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Bundesgerichtshof
Urt. v. 04.12.2023, Az.: VIa ZR 845/22
Revision im Rahmen der Geltendmachung eines Anspruchs auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug; Gerechtfertigte Verneinung des großen Schadensersatzanspruchs bei gleichzeitiger verfahrensfehlerhafter Versagung der Möglichkeit des rechtlichen Gehörs für die Geltendmachung eines Anspruchs auf den Differenzschaden
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 04.12.2023
Referenz: JurionRS 2023, 47908
Aktenzeichen: VIa ZR 845/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2023:041223UVIAZR845.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Traunstein - 06.08.2021 - AZ: 6 O 3506/20

OLG München - 01.06.2022 - AZ: 18 U 6342/21

Rechtsgrundlagen:

§ 823 Abs. 2 BGB

§ 6 Abs. 1 EG-FGV

§ 27 Abs. 1 EG-FGV

BGH, 04.12.2023 - VIa ZR 845/22

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen.

  2. 2.

    Im Hinblick auf ein Verschulden kann sich der Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten.

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2023 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Menges als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 1. Juni 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu I, zu III und zu IV zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb am 4. September 2014 für 34.000 € ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW X1, das mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N 47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3

Der Kläger hat u.a. behauptet, die Emissionskontrolle geschehe unter Verwendung eines die Abgasreinigung betreffenden Thermofensters, und die Auffassung vertreten, darin und in weiteren verwendeten Vorrichtungen lägen unzulässige Abschalteinrichtungen. Das Landgericht hat die auf Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Ersatz von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt er seine Anträge mit Ausnahme des die Zahlung von Deliktszinsen betreffenden Antrags zu II weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Der Kläger habe eine gegebenenfalls die Haftung nach §§ 826, 31 BGB begründende, sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht dargetan. Allein in der nicht bestrittenen Verwendung eines Thermofensters liege eine solche nicht, und für die übrigen behaupteten Abschalteinrichtungen lägen jeweils keine Anhaltspunkte vor. Aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ergebe sich kein Anspruch des Klägers als Fahrzeugkäufer, weil der geltend gemachte Schaden nicht in den Schutzbereich der hier als Schutzgesetz in Frage kommenden Bestimmungen falle.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Die Revision ist allerdings nicht schon ohne weiteres deshalb begründet, weil der Zurückweisungsbeschluss, was einen von Amts wegen beachtlichen Verfahrensmangel darstellte und grundsätzlich zur Aufhebung und Zurückverweisung führen müsste (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juli 2023 - VIII ZR 201/22, DAR 2023, 613 Rn. 16; Urteil vom 24. Juli 2023 - VIa ZR 752/22, NJW 2023, 3010 Rn. 8), den Vorgaben der § 522 Abs. 2 Satz 4, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO nicht genügte. Zwar muss auch ein mit der Nichtzulassungsbeschwerde angreifbarer Zurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO - gegebenenfalls mit dem Hinweisbeschluss - zumindest sinngemäß erkennen lassen, was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat (BGH, Urteil vom 12. Juni 2018 - II ZR 229/16, juris Rn. 6 mwN). Eine wörtliche Wiedergabe der Berufungsanträge, an der es hier fehlt, ist aber nicht erforderlich. Der Zurückweisungsbeschluss muss mit Rücksicht auf das eröffnete Rechtsmittel lediglich den Gegenstand des Berufungsverfahrens erkennen lassen. Hier hat das Berufungsgericht noch ausreichend den Gegenstand des Berufungsverfahrens in einer für die Zwecke eines anschließenden Rechtsmittelverfahrens genügenden Weise dargestellt.

9

2. Es begegnet überdies keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

10

3. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgeschlossen hat. Wie der Senat nach Erlass des Zurückweisungsbeschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 29 bis 32, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12

Der Zurückweisungsbeschluss ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.

13

Insbesondere kann der Senat entgegen den Einwänden der Revisionserwiderung auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und nach Maßgabe des Senatsurteils vom 26. Juni 2023 (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259 Rn. 59 ff.) ein Verschulden der Beklagten nicht ausschließen. Zwar müssen der objektive und der subjektive Tatbestand einer Pflichtverletzung zeitlich zusammenfallen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Februar 2007 - II ZR 234/05, BGHZ 171, 46 Rn. 8) und kommt es für die Frage, ob der Beklagten ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann, insoweit nur zusätzlich noch auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 61; Urteil vom 16. Oktober 2023 - VIa ZR 1511/22, juris Rn. 12 f.). Dass zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs, wie die Revisionserwiderung geltend macht, keine Zweifel an der Zulässigkeit von Thermofenstern bestanden hätten, sondern erst durch die spätere Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union begründet worden seien, ließe - selbst wenn der Einwand der Revisionserwiderung zuträfe - das Verschulden indessen nicht entfallen. Dass sich ein Hersteller nicht ohne weiteres und gestützt auf eine zu einem bestimmten Zeitpunkt mehr oder weniger verbreitete Auffassung von der Zulässigkeit bestimmter Abschalteinrichtungen entlasten kann, hat der Senat entschieden und näher dargelegt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 69; zu den Anforderungen an die Darlegung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums außerdem BGH, Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, WM 2023, 2064 Rn. 13 ff.). Dass ein Differenzschaden durch vom Kläger gezogene Vorteile vollständig aufgezehrt sei, ergeben die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht.

14

Die Sache ist daher im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, NJW 2023, 2259) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

Menges

Möhring

Götz

Rensen

Vogt-Beheim

Von Rechts wegen

Verkündet am: 4. Dezember 2023

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