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Bundessozialgericht
Beschl. v. 24.01.2023, Az.: B 6 KA 2/22 BH
Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung des Verfahrensmangels eines Verstoßes gegen das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren und den Anspruch auf rechtliches Gehör
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 24.01.2023
Referenz: JurionRS 2023, 14863
Aktenzeichen: B 6 KA 2/22 BH
ECLI: ECLI:DE:BSG:2023:240123BB6KA222BH0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Schleswig-Holstein - 29.03.2022 - AZ: L 4 KA 18/20

BSG, 24.01.2023 - B 6 KA 2/22 BH

Redaktioneller Leitsatz:

Es besteht kein Anspruch, eine bestehende Papierakte zum Zwecke der Akteneinsicht durch digitalen Abruf in eine elektronische Akte zu überführen.

in dem Rechtsstreit
BSG Az.: B 6 KA 2/22 BH
Schleswig-Holsteinisches LSG 29.03.2022 - L 4 KA 18/20
SG Kiel 25.05.2020 - S 2 KA 147/18
……………………………….,
Kläger und Antragsteller,
g e g e n
Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein,
Bismarckallee 1 - 6, 23795 Bad Segeberg,
Beklagte.
Der 6. Senat des Bundessozialgerichts hat am 24. Januar 2023 durch
die Vorsitzende Richterin Prof. Dr. O p p e r m a n n sowie die Richterinnen J u s t und Dr. L o o s e
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Klägers, ihm für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 29. März 2022 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

I

1

Der Kläger wendet sich mit seiner gegen die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) gerichteten Klage vom 1.7.2018 gegen einen "'Beschluss' vom 26.04.2018 (He/dh)". Die Beklagte hat mitgeteilt, dass von ihrer Seite weder ein Beschluss noch ein Bescheid mit diesem Datum erlassen worden sei. Auf Nachfragen des SG zum Verfahrensgegenstand hat der Kläger keine ergänzenden Angaben hierzu gemacht. Vielmehr hat er Akteneinsicht erbeten, ohne auf die Terminangebote des SG bzw die Bitte, sich zwecks Terminabsprache mit der Geschäftsstelle in Verbindung zu setzen, einzugehen. Das SG hat nach Anhörung der Beteiligten die Klage als unzulässig abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 25.5.2020). Der Kläger habe einen überprüfbaren Streitgegenstand nicht benannt.

2

Wogegen er sich wendet, hat der Kläger auch im anschließenden Berufungsverfahren nicht mitgeteilt. Eine Akteneinsicht durch den Kläger ist trotz der Übersendung der Gerichtsakten an ein Amtsgericht an seinem Wohnort und entsprechender Mitteilung an ihn nicht erfolgt. Zuletzt hat der Kläger Akteneinsicht über das Akteneinsichtsportal verlangt. Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 29.3.2022). Zu Recht habe das SG die Klage abgewiesen. Der Kläger habe den Gegenstand des Klagebegehrens nicht iS von § 92 Abs 1 Satz 1 SGG bezeichnet. Hierfür genüge es nicht, das Vorliegen eines Verwaltungsaktes geltend zu machen. Es sei bis zuletzt unklar geblieben, ob es einen Beschluss oder einen Verwaltungsakt vom 26.4.2018 überhaupt gebe und wer ihn ggf mit welchem Inhalt erlassen habe.

3

Der Kläger hat mit am 31.5.2022 beim LSG eingegangenen Schreiben mitgeteilt, dass das Urteil vom 29.3.2022 abgelehnt und zugleich Revision eingelegt werde; eine Abschrift dieses Schreibens hat der Kläger am 14.6.2022 dem BSG "zur freundlichen Kenntnisnahme und weiteren Veranlassung" übersandt. Zugleich hat der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

II

4

1. Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist abzulehnen.

5

Nach § 73a Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 114 Abs 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall.

6

Gemäß § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). Ein solcher Zulassungsgrund ist nach Durchsicht der Akten nicht ersichtlich.

7

Es ist nicht erkennbar, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), eine Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder einen Verfahrensmangel des LSG, der gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zur Zulassung der Revision führen könnte, mit Erfolg geltend machen könnte.

8

Welche Anforderungen an die Bestimmtheit des Klagebegehrens zu stellen sind, ist in der Rechtsprechung des BSG geklärt (vgl etwa BSG Beschluss vom 1.12.2016 - B 14 AS 183/16 B - juris RdNr 5 ff). Anhaltspunkte, dass die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht, bestehen nicht, weshalb eine Divergenzrüge keine Aussicht auf Erfolg verspricht.

9

Es liegt auch kein fortwirkender Verfahrensmangel vor, weil das LSG das Prozessurteil des SG bestätigt hat. Dies wäre nur zu bejahen, wenn anstelle eines erstinstanzlichen Prozessurteils eine Sachentscheidung hätte ergehen müssen (vgl BSG Beschluss vom 1.12.2016, aaO, RdNr 4 und zuletzt BSG Beschlüsse vom 18.8.2022 - B 1 KR 35/22 B - juris RdNr 7, B 1 KR 56/22 B - juris RdNr 8). Dies ist nicht der Fall. Benennt ein Kläger im gesamten Verfahren auch auf ausdrückliche Nachfrage der Gerichte ohne weitere Sachverhaltsangaben lediglich ein Beschlussdatum und die Behörde, gegen die die Klage gerichtet ist (hier: die KÄV), kann der benannte Beklagte diesem Datum aber keine Entscheidung zuordnen, so ist das von dem Kläger Gewollte, dh das mit der Klage verfolgte Prozessziel, einer Auslegung nicht zugänglich (zu Letzterem vgl BSG Urteil vom 14.6.2018 - B 9 SB 2/16 R - SozR 4-1500 § 92 Nr 4 RdNr 12 mwN). Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger zunächst Akteneinsicht begehrt hat. Insoweit ist er von den Vorinstanzen mehrfach darauf hingewiesen worden, dass Verwaltungsakten des Beklagten nicht vorliegen und ohne weitere Angaben der Vorgang keinem Verwaltungsverfahren zugeordnet werden kann.

10

Auch ein Verstoß gegen das allgemeine Prozessgrundrecht auf ein faires Verfahren und den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 128 Abs 2 SGG, § 62 SGG) könnte nicht dargelegt werden. Zwar darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG). Zu diesem Zweck haben die Beteiligten das Recht auf Akteneinsicht (§ 120 SGG). Es ist jedoch zunächst Sache des Klägers, den Verfahrensgegenstand näher zu bezeichnen, damit die einschlägigen Verwaltungsakten beigezogen werden können. Soweit die Einsicht in die Gerichtsakten begehrt wird, trifft den Kläger zudem die Obliegenheit, alles zu tun, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 15.8.2018 - B 13 R 387/16 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 7.10.2016 - B 9 V 28/16 B - juris RdNr 6). Dazu gehört es auch, von den angebotenen Möglichkeiten, Akteneinsicht zu nehmen und damit sein rechtliches Gehör zu wahren, Gebrauch zu machen. Dies ist hier - trotz Übersenden der Akten an das Amtsgericht am Wohnort des Klägers - nicht geschehen. Die Möglichkeit der Akteneinsicht durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf, wie von dem Kläger zuletzt gewünscht, ist zwar grundsätzlich auch bei - wie hier - noch in Papierform geführten Akten möglich (§ 120 Abs 3 Satz 2 iVm Abs 2 Satz 1 SGG). Es besteht jedoch kein Anspruch, eine bestehende Papierakte zum Zwecke der Akteneinsicht durch digitalen Abruf in eine elektronische Akte zu überführen (vgl BFH Beschluss vom 4.7.2019 - VIII B 51/19 - DStR 2019, 2383 = juris RdNr 16; BFH Beschluss vom 14.7.2022 - IV B 66/21 - HFR 2022, 1037 = juris RdNr 31 jeweils mwN zum Abrufverfahren nach § 78 Abs 3 Satz 2 FGO). Der Kläger hat auch keine Gründe mitgeteilt, weshalb er die Akteneinsicht beim Amtsgericht nicht wahrgenommen hat.

11

Dass das LSG die zuletzt gegen alle Richter des dortigen Senats gerichteten Befangenheitsgesuche des Klägers als rechtsmissbräuchlich und damit unzulässig angesehen hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass der abgelehnte Richter ein Ablehnungsgesuch selbst ablehnen kann, wenn das Gesuch als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist, etwa wenn pauschal alle Richter eines Gerichts abgelehnt werden, das Gesuch nur mit solchen Umständen begründet wird, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können, oder wenn gegen den Richter unqualifizierbare Angriffe wegen seiner angeblich rechtsstaatswidrigen Rechtsfindung erhoben werden. Bei strenger Beachtung der Voraussetzungen des gänzlich untauglichen oder rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs gerät eine Entscheidung des abgelehnten Richters selbst mit der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs 1 Satz 2 GG nicht in Konflikt, weil die Prüfung keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache ist (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 11.3.2013 - 1 BvR 2853/11 - juris RdNr 28, 30 mwN; BSG Beschluss vom 1.12.2021 - B 12 KR 29/21 B - juris RdNr 5 mwN; BSG Beschlüsse vom 22.9.2022 - B 9 V 4/22 BH - juris RdNr 11 sowie B 9 V 7/22 BH - juris RdNr 13).

12

Dass ausgehend von diesen höchstrichterlichen Maßstäben im vorliegenden Fall die Entscheidung des LSG willkürlich sein könnte, ist nicht ersichtlich. Der Kläger hat zuletzt alle Richter des Senats abgelehnt und dabei - soweit er überhaupt eine Begründung gegeben hat - im Kern lediglich Handlungen der Richter beanstandet, welche nach der Prozessordnung vorgeschrieben sind oder sich ohne Weiteres aus der Stellung des Richters ergeben. Ein Ablehnungsgesuch ist jedoch unzulässig, wenn sich der Richter an den von der Prozessordnung vorgeschriebenen Verfahrensgang hält, der Ablehnende aber eine Änderung begehrt (vgl BVerfG <Kammer> Beschluss vom 11.3.2013, aaO, RdNr 30).

13

2. Da dem Kläger, der im Übrigen seine aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nachgewiesen hat, mithin PKH bereits deshalb nicht zusteht, entfällt zugleich die Möglichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der PKH (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

Prof. Dr. Oppermann

Just

Dr. Loose

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