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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 10.06.1998, Az.: XII ZB 47/98

Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Verurteilung zur Zahlung von Kindesunterhalt und Ehegattenunterhalt; Sorgfaltspflichten eines Prozessbevollmächtigten im Zusammenhang mit der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze unter Verwendung eines Telefaxgerätes; Pflicht zum gesonderten Hinweis gegenüber der Anwaltsgehilfin auf die Verwendung der angegebenen, zutreffenden Faxnummer; Anweisung zum Ausdrucken und zur Kontrolle des Einzelsendebericht; Organisationsverschulden eines Prozessbevollmächtigten

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
10.06.1998
Aktenzeichen
XII ZB 47/98
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1998, 17135
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
KG Berlin - 24.03.1998
AG Berlin-Tempelhof- 22.10.1997

Fundstellen

  • DStR 1998, 1690 (red. Leitsatz)
  • FamRZ 1999, 21-22 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1998, 1361-1362 (Volltext mit red. LS)
  • SGb 1999, 252
  • SozSich 1999, 221
  • VersR 1999, 643-644 (Volltext mit red. LS)

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 10. Juni 1998
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und
die Richter Dr. Krohn, Dr. Zysk, Dr. Hahne und Gerber
beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 13. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 24. März 1998 aufgehoben.

Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Tempelhof-Kreuzberg vom 22. Oktober 1997 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Wert: 18.997,00 DM

Gründe

1

I.

Durch Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Tempelhof-Kreuzberg vom 22. Oktober 1997 wurde der Beklagte zur Zahlung von Kindes- und Ehegattenunterhalt an die Klägerin verurteilt. Gegen das am 12. November 1997 zugestellte Urteil legte der Beklagte durch seinen Prozeßbevollmächtigten am 12. Dezember 1997 bei dem Kammergericht Berufung ein. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. Januar 1998 bat er - wegen plötzlichen, nicht vorhersehbaren Arbeitsanfalles verbunden mit krankheits- und urlaubsbedingten Personalengpässen in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten - um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat. Der Schriftsatz trug die Anschrift und den Vermerk "Kammergericht; vorab per Telefax 2178-2200". Der Schriftsatz ging erst - im Original - am 15. Januar 1998 bei dem Kammergericht ein. Als Telefax gelangte er nicht zu den Akten. Bei Überprüfung der von dem Kammergericht angeforderten Sendebestätigung der Faxübermittlung stellte sich heraus, daß eine Rufnummer 21731220 und nicht die in dem Schriftsatz angegebene, zutreffende Faxnummer des Kammergerichts verwendet worden war. Nach richterlichem Hinweis vom 30. Januar 1998 auf den verspäteten Eingang des Fristverlängerungsantrags beantragte der Beklagte am 2. Februar 1998 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und holte die Berufungsbegründung am 11. Februar 1998 nach. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs trug er - unter Glaubhaftmachung durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen der Büroangestellten Katrin R. vom 2. Februar und 18. März 1998 - vor: Die im Büro seines Prozeßbevollmächtigten seit 1991 tätige, für die Fristenkontrolle und -überwachung im Dezernat Zivilrecht einschließlich Familiensachen zuständige Rechtsanwalts- und Notariatsangestellte Katrin R. werde bei Ausübung ihrer Tätigkeit in unregelmäßigen Abständen ohne Voranmeldung kontrolliert; zu Beanstandungen sei es hierbei bisher nicht gekommen. Frau R. habe den Fristverlängerungsantrag nebst beglaubigter und einfacher Abschrift am 12. Januar 1998 nachmittags persönlich von Rechtsanwalt J. übergeben bekommen mit der Anweisung, ihn an das Kammergericht zu faxen und das Original im Anschluß in den für das Kammergericht bestimmten Ausgangskorb zu legen. Frau R. habe den Auftrag sofort ausgeführt, dabei jedoch nicht die auf dem Schriftsatz angegebene Faxnummer 2178-2200 verwendet sondern eine ihr im Gedächtnis haftende Faxnummer 21731220, von der sie angenommen habe, es sei die aktuelle Faxnummer des Kammergerichts. Sie habe sich erinnert, vor längerer Zeit eine Mitteilung über eine neue Faxnummer des Kammergerichts erhalten zu haben; diese habe sie sich notiert, um sie im Bedarfsfall verwenden zu können; dabei sei ihr nicht aufgefallen, daß die notierte Nummer am Ende eine "0" zu wenig hatte. Wenn sie selbst Schreiben zur Verwendung als Telefax vorbereite, ermittle sie die Telefaxnummer aus den jeweiligen Akten, und zwar anhand der letzten schriftlichen Mitteilung des Adressaten. Den Schriftsatz vom 12. Januar 1998 habe sie nicht verfaßt. Sie habe bei der Übermittlung in ihre Notizen geschaut und die dort niedergelegte Nummer verwendet. Im Anschluß an die ordnungsgemäß vonstatten gegangene Übertragung habe sie sich dann weisungsgemäß den Einzelsendebericht ausdrucken lassen, diesen durchgesehen und dann in die Akte geheftet. Da sie davon ausgegangen sei, daß es sich bei der alten Nummer 21731220 um die aktuelle Faxnummer des Kammergerichts handele und da der Einzelsendebericht auch ansonsten keine Beanstandungen aufgewiesen habe, habe sie sodann die im Fristenkalender eingetragene Frist als erledigt gestrichen.

2

Ermittlungen in der Verwaltung des Kammergerichts haben ergeben, daß nach Einführung der neuen Postleitzahlen vorübergehend in der Zeit von Februar bis Juli 1993 die Faxnummer des Kammergerichts lautete: 21731-2200; seit dem 9. Juli 1993 wurde die Faxnummer in 2178-2200 umgestellt.

3

Durch Beschluß vom 24. März 1998 hat das Kammergericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Es hat dem Beklagten als Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zugerechnet, daß dieser keine zumutbaren organisatorischen Maßnahmen getroffen habe, um stets mögliche Fehler bei der Eingabe einer Faxnummer zu vermeiden. Dazu gehöre in der Regel die Anweisung an das Büropersonal, den Sendebericht nicht nur auf die vollständige und fehlerfreie Übermittlung des Textes, sondern auch abschließend auf die richtige Empfängernummer zu kontrollieren, die im Telefaxverkehr der richtigen Adressierung gleichkomme bzw. diese ersetze (Hinweis auf BAG NJW 1995, 2742, 2743) [BAG 30.03.1995 - 2 AZR 1020/94]. Diese abschließende Kontrolle sei im Büro des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten offensichtlich versäumt worden. Die Feststellung des OK-Vermerks im Sendebericht reiche für die Kontrolle nicht aus; bei sorgfältiger Überprüfung des Sendeberichts wäre die Abweichung der verwendeten von der im Schriftsatz angegebenen Telefaxnummer festgestellt worden.

4

Gegen diesen Beschluß wendet sich der Beklagte mit der sofortigen Beschwerde.

5

II.

Das Rechtsmittel ist begründet.

6

Der angefochtene Beschluß überspannt die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Prozeßbevollmächtigten im Zusammenhang mit der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze unter Verwendung eines Telefaxgerätes.

7

1.

Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung, daß fristgebundene Schriftsätze mit Telefax fristwahrend übermittelt werden können (vgl. BAG Urteil vom 30. März 1995 - 2 AZR 1020/94 = NJW 1995, 2742, 2743 mit Hinweis auf BVerfGE 74, 228, 234 [BVerfG 11.02.1987 - 1 BvR 475/85]; BGH Urteil vom 29. April 1994 - V ZR 62/93 - und Senatsbeschluß vom 18. Oktober 1995 - XII ZB 123/95 = BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 36 und 44, jeweils m.w.N.). Dabei braucht der Rechtsanwalt die Übermittlung nicht persönlich vorzunehmen, vielmehr kann er das Absenden der Telekopie einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft übertragen (vgl. BAG aaO). Erteilt er einer solchen Bürokraft einen entsprechenden Auftrag, dann darf er grundsätzlich darauf vertrauen, daß sie seine Weisung befolgen werde (vgl. BGH Urteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 = BGHR aaO Fristenkontrolle 5).

8

In diesem Sinn hat der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten das zur Wahrung der Berufungsbegründungsfrist von seiner Seite aus Erforderliche zunächst damit getan, daß er die Büroangestellte R. am Nachmittag des 12. Januar 1998 anwies, den - näher begründeten - ersten Fristverlängerungsantrag (vgl. dazu BGH Beschluß vom 23. Juni 1994 - VII ZB 5/94 = BGHR ZPO § 233 Fristverlängerung 11), in den er bei der Adressatenangabe die zutreffende Faxnummer des Kammergerichts - 2178-2200 - aufgenommen hatte, sofort per Fax an das Kammergericht zu übermitteln. Da sich die Faxnummer deutlich erkennbar aus dem (ohnehin nur aus einer Seite bestehenden) Schriftsatz ergab, bestand für den Prozeßbevollmächtigten kein Anlaß, die Angestellte etwa noch ausdrücklich auf die Verwendung der angegebenen, zutreffenden Faxnummer hinzuweisen. Mit der Aushändigung des mit der Faxnummer 2178-2200 versehenen Schriftsatzes an die Angestellte war zugleich die Anweisung verbunden, diese Faxnummer bei der Übermittlung des Schriftsatzes zu verwenden. Der Prozeßbevollmächtigte konnte sich darauf verlassen, daß Frau R. seine Anweisung ordnungsgemäß erfüllen werde. Es gereicht ihm nicht zum Verschulden, daß die Angestellte, deren Arbeitsweise bisher keinen Anlaß zu Beanstandungen gegeben hatte, nicht die angegebene Faxnummer verwandte, sondern sich statt dessen einer - noch dazu unvollständig - notierten früheren Faxnummer des Kammergerichts bediente, die seit Jahren nicht mehr geschaltet war. Das hierin liegende Versehen der Büroangestellten R. ist dem Beklagten nicht zuzurechnen und steht der Gewährung der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand damit nicht entgegen (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).

9

2.

Entgegen der Auffassung des Kammergerichts trifft den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten auch kein Organisationsverschulden hinsichtlich der erforderlichen Ausgangskontrolle bei der Übermittlung des Schriftsatzes vom 12. Januar 1998. Zwar erfüllt ein Rechtsanwalt seine Verpflichtung, für eine wirksame Ausgangskontrolle zu sorgen, bei Einsatz eines Telefaxgerätes nur dann, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich nach der Übermittlung eines Schriftsatzes einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen und die Notfrist erst nach der Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (vgl. BGH Beschluß vom 19. November 1997 - VIII ZB 33/97 = NJW 1998, 907 m.w.N.). Diese Verpflichtung hat der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten indessen nicht verletzt. Aus der eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten R. vom 2. Februar 1998 i.V. mit dem Vortrag des Beklagten in dem Wiedereinsetzungsgesuch ergibt sich vielmehr, daß in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten die allgemeine Anweisung bestand, nach Übertragung eines Schriftsatzes per Telefax den Einzelsendebericht ausdrucken zu lassen und diesen "zu kontrollieren". Diese Weisung hat die Angestellte R. auch nach der Übermittlung des fraglichen Schriftsatzes befolgt. Denn sie hat in ihrer Erklärung vom 2. Februar 1998 versichert, nachdem der Faxvorgang ohne Vorkommnisse abgelaufen sei, habe sie sich den Sendebericht ausdrucken lassen und diesen kontrolliert; hieran habe sie ebenfalls nichts Ungewöhnliches bemerkt. In der Tat weist der zu den Akten gereichte Sendebericht vom 12. Januar 1998, 15.32 Uhr, keine Besonderheiten auf; das "Kom.Ergebnis" wird mit "OK" angegeben, "Fehler-Seiten" sind "keine" vermerkt.

10

Soweit der angefochtene Beschluß unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 30. März 1995 (aaO S. 2743) und einen Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 13. Oktober 1994 (NJW 1995, 668) hervorhebt, die Kontrollanweisung des Rechtsanwalts müsse dahin gehen, "auch die richtige Empfängernummer abschließend zu kontrollieren", betraf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts einen Fall, in dem der das Faxgerät bedienende Mitarbeiter aus einem amtlichen Telefaxverzeichnis eine falsche Nummer ausgewählt hatte; im Fall des Bayerischen Obersten Landesgerichts war an eine ortsansässige Rechtsanwaltskanzlei in A. statt an das Gericht in München übermittelt worden. Hier verlangten die Gerichte die Überprüfung des Übermittlungsvorgangs auch hinsichtlich der richtigen Empfängernummer, und zwar ersichtlich in der Erwägung, daß bei nochmaliger Einsicht in das verwendete Telefaxnummern-Verzeichnis im Vergleich mit der gewählten Empfängernummer ein Fehler festzustellen gewesen wäre.

11

Im vorliegenden Fall hat die Büroangestellte R. bei der Kontrolle des Sendeberichts sowohl in der Rubrik "Rufnummer" als auch unter "Identifikation" die Faxnummer 21731220 (bzw. 493021731220) feststellen können, die sie in ihren Notizen als Faxnummer des Kammergerichts festgehalten hatte. Die Nummer stimmte also mit der von ihr bewußt als Empfängernummer des Kammergerichts nach ihren Notizen angegebenen Faxnummer überein. Insoweit hat die Angestellte die Kontrolle des Sendeberichts als solche ordnungsgemäß durchgeführt. Ein Fehler im Zusammenhang mit der Ausgangskontrolle ist daher im vorliegenden Fall nicht ursächlich gewesen für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist. Diese war vielmehr ursächlich darauf zurückzuführen, daß die Angestellte R. die Weisung mißachtet hat, den Schriftsatz vom 12. Januar 1998 unter der darin angegebenen Faxnummer 2178-2200 an das Kammergericht zu senden. Nachdem sie diese zutreffende Faxnummer bei der Übermittlung des Schriftsatzes übersehen hatte, setzte sich der hiermit begangene Fehler bei der anschließenden Überprüfung des Sendeberichts fort, ohne daß dies durch die von dem Prozeßbevollmächtigten wirksam angeordnete Ausgangskontrolle verhindert werden konnte.

12

Da sonstige Gründe der beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht entgegenstehen, der Beklagte auch die versäumte Prozeßhandlung - Berufungsbegründung - rechtzeitig innerhalb der Frist des § 234 ZPO nachgeholt hat (§ 236 Abs. 3 Satz 2 ZPO), führt die sofortige Beschwerde zum Erfolg.

Streitwertbeschluss:

Wert: 18.997,00 DM

Blumenröhr
Krohn
Zysk
Hahne
Gerber