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Bundessozialgericht
Beschl. v. 29.07.2019, Az.: B 11 AL 15/19 B
Divergenzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren; Formgerechte Darlegung einer Divergenz; Abstellen auf aktuelle Rechtsprechung; Herstellung von Rechtseinheit
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.07.2019
Referenz: JurionRS 2019, 30928
Aktenzeichen: B 11 AL 15/19 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Mecklenburg-Vorpommern - 13.03.2019 - AZ: L 2 AL 12/18

SG Neubrandenburg - 05.01.2017 - AZ: S 1 AL 39/15

Rechtsgrundlage:

§ 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG

BSG, 29.07.2019 - B 11 AL 15/19 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz ist auf die aktuelle Rechtsprechung von BSG, GmSOGB oder BverfG abzustellen.

2. Auch eine Divergenzrüge zielt auf die Herstellung von Rechtseinheit ab, die aber wegfällt, wenn möglicherweise divergierende Rechtsprechung aufgegeben oder geändert wurde.

in dem Rechtsstreit

BSG Az.: B 11 AL 15/19 B

LSG Mecklenburg-Vorpommern 13.03.2019 - L 2 AL 12/18

SG Neubrandenburg 05.01.2017 - S 1 AL 39/15

...................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte: .......................................,

gegen

Bundesagentur für Arbeit,

Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 11. Senat des Bundessozialgerichts hat am 29. Juli 2019 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. V o e l z k e sowie die Richterin B e h r e n d und den Richter S ö h n g e n

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 13. März 2019 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Die Beschwerde ist daher ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGG, § 169 SGG).

2

Eine Abweichung (Divergenz) iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargelegt, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG abweicht. Dabei ist auf die aktuelle Rechtsprechung von BSG, GmSOGB oder BverfG abzustellen (vgl BSG vom 16.10.1986 - 5b BJ 338/85 - SozR 1500 § 161 Nr 61; Hauck in Hennig, SGG, § 160 RdNr 149, Stand September 2018; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 160 RdNr 137), denn auch die Divergenzrüge zielt auf die Herstellung von Rechtseinheit, die aber dann nicht mehr in Frage steht, wenn möglicherweise divergierende Rechtsprechung aufgegeben oder geändert wurde.

3

Die Beschwerdebegründung des Klägers, der sich in der Sache gegen die Ablehnung seiner Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen wendet, zeigt, soweit sie sich auf § 2 Abs 3 Alt 1 SGB IX (Erlangenstatbestand) bezieht, keine Divergenz der Entscheidung des LSG mit der aktuellen Rechtsprechung des BSG auf. Denn zutreffend führt die Beschwerde aus, dass das BSG in seiner jüngsten Entscheidung zu § 2 Abs 3 SGB IX ausdrücklich den Rechtssatz aufgestellt hat, der Erlangenstatbestand setzt voraus, dass der behinderte Mensch einen konkreten Arbeitsplatz anstrebt (BSG vom 6.8.2014 - B 11 AL 5/14 R - SozR 4-3250 § 2 Nr 5 RdNr 19). Die Beschwerde stellt auch nicht in Abrede, dass das LSG genau von diesem Rechtssatz ausgegangen ist. Sie macht vielmehr geltend, das BSG sei von früheren eigenen Entscheidungen abgewichen, ohne dass es dies ausreichend begründet habe. Dieser Vortrag vermag keine Divergenz zwischen LSG und BSG, sondern allenfalls eine grundsätzliche Bedeutung zu begründen, was allerdings Ausführungen dazu bedurft hätte, warum diese Rechtsfrage durch die aktuelle Entscheidung (noch) nicht abschließend geklärt sein sollte, an denen es fehlt.

4

Im Übrigen liegt eine Abweichung nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen kann die Zulassung wegen Abweichung begründen (stRspr, vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34; Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 160 RdNr 119). Soweit der Kläger in Bezug auf § 2 Abs 3 Alt 2 SGB IX (Erhaltenstatbestand) auch eine Abweichung der Entscheidung des LSG von der Entscheidung des BSG vom 1.3.2011 (B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4) geltend macht, verkennt er dies. Ob aus den vom Kläger angeführten Gründen hier besondere Umstände im Sinne der Rechtsprechung des BSG vorliegen, die auch bei Unkündbarkeit eines Lebenszeitbeamten eine Gleichstellung erfordern, um einen Arbeitsplatz behalten zu können, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls, die keine Zulassung der Revision wegen Divergenz rechtfertigt.

5

Schließlich ist durch die Beschwerde auch eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht formgerecht dargelegt. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung erfordert, dass eine konkrete Rechtsfrage klar formuliert wird. Weiter muss ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit im jeweiligen Rechtsstreit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) aufgezeigt werden (stRspr, vgl etwa BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).

6

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht. Es fehlt schon an der Formulierung einer Rechtsfrage, die mit Mitteln der juristischen Methodik entweder mit "Ja" oder "Nein", jedenfalls aber durch verallgemeinerungsfähige Aussagen des Revisionsgerichts beantwortbar ist (vgl zu diesen Anforderungen nur Voelzke in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl 2017, § 160 RdNr 85 f; Hauck in Hennig, SGG, § 160 RdNr 109, Stand September 2018). Wenn die formulierte Rechtsfrage erstens an die Polizeivollzugsdienstuntauglichkeit, zweitens an die Umsetzung auf einen nicht qualifizierten Arbeitsplatz und drittens an eine geringere Besoldung anknüpft, bezieht sie sich tatsächlich auf den konkreten Einzelfall des Klägers, stellt also im Kern die Subsumtion des LSG in Frage und nicht die angelegten rechtlichen Maßstäbe. Noch deutlicher wird dies durch den zweiten Teil der formulierten Frage mit Bezug auf konkrete Maßnahmen des Arbeitgebers unter Berücksichtigung einer behinderungsbedingten Umsetzung im Zusammenhang mit der Gleichstellung, die nur schwerlich verallgemeinerungsfähige Antworten zulassen würde. Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 1.3.2011 (B 7 AL 6/10 R - BSGE 108, 4 = SozR 4-3250 § 2 Nr 4) weiterer rechtlicher Klärungsbedarf zu den besonderen Umständen, unter denen Lebenszeitbeamte gleichzustellen sind, überhaupt noch angenommen werden kann. Dem könnte entgegenstehen, dass dabei doch eher die Würdigung von Tatfragen in Rede steht, die den Tatsachengerichten obliegt.

7

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Prof. Dr. Voelzke
Behrend
Söhngen

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