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Bundessozialgericht
Urt. v. 12.09.2019, Az.: B 11 AL 19/18 R
Anspruch auf Arbeitslosengeld; Kein Ruhen wegen des Eintritts einer Sperrzeit bei Vereinbarung einer Altersteilzeit; Ber�cksichtigung einer st�ndigen Rechtsprechung; Berücksichtigung einer ständigen Rechtsprechung
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 12.09.2019
Referenz: JurionRS 2019, 48532
Aktenzeichen: B 11 AL 19/18 R
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

SG Karlsruhe - 11.06.2018 - AZ: S 5 AL 352/18

LSG Baden-W�rttemberg - 28.09.2018 - AZ: L 8 AL 2497/18

Fundstellen:

AuR 2019, 467

info also 2020, 188

NJW 2020, 1389

NWB 2019, 2839

NZS 2020, 356

SGb 2019, 747

StuB 2019, 804

BSG, 12.09.2019 - B 11 AL 19/18 R

Redaktioneller Leitsatz:

1. Bei der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses durch einen Altersteilzeitvertrag liegt ein wichtiger Grund vor, der den Eintritt einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe verhindert.

2. Fallgestaltungen, in denen die Verwaltung eine bei Erlass des Verwaltungsakts bereits bestehende ständige höchstrichterliche Rechtsprechung nicht ausreichend berücksichtigt bzw. fehlerhaft interpretiert hat, sind vom Anwendungsbereich der Ausnahmevorschrift des § 330 Abs. 1 Alt. 2 SGB III von vornherein nicht erfasst.

in dem Rechtsstreit

BSG Az.: B 11 AL 19/18 R

LSG Baden-W�rttemberg 28.09.2018 - L 8 AL 2497/18

SG Karlsruhe 11.06.2018 - S 5 AL 352/18

..............................,

Kl�gerin und Revisionsbeklagte,

Prozessbevollm�chtigter: ..........................................,

gegen

Bundesagentur f�r Arbeit,

Regensburger Stra�e 104, 90478 N�rnberg,

Beklagte und Revisionskl�gerin.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die m�ndliche Verhandlung vom 12. September 2019 durch die Richterin B e h r e n d als Vorsitzende, die Richter S � h n g e n und Dr. H a r i c h sowie die ehrenamtlichen Richterinnen E n d e und R u l a n d

f�r Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-W�rttemberg vom 28. September 2018 wird zur�ckgewiesen.

Die Beklagte hat die au�ergerichtlichen Kosten der Kl�gerin auch im Revisionsverfahren zu erstatten.

Gr�nde

I

1

Die Kl�gerin begehrt von der Beklagten Alg vom 1.6.2017 bis 23.8.2017 im Wege des �berpr�fungsverfahrens.

2

Die 1954 geborene Kl�gerin war bei dem D -verein aG (Arbeitgeber) versicherungspflichtig besch�ftigt. Am 20.11.2006 schloss sie mit dem Arbeitgeber eine Altersteilzeitvereinbarung mit einer regelm��igen w�chentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden bis zum 31.5.2013, einer anschlie�enden Freistellung von der Arbeitsleistung und einem Ende des Altersteilzeitbesch�ftigungsverh�ltnisses ohne vorherige K�ndigung mit dem 31.5.2017. Sie meldete sich zum 1.6.2017 arbeitslos und beantragte Alg. Die Beklagte stellte den Eintritt einer Sperrzeit vom 1.6.2017 bis 23.8.2017, das Ruhen des Alg-Anspruchs w�hrend dieser Zeit und eine Minderung des Leistungsanspruchs um 180 Tage fest, weil die Kl�gerin ihr Besch�ftigungsverh�ltnis ohne wichtigen Grund gel�st habe (Bescheid vom 28.4.2017; Widerspruchsbescheid vom 15.5.2017). Alg bewilligte die Beklagte erst ab 24.8.2017 (Bescheid vom 2.5.2017).

3

Den Antrag der Kl�gerin auf �berpr�fung des Bescheids vom 28.4.2017 mit Hinweis auf das Urteil zur Sperrzeit bei Arbeitsteilzeitvereinbarungen (BSG vom 12.9.2017 - B 11 AL 25/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 3) lehnte die Beklagte ab. Da diese Entscheidung als st�ndige Rechtsprechung erst seit dem 12.9.2017 anzuerkennen sei und die Sperrzeit bereits mit dem 23.8.2017 geendet habe, sei keine Korrektur der Entscheidung m�glich (Bescheid vom 29.9.2017; Widerspruchsbescheid vom 8.1.2018).

4

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 29.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.1.2018 verpflichtet, "den Sperrzeitbescheid vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 zur�ckzunehmen und der Kl�gerin unter �nderung des Bescheides vom 2.5.2017 in der Gestalt des Bescheids vom 11.5.2017, des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 und des Bescheids vom 18.5.2017 Arbeitslosengeld in gesetzlicher H�he auch f�r die Zeit vom 1.6.-23.8.2017 zu bewilligen" (Urteil vom 11.6.2018). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zur�ckgewiesen (Urteil vom 28.9.2018). Die Kl�gerin k�nne sich auf einen wichtigen Grund berufen, weil sie entsprechend der Intention des Gesetzgebers bei der Einf�hrung der Altersteilzeit einen nahtlosen Wechsel in den Rentenbezug beabsichtigt habe. Hiervon sei auch prognostisch auszugehen gewesen. � 330 Abs 1 SGB III stehe der Anwendung von � 44 Abs 1 SGB X nicht entgegen. Die Rechtsfrage, ob der Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung einen wichtigen Grund darstellen k�nne, sei bereits durch das Urteil vom 21.7.2009 (B 7 AL 6/08 R - BSGE 104, 90 = SozR 4-4300 � 144 Nr 18) gekl�rt gewesen. In �bereinstimmung mit fr�heren Entscheidungen habe das BSG ausgef�hrt, dass ma�gebender Zeitpunkt f�r die Beurteilung des wichtigen Grundes der Abschluss des Altersteilzeitvertrags sei. Soweit in der Rechtsprechung davon ausgegangen worden sei, dass der wichtige Grund nachtr�glich entfallen k�nne, wenn nicht der urspr�nglichen Absicht entsprechend nahtlos Rentenleistungen in Anspruch genommen w�rden, habe eine Abweichung von der Rechtsprechung des BSG vorgelegen. Der interne Vermerk der Beklagten vom 24.3.2014 zum Gesetz �ber Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz idF der Bekanntmachung vom 23.6.2014, BGBl I 787), auf dem die Verwaltungspraxis zur Sperrzeit bei Altersteilzeitvereinbarungen beruhte, ber�cksichtige die Rechtsprechung des BSG nicht hinreichend und gelange zu hiervon nicht gedeckten Schlussfolgerungen.

5

Die Beklagte r�gt eine Verletzung des � 330 Abs 1 SGB III. Erst mit den Urteilen vom 12.9.2017 (B 11 AL 25/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 3) und 12.10.2017 (B 11 AL 17/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 4) habe das BSG entschieden, dass ein wichtiger Grund f�r die L�sung des Besch�ftigungsverh�ltnisses nicht dadurch entfalle, dass entgegen der urspr�nglichen und prognostisch belegten Absicht unmittelbar nach der Altersteilzeit keine Altersrente, sondern zun�chst Alg in Anspruch genommen werde. Eine Kl�rung dieser Rechtsfrage sei nicht bereits durch das Urteil des BSG vom 21.7.2009 (B 7 AL 6/08 R - BSGE 104, 90 = SozR 4-4300 � 144 Nr 18) erfolgt, weil es sich nicht um eine gleichgelagerte Fallgestaltung gehandelt habe. Entsprechend habe das BSG auch im Urteil vom 29.6.2000 (B 11 AL 99/99 R - SozR 3-4100 � 152 Nr 10) bei der Frage nach dem Vorliegen einer "st�ndigen Rechtsprechung" darauf abgestellt, ob die betroffenen Verwaltungen eine h�chstrichterliche Entscheidung auch f�r andere gleichgelagerte F�lle als verbindlich akzeptierten. Ihre Dienstanweisung zur "Sperrzeit bei Altersteilzeitvertr�gen" habe sie erst nach dem BSG-Urteil vom 12.9.2017 (B 11 AL 25/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 3) ge�ndert und damit als st�ndige Rechtsprechung anerkannt.

6

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-W�rttemberg vom 28. September 2018 sowie das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 11. Juni 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Kl�gerin beantragt,

die Revision der Beklagten zur�ckzuweisen.

8

Sie bezieht sich auf das Urteil des LSG.

II

9

Die zul�ssige Revision der Beklagten ist nicht begr�ndet. Das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das zusprechende Urteil des SG zu Recht zur�ckgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig, weil die Kl�gerin Alg f�r den Zeitraum vom 1.6.2017 bis 23.8.2017 beanspruchen kann.

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 29.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.1.2018, mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, den Bescheid vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 zur�ckzunehmen. Gleichfalls in die �berpr�fung der Beklagten einbezogen war der hiermit in untrennbarem Zusammenhang stehende Bescheid vom 2.5.2017, mit dem Alg erst ab 24.8.2017 bewilligt und f�r den davorliegenden Zeitraum vom 1.6.2017 bis 23.8.2017 abgelehnt wurde. In diesen Bescheiden ist eine einheitliche Entscheidung zur Ablehnung von Alg f�r den streitigen Zeitraum und zur Minderung der Anspruchsdauer um 180 Tage zu sehen, die mit dem Eintritt einer Sperrzeit und einem Ruhen des Anspruchs auf Alg begr�ndet wurde (zur einheitlichen rechtlichen Regelung von Sperrzeitbescheid und Leistungsablehnung vgl nur BSG vom 16.9.1999 - B 7 AL 32/98 R - BSGE 84, 270, 271 = SozR 3-4100 � 119 Nr 19 S 93; zuletzt BSG vom 13.3.2018 - B 11 AL 12/17 R - BSGE 125, 170 = SozR 4-4300 � 159 Nr 5, RdNr 10). Der Bescheid vom 11.5.2017 ist nicht zum Gegenstand der �berpr�fung geworden, weil er lediglich die �bernahme von Beitr�gen zur privaten Krankenversicherung, nicht jedoch das hier streitige Alg, betrifft. Gleiches gilt f�r den Bescheid vom 18.5.2017, mit dem f�r den nicht streitbefangenen Zeitraum ab 24.8.2017 h�heres Alg bewilligt worden ist.

11

Das Revisionsbegehren der Beklagten ist darauf gerichtet, die nach � 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm � 56 SGG statthafte kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage der Kl�gerin (vgl zuletzt BSG vom 30.8.2018 - B 11 AL 16/17 R - juris RdNr 13) abzuweisen. Mit der Anfechtungsklage begehrt die Kl�gerin die Aufhebung des Bescheids vom 29.9.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.1.2018, mit dem die Beklagte die �berpr�fung des Bescheids vom 28.4.2017 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017) sowie des Bescheids vom 2.5.2017 abgelehnt hat. Ausgehend von ihrem Antrag im erstinstanzlichen Verfahren begehrt die Kl�gerin mit der Verpflichtungsklage die R�cknahme des Bescheids vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 sowie die �nderung des Bescheids vom 2.5.2017. Da die Kl�gerin seit Oktober 2017 eine Altersrente f�r besonders langj�hrig Versicherte bezieht, geht der Senat in Auslegung des Klage- und Revisionsbegehrens (� 123 SGG) davon aus, dass sich die Kl�gerin nicht (mehr) gegen die Minderung des Alg wendet. Bereits in der m�ndlichen Verhandlung vor dem SG hat sie ausdr�cklich nur Alg vom 1.6.2017 bis 23.8.2017 beantragt und in keiner Weise auf die Verf�gungen zur Minderung des Anspruchs auf Alg Bezug genommen (vgl zu einer vergleichbaren Konstellation bereits BSG vom 13.3.2018 - B 11 AL 12/17 R - BSGE 125, 170 = SozR 4-4300 � 159 Nr 5, RdNr 10). Die Leistungsklage zielt auf die Bewilligung von Alg f�r den streitigen Zeitraum dem Grunde nach.

12

2. Der Sachentscheidung des Senats entgegenstehende Hindernisse liegen nicht vor. Insbesondere stand der Berufungsentscheidung nicht die Wertgrenze des � 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG entgegen. Der angefochtene �berpr�fungsbescheid betrifft abgelehntes Alg f�r drei Monate. Ausweislich des Bescheids vom 2.5.2017 ist von einem monatlichen Alg-Zahlbetrag in H�he von 922,80 Euro auszugehen.

13

3. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass die Kl�gerin einen Anspruch auf R�cknahme bzw �nderung der bindenden Bescheide vom 28.4.2017 (idF des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017) und vom 2.5.2017 sowie Alg f�r den streitigen Zeitraum hat.

14

a) Rechtsgrundlage f�r den von ihr verfolgten Anspruch auf Alg unter R�cknahme des zur �berpr�fung gestellten Bescheids vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 und �nderung des Bewilligungsbescheids vom 2.5.2017 hinsichtlich seines ablehnenden Teils ist � 330 Abs 1 Satz 1 SGB III iVm � 44 Abs 1 und Abs 4 SGB X (s�mtliche Vorschriften des SGB III hier anwendbar in der ab dem 1.4.2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl I 2854). Nach � 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung f�r die Vergangenheit zur�ckzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung f�r die Vergangenheit zur�ckgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches l�ngstens f�r einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der R�cknahme erbracht (� 44 Abs 4 Satz 1 SGB X).

15

b) Der Bescheid vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 und der Bewilligungsbescheid vom 2.5.2017 waren anf�nglich, dh nach der im Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe gegebenen Sach- und Rechtslage (vgl BSG vom 1.12.1999 - B 5 RJ 20/98 R - BSGE 85, 151, 153 = SozR 3-2600 � 300 Nr 15 S 72), rechtswidrig iS des � 44 Abs 1 Satz 1 SGB X. Die Beklagte hat bei Erlass dieser Bescheide das Recht unrichtig angewandt und deswegen der Kl�gerin Sozialleistungen in Gestalt von Alg zu Unrecht nicht erbracht.

16

Die Kl�gerin erf�llt die Anspruchsvoraussetzungen f�r Alg ab 1.6.2017. Nach � 137 Abs 1 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit, wenn sie arbeitslos sind (Nr 1), sich bei der Agentur f�r Arbeit arbeitslos gemeldet (Nr 2) und die Anwartschaftszeit erf�llt haben (Nr 3). Nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts war die Kl�gerin ab 1.6.2017 arbeitslos (� 138 Abs 1 SGB III), hat sich am 28.3.2017 mit Wirkung zum 1.6.2017 bei der Agentur f�r Arbeit pers�nlich arbeitslos gemeldet (� 137 Abs 1 Nr 2 SGB III, � 141 SGB III) und die Anwartschaftszeit erf�llt (� 137 Abs 1 Nr 3 SGB III, � 142 SGB III). Ein Ruhen des Anspruchs auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit bei versp�teter Arbeitsuchendmeldung (� 159 Abs 1 Satz 2 Nr 7 SGB III) kommt nicht in Betracht. Nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Kl�gerin ihrer Obliegenheit zur fr�hzeitigen Meldung auch subjektiv vorwerfbar nicht nachgekommen ist (vgl zur "doppelten Verschuldenspr�fung" zuletzt BSG vom 13.3.2018 - B 11 AL 12/17 R - BSGE 125, 170 = SozR 4-4300 � 159 Nr 5, RdNr 13 mwN).

17

Die Beklagte hat zu Unrecht ein Ruhen des Anspruchs auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe angenommen. � 159 SGB III bestimmt in Abs 1 Satz 1, dass der Anspruch auf Alg f�r die Dauer einer Sperrzeit ruht, wenn sich ein Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne daf�r einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn - nur dieser Tatbestand kommt hier in Betracht - der Arbeitslose das Besch�ftigungsverh�ltnis gel�st und dadurch vors�tzlich oder grob fahrl�ssig die Arbeitslosigkeit herbeigef�hrt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe, � 159 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB III). Zwar hat die Kl�gerin ihr Besch�ftigungsverh�ltnis gel�st, indem sie mit ihrem Arbeitgeber im Rahmen einer Altersteilzeitvereinbarung das unbefristete Arbeitsverh�ltnis in ein befristetes umgewandelt hat. Sie hat ihre Arbeitslosigkeit mit dem Ende der Freistellungsphase zum 31.5.2017 auch zumindest grob fahrl�ssig herbeigef�hrt, weil sie nicht mindestens konkrete Aussichten auf einen Anschlussarbeitsplatz hatte (vgl BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 49/04 R - SozR 4-4300 � 144 Nr 10 RdNr 14; BSG vom 2.5.2012 - B 11 AL 6/11 R - BSGE 111, 1 = SozR 4-4300 � 144 Nr 23, RdNr 15).

18

Die Kl�gerin kann sich f�r ihr Verhalten jedoch auf einen wichtigen Grund berufen. Dies ist bei der L�sung des Besch�ftigungsverh�ltnisses durch Altersteilzeitvertrag der Fall, wenn der Arbeitnehmer bei Abschluss der Vereinbarung beabsichtigt, nahtlos von der Freistellungsphase der Altersteilzeit in den Rentenbezug zu wechseln und eine entsprechende Annahme bei prognostischer Betrachtung objektiv gerechtfertigt ist. Die Beurteilung des k�nftigen Verhaltens des Arbeitnehmers ist abh�ngig von seiner rentenrechtlichen Situation sowie davon, ob bzw wie er diese unter Ber�cksichtigung seiner Kenntnisse und Nachfragen bei sachkundigen Stellen eingesch�tzt hat (BSG vom 21.7.2009 - B 7 AL 6/08 R - BSGE 104, 90 = SozR 4-4300 � 144 Nr 18; BSG vom 12.9.2017 - B 11 AL 25/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 3; BSG vom 12.10.2017 - B 11 AL 17/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 4). Unter Ber�cksichtigung dieser Grunds�tze lag ein wichtiger Grund vor, weil die Kl�gerin nach den bindenden Feststellungen des LSG bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags einen nahtlosen Wechsel von der Altersteilzeit in den Rentenbezug beabsichtigt hatte. Dies wird durch die vom Berufungsgericht festgestellten objektiven Begleitumst�nde (Versicherungsverlauf, Modellrechnung des Arbeitgebers, Erkl�rungen der Kl�gerin) gest�tzt. Dass die Kl�gerin die Altersrente dann nicht zu dem urspr�nglich vorgesehenen Zeitpunkt beantragt hat, stellt kein eigenst�ndiges (weiteres) versicherungswidriges Verhalten im Sinne der Sperrzeitregelung dar (vgl hierzu im Einzelnen Urteil des Senats vom 12.9.2017 - B 11 AL 25/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 3 RdNr 22 ff; BSG vom 12.10.2017 - B 11 AL 17/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 4 RdNr 20).

19

c) Das LSG hat auch zu Recht angenommen, dass � 330 Abs 1 SGB III einer R�cknahme der bindenden rechtswidrigen Bescheide nicht entgegensteht. � 330 Abs 1 Alt 2 SGB III schr�nkt den Anwendungsbereich des � 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ua f�r den Fall ein, dass der Verwaltungsakt auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsakts in st�ndiger Rechtsprechung anders als durch die Agentur f�r Arbeit ausgelegt worden ist. Entgegen � 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein derartiger Verwaltungsakt im Arbeitsf�rderungsrecht dann nur mit Wirkung f�r die Zeit nach dem Entstehen der st�ndigen Rechtsprechung zur�ckzunehmen. Von dem Anwendungsbereich des als Ausnahmevorschrift eng auszulegenden � 330 Abs 1 Alt 2 SGB III von vornherein nicht erfasst sind Fallgestaltungen, in denen die Verwaltung eine bei Erlass des Verwaltungsakts bereits bestehende st�ndige h�chstrichterliche Rechtsprechung nicht ausreichend ber�cksichtigt bzw fehlerhaft interpretiert hat (vgl Aubel in jurisPK-SGB II, � 40 RdNr 129, Stand 28.6.2019; vgl zur engen Auslegung der Vorschrift auch BSG vom 8.2.2007 - B 7a AL 2/06 R - SozR 4-4300 � 330 Nr 4 RdNr 16).

20

Die Verwaltungspraxis der Beklagten, also ihre Auslegung des � 159 SGB III bezogen auf die Konstellationen der Altersteilzeitvereinbarungen, stimmte bereits bei Erlass des Bescheids vom 28.4.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.5.2017 sowie des Bescheids vom 2.5.2017 nicht mit der Rechtsprechung des BSG �berein. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist nicht erst durch die Urteile des Senats vom 12.9.2017 (B 11 AL 25/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 3) und vom 12.10.2017 (B 11 AL 17/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 4 RdNr 20) im Sinne einer �nderung der st�ndigen Rechtsprechung entschieden worden, dass ein zeitlich dem Abschluss einer Altersteilzeitvereinbarung nachfolgendes Verhalten des Arbeitnehmers nicht sperrzeitrelevant ist. Bereits in seinem Urteil vom 17.11.2005 hat der Senat den wichtigen Grund allein bezogen auf den das Besch�ftigungsverh�ltnis aufl�senden Akt, konkret den Zeitpunkt des Abschlusses der Aufhebungsvereinbarung, gepr�ft. Ausdr�cklich nicht gefolgt ist der Senat der Ansicht des Berufungsgerichts, wonach ein wichtiger Grund auch darin zu sehen sei, dass die im konkreten Fall bezogene Abfindung nach Auslaufen des Alg-Bezugs f�r den Lebensunterhalt verwendet werden k�nne. Es sei mit der typisierten Zielsetzung der Sperrzeitregelung, die Risiken f�r die Versichertengemeinschaft vermeiden wolle, nicht zu vereinbaren, wenn bei der Pr�fung, ob der Versicherte f�r sein Verhalten einen wichtigen Grund gehabt habe, erst auf sp�teres Verhalten abgestellt werde (BSG vom 17.11.2005 - B 11a/11 AL 69/04 R - BSGE 95, 232 = SozR 4-4300 � 144 Nr 11, RdNr 18).

21

Entgegen der Ansicht der Beklagten hat auch der 7. Senat des BSG in seinem Urteil vom 21.7.2009 bei der Pr�fung des Vorliegens eines wichtigen Grundes ausschlie�lich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abgestellt (B 7 AL 6/08 R - BSGE 104, 90 = SozR 4-4300 � 144 Nr 18, RdNr 14). In ihrem Vermerk vom 24.3.2014 hat die Beklagte aus der Formulierung in dieser Entscheidung, dass ein wichtiger Grund nur anerkannt werden k�nne, "wenn nach der Altersteilzeit auch tats�chlich eine Rente beantragt werden soll" (BSG aaO RdNr 14), unzutreffend abgeleitet, dass ein wichtiger Grund f�r das Herbeif�hren der Arbeitslosigkeit "demnach" nicht vorliege, wenn sich der Arbeitslose nach Beendigung der Besch�ftigung in Altersteilzeit arbeitslos melde, anstatt planm��ig Altersrente - ggf auch mit Abschl�gen - zu beziehen. Diese Textpassage bezog sich auf die durch objektive Umst�nde zu unterlegende subjektive Absicht des Arbeitnehmers im Zeitpunkt des Abschlusses der Altersteilzeitvereinbarung. Das sp�tere Revisionsvorbringen der Beklagten, wonach das Urteil vom 21.7.2009 (aaO) bei der Frage, wann eine st�ndige Rechtsprechung vorliege, unber�cksichtigt bleiben m�sse, weil es sich nicht um eine gleichgelagerte Fallgestaltung handele bzw im konkreten Fall mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen eine Zur�ckverweisung erfolgt sei, greift nicht. Trotz einer Zur�ckverweisung kommt der im Rahmen einer Urteilsbegr�ndung vom Gericht gegebenen Antwort auf eine Rechtsfrage eine Bindungswirkung im entschiedenen Einzelfall zu (� 170 Abs 5 SGG). Auch kommt ihr - unbesehen der Unterschiede im jeweils zu entscheidenden Sachverhalt - eine pr�judizielle Bedeutung f�r die vorliegend zentrale Rechtsfrage zu, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung des Vorliegens eines wichtigen Grundes abzustellen ist. Entsprechend ist den Begr�ndungen der Urteile des Senats aus dem Jahre 2017 zu entnehmen, dass das BSG die seit jeher geltenden Grunds�tze f�r die Annahme eines wichtigen Grundes bereits in seinem Urteil vom 21.7.2009 (B 7 AL 6/08 R - BSGE 104, 90 = SozR 4-4300 � 144 Nr 18), ebenfalls f�r die Fallgestaltung der L�sung des Besch�ftigungsverh�ltnisses durch Altersteilzeitvertrag, zugrunde gelegt hat. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich allein bezogen auf den das Besch�ftigungsverh�ltnis aufl�senden Akt zu pr�fen (BSG vom 12.9.2017 - B 11 AL 25/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 3 RdNr 22; BSG vom 12.10.2017 - B 11 AL 17/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 4 RdNr 16).

22

Anders als die Beklagte meint, stellen die durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz erfolgten �nderungen im Rentenrecht keine die Sperrzeitregelung ber�hrende Rechts�nderungen dar, die ma�gebenden Einfluss auf die Auslegung des wichtigen Grundes iS des � 159 SGB III durch die st�ndige Rechtsprechung des BSG haben konnten (vgl BSG vom 12.9.2017 - B 11 AL 25/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 3 RdNr 20). Gleiches gilt f�r die Regelungen zur fr�hzeitigen Arbeitsuche. Lediglich mit R�cksicht auf die Bezugnahme der Vorinstanz auf ein obiter dictum aus einer �lteren Entscheidung des BSG (vom 20.4.1977 - 7 RAr 112/75 - BSGE 43, 269, 274 = SozR 4100 � 119 Nr 2 S 6) hat der Senat erg�nzend dargelegt, dass es auf die vom Berufungsgericht angenommene Pflicht zu weiteren Bem�hungen zur Arbeitsuche im Anschluss an den das Besch�ftigungsverh�ltnis aufl�senden Akt sperrzeitrechtlich auch deshalb nicht ankommen k�nne, weil dies im Widerspruch zu weiteren gesetzgeberischen Grundentscheidungen, insbesondere der eigenst�ndigen versicherungsrechtlichen Obliegenheit zur fr�hzeitigen Arbeitsuche, stehe (BSG vom 12.9.2017 - B 11 AL 25/16 R - SozR 4-4300 � 159 Nr 3 RdNr 24).

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Bei der Beurteilung der f�r die Anwendbarkeit des � 330 Abs 1 SGB III zentralen Frage, ob bzw ab wann eine st�ndige Rechtsprechung zu einer Rechtsnorm vorliegt, kann es nicht auf das Verst�ndnis, die Akzeptanz oder konkrete Umsetzung einer h�chstrichterlichen Rechtsprechung durch die Verwaltung ankommen. Ginge man hiervon aus, k�nnten Zeitr�ume der Rechtsunsicherheit, ggf bis zu einer erneuten Klarstellung durch das BSG, entstehen. Die Frage, ob die Unrichtigkeit einer iS des � 44 Abs 1 Satz 1 SGB X rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung auf einer bereits vorhandenen h�chstrichterlichen Rechtsprechung, einer nach Erlass dieses Verwaltungsakts erstmals gebildeten oder einer ge�nderten st�ndigen h�chstrichterlichen Rechtsprechung beruht, ist daher im Streitfall ggf vom Revisionsgericht unter Ber�cksichtigung der Begr�ndungen der jeweils vorangegangenen h�chstrichterlichen Entscheidungen zu beantworten (vgl D�e in Brand, SGB III, 8. Aufl 2018, � 330 RdNr 14; BSG vom 30.1.1985 - 1 RJ 2/84 - BSGE 58, 27, 33 = SozR 1300 � 44 Nr 16 S 32 zur Annahme besonders eingehender Begr�ndungen bei Rechtsprechungs�nderungen). Soweit der Senat in seiner Entscheidung vom 29.6.2000 (B 11 AL 99/99 R - SozR 3-4100 � 152 Nr 10 S 37) in anderem Zusammenhang ausgef�hrt hat, es komme f�r die Entstehung einer st�ndigen Rechtsprechung auf deren Akzeptanz durch die Verwaltung an, h�lt er hieran nicht fest (vgl zur Kritik an dieser Entscheidung bereits Pohl, VSSR 2011, 383 ff, 393; K�hler, SdL 2016, 13 ff, 24). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem vom Gesetzgeber des vormaligen � 152 AFG verfolgten Zweck dieser Regelung, die Verwaltung von massenhaft anfallenden �berpr�fungsverfahren zu entlasten (vgl BSG vom 8.2.2007 - B 7a AL 2/06 R - SozR 4-4300 � 330 Nr 4 RdNr 16 mit Bezug auf BT-Drucks 12/5502 S 37 zu Nr 43; vgl BT-Drucks 16/3794 S 45 zur lediglich redaktionellen �nderung durch � 330 Abs 1 SGB III). Auch dies setzt jedenfalls voraus, dass die Agentur f�r Arbeit ihre Verwaltungspraxis an einer bereits vorhandenen h�chstrichterlichen Rechtsprechung orientiert hat, weil sie andernfalls selbst den Grund f�r sp�tere �berpr�fungsverfahren gesetzt hat.

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Die Kostenentscheidung beruht auf � 193 SGG.

Behrend
S�hngen
Dr. Harich
Ende
Ruland

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