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Bundesgerichtshof
Urt. v. 18.12.1995, Az.: II ZR 193/94

Versicherungsausschluß in ergänzenden Vertragsbedingungen; Chemisch-physikalische Zersetzungsvorgänge; Überhitzung am Schiffsauspuff

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
18.12.1995
Aktenzeichen
II ZR 193/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1995, 15520
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • MDR 1996, 588 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1996, 537 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZV 1996, 141 (Volltext mit amtl. LS)
  • VRS 1996, 20
  • VersR 1996, 500 (Volltext mit amtl. LS)
  • zfs 1996, 146-147 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Werden in ergänzenden Vertragsbedingungen zu Nr. 3.4.2 AVBW 76 "chemisch-physikalische Zersetzungsvorgänge (z. B. Osmose)" vom Versicherungsschutz ausgenommen, so erfaßt dieser Ausschluß nicht den Fall, daß infolge einer plötzlichen Überhitzung ein Gummischlauch am Auspuff des Schiffs durchbrennt oder verschmort.

Tatbestand:

1

Der Kläger, dessen Motoryacht an ihrem Liegeplatz im Yachthafen B. gesunken ist, nimmt die Beklagten aus einer für dieses Schiff abgeschlossenen Yacht-Kaskoversicherung in Anspruch. Dem Versicherungsvertrag lagen die AVB Wassersportfahrzeuge 1976 (AVBW) zugrunde. Zusätzlich war in ihm Bezug genommen auf "Geschriebene Bedingungen" der Versicherungsagentur, die dem Vertrag als Vordruck beigefügt waren und u.a. folgende Ergänzung zu Nr. 3.4.2 AVBW enthielten:

2

Grundsätzlich ausgeschlossen sind Schäden durch chemisch-physikalische Zersetzungsvorgänge (z.B. Osmose).

3

Die Beklagten haben verschiedene Einwendungen gegen ihre Leistungspflicht erhoben. U. a. haben sie geltend gemacht, der Wassereintritt sei durch den Verschleiß einer Gummimuffe verursacht worden und falle damit unter den vorstehend wiedergegebenen Haftungsausschluß.

4

Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Entschädigungsansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6

I. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß das Sinken des Schiffes durch das Durchbrennen eines Gummischlauchs an der Auspuffanlage herbeigeführt worden ist. Es hat die Ansicht vertreten, hierbei handele es sich um eine chemischphysikalische Zersetzung im Sinne der Ergänzung der Nr. 3.4.2 AVBW, so daß der Kläger keine Entschädigung beanspruchen könne.

7

II. Die Feststellungen zur Schadensursache werden von der Revision nicht angegriffen. Zu Recht macht sie jedoch geltend, daß die angefochtene Entscheidung auf einer unzutreffenden Auslegung der vorgenannten Ausschlußklausel beruht.

8

1. Der Senat kann diese Bestimmung selbständig auslegen, denn es handelt sich um eine vorformulierte Klausel, die beim Abschluß einschlägiger Versicherungsverträge der Beklagten wiederholt und ohne Begrenzung auf einen Oberlandesgerichtsbezirk Verwendung findet (st. Rspr.; vgl. BGHZ 105, 24, 27[BGH 23.06.1988 - VII ZR 117/87]; Sen.Urt. v. 8. Februar 1988 - II ZR 210/87, VersR 1988, 463; Prölss/Martin, VVG 25. Aufl., Vorbem. III B 1). Daß ihr keine allgemeine Geltung zukommt, sondern sie aufgrund Vereinbarung im Einzelfall in den Versicherungsvertrag einbezogen wird, ändert hieran entgegen der Ansicht der Beklagten nichts.

9

2. Der Auslegung des Berufungsgerichts kann nicht gefolgt werden.

10

a) Nach ständiger Rechtsprechung sind Allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie sie von einem verständigen und redlichen Versicherungsnehmer unter Abwägung der Interessen der beteiligten Kreise verstanden werden. Dabei sind neben dem Wortlaut auch der Sinnzusammenhang sowie der mit der Klausel erkennbar verfolgte Zweck maßgebend (BGH Urt. v. 23. Januar 1991 - IV ZR 173/90, VersR 1991, 417, 418 m.w.N.).

11

b) Es bedarf daher keines Eingehens auf die Frage, ob ein Durchbrennen oder Verschmoren nach dem Sprachgebrauch der beteiligten Kreise als "chemisch-physikalischer Zersetzungsvorgang" bezeichnet werden kann. Denn entscheidend gegen die Auslegung des Berufungsgerichts spricht jedenfalls ein am Sinnzusammenhang orientiertes Verständnis der Klausel, wie es bei Versicherungsbedingungen geboten ist (BGH Urt. v. 23. Januar 1991 aaO.).

12

Bei der hier auszulegenden Klausel handelt es sich um eine Ergänzung zu den Haftungsausschlüssen nach Nr. 3.4.2 AVBW. Alle dort genannten Fälle betreffen entweder Einwirkungen von außen (Witterung, Ungeziefer usw.) oder allmähliche Vorgänge am Schiff selbst (Abnutzung, Rost, Fäulnis usw.). Der "chemisch-physikalische Zersetzungsvorgang" würde sich in diesen Kontext bruchlos einfügen, wenn man darunter nur Prozesse verstünde, die zu einem allmählichen Dichtigkeitsverlust des Schiffes führen. Die beispielhafte Erwähnung der Osmose in der fraglichen Klausel zeigt, daß ihre Verfasser auch an solche Vorgänge gedacht hatten.

13

c) Es käme auch zu erheblichen Wertungswidersprüchen, wenn der Haftungsausschluß auf Verbrennungen oder Verschmorungen erstreckt würde, die durch eine plötzliche Betriebsstörung (etwa, wie hier, einen Ausfall der Kühlung) hervorgerufen werden.

14

Das Sinken eines Schiffes infolge des Eindringens von Wasser ist grundsätzlich, d.h. soweit kein Ausschluß nach Nr. 3.4. 1 bis 3.4.4 AVBW eingreift, von der Wassersportfahrzeugversicherung gedeckt (vgl. Sen.Urt. v. 2. Juli 1979 - II ZR 88/78, VersR 1979, 932, 933) , also auch dann, wenn der Wassereinbruch auf einem Betriebsvorgang beruht (OLG Hamm, VersR 1978, 58; Prölss/Martin aaO. Nr. 3 AVBW Anm. 6a). Ob der Betriebsvorgang aber die Undichtigkeit auf rein mechanischem Wege herbeigeführt hat, oder ob es dabei auch zur hitzebedingten Zerstörung einer Abdichtung gekommen ist, kann für die Deckungspflicht der Versicherung keine entscheidende Rolle spielen.

15

Würde das Verbrennen als Zersetzungsvorgang im Sinne des hier zu beurteilenden Haftungsauschlußtatbestandes angesehen, so ergäbe sich auch ein Widerspruch zu Nr. 3.3. 1 AVBW, wonach bei Brand sogar ein erhöhter Versicherungsschutz besteht.

16

d) Ein Indiz dafür, daß das Berufungsgericht der Ausschlußklausel eine von den Verwendern selbst nicht gewollte Bedeutung beigelegt hat, ergibt sich schließlich aus dem Umstand, daß die Beklagten in den Tatsacheninstanzen zwar eine Vielzahl von Einwendungen erhoben, den hier zu beurteilenden Haftungsausschluß aber nur in bezug auf eine verschleißbedingt zersetzte Gummimuffe, nicht in bezug auf den durchgebrannten Gummischlauch geltend gemacht haben; dieser Gesichtspunkt ist erst vom Berufungsgericht selbst herangezogen worden.

17

III. Da zu weiteren Einwendungen der Beklagten noch keine Feststellungen getroffen worden sind, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.