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Bundessozialgericht
Urt. v. 20.02.2020, Az.: B 14 AS 17/19 R
Keine wirksame Aufrechnung des Jobcenters von Kostenerstattungsanspr�chen nach � 63 SGB X mit Erstattungsforderungen an den Rechtsanwalt; Keine wirksame Aufrechnung des Jobcenters von Kostenerstattungsansprüchen nach § 63 SGB X mit Erstattungsforderungen an den Rechtsanwalt
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 20.02.2020
Referenz: JurionRS 2020, 27336
Aktenzeichen: B 14 AS 17/19 R
ECLI: ECLI:DE:BSG:2020:200220UB14AS1719R0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Berlin-Brandenburg - 31.05.2018 - AZ: L 29 AS 1928/17

SG Berlin - 28.08.2017 - AZ: S 66 AS 24139/15

Fundstellen:

AnwBl 2020, 208

info also 2020, 235

NJW 2021, 110

NZA 2020, 1530

NZS 2020, 776

RVG prof 2020, 78

SGb 2020, 301

BSG, 20.02.2020 - B 14 AS 17/19 R

Redaktioneller Leitsatz:

Die Aufrechnung von Kostenerstattungsansprüchen aus § 63 SGB X mit Erstattungsforderungen eines Jobcenters aufgrund der Überzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II verstößt gegen ein normatives Aufrechnungsverbot.

in dem Rechtsstreit
BSG Az.: B 14 AS 17/19 R
LSG Berlin-Brandenburg 31.05.2018 - L 29 AS 1928/17
SG Berlin 28.08.2017 - S 66 AS 24139/15
1. ..........................,
2. ..........................,
3. ..........................,
Kl�ger und Revisionsbeklagte,
Prozessbevollm�chtigte zu 1. bis 3.: ................................,
gegen
Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg,
Rudi-Dutschke-Stra�e 3, 10969 Berlin,
Beklagter und Revisionskl�ger.
Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die m�ndliche Verhandlung vom 20. Februar 2020 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. B e c k e r , den Richter Dr. H a r i c h und die Richterin N e u m a n n sowie die ehrenamtliche Richterin G e p p e r t und den ehrenamtlichen Richter S c h m i t z
f�r Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Mai 2018 wird zur�ckgewiesen.

Der Beklagte hat den Kl�gern die Kosten f�r das Revisionsverfahren zu erstatten.

Gr�nde

I

1

Umstritten sind Kostenerstattungsanspr�che gem�� � 63 SGB X nach Aufrechnungen des beklagten Jobcenters.

2

Nach einem erfolgreichen Vorverfahren der Kl�ger - eine Mutter und zwei ihrer minderj�hrigen Kinder - hatte der Beklagte entschieden, er werde deren au�ergerichtliche Kosten erstatten, soweit sie notwendig gewesen und nachgewiesen seien. Au�erdem hatte er die Hinzuziehung eines Bevollm�chtigten f�r notwendig erkannt (Bescheide vom 14.10.2015). Die Kl�ger machten 595 Euro Anwaltskosten f�r die Vertretung im Vorverfahren geltend. Der Beklagte erkl�rte, er erkenne diesen Betrag in voller H�he an, rechne aber mit Forderungen gegen�ber den Kl�gern in unterschiedlicher H�he auf (Schreiben vom 5.11.2015). Die nach Aufrechnung im Verh�ltnis zu einer Kl�gerin noch verbliebenen 82,78 Euro glich er bei der Bevollm�chtigten aus.

3

Das SG hat auf die Klage der Kl�ger und eines weiteren Kindes den Beklagten zu Freistellung von den noch geltend gemachten Anwaltskosten in H�he von 512,22 Euro verurteilt (Urteil vom 28.8.2017). Das LSG hat die zugelassenen Berufungen zur�ckgewiesen (Urteil vom 31.5.2018). Die von dem Beklagten in voller H�he anerkannten Kostenerstattungsanspr�che seien nicht erloschen. Sie richteten sich auf Freistellung und seien mangels Gleichartigkeit iS von � 387 BGB nicht mit den Geldforderungen des Beklagten aufzurechnen.

4

Der Senat hat die Revision zugelassen. Das weitere minderj�hrige Kind hat seine Klage zur�ckgenommen. Der Beklagte r�gt eine Verletzung von � 63 SGB X. Erstattungsanspr�che nach dieser Vorschrift zielten auf Zahlung. Zu � 257 BGB entwickelte Grunds�tze seien nicht heranzuziehen.

5

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Mai 2018 sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2017 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

6

Die Kl�ger beantragen,

die Revision zur�ckzuweisen.

II

7

Die zul�ssige Revision ist nach R�cknahme der Klage des weiteren minderj�hrigen Kindes unbegr�ndet. Das LSG hat die auf die Anspr�che der Kl�ger bezogene Berufung des Beklagten zu Recht zur�ckgewiesen und damit die Verurteilung des Beklagten zum Ausgleich von noch 512,22 Euro durch das SG best�tigt.

8

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen die Pflicht des Beklagten zur �bernahme des aus der Kostennote der Bevollm�chtigten der Kl�ger noch offenen Betrags. Dass die Geb�hrenabrechnung dem Grunde nach berechtigt war, ist nach den bestandskr�ftigen Entscheidungen vom 14.10.2015 �ber die Kostenlast (� 63 Abs 1 Satz 1 SGB X) und die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Bevollm�chtigten (� 63 Abs 2, Abs 3 Satz 2 SGB X) nicht mehr zu pr�fen.

9

Durch seinen Kostenfestsetzungsverwaltungsakt (� 63 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X) vom 5.11.2015 hat der Beklagte die geltend gemachten Aufwendungen in H�he von 595 Euro vollumf�nglich anerkannt; auch ihre H�he ist damit nicht im Streit. Vor der Aufrechnungserkl�rung hat der Beklagte geregelt, er erkenne die vollen Anwaltskosten an. Die Kostenfestsetzung bezieht sich damit auf die gesamte Kostennote und nicht nur auf die gezahlten 82,78 Euro.

10

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Streitigkeiten wegen der Kosten eines isolierten Vorverfahrens (�� 78 ff SGG) sind keine Kosten des Verfahrens iS von � 144 Abs 4 SGG (stRspr; vgl BSG vom 12.12.2019 - B 14 AS 48/18 R - zur Ver�ffentlichung in SozR vorgesehen). Wegen der H�he der offenen Kostennote war die Berufung statthaft, nachdem sie das SG in seinem Urteil zugelassen hat (vgl � 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).

11

Zutreffende Klageart ist die echte Leistungsklage (� 54 Abs 5 SGG). Mit dieser Klageart kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Leistung in diesem Sinne ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, � 54 RdNr 37; zur Zahlung aus einem nicht aufgehobenen Bewilligungsverwaltungsakt BSG vom 27.3.1980 - 10 RV 23/79 - BSGE 50, 82 = SozR 1500 � 54 Nr 40), demgem�� auch die freistellende Zahlung als Unterfall der bewilligten Kostenerstattung.

12

Dem Klageziel steht kein weiterer Verwaltungsakt entgegen, mit dem Rechte der Kl�ger aus dem Kostenfestsetzungsverwaltungsakt wieder beseitigt worden sind (vgl � 39 Abs 2 SGB X) und der deswegen h�tte angefochten werden m�ssen. Eine hierf�r erforderliche Regelung (� 31 SGB X) hat der Beklagte erkennbar nicht treffen wollen und stattdessen Aufrechnungen erkl�rt (vgl BSG vom 24.7.2003 - B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 � 52 Nr 1 RdNr 17; zur Verrechnung BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 � 52 Nr 4, RdNr 15). Wegen der Aufrechnungen hat er nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG weder Aktivit�ten entfaltet, die Verwaltungsverfahren mit dem Ziel des Abschlusses durch Verwaltungsakt h�tten sein k�nnen (vgl � 8 SGB X), noch seine Entscheidungen als Verwaltungsakte bezeichnet oder anderweitig den Eindruck erweckt, er habe durch Verwaltungsakte �ber die Aufrechnungen entschieden (vgl zur Entscheidung in der Form des Verwaltungsakts, ohne dass die Merkmale des � 31 SGB X gegeben sind Littmann in Hauck/Noftz, K � 31 SGB X, RdNr 35, Stand Dezember 2011; BSG vom 3.4.2003 - B 13 RJ 39/02 R - BSGE 91, 68 = SozR 4-1300 � 31 Nr 1 RdNr 12). Die nach den Aufrechnungserkl�rungen durch den Beklagten vorgenommene Erl�uterung, es ergebe sich nur noch ein zu begleichender Anspruch in H�he von 82,78 Euro, ist kein (feststellender) Verwaltungsakt und auch keine gesonderte Teilablehnung der Auszahlung.

13

3. Die Kl�ger haben die geltend gemachten Anspr�che auf vollen Ausgleich der vom Beklagten festgesetzten 595 Euro. Den Aufrechnungen stand ein Aufrechnungsverbot entgegen.

14

a) Zwar hat der Beklagte, weil er die Kostenerstattungsanspr�che der Kl�ger nicht durch Zahlung erf�llen wollte, Aufrechnungen durch �ffentlich-rechtliche Willenserkl�rungen erkl�rt. Hierzu war er grunds�tzlich berechtigt (vgl zur Aufrechnung als Rechtsinstitut des �ffentlichen Rechts BSG vom 9.6.1988 - 4 RA 9/88 - BSGE 63, 224, 230 = SozR 1300 � 48 Nr 47 S 135 mwN; BSG vom 15.12.1994 - 12 RK 69/93 - BSGE 75, 283, 284 ff = SozR 3-2400 � 28 Nr 2 S 9 ff; BSG vom 22.7.2004 - B 3 KR 21/03 R - BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 � 137c Nr 2; zur Verrechnung BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 � 52 Nr 4; allgemein zum Meinungsstand BSG vom 16.12.2009 - B 7 AL 43/07 R - RdNr 15; vgl auch BVerwG vom 27.10.1982 - 3 C 6/82 - BVerwGE 66, 218, 221; BFH vom 2.4.1987 - VII R 148/83 - BFHE 149, 482, 487). Welche Anforderungen indes im Einzelnen bei einer sozialrechtlichen �berformung der entsprechend anzuwendenden Vorschriften des BGB an eine wirksame Aufrechnung zu stellen w�ren und inwieweit einzelne spezialgesetzliche Vorschriften des SGB II als abschlie�end verstanden werden m�ssen, kann offen bleiben. Jedenfalls bestand ein Aufrechnungsverbot.

15

b) Die Aufrechnung von Kostenerstattungsanspr�chen aus � 63 SGB X mit Erstattungsforderungen eines Jobcenters aufgrund der �berzahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II verst��t gegen ein normatives Aufrechnungsverbot.

16

Auch eine Aufrechnung, die die Vorgaben der �� 387, 388 BGB erf�llt, ist ausgeschlossen, wenn sie gegen ein gesetzliches oder vertragliches Verbot verst��t. Gesetzliche Aufrechnungsverbote k�nnen ausdr�cklich angeordnet sein oder sich aus dem Sinn und Zweck einer Vorschrift ergeben (R��mann in Herberger/Martinek/R��mann/Weth/W�rdinger, jurisPK-BGB, � 387 RdNr 71, Stand 17.8.2017; �hnlich Wagner in Erman, BGB, 15. Aufl 2017, � 387, RdNr 2, nach dem neben ausdr�cklichen gesetzlichen Aufrechnungsverboten auch die Natur der Rechtsbeziehungen oder der Zweck der geschuldeten Leistung die Aufrechnung ausschlie�en k�nnen). Aufrechnungsverbote sind ua auf den Vorrang der Effektiverf�llung zur�ckzuf�hren. Bei diesem Vorrang geht es darum, den an der Aufrechnung beteiligten Gl�ubigern der Hauptforderung den Leistungsgegenstand zur tats�chlichen Verf�gung zu erhalten, sei es auch nur im Interesse Dritter (Gernhuber, Die Erf�llung und ihre Surrogate sowie das Erl�schen der Schuldverh�ltnisse aus anderen Gr�nden, 2. Aufl 1994, S 258).

17

Das Aufrechnungsverbot gegen�ber den Kl�gern als Inhabern der Kostenerstattungsanspr�che ergibt sich aus Sinn und Zweck des � 63 SGB X. Auf dessen Regelungen beruht der Kostenfestsetzungsverwaltungsakt des Beklagten, mit dem er die geltend gemachten Aufwendungen anerkannt hat.

18

� 63 SGB X berechtigt Widerspruchsf�hrer, die Erstattung der Aufwendungen zu verlangen, die ihnen durch ihr erfolgreiches oder nur wegen der Heilung von Verfahrens- oder Formfehlern erfolgloses Vorgehen gegen einen Verwaltungsakt entstanden sind. Ob und in welchem Umfang Aufwendungen dem Grunde nach zu erstatten sind, richtet sich (ausgenommen � 63 Abs 1 Satz 2 SGB X) ausschlie�lich nach dem Erfolg des Widerspruchs (vgl BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 68/12 R - SozR 4-1300 � 63 Nr 20 RdNr 20 ff). Der Erstattungsanspruch kompensiert zugleich den Umstand, dass die Verwaltung die an sie auf Art 20 Abs 3 GG gest�tzte Erwartung, sie werde nach Gesetz und Recht handeln, nicht erf�llt.

19

Die Vorschrift �bernimmt weitgehend die Kostenregelung zum verwaltungsgerichtlichen Vorverfahren in � 80 VwVfG, die bewusst eingef�hrt worden war, um die zuvor umstrittene und vom Gro�en Senat des BVerwG abgelehnte Kostenerstattungspflicht bei einem Erfolg des Widerspruchs im isolierten Vorverfahren aufgrund f�r das gerichtliche Verfahren geltender Kostenerstattungsvorschriften zu erm�glichen (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum VwVfG, BT-Drucks 7/910 S 91 mwN; BVerwG vom 1.11.1965 - GrSen 2.65 - BVerwGE 22, 281).

20

Erg�nzend regelt � 63 Abs 2 SGB X, unter welcher Voraussetzung Anspruch auf Erstattung von Aufwendungen f�r die Vertretung durch Bevollm�chtigte besteht. Dazu muss die Hinzuziehung eines Bevollm�chtigten notwendig gewesen sein. Wegen der Komplexit�t des Sozialrechts ist die Rechtslage f�r den B�rger regelm��ig schwer zu erfassen, schon aus diesem Grund ist die Zuziehung rechtskundiger Bevollm�chtigter (zB Gewerkschaft, Rentenberater, Rechtsanwalt, vgl � 73 Abs 2 Satz 2 SGG) in der Regel notwendig. Zugleich rechtfertigen die Gesichtspunkte eines fairen Verfahrens und einer gewissen Waffengleichheit die Hinzuziehung eines sachkundigen Bevollm�chtigten (vgl Becker in Hauck/Noftz, SGB X, K � 63 RdNr 50, Stand Februar 2015; zur Inanspruchnahme von Rechtsrat und anwaltlicher Vertretung als geeignete Ma�nahme zur Steigerung der Effektivit�t des Vorverfahrens BVerfG vom 11.5.2009 - 1 BvR 1517/08 - NZS 2010, 88, 91). Dessen Einschaltung ist bei einem Widerspruchserfolg nach den Regeln der Kostenerstattung f�r das Vorverfahren im Ergebnis "kostenlos" (BVerfG vom 11.5.2009 - 1 BvR 1517/08 - NZS 2010, 88, 89).

21

Die Kostenerstattung nach � 63 SGB X hat bei unbemittelten Widerspruchsf�hrern mehrere Funktionen. Sie sichert die Widerspruchsf�hrer vor der Kostenlast bei einem erfolgreichen isolierten Vorverfahren ab, sie gibt im Wege des Freistellungsanspruchs den Bevollm�chtigten die Sicherheit, ihre Geb�hren und Auslagen auch bei Vertretung von unbemittelten Widerspruchsf�hrern zu erhalten und sie steht daf�r, dass auch unbemittelte Widerspruchsf�hrer Anw�lte finden, die zu ihrer Vertretung bereit sind, weil sie im Erfolgsfall dieselbe Verg�tung erwarten k�nnen, wie bei bemittelten Mandanten.

22

Diese Funktionen werden vereitelt, wenn bevollm�chtigte Anw�lte, sei es, dass Widerspruchsf�hrer - wie hier - selbst Inhaber des Anspruchs nach � 63 SGB X bleiben, dass sie ihren Anspruch an die Bevollm�chtigten abgetreten haben (vgl BSG vom 20.2.2020 - B 14 AS 4/19 R) oder dass der Anspruch wegen � 9 Satz 2 des Gesetzes �ber Rechtsberatung und Vertretung f�r B�rger mit geringem Einkommen auf Bevollm�chtigte �bergegangen ist (BerHG; vgl BSG vom 20.2.2020 - B 14 AS 3/19 R), damit rechnen m�ssen, dass der Rechtstr�ger, der die Kosten des Vorverfahrens zu erstatten hat, seinerseits mit Forderungen gegen�ber Widerspruchsf�hrern wirksam aufrechnen kann.

23

Das erfolgreiche Bem�hen der Widerspruchsf�hrer um die Korrektur rechtswidriger Verwaltungsakte ginge bei der Zul�ssigkeit der Aufrechnung von Kostenerstattungsanspr�chen aus einem Vorverfahren letztlich allein zu ihren Lasten. Dieses Ergebnis weicht ohne erkennbare Rechtfertigung vom prozessualen Kostenrecht ab, dem das "Obsiegens- und Unterliegensprinzip" zugrunde liegt (vgl � 197a Abs 1 letzter Halbsatz SGG iVm � 154 Abs 1 VwGO; � 135 Abs 1 FGO; � 91 Abs 1 Satz 1 ZPO; BSG vom 12.6.2013 - B 14 AS 68/12 R - SozR 4-1300 � 63 Nr 20 RdNr 19) oder bei dem es ma�geblich zu beachten ist (vgl Gutzler in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, � 193 RdNr 28 ff). Endet das Vorverfahren zum Nachteil der Widerspruchsf�hrer und haben sie sp�ter im Klageverfahren Erfolg, erfasst der gerichtliche Ausspruch zur Kostenerstattung auch das Vorverfahren (vgl BSG vom 20.10.2010 - B 13 R 15/10 R - SozR 4-1500 � 193 Nr 6 RdNr 20; BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 50/15 R - SozR 4-1300 � 63 Nr 25 RdNr 20 ff). Bei hinreichender Aussicht auf Erfolg und der wegen der regelm��igen Prozesskostenhilfebed�rftigkeit von Empf�ngern von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorzunehmenden Prozesskostenhilfebewilligung sichert das Aufrechnungsverbot aus � 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm � 126 Abs 2 Satz 1 ZPO das Beitreibungsrecht des Rechtsanwalts und damit auch dessen Bezahlung f�r die Vertretung im gerichtlichen Verfahren. Die Kosten des Vorverfahrens erfasst � 126 Abs 2 Satz 1 ZPO aber nicht.

24

Dass f�r das gerichtliche Verfahren Mechanismen vorgesehen sind, die aus Gr�nden der Rechtsschutzgleichheit aus Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 und 3 GG (vgl BVerfG vom 23.6.1999 - 1 BvR 984/89 - NJW 1999, 3186; BVerfG vom 3.3.2014 - 1 BvR 1671/13 - NZS 2014, 336 [BVerfG 03.03.2014 - 1 BvR 1671/13]) den Ausgleich von Aufwendungen finanziell bed�rftiger Rechtsschutzsuchender wegen ihrer Vertretung ohne Abschl�ge gegen�ber den Aufwendungen von Bemittelten sichern, ist auch f�r den Kostenerstattungsanspruch aus � 63 SGB X zu w�rdigen (vgl zum Gleichlauf von Rechtsschutzgleichheit und Rechtswahrnehmungsgleichheit BVerfG vom 11.5.2009 - 1 BvR 1517/08 - NZS 2010, 88, 89).

25

Das Grundgesetz verb�rgt sich mit dem Anspruch aus Art 3 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 und 3 GG - f�r den Rechtsschutz gegen Akte der �ffentlichen Gewalt iVm Art 19 Abs 4 GG - f�r grunds�tzlich gleiche Chancen von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte auch im au�ergerichtlichen Bereich. Der Unbemittelte ist einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der bei seiner Entscheidung f�r die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten ber�cksichtigt und vern�nftig abw�gt (BVerfG vom 14.10.2008 - 1 BvR 2310/06 - BVerfGE 122, 39, 49; BVerfG vom 11.5.2009 - 1 BvR 1517/08 - NZS 2010, 88, 89).

26

� 63 SGB X setzt durch die Verbindung der Kostenerstattung mit dem Erfolg des Widerspruchs den Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit um. Mit der uneingeschr�nkten Ankn�pfung an den Erfolg des Widerspruchs tritt � 63 SGB X jedem Versuch entgegen, die Erstattung an individuelle Eigenschaften von Widerspruchsf�hrern zu kn�pfen. Solche Eigenschaften sind, sofern es um Aufwendungen durch die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe geht, erst bei der Geb�hrenbemessung zu ber�cksichtigen. Hier werden die grunds�tzlich beim Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorliegenden unterdurchschnittlichen Einkommens- und Verm�gensverh�ltnisse in den allermeisten F�llen durch den Bemessungsgesichtspunkt der Bedeutung der Angelegenheit ausgeglichen (vgl BSG vom 1.7.2009 - B 4 AS 21/09 R - BSGE 104, 30 = SozR 4-1935 � 14 Nr 2, RdNr 38).

27

Die gebotene Gleichstellung Bemittelter und Unbemittelter bezieht sich auch auf die Unterst�tzung bei der Rechtswahrnehmung durch Bevollm�chtigte, wenn deren Hinzuziehung notwendig ist. Rechtsanw�lte und andere entgeltlich t�tige Bevollm�chtigte sind auf die wirtschaftliche Leistungsf�higkeit ihrer Auftraggeber angewiesen. M�ssen sie bef�rchten, ihre Verg�tung nicht �ber den Ausgleich nach � 63 SGB X zu erhalten, werden sie die �bernahme der Vertretung ablehnen. Je gezielter Jobcenter zur Aufrechnung von Erstattungsforderungen angewiesen werden, desto weniger wird es Leistungsberechtigten gelingen, anwaltliche Beratung und Vertretung zu erlangen (vgl auch Schweigler, SGb 2017, 314, 316 zum "Praxishandbuch f�r das Verfahren nach dem Sozialgerichtsgesetz" der Bundesagentur f�r Arbeit).

28

Bei Widerspr�chen im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind Widerspruchsf�hrer oftmals auf rechtskundige Vertretung angewiesen. Denn aufgrund der Abh�ngigkeit dieser Leistungen von sich �ndernden Bedarfen und zu ber�cksichtigendem Einkommen und Verm�gen sind Erstattungsforderungen der Jobcenter gegen Leistungsbezieher nichts ungew�hnliches (vgl zur Gr��enordnung nur BT-Drucks 19/12241 vom 9.8.2019 S 2: 2 883 472 Erstattungsbescheide im Jahr 2018). Das gilt erst recht im Zusammenhang mit der vorl�ufigen Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II (� 41a SGB II; vgl zur Leistungserbringung im Voraus � 42 Abs 1 SGB II; zur Untauglichkeit des Erlasses von endg�ltigen Verwaltungsakten in F�llen, in denen der Sachverhalt nicht endg�ltig aufgekl�rt ist BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R - BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 � 45 Nr 12, RdNr 17 f), bei deren endg�ltiger Festsetzung sonst zu w�rdigende Vertrauensschutzgesichtspunkte (vgl � 45 Abs 2 SGB X) nicht zu pr�fen sind. Daher geht es h�ufig um konkrete Einzelheiten der Anspruchsberechnung, die von Rechtsunkundigen regelm��ig nicht als mangelhaft erkannt werden k�nnen.

29

Der Zugriff der Jobcenter wegen solcher Erstattungsforderungen auf von ihnen an Leistungsberechtigte nach dem SGB II zu erbringende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist durch � 43 SGB II beschr�nkt. Dieser aus verfassungsrechtlichen Gr�nden beschr�nkte Zugriff auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (vgl zuletzt BVerfG vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 - NZS 2020, 13, 16) kann nicht auf Kosten des Anspruchs auf Rechtswahrnehmungsgleichheit umgangen werden.

30

Die zum Vorverfahren erlassenen gesetzlichen Regelungen - einschlie�lich derjenigen zur Kostenerstattung - sind schlie�lich im Lichte des Art 19 Abs 4 GG auszulegen und begrenzen den einseitigen Zugriff auf Forderungen der Widerspruchsf�hrer zus�tzlich. Das gilt auch, wenn sich einem Vorverfahren kein gerichtliches Verfahren anschlie�t. Denn aus Sicht durch einen Verwaltungsakt Belasteter ist das Vorverfahren bei den in � 78 Abs 1 Satz 1, Abs 3 SGG genannten Verfahrensarten zwingend. Erst nach Abschluss des Vorverfahrens ist die f�r eine anschlie�ende Klage gegen Verwaltungsakte gesetzliche Prozessvoraussetzung erf�llt (vgl � 78 Abs 1, Abs 3 SGG; vgl nur BSG vom 18.3.1999 - B 12 KR 8/98 R - SozR 3-1500 � 78 Nr 3 S 5 mwN; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, � 78 RdNr 3). Welchen Ausgang das Vorverfahren nimmt, k�nnen Widerspruchsf�hrer bei der kostenausl�senden Inanspruchnahme rechtskundiger Unterst�tzung regelhaft nicht prognostizieren. Bei einer Aufrechnung w�rden sie trotz ihres Erfolgs im Ergebnis ihre Aufwendungen selbst zu tragen haben. Den Geb�hrenforderungen ihrer Bevollm�chtigten sind sie n�mlich weiterhin ausgesetzt.

31

Da im au�ergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren nach der AO dem Grunde nach nicht um existenzsichernde Leistungen gestritten wird und das Verfahren bis auf die Streitigkeiten �ber den Einspruch gegen die Kindergeldfestsetzung (vgl � 77 EStG) ohnehin keine Erstattung der Aufwendungen der Beteiligten vorsieht (vgl dazu auch BFH vom 23.7.1996 - VII B 42/96 - BFHE 180, 529), bedarf es keiner weiteren Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BFH zur Aufrechnung mit Steueranspr�chen gegen prozessuale Kostenerstattungsanspr�che aus der FGO (vgl dazu zuletzt BFH vom 16.3.2016 - VII B 102/15).

32

Aus � 126 Abs 2 Satz 1 ZPO und � 43 RVG, die gesetzliche Aufrechnungsverbote regeln, l�sst sich nichts gegen ein Aufrechnungsverbot aus dem Sinn und Zweck des � 63 SGB X herleiten. Ausdr�ckliche gesetzliche Aufrechnungsverbote stehen neben denjenigen, die sich aus dem Sinn und Zweck einer Vorschrift ergeben und lassen diesen Raum. Daraus, dass der Gesetzgeber in � 126 Abs 2 Satz 1 ZPO das Beitreibungsrecht des beigeordneten Anwalts sichert, ergeben sich keine Auswirkungen f�r ein Aufrechnungsverbot aus � 63 SGB X. Im Rahmen der Prozesskostenhilfe sind allein Regelungen f�r das Gerichtsverfahren getroffen. Im �brigen beruhen beide Aufrechnungsverbote allein auf der Sicherung des anwaltlichen Geb�hrenanspruchs (vgl Volpert in Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bu�geldsachen, 5. Aufl 2017, � 43 RdNr 5, 8), w�hrend es bei dem aus � 63 SGB X abgeleiteten Aufrechnungsverbot um den Anspruch des unbemittelten Mandanten wegen des Gebots der Rechtswahrnehmungsgleichheit geht.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf �� 183, 193 SGG.

Prof. Dr. Becker

Dr. Harich

Neumann

Geppert

Schmitz

Verk�ndet am 20. Februar 2020

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