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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 09.12.2003, Az.: VI ZB 26/03

Rechtmäßigkeit der Ablehnung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Berufungsfrist aufgrund Verschuldens einer Kanzleiangestellten des Prozessbevollmmächtigten; Voraussetzungen für Nichtvorliegen eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten für Versäumung einer Frist bei Erteilung einer Einzelanweisung an Kanzleiangestellten

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
09.12.2003
Aktenzeichen
VI ZB 26/03
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 24228
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Schwerin - 04.03.2003
AG Wismar

Fundstellen

  • BGHR 2004, 622-623
  • BGHReport 2004, 622-623
  • BRAK-Mitt 2004, 75-76 (amtl. Leitsatz)
  • DB 2004, IX Heft 7 (amtl. Leitsatz)
  • EBE/BGH 2004, 3
  • INF 2004, 172
  • IVH 2004, 59-60 (Kurzinformation)
  • JZ 2004, 291 (Kurzinformation)
  • MDR 2004, 477 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 2004, 711-712 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-Spezial 2004, 48 (Volltext mit Anm.)
  • ProzRB 2004, XI Heft 3 (amtl. Leitsatz)
  • RENOpraxis 2004, 113
  • VersR 2005, 138 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZAP 2004, 463 (Kurzinformation)

Amtlicher Leitsatz

Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroangestellten die Anweisung erteilt hat, den Namen des Berufungsklägers in der von ihm unterzeichneten Rechtsmittelschrift zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Angestellte den Schriftsatz aber unverändert absendet.

In dem Rechtsstreit hat
der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs
am 9. Dezember 2003
durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Müller,
den Richter Dr. Greiner,
die Richterin Diederichsen und
die Richter Pauge und Zoll
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss der Zivilkammer 6 des Landgerichts Schwerin vom 4. März 2003 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

Der Berufungskläger zu 2 hat die Kosten seiner Rechtsbeschwerde zu tragen, nachdem er diese zurückgenommen hat.

Der Gegenstandswert der Beschwerdeverfahren beträgt je 3.197,28 EUR.

Gründe

1

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes auf Schadensersatz in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 11. November 2002 zugestellt worden. Am 11. Dezember 2002 hat ihr Prozessbevollmächtigter zunächst im Namen ihres Ehemannes Berufung eingelegt. Auf den am 30. Dezember 2002 zugegangenen Hinweis des Gerichts hat er am 13. Januar 2003 auch in ihrem Namen Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen, die Bürokraft ihres Prozessbevollmächtigten, die Rechtsanwaltsfachangestellte F., habe am letzten Tag der Berufungsfrist einen Berufungsschriftsatz gefertigt, in dem fälschlicherweise nicht die Klägerin, sondern deren Ehemann als Berufungsführer aufgeführt gewesen sei. Dieses sei ihrem Prozessbevollmächtigtem nach der Unterzeichnung aufgefallen. Er habe Frau F. daraufhin angewiesen, das Rubrum zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Fax an das Landgericht zu übermitteln. Zusätzlich habe er auf der zweiten Seite des Schriftsatzes einen gelben Klebezettel mit dem Vermerk angebracht: "falscher Berufungskläger - austauschen H. V.". Versehentlich habe Frau F. den unterzeichneten Schriftsatz ohne Änderung des Namens des Berufungsklägers an das Gericht gefaxt. Frau F. sei eine geschulte und sehr zuverlässige Angestellte, die, wie regelmäßige Kontrollen durch ihn ergeben hätten, Anweisungen bisher stets sorgfältig und ohne Beanstandungen ausgeführt habe. Der Ehemann der Klägerin hat seine Berufung später zurückgenommen.

2

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Hiergegen haben sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann Rechtsbeschwerde eingelegt. Letzterer hat seine Rechtsbeschwerde zurückgenommen. Die Klägerin hält ihre Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und wegen grundsätzlicher Bedeutung, jedenfalls aber zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für zulässig (§ 574 Abs. 2 Ziff. 2 und 1 ZPO).

3

II.

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich Gewähr leisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf Grund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfGE 79, 372, 376  [BVerfG 28.02.1989 - 1 BvR 649/88]; f.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, 1005) [BVerfG 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01].

4

Das Berufungsgericht übersieht, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO) an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben ist, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 1995 -XI ZB 13/95 - VersR 1996, 348; vom 18. März 1998 - XII ZB 180/96 - NJW-RR 1998, 1360  f.; vom 6. Juli 2000 - VII ZB 4/00 - NJW 2000, 2823; vom 2. Juli 2001 - II ZB 28/00 - NJW-RR 2002, 60; vom 1. Juli 2002 - II ZB 11/01 - NJW-RR 2002, 1289  f. und vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - zur Veröffentlichung bestimmt). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - zur Veröffentlichung bestimmt; BGH, Beschlüsse vom 23. April 1997 - XII ZB 56/97 - NJW 1997, 1930 und vom 27. Februar 2003 - III ZB 82/02 - MDR 2003, 763, 764). So liegt der Fall hier, denn der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hatte seiner Angestellten F. konkret aufgetragen, die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Fax an das Landgericht zu übermitteln. Hätte Frau F. diese Einzelanweisung befolgt, wäre die Berufungsfrist gewahrt worden.

5

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts traf den Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht die Pflicht, die ordnungsgemäße Ausführung der Korrektur zu überprüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Februar 1982 - VIII ZB 76/81 - VersR 1982, 471 und vom 27. Februar 2003 - III ZB 82/02 - a.a.O.). Eine besondere Kontrolle wäre allenfalls dann notwendig gewesen, wenn die Rechtsmittelschrift mehrere für die Zulässigkeit relevante Fehler aufgewiesen hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Oktober 1994 - X ZB 10/94 - VersR 1995, 558). Das war hier nicht der Fall. Wenn die Berufungsschrift entsprechend der Anordnung des Prozessbevollmächtigten korrigiert worden wäre, hätte sie den sich aus § 519 ZPO ergebenden Anforderungen genügt. Insbesondere wäre die Klägerin als Partei des Berufungsverfahrens hinreichend deutlich bezeichnet gewesen. Dem steht nicht entgegen, dass es auf der zweiten Seite der Rechtsmittelschrift heißt, die Berufung werde "namens des Berufungsklägers" eingelegt. Mängel der Parteibezeichnung in Rechtsmittelschriften sind unbeachtlich, wenn sie in Anbetracht der jeweiligen Umstände keinen vernünftigen Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers oder des Rechtsmittelbeklagten offen lassen (Senatsbeschluss vom 7. November 1995 - VI ZB 12/95 - VersR 1996, 251; Senatsurteile vom 15. Dezember 1998 - VI ZR 316/97 - VersR 1999, 900 und vom 19. Februar 2002 - VI ZR 394/00 - VersR 2002, 777). Wenn die Partei eines Berufungsverfahrens namentlich und mit zutreffender Angabe ihrer Wohnungsanschrift benannt wird, ist es für ihre Identifizierung grundsätzlich ohne Belang, wenn sie statt als "Berufungsklägerin" versehentlich als "Berufungskläger" bezeichnet wird. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht, hätten im Streitfall bei ordnungsgemäßer Ausführung der angeordneten Korrektur der Rechtsmittelschrift keine vernünftigen Zweifel daran bestanden, dass die Berufung im Namen der Klägerin eingelegt werden sollte.

Streitwertbeschluss:

Der Gegenstandswert der Beschwerdeverfahren beträgt je 3.197,28 EUR.