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Bundessozialgericht
Beschl. v. 29.02.2024, Az.: B 1 KR 6/24 B
Nichtzulassung der Revision in einem Verfahren wegen der Geltendmachung eines Anspruchs gegenüber der Krankenkasse auf Erstattung der Kosten für die Behandlung in einer türkischen Privatklinik
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.02.2024
Referenz: JurionRS 2024, 13704
Aktenzeichen: B 1 KR 6/24 B
ECLI: ECLI:DE:BSG:2024:290224BB1KR624B0

Verfahrensgang:

vorgehend:

SG Stuttgart - 20.07.2023 - AZ: S 15 KR 2891/22

LSG Baden-Württemberg - 19.12.2023 - AZ: L 11 KR 2199/23

Rechtsgrundlagen:

Art 12 Abs 1 DT-SVA

Art 4a DT-SVA

Art 15 DT-SVA

BSG, 29.02.2024 - B 1 KR 6/24 B

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 29. Februar 2024 durch den Richter Dr. Scholz als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Bockholdt und die Richterin Dr. Matthäus
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Dezember 2023 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I

1

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für die Behandlung in einer türkischen Privatklinik.

2

Die 1973 geborene und bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versicherte Klägerin leidet an einer Herzerkrankung. Während eines Urlaubs in der Türkei wurde sie im Februar 2021 in der Notaufnahme einer Privatklinik mit Symptomen von Kurzatmigkeit, Herzflimmern und kurzzeitiger Ohnmacht aufgenommen und auf der dortigen Intensivstation behandelt. Es wurde die Diagnose einer supraventrikulären Tachykardie gestellt und eine Ablation durchgeführt. Die hierfür von der Klinik gestellte Rechnung über insgesamt 47 925 Türkische Lira (TL) beglich die Klägerin. Die Beklagte erstattete hiervon lediglich 444,43 Euro (umgerechnet 3751,45 TL) und lehnte im Übrigen eine Erstattung ab (Bescheid vom 30.9.2021, Widerspruchsbescheid vom 7.9.2022). Mit ihrer hiergegen und auf die Erstattung der übrigen Behandlungskosten nebst Zinsen gerichteten Klage hatte die Klägerin in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das LSG hat zur Begründung unter teilweisem Verweis auf die Gründe der vorinstanzlichen Entscheidung ausgeführt: Ein Kostenerstattungsanspruch für die in der Türkei in Anspruch genommenen medizinischen Leistungen könne sich wegen der Ruhensvorschrift in § 16 Abs 1 Satz 1 SGB V allein aus dem deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommen (DT-SVA) ergeben. Der sich aus Art 12 Abs 1 lit b iVm Art 4a DT-SVA ergebende Kostenerstattungsanspruch sei auf den von der Beklagten gewährten Betrag begrenzt. Im Übrigen würden die Leistungen gemäß Art 15 DT-SVA im Wege der sogenannten Leistungsaushilfe von dem nach türkischem Recht zuständigen Träger nach dem für diesen geltendem türkischen Recht mit Wirkung für die deutsche gesetzliche Krankenversicherung erbracht. Da die Klägerin sich jedoch weder vorab den nach den türkischen Rechtsvorschriften notwendigen Anspruchsnachweis beschafft habe noch dies während des Krankenhausaufenthaltes nachgeholt habe, habe das behandelnde Krankenhaus vorliegend eine Privatrechnung stellen dürfen. Anhaltspunkte für ein abkommenswidriges Verhalten des staatlichen türkischen Sozialversicherungsträgers SGK und dafür, dass der von diesem ermittelte Betrag von umgerechnet 444,43 Euro unzutreffend sei, seien nicht ersichtlich. Inwieweit Art 3 Abs 1 GG verletzt sein sollte, erschließe sich nicht. Auch ein deutscher Staatsangehöriger hätte keinen weitergehenden Kostenerstattungsanspruch gehabt.

3

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

4

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.), der Divergenz (dazu 2.) und des Verfahrensmangels (dazu 3.).

5

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

6

Die Klägerin formuliert bereits keine einer revisionsgerichtlichen Klärung zugängliche abstrakte Rechtsfrage, sondern sie rügt im Kern ihres Vorbringens allein die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung sowie Defizite bei der praktischen Umsetzung der Vorgaben des DT-SVA. Die Frage, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat, ist jedoch nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (stRspr; vgl BSG vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7; BSG vom 26.1.2005 - B 12 KR 62/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 6 RdNr 18; BSG vom 31.10.2012 - B 13 R 107/12 B - juris RdNr 21; BSG vom 17.7.2020 - B 1 KR 34/19 B - juris RdNr 6).

7

Sofern sich dem Vorbringen der Klägerin sinngemäß die Rechtsfrage entnehmen lassen sollte, ob die Regelungen in Art 12 Abs 1 lit b iVm Art 4a DT-SVA und/oder Art 15 DT-SVA gegen Art 3 GG verstoßen, fehlt es jedenfalls an hinreichenden Darlegungen zur Klärungsbedürftigkeit.

8

Klärungsbedürftig sind solche entscheidungserheblichen Rechtsfragen, auf die sich eine Antwort noch nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz ergibt, die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung noch nicht unmittelbar geklärt sind und auf die sich eine Antwort auch nicht zumindest mittelbar aus bereits vorhandenen höchstrichterlichen Entscheidungen finden lässt. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4).

9

Die Klägerin legt nicht unter Auseinandersetzung mit dem in der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Prüfungsmaßstab (vgl zB BSG vom 10.11.2021 - B 1 KR 7/21 R - BSGE 133, 134 = SozR 4-2500 § 27a Nr 21, RdNr 19 f mwN) dar, inwiefern sich hinsichtlich der Frage, ob die Regelungen des DT-SVA gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG oder die besonderen Benachteiligungsverbote des Art 3 Abs 3 GG vorliegend ein höchstrichterlicher Klärungsbedarf ergeben sollte. Sofern sie geltend macht, ein in Deutschland lebender türkisch-stämmiger Mitbürger werde gegenüber einem Menschen mit der deutschen Staatsangehörigkeit benachteiligt, wird aus ihrem Vorbringen eine an die Staatsbürgerschaft anknüpfende Ungleichbehandlung bereits im Ansatz nicht nachvollziehbar. Die Klägerin erkennt vielmehr sogar selbst an, dass die von ihr als rechtswidrig angesehene Verwaltungspraxis hinsichtlich der Umsetzung des DT-SVA in gleicher Weise deutsche Staatsangehörige betrifft, die in der Türkei notfallmäßig behandelt werden.

10

Im Übrigen setzt sich die Klägerin auch nicht mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats zum Bestehen und zum Umfang von Kostenerstattungsansprüchen bei unaufschiebbarer Behandlung im Ausland bei abkommensmäßig geregelter Sachleistungsaushilfe durch Leistungsträger des Aufenthaltsstaats, einschließlich des in diesem Zusammenhang anerkannten Kostenerstattungsanspruchs wegen Abkommensverletzung auseinander (vgl BSG vom 24.5.2007 - B 1 KR 18/06 R - BSGE 98, 257 = SozR 4-6928 Allg Nr 1, RdNr 10 ff; BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 21/11 R - SozR 4-6928 Allg Nr 2 RdNr 8 ff).

11

2. Wer sich auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) beruft, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - juris RdNr 6; BSG vom 9.5.2018 - B 1 KR 55/17 B - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG <Dreierausschuss> vom 8.9.1982 - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat; dies hat der Beschwerdeführer schlüssig darzulegen (vgl zB BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 72/18 B - juris RdNr 8). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

12

Die Klägerin stellt keine entscheidungstragenden abstrakten Rechtssätze des LSG und des BSG, GmSOGB oder des BVerfG gegenüber, sondern macht lediglich pauschal geltend, das angefochtene Urteil weiche "von der höchstrichterlichen Rechtsprechung insoweit ab, dass nicht das durchgeführte Beweisergebnis zur Begründung des Urteils herangezogen wurde, sondern pauschale teilweise realitätsfremde Überlegungen (Ausblenden der konkreten Verhältnisse vor Ort in der Türkei) der Urteilsbegründung zugrunde gelegt wurden; Art. 19 IV GG, Art. 103 GG, § 286 ZPO".

13

3. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 - SozR 1500 § 160a Nr 36 mwN; BSG vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 16 mwN). Daran richtet die Klägerin ihr Vorbringen nicht aus.

14

Sofern die Klägerin meint, in der "offensichtlich falschen Begründung des Senats" liege zugleich ein Verfahrensmangel, bezeichnet sie keine Verfahrensvorschrift, gegen die das LSG verstoßen haben sollte, sondern rügt sie abermals nur die inhaltliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung. Sofern sie in diesem Zusammenhang geltend macht, die Berichte, der Vortrag und die Übersetzungen, auf die sich das Urteil in der Begründung stützen sollte, seien nicht verwertet worden, käme allenfalls ein Verstoß gegen § 128 Abs 1 Satz 1 SGG in Betracht. Darauf kann aber die Nichtzulassungsbeschwerde jedoch von vornherein nicht gestützt werden (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG).

15

4. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

16

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Scholz

Matthäus

Bockholdt

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