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Bundesgerichtshof
Urt. v. 12.10.2023, Az.: VII ZR 412/21
Anspruch auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Gebrauchtwagen gebrauchten VW Golf VII 2.0 TDI Highline
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 12.10.2023
Referenz: JurionRS 2023, 41490
Aktenzeichen: VII ZR 412/21
ECLI: ECLI:DE:BGH:2023:121023UVIIZR412.21.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Halle - 19.11.2020 - AZ: 5 O 90/20

OLG Naumburg - 09.04.2021 - AZ: 8 U 68/20

Rechtsgrundlagen:

§ 826 BGB

§ 31 BGB

§ 823 Abs. 2 BGB

§ 6 Abs. 1 EG-FGV

§ 27 Abs. 1 EG-FGV

BGH, 12.10.2023 - VII ZR 412/21

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Es ist geklärt, dass allein der Umstand, dass in einem Fahrzeug Abschalteinrichtungen vorhanden sind - hier eine Motorsteuerungssoftware, die eine obligatorische Leerung des NOx-Speicherkatalysators vor Beginn des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) bewirkt -, für sich genommen nicht ausreicht, um dem Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Selbst wenn eine derartige Einrichtung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) 715/2007 zu qualifizieren sein sollte, wäre der darin liegende Gesetzesverstoß für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen; hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der emissionsbeeinflussenden Einrichtungen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.

  2. 2.

    Vor diesem Hintergrund kann dann, wenn die zuständige Fachbehörde die Rechtsauffassung vertritt, die hier diskutierte Abschalteinrichtung sei zulässig, das darauf bezogene Verhalten des Herstellers nicht als besonders verwerflich eingestuft werden. Für die dazu erforderliche Annahme, der Hersteller habe die Abschalteinrichtung im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes implementiert, bleibt kein Raum; ebenso scheidet ein Schädigungsvorsatz aus.

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Oktober 2023 im schriftlichen Verfahren, in dem Schriftsätze bis zum 15. September 2023 eingereicht werden konnten, durch den Vorsitzenden Richter Pamp, den Richter Prof. Dr. Jurgeleit sowie die Richterinnen Graßnack, Dr. Brenneisen und Dr. C. Fischer
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 9. April 2021 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 21. Juni 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: bis 22.000 €

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im Oktober 2017 als Gebrauchtwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs VW Golf VII 2.0 TDI Highline in Anspruch. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 6 erteilt. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA 288 ausgestattet und verfügt über einen NOx-Speicherkatalysator, welcher im Fahrbetrieb "regeneriert", d.h. geleert wird. Dies erfolgt, wenn der Speicherkatalysator voll ist oder nach etwa 5 km Fahrstrecke. Die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs erkennt anhand der Vorkonditionierung die bevorstehende Prüfung im Rahmen des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) und veranlasst eine Regeneration des Speicherkatalysators, so dass dieser zu Beginn des Testzyklus geleert ist. Das Klägerfahrzeug ist nicht von einem verpflichtenden Rückruf seitens des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) betroffen.

2

Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen.

3

Der Kläger hat zuletzt die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs verlangt. Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 20.885,71 € nebst Prozesszinsen seit dem 3. April 2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu zahlen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiter die vollständige Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung (veröffentlicht in DAR 2021, 454), soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

6

Dem Kläger stehe ein Schadensersatzanspruch aus §§ 826, 31 BGB zu. Die Beklagte habe potentielle Erwerber von Kraftfahrzeugen getäuscht, indem sie mit dem Inverkehrbringen des Motors EA 288 2.0 (EU 6) mit der NOx-Speichertechnologie konkludent erklärt habe, die Fahrzeuge verfügten über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis, deren Fortbestand nicht dadurch gefährdet sei, dass die erforderliche EG-Typgenehmigung durch eine Täuschung des KBA erschlichen worden sei.

7

Unter Zugrundelegung der unionsrechtlichen Vorgaben enthalte der Motor im Klägerfahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil die Motorsteuerung des Emissionskontrollsystems nur für den Prüfzyklus einen verringerten Emissionsausstoß vorsehe. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten werde der NOx-Speicherkatalysator vor dem Prüfzyklus geleert, weil die Motorsteuerungssoftware anhand der Vorkonditionierung den bevorstehenden Test erkenne. Im Normalbetrieb werde der Speicherkatalysator nicht nur streckengesteuert, sondern auch beladungsgesteuert regeneriert, was infolge der Leerung unmittelbar vor dem Test im Prüfstand nicht erfasst werde. Die Leerung vor dem NEFZ ziele unmittelbar darauf ab, zusätzliche Emissionen, die im normalen Fahrbetrieb durch die dort sogar führende beladungsgesteuerte Leerung des Speicherkatalysators entstünden, auf dem Prüfstand zu vermeiden. Der Vortrag des Klägers zu einer Zykluserkennung im Prüfstand sei hinreichend substantiiert mit der Folge, dass die Beklagte eine sekundäre Darlegungslast getroffen habe vorzutragen, dass und warum hier keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege. Dieser Darlegungslast sei sie nicht nachgekommen. Ausnahmetatbestände, die zur Zulässigkeit der Abschalteinrichtung führten, griffen nicht ein. Soweit die Beklagte vortrage, diese Fahrkurvenerkennung werde nicht dazu eingesetzt, um Emissionsgrenzwerte einzuhalten, sei dies zwar bei isolierter Betrachtung nicht falsch; die von der Beklagten angeführten, vom KBA in Auftrag gegebenen Messungen in verschiedenen NEFZ-nahen Prüfzyklen ergäben indes nicht, dass die Grenzwerte selbst dann eingehalten würden, wenn eine (auch) beladungsgesteuerte Regeneration des NOx-Speicherkatalysators auf dem Prüfstand erfolge. Die Schreiben des KBA, die die Beklagte vorgelegt habe, belegten nicht, dass die Abgaswerte des Motors vom KBA nach Deaktivierung der Fahrkurvenerkennung und Abschaltung der nur streckengesteuerten Regeneration im NEFZ ohne vorherige Leerung des Speicherkatalysators gemessen worden seien. Dass das KBA sich die Auffassung der Beklagten zu Eigen gemacht habe, es liege keine Abschalteinrichtung vor, entlaste die Beklagte nicht. Die Verwaltungspraxis des KBA habe keine Grundlage in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und sei auch sonst haltlos, so dass es auf den bisher fehlenden Rückruf nicht ankomme.

8

Durch die Verwendung der Fahrkurvenerkennung im Motortyp EA 288 seien die Kunden der Beklagten genauso getäuscht worden wie durch die Umschaltlogik im Motortyp EA 189. Der Schaden des Klägers liege im ungewollten Vertragsschluss und sei durch das Aufspielen eines Updates nicht entfallen. Bei rechtmäßigem Vorgehen des KBA drohten Maßnahmen bis hin zur Stilllegung. Die Sittenwidrigkeit des allein vom Profitinteresse geleiteten Vorgehens der Beklagten ergebe sich aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung unter Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich das KBA, und unter Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer, sondern auch der Umwelt. Das Inverkehrbringen des Fahrzeugs sei der Beklagten gemäß § 31 BGB zurechenbar; nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast hätte die Beklagte vortragen müssen, wie der Entscheidungsprozess abgelaufen sei und welche Mitarbeiter, die nicht als verfassungsmäßige Vertreter anzusehen seien, daran beteiligt gewesen seien. Jedenfalls träfe die Beklagte eine Haftung aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit § 826 BGB. Der Schädigungsvorsatz ergebe sich bereits aus dem heimlichen und manipulativen Vorgehen. Die Software sei gezielt zur Beeinflussung des Emissionsverhaltens im Prüfzyklus programmiert worden unter Inkaufnahme eines Widerrufs der Typgenehmigung beziehungsweise der Stilllegung der Fahrzeuge. Dementsprechend habe die Beklagte nach eigenem Vortrag ab der Kalenderwoche 22 im Jahr 2016 in neu produzierten Fahrzeugen die Fahrkurvenerkennung entfernt. Der Kläger müsse sich aber eine Nutzungsentschädigung im Wege der Vorteilsausgleichung anrechnen lassen.

II.

9

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat, zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

10

Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung gemäß §§ 826, 31 BGB können mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht bejaht werden.

11

1. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 11, WM 2021, 1609; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 Rn. 29, ZIP 2020, 1715; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 15, BGHZ 225, 316; Urteil vom 12. März 2020 - VII ZR 236/19 Rn. 24, VersR 2020, 1120; jeweils m.w.N.). Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 11, WM 2021, 1609; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 Rn. 29, ZIP 2020, 1715; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 15, BGHZ 225, 316). Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 12, VersR 2021, 661; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 14, ZIP 2021, 297; Urteil vom 30. Juli 2020 - VI ZR 5/20 Rn. 29, ZIP 2020, 1715; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 15, BGHZ 225, 316).

12

Ob das Verhalten des Anspruchsgegners sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Kontrolle des Revisionsgerichts unterliegt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 12, WM 2021, 1609; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 14, VersR 2021, 661; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 15, ZIP 2021, 297; Urteil vom 25. Mai 2020 - VI ZR 252/19 Rn. 14, BGHZ 225, 316; Urteil vom 12. März 2020 - VII ZR 236/19 Rn. 25, VersR 2020, 1120).

13

2. Nach diesen Grundsätzen reicht der Umstand, dass die im Fahrzeug des Klägers vorhandene Motorsteuerungssoftware eine obligatorische Leerung des NOx-Speicherkatalysators vor Beginn des NEFZ bewirkt, nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben.

14

a) Es kann dahinstehen, ob die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bis zur Kalenderwoche 22 im Jahr 2016 im Motortyp EA 288 verbaute Einrichtung überhaupt eine Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstellt.

15

b) Der darin liegende Gesetzesverstoß wäre für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen. Hierfür bedürfte es vielmehr weiterer Umstände (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 - VI ZR 1154/20 Rn. 13, WM 2021, 2105; Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 13, WM 2021, 1609; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 26, VersR 2021, 661; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 16, ZIP 2021, 297). So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit in diesen Fällen jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung in dem Bewusstsein handelten, eine solche zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2021 - VI ZR 1154/20 Rn. 13, WM 2021, 2105; Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 13, WM 2021, 1609; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 28, VersR 2021, 661; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 19, ZIP 2021, 297).

16

c) Ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen hat das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei angenommen.

17

Der vom Berufungsgericht festgestellte Vortrag des insoweit darlegungsbelasteten Klägers (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 - VI ZR 128/20 Rn. 14, WM 2021, 1609; Beschluss vom 9. März 2021 - VI ZR 889/20 Rn. 29, VersR 2021, 661; Beschluss vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 19, ZIP 2021, 297) zeigt dafür keine Anhaltspunkte auf. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts besteht insbesondere keine Vergleichbarkeit zur Umschaltlogik beim EA 189, bei dem die Einhaltung der Grenzwerte unstreitig ausschließlich auf dem Prüfstand gewährleistet wurde und das KBA durch die Motorsteuerungssoftware über eben diesen Sachverhalt getäuscht worden war. Vorliegend ergeben sich weder Anhaltspunkte für eine Täuschung des KBA noch hat dem Klägerfahrzeug eine Stilllegung gedroht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist dem KBA die Fahrkurvenerkennung nebst anschließender Regeneration des NOx-Speicherkatalysators im Motortyp EA 288 bekannt und wertet das KBA diese nicht als unzulässig. Selbst wenn - wie das Berufungsgericht meint - diese Rechtsauffassung bzw. Verwaltungspraxis des KBA keine Grundlage in der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 hätte, schließt dies die Annahme eines vorsätzlich-sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten aus (so jetzt unter Aufgabe der früheren Rechtsauffassung OLG Naumburg, Urteil vom 10. Dezember 2021 - 8 U 63/21 u.a., juris). Vertritt die zuständige Fachbehörde die Rechtsauffassung, die hier diskutierte Abschalteinrichtung sei zulässig, kann das darauf bezogene Verhalten der Beklagten nicht als besonders verwerflich eingestuft werden. Für die dazu erforderliche Annahme, die Beklagte habe die Abschalteinrichtung im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit und unter billigender Inkaufnahme des Gesetzesverstoßes implementiert, bleibt kein Raum; ebenso scheidet ein Schädigungsvorsatz aus.

III.

18

1. Das angefochtene Urteil ist danach aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat ist nicht veranlasst, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

19

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

20

Bei der erneuten Prüfung eines Anspruchs des Klägers aus §§ 826, 31 BGB wird das Berufungsgericht die vom Bundesgerichtshof geklärten Maßstäbe (vgl. zum Thermofenster BGH, Urteil vom 16. September 2021 - VII ZR 190/20 Rn. 12 ff., NJW 2021, 3721; Urteil vom 19. Januar 2021 - VI ZR 433/19 Rn. 16 ff., ZIP 2021, 297) zu beachten und den Vortrag des Klägers nach diesen Maßgaben zu bewerten haben. Eine Fahrkurvenerkennung ist für eine Haftung nach §§ 826, 31 BGB nur dann relevant, wenn eine auf dem Prüfstand erkannte Fahrkurve Auswirkungen auf das Emissionsverhalten hat. Außerdem haftete die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB nur dann, wenn sie ihr Verhalten nicht schon vor Abschluss des Kaufvertrags des Klägers nach Maßgabe der höchstrichterlich entwickelten Grundsätze geändert hatte (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21 Rn. 48, WM 2023, 1514 m.w.N.). Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV in Betracht zu ziehen haben.

Pamp

Jurgeleit

Graßnack

Brenneisen

C. Fischer

Von Rechts wegen

Verkündet am: 12. Oktober 2023

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