht ein Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für die Behandlung eines Patienten im Streit.

2

Der Kläger ist eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts und betreibt ein Universitätsklinikum im Stadtgebiet des Beklagten. Am 21.1.2017 (einem Samstag) um 14.45 Uhr nahm der Kläger einen Patienten auf, der auf Grundlage der Anordnung der sofortigen Unterbringung nach § 12 des Hamburgischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) durch das Fachamt Gesundheit des Bezirksamts A der Beklagten mit Verdacht auf eine akute paranoide Psychose zugeführt wurde.

3

Am Aufnahmetag beantragte die Beklagte die Anordnung der Unterbringung beim Amtsgericht, das am Folgetag die vorläufige Unterbringung auf einer geschlossenen Station des Klinikums anordnete. Der Patient wurde am 29.1.2017 entlassen und am 30.1.2017 - einem Montag - erneut als Notfall stationär aufgenommen. Sowohl für den ersten als auch den zweiten Zeitraum übersandte der Kläger einen Kostenübernahmeantrag. Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme für beide Zeiträume ab (Bescheide vom 18.9.2017). Die Widersprüche blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.6.2018). Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 30.3.2022). Das Landessozialgericht (LSG) Hamburg hat die Berufung des Klägers in der Besetzung der Berichterstatterin und zweier ehrenamtlicher Richter nach § 153 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurückgewiesen. Unabhängig von der Frage, ob § 25 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) bei einer Unterbringung auf Grundlage des HmbPsychKG überhaupt zur Anwendung komme, lägen die Anspruchsvoraussetzungen nicht vor, weil der Beklagte bereits vor der Unterbringung Kenntnis vom Leistungsfall gehabt habe. Ein Anspruch ergebe sich auch nicht aus einem öffentlich-rechtlichen Auftragsverhältnis nach § 670 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in analoger Anwendung, weil es sich nicht um eine fremdnützige Tätigkeit gehandelt habe, sondern der Kläger eine durch Gesetz übertragene Aufgabe erfüllt habe. Auch aus dem HmbPsychKG ergebe sich kein Kostenerstattungsanspruch, da dort lediglich eine Kostentragungspflicht der untergebrachten Person selbst geregelt sei. Schließlich ergebe sich auch kein Anspruch gegen die Beklagte aus den Regelungen des SGB XII über die Hilfen zur Gesundheit (§§ 48 ff SGB XII), weil es sich insoweit um einen Anspruch des Patienten selbst handeln würde, der seitens des Klägers nicht geltend gemacht werden könne.

4

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im bezeichneten Urteil. Er macht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend.

II

5

Die Beschwerde ist unzulässig und gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. § 169 Satz 3 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen; der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist nicht in der gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet worden.

6

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Um der Darlegungspflicht zu genügen, muss eine konkrete Frage formuliert, ihre abstrakte Klärungsbedürftigkeit, ihre konkrete Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihr angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) dargelegt werden (vgl nur Bundessozialgericht <BSG> vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung - gegebenenfalls auch des Schrifttums - angeben, welche Rechtsfrage sich stellt, das diese noch nicht geklärt ist, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfrage aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt (BSG vom 2.3.1976 - 12/11 BA 116/75 - SozR 1500 § 160 Nr 17 und BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG vom 25.9.1975 - 12 BJ 94/75 - SozR 1500 § 160a Nr 13; BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31; BSG vom 19.1.1981 - 7 BAr 69/80 - SozR 1500 § 160a Nr 39; BSG vom 9.10.1986 - 5b BJ 174/86 - SozR 1500 § 160a Nr 59; BSG vom 22.7.1988 - 7 BAr 104/87 - SozR 1500 § 160a Nr 65).

7

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Kläger macht mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde als Rechtsfragen geltend,

"Führt die Kenntnis eines Sozialhilfeträgers von einem fehlenden Krankenversicherungsschutz und einer Mittellosigkeit einer Person dazu, dass der Anspruch eines Dritten auf Erstattung seiner Aufwendungen im gebotenen Umfang nach § 25 SGB XII nicht entsteht?

Führt die Kenntnis eines Sozialhilfeträgers von der Hilfsbedürftigkeit einer Person vor der Aufnahme in ein Krankenhaus dazu, dass ein Anspruch des Krankenhausträgers auf Erstattung seiner Aufwendungen im gebotenen Umfang nach § 25 SGB XII nicht entsteht? Stellen ein fehlender Krankenversicherungsschutz und die Mittellosigkeit einer Person bereits einen Leistungsfall dar? Oder entsteht der Leistungsfall erst mit dem Eingreifen eines Dritten im Eilfall?

Fehlt es bereits vor der Aufnahme eines Hilfebedürftigen in einem Krankenhaus am sozialhilferechtlichen Moment eines Eilfalls iS des § 25 Satz 1 SGB XII fehlt, wenn der Sozialhilfeträger Kenntnis von der Hilfsbedürftigkeit hat?"

8

Zweifelhaft ist bereits, ob der Kläger eine abstrakt generelle Rechtsfrage zum Inhalt oder Anwendungsbereich einer revisiblen Norm formuliert (§ 162 SGG); denn er führt an keiner Stelle aus, welches gesetzliche Tatbestandsmerkmal welcher bundesrechtlichen Norm im Blick auf welche Bestimmung ausgelegt werden soll, um die Rechtseinheit zu wahren oder das Recht fortzubilden (vgl BSG vom 29.3.2017 - B 5 RE 12/16 B - RdNr 8).

9

Jedenfalls fehlt eine hinreichende, den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Darlegung der abstrakten Klärungsbedürftigkeit. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Als höchstrichterlich geklärt ist eine Rechtsfrage auch anzusehen, wenn das Revisionsgericht sie zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, aber schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; vgl zB BSG vom 16.4.2018 - B 8 SO 2/18 B - RdNr 9 mwN). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG und gegebenenfalls anderer oberster Bundesgerichte bzw des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu dem Problemkreis substantiiert vorgetragen werden, dass es zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung gibt, oder durch die schon vorliegenden Urteile die hier maßgebenden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung nicht beantwortet werden können (vgl BSG vom 16.6.2020 - B 8 SO 69/19 B - RdNr 7).

10

Insofern hätte es zunächst einer Darlegung bedurft, warum nicht bereits aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats, der zufolge ein Anspruch nach § 25 SGB XII nur in Betracht kommt, so lange der Sozialhilfeträger keine Kenntnis vom Leistungsfall hatte (zuletzt nur BSG vom 6.10.2022 - B 8 SO 2/21 R - RdNr 14 - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3500 § 17 Nr 2), abzuleiten ist, dass mit Kenntnis vom Leistungsfall vor Aufnahme in das Krankenhaus ein Anspruch nach § 25 SGB XII jedenfalls ausgeschlossen ist. Darüber hinaus hätte es einer Darlegung bedurft, warum sich das Sozialamt des Beklagten nicht die Kenntnis des Fachamts Gesundheit des Bezirksamts A der Beklagten, das die sofortige Unterbringung angeordnet hat, zurechnen lassen muss (s dazu BSG vom 6.10.2022 - B 8 SO 1/22 R - SozR 4-3500 § 30 Nr 6 RdNr 20 - zur Veröffentlichung vorgesehen in SozR 4-3500 § 30 Nr 6; s bereits BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R - BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43 RdNr 39; BSG vom 20.1.2016 - B 14 AS 35/15 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 47 RdNr 33). Schließlich enthält die Beschwerdebegründung keinerlei Darlegung der Breitenwirkung. In einer formgerechten Beschwerdebegründung muss angegeben werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll. Nicht jedes höchstrichterlich unentschiedene Problem rechtfertigt es, die Revision zuzulassen (vgl nur BSG vom 14.5.2012 - B 8 SO 78/11 B - RdNr 9). Dass die Beantwortung der aufgestellten Rechtsfragen über den Einzelfall hinaus Bedeutung hat, wird aber nicht im Ansatz vorgetragen.

11

Auch der Zulassungsgrund der Divergenz liegt nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Dieser ist gegeben, wenn das angegriffene Urteil von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Eine Abweichung liegt nicht vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im grundsätzlichen begründete Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass die angefochtene Entscheidung des LSG auf der Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte: Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der bezogenen Entscheidung enthalten ist, das dieser Rechtssatz tragend ist und welcher in der Entscheidung des LSG enthaltene tragende Rechtssatz dazu in Widerspruch steht. Ferner muss aufgezeigt werden, dass außer das Revisionsgericht die obere gerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zugrunde zu legen haben wird (vgl nur BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 f mwN; s auch BSG vom 5.10.2010 - B 8 SO 61/10 B - RdNr 11).

12

Der Kläger bezeichnet zwar die Entscheidung des erkennenden Senats vom 18.11.2014 (B 8 SO 9/13 R - BSGE 117, 261 = SozR 4-3500 § 25 Nr 5), zu der die Entscheidung des LSG in Widerspruch stehen soll. Nötig wäre jedoch, um eine bewusste Abweichung darzulegen, die Herausarbeitung und Benennung abstrakter Rechtssätze, die sich im grundsätzlichen widersprechen. Auf die Würdigung des Einzelfalls bezogener Aussagen reichen dazu nicht (vgl Schmidt in MeyerLadewig/Keller/Schmidt, 14. Aufl 2023, § 160 RdNr 13 mwN). Einen derartigen Rechtssatz hat der Kläger nicht benannt, sondern er rügt im Wesentlichen, dass die Entscheidung des LSG falsch sei. Die Frage, ob das LSG im Einzelfall richtig entschieden hat, kann jedoch die Revision nicht eröffnen (BSG vom 14.7.2022 - B 8 SO 10/21 B - RdNr 9).

13

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Krauß
Luik
Bieresborn