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Bundessozialgericht
Beschl. v. 18.02.2019, Az.: B 10 ÜG 3/18 BH
Entschädigung wegen einer behaupteten überlangen Verfahrensdauer; Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren; Keine grundsätzliche Bedeutung von Übergangsrecht
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 18.02.2019
Referenz: JurionRS 2019, 14314
Aktenzeichen: B 10 ÜG 3/18 BH
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Bayern - 12.12.2017 - AZ: L 8 SF 74/16 EK

Rechtsgrundlage:

§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG

BSG, 18.02.2019 - B 10 ÜG 3/18 BH

Redaktioneller Leitsatz:

Bei Übergangsrecht ist wie bei auslaufendem Recht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Regelfall nicht gegeben; nur wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des Übergangsrechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw. ihre Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat, kann ausnahmsweise eine grundsätzliche Bedeutung angenommen werden.

in dem Rechtsstreit

BSG Az.: B 10 ÜG 3/18 BH

Bayerisches LSG 12.12.2017 - L 8 SF 74/16 EK

.............................................,

Klägerin und Antragstellerin,

gegen

Freistaat Bayern,

vertreten durch das Landesamt für Finanzen,

Alexandrastraße 3, 80538 München,

Beklagter.

Der 10. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18. Februar 2019 durch die Vorsitzende Richterin Dr. R o o s sowie die Richter Dr. K a l t e n s t e i n und Dr. R ö h l

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Klägerin, ihr für das Verfahren der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Dezember 2017 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.

Gründe

I

1

Die Klägerin begehrt in der Hauptsache Entschädigung wegen einer behaupteten überlangen Verfahrensdauer in Verfahren wegen der Gewährung von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG).

2

Die bulgarische Klägerin lebte bis 2007 in Deutschland. Sie war mit einem Deutschen verheiratet und hat aus dieser Beziehung ein 2006 geborenes Kind, mit dem sie seit Mai 2007 wieder in Bulgarien lebt. Von September 2006 bis Mai 2007 bezog die Klägerin Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz (EStG). Für die anschließende Zeit hob die Familienkasse die Bewilligung wegen einer Änderung der Verhältnisse auf (kein Wohnsitz in Deutschland, keine unbeschränkte Einkommensteuerpflicht). Den Anspruch auf Kindergeld nach §§ 62 ff EStG für die Zeit ab Juni 2007 lehnte die Familienkasse ab. Das Finanzgericht (FG) hat die Familienkasse verpflichtet, der Klägerin ungekürztes Kindergeld nach § 62 EStG iVm Art 73 Verordnung (EWG) Nr 1408/71 für die Zeit von April 2008 bis März 2010 zu gewähren und die Klage im Übrigen abgewiesen (FG Hamburg Urteil vom 5.7.2012 - 5 K 77/10).

3

Einen ersten Antrag auf Kindergeld nach § 1 BKGG lehnte die zuständige Bundesagentur - Familienkasse - ebenso ab wie ein Überprüfungsbegehren (Bescheide vom 10.3.2008 und 18.6.2009; Widerspruchsbescheid vom 12.4.2010). Hiergegen richtete sich die Klage vor dem SG Nürnberg unter S 9 KG 39/10. Einem weiteren Antrag gab die Bundesagentur sodann auf der Basis der damaligen inzwischen geänderten Weisungslage teilweise statt und bewilligte ab Mai 2010 vorläufig und unter Anrechnung bulgarischer Familienleistungen Kindergeld nach § 1 BKGG (Bescheid vom 31.1.2011; Widerspruchsbescheid vom 18.5.2011).

4

Die dagegen gerichtete Klage unter S 9 KG 39/11 hat das SG Nürnberg mit dem Verfahren unter S 9 KG 39/10 verbunden und sodann abgewiesen, ua weil das Urteil des FG für die Zeit bis April 2010 Tatbestandswirkung entfalte und für die Zeit ab Mai 2010 allenfalls ein steuerrechtliches Kindergeld in Betracht komme, für das die Finanzgerichte zuständig seien (Urteil vom 28.4.2014). Das LSG hat die Berufung dementsprechend zurückgewiesen (Urteil vom 17.9.2015). Die dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat als unzulässig verworfen (Beschluss vom 13.7.2017 - B 10 KG 1/16 B).

5

Wegen der Dauer dieses Verfahren hat die Klägerin Entschädigungsklage erhoben. Mit Urteil vom 12.12.2017 hat das LSG als Entschädigungsgericht die auf Zahlung einer Entschädigung iHv 16 400 Euro zuzüglich Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Im Verfahren S 9 KG 39/10 sei bei Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) am 3.12.2011 bereits eine rügepflichtige Situation eingetreten gewesen; die Klägerin habe aber erst am 27.9.2012 und damit nicht mehr unverzüglich im Sinne von Art 23 S 2 ÜGG Verzögerungsrüge erhoben. Die Rügeobliegenheit treffe ausländische Kläger ebenso wie inländische.

6

Im Verfahren S 9 KG 39/11 sowie im Berufungsverfahren L 14 KG 14/14 habe die Klägerin wirksam Verzögerungsrüge erhoben. In beiden Verfahren sei aber trotzdem kein Entschädigungsanspruch entstanden. Beim SG sei lediglich eine inaktive Zeit von 12 Monaten, beim LSG nur eine inaktive Zeit von 8 Monaten festzustellen. Unter Zubilligung einer Vorbereitungs- und Bedenkzeit von 12 Monaten je Instanz ergebe sich damit keine entschädigungspflichtige Überlänge und auch kein Anspruch auf deren Feststellung. Auch das Prozesskostenhilfe(PKH)-Verfahren begründe keinen Entschädigungsanspruch, weil es nicht isoliert, sondern als Annex zum Hauptsacheverfahren geführt worden sei. Es sei deshalb nicht als zusätzliche Verzögerung zum Hauptsacheverfahren zu werten (Hinweis auf Senatsurteil vom 7.9.2017- B 10 ÜG 3/16 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 14).

7

Mit ihrem Antrag auf Gewährung von PKH für eine Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, das LSG habe die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt, sei von der Rechtsprechung des BSG sowie ua des LSG Hamburg abgewichen und habe Verfahrensfehler begangen. Wegen der Einzelheiten wird auf ihr Schreiben vom 2.4.2018 Bezug genommen.

II

8

Der Antrag der Klägerin, ihr PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu gewähren, ist abzulehnen.

9

Nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 114 Abs 1 S 1, § 121 Abs 1 ZPO kann einem bedürftigen Beteiligten für das Beschwerdeverfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn ua die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Daran fehlt es. Die Klägerin kann aller Voraussicht nach mit ihrem Begehren auf Zulassung der Revision nicht durchdringen, weil es keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen. Nach Durchsicht der Akten und unter Berücksichtigung der Ausführungen der Klägerin in ihrem Schreiben vom 2.4.2018 fehlen Anhaltspunkte dafür, dass er einen der in § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte.

10

1. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall der Klägerin hinausgehende grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG). Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine entscheidungsrelevante Rechtsfrage aufwirft, die allgemein, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (BSG Beschluss vom 17.10.2018 - B 9 V 20/18 B - Juris RdNr 6 mwN) und die Anwendung mindestens eine Vorschrift des Bundesrechts betrifft (s § 162 SGG). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (BSG aaO RdNr 9 mwN).

11

Rechtsfragen, die in diesem Sinne klärungsbedürftig sein könnten, sind hier nicht ersichtlich. Soweit die Klägerin solche Fragen im Zusammenhang mit Art 23 ÜGG zu erkennen glaubt, erschließt sich bereits nicht, warum in Bezug auf diese Übergangsvorschrift noch grundsätzlicher Klärungsbedarf fortbestehen sollte. Die Norm betrifft Verfahren, die im Dezember 2011 bei Inkrafttreten des ÜGG bereits anhängig waren. Im Falle solchen Übergangsrechts ist - vergleichbar der Situation bei auslaufendem Recht - eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nur dann gegeben, wenn noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des Übergangsrechts zu entscheiden ist oder wenn die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihre Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung hat (vgl BSG Beschluss vom 17.6.2013 - B 10 EG 6/13 B - Juris RdNr 5 mwN). Dafür ist hier mehr als sieben Jahre nach Inkrafttreten des ÜGG nichts ersichtlich.

12

Unabhängig davon ist das LSG der von ihm zitierten aktuellen Rechtsprechung des BSG zur Auslegung von § 198 GVG und von Art 23 ÜGG gefolgt. Insbesondere hat es den Vorinstanzen eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit von 12 Monaten zugebilligt und ein verbundenes PKH-Verfahren nicht gesondert betrachtet (vgl zB Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - BSGE 117, 21 = SozR 4-1720 § 198 Nr 3, RdNr 27; Senatsurteil vom 3.9.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - SozR 4-1720 § 198 Nr 5 RdNr 44 ff).

13

Das dagegen gerichtete Vorbringen der Klägerin kritisiert im Ergebnis ausschließlich die Rechtsanwendung durch das Entschädigungsgericht, ua zum Vorliegen einer rügepflichtigen Situation, zur rechtzeitigen Erhebung von Verzögerungsrügen, zur Bedeutung und Schwierigkeit des Verfahrens, zur Frage der Aktivitäten der Ausgangsgerichte, der Mitverursachung der Verzögerungen durch die Klägerin oder zum Bestehen eines Entschädigungsanspruchs. Mit diesem Vortrag ließe sich allerdings eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht zulässig begründen. Denn ob das LSG als Entschädigungsgericht den Einzelfall richtig entschieden hat, ist keine Frage grundsätzlicher Bedeutung und damit nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG Beschluss vom 9.6.2017 - B 9 V 88/16 B - Juris RdNr 11). Ohnehin sieht der Senat keine Anhaltspunkte für eine falsche Rechtsanwendung zu Lasten der Klägerin.

14

2. Ferner ist nichts dafür ersichtlich, dass das LSG als Entschädigungsgericht entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG). Das LSG hat sich in seinem Urteil ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Senats zu Art 23 ÜGG und zu § 198 GVG gestützt. Der Versuch der Klägerin, gleichwohl eine Divergenz darzulegen, läuft letztlich auf die Behauptung einer unrichtigen Rechtsanwendung durch das LSG im Einzelfall hinaus. Sie könnte einer Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Die von der Klägerin gerügte Abweichung des LSG-Urteils von einem Urteil des LSG Hamburg kann von vornherein keine Divergenz begründen. § 160 Abs 2 Nr 2 SGG setzt eine Abweichung von einem Urteil des BSG, des GmSOBG oder des BVerfG voraus. Eine abweichende Rechtsprechung zweier Landessozialgerichte genügt nicht.

15

3. Ebenso wenig ist davon auszugehen, dass die Klägerin einen Verfahrensfehler des LSG bezeichnen könnte, der die Revisionszulassung rechtfertigt (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Danach ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG (Anhörung eines bestimmten Arztes und Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Hierfür liegen trotz des umfangreichen Vortrags der Klägerin keinerlei Anhaltspunkte vor. Ihre Darlegungen zu einer angeblich falschen Anwendung materiellen Rechts durch das LSG, insbesondere von § 198 GVG oder der Übergangsvorschrift des Art 23 ÜGG, geben für einen Verfahrensfehler nichts her. Soweit die Klägerin einen Verfahrensfehler darin sieht, dass das LSG nicht über ihren Antrag auf Entschädigung wegen der Dauer des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens B 10 KG 1/16 B beim BSG entschieden hat, verkennt sie, dass ihre Entschädigungsklage, soweit sie sich gegen den Bund richtet, wegen § 202 S 2 SGG iVm § 201 Abs 1 S 2 GVG nicht in die Zuständigkeit des LSG, sondern des BSG fällt. Das LSG hatte die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag auf diese Rechtsfolge hingewiesen; es hat ihr Klagebegehren deshalb in ihrem wohlverstandenen Interesse als auf Entschädigungsansprüche gegen den Freistaat Bayern beschränkt angesehen. Für einen Streitgegenstand über den die Vorinstanz nicht entschieden haben könnte (vgl § 123 SGG) ist nichts ersichtlich.

16

Die Behauptung der Klägerin, ihre Anträge auf PKH seien im Entschädigungsverfahren nicht beschieden worden, widerspricht dem Akteninhalt. Danach hat ihr das Entschädigungsgericht mit Beschluss vom 17.1.2017 PKH bewilligt.

17

Da der Klägerin keine PKH zusteht, kann sie auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO). Aus den genannten Gründen kann die Klägerin auch keine grenzüberschreitende PKH (§ 1078 ZPO) beanspruchen.

Dr. Roos
Dr. Kaltenstein
Dr. Röhl

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