Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.11.1993, Az.: IV ZR 87/93
Baurisikoklausel; Versicherungsschutz für Erwerbsstreitigkeiten; Täuschung über Grundstückseigenschaften; Baumangel
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 10.11.1993
- Aktenzeichen
- IV ZR 87/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 14980
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 4 Abs. 1 k ARB
Fundstellen
- BauR 1994, 142-144 (Volltext mit amtl. LS)
- DB 1994, 420 (Kurzinformation)
- IBR 1994, 182 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
- MDR 1994, 893-894 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW-RR 1994, 217-218 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1994, 44-45 (Volltext mit amtl. LS)
- ZfBR 1994, 1 (amtl. Leitsatz)
- ZfBR 1994, 79-80 (Volltext mit amtl. LS)
- zfs 1994, 106 (Kurzinformation)
- zfs 1994, 425 (Kurzinformation)
Amtlicher Leitsatz
Die Baurisikoklausel schließt den Versicherungsschutz für Streitigkeiten aus dem Erwerbsvorgang nicht schon aus, wenn der Verkäufer im Kaufvertrag zugleich die Planung und Errichtung des Gebäudes übernimmt. Maßgebend ist auch hier der qualifizierte Zusammenhang mit Planung und Errichtung. Dieser fehlt im allgemeinen, wenn es sich um eine angebliche Täuschung über Eigenschaften des Grundstücks handelt, die keinen Baumangel zur Folge haben (Ergänzung zu Senat vom 1.2.1989 - IVa ZR 247/87 = VersR 89, 470).
Tatbestand:
Aufgrund eines im September 1983 abgeschlossenen Rechtsschutzversicherungsvertrages verlangt der Kläger von der Beklagten Deckung für eine von ihm beabsichtigte Klage gegen die L. (L.). Dabei will er sich auf folgenden Sachverhalt stützen:
Die L. errichtete nach. Baugenehmigung in L. 20 Einfamilienhäuser (Projekt "W. ", die für junge Familien und Familien mit Kindern bestimmt waren. Bereits vor der Fertigstellung der Wohnanlage warb die L. Interessenten u.a. mit dem Argument, die Häuser befänden sich in verkehrsberuhigten "Wohnstraßen mit Alleencharakter". Tatsächlich war bereits damals geplant, die S. straße, an der die Häuser errichtet wurden, als Hauptzufahrt für circa 150 Busse täglich zu dem Busbahnhof E. zu benutzen. Dementsprechend hatte die Stadtverwaltung bereits in der Baugenehmigung vom 21. Dezember 1985 auf den bevorstehenden starken Omnibusverkehr hingewiesen.
Der Kläger, der aufgrund Kaufvertrages vom 10. Oktober 1988 eines der Einfamilienhäuser erwarb, fühlt sich durch die Verkäuferin getäuscht. Diese habe ihn wider besseres Wissen nicht über den zu erwartenden Busverkehr aufgeklärt. Er will die L. auf Minderung des vereinbarten Kaufpreises von 362.000 DM um 50.000 DM in Anspruch nehmen, und zwar auch aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes.
Die Beklagte verweigert den Deckungsschutz, weil die rechtlichen Interessen, die der Kläger wahrnehmen wolle, gemäß § 4 Abs. 1 Buchst. k der insoweit maßgebenden Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) von dem vereinbarten Versicherungsschutz ausgenommen seien. Diese Klausel ergreife Baumaßnahmen aller Art und die unmittelbar begleitenden Vorgänge wie Grunderwerb und Finanzierung. Außerdem habe die beabsichtigte Klage keine Erfolgsaussicht.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.
Entscheidungsgründe
1. Der Klageantrag, den der Kläger mit der Revision weiterverfolgt, geht darauf, die Beklagte zu verurteilen, für einen näher bezeichneten, vom Kläger beabsichtigten Rechtsstreit "Rechtsschutzdeckung zu gewähren". Der Wortlaut des Antrags läßt offen, welche Leistung (Freistellung oder Zahlung?) und an wen (Kläger oder Rechtsanwalt?) sowie in welcher Höhe die Beklagte erbringen soll. Er genügt daher der von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderten Bestimmtheit des Antrages einer Leistungsklage nicht. Das ist hier aber unschädlich, weil das Klägervorbringen erkennen läßt, daß die Klage in Wahrheit nicht als Leistungs-, sondern als Feststellungsklage (§ 256 Abs. 1 ZPO) gedacht und als solche unbedenklich zulässig ist (vgl. Senatsurteil vom 20.10.1982 - IVa ZR 48/81 - VersR 1983, 125 unter I.; BGHZ 79, 76, 78; Urteil vom 1. 7. 1987 - VIII ZR 194/86 - BGHR § 256 ZPO "Auslegung 1"; Urteil vom 2. 5. 1991 - I ZR 184/89 - BGHR § 256 ZPO "Rechtshandlung 1"). Das gilt entsprechend auch für den Ausspruch des Landgerichts.
2. Das Berufungsgericht hat die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für einen Risikoausschluß gemäß § 4 Abs. 1 Buchst. k ARB lägen hier vor. Dem schließt sich der Senat nicht an.
In § 4 Abs. 1 ARB heißt es:
Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf die Wahrnehmung rechtlicher Interessen,
k) die in unmittelbaren Zusammenhang mit der Planung, Errichtung oder genehmigungspflichtigen baulichen Veränderung eines im Eigentum oder Besitz des Versicherungsnehmers befindlichen oder von diesem zu erwerbenden Grundstücks, Gebäudes oder Gebäudeteiles stehen. ...
Wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhebt, beschränkt sich diese Bestimmung nicht darauf, Streitigkeiten aus dem Versicherungsschutz auszuschließen, die die Planung oder Errichtung von Gebäuden oder Gebäudeteilen oder die bauliche Veränderung von Grundstücken zum Gegenstand haben; vielmehr kommt es darauf an, ob die rechtlichen Interessen, die der Versicherungsnehmer wahrnehmen will, mit einer solchen Planung, Errichtung oder Veränderung unmittelbar zusammenhängen oder nicht. Anders als das Berufungsgericht meint, ist ein derart qualifizierter ("unmittelbarer") Zusammenhang aber nicht schon dann zu bejahen, wenn der "Kaufvertrag" den Verkäufer zusätzlich und rechtlich untrennbar verpflichtet, auf dem Kaufgrundstück ein Gebäude zu errichten.
3. Der Bundesgerichtshof hatte sich bereits wiederholt mit der "Baurisikoklausel" des § 4 Abs. 1 Buchst. k ARB zu befassen. Dazu hat er in dem Senatsurteil vom 16. Oktober 1985 (IVa ZR 49/84 - VersR 1986, 132, 134) ausgesprochen: Unmittelbarer Zusammenhang im Sinne der Bestimmung ist nur dann gegeben, wenn neben einem gewissen zeitlichen Zusammenhang auch ein innerer sachlicher Bezug vorhanden ist. Dabei kommt es nicht auf die Art der Beteiligung der anderen Seite an dem Bau an. Maßgebend ist vielmehr die Rechtsnatur der Ansprüche oder der Rechtsverteidigung, die der Versicherungsnehmer geltend machen will. Bei der Auslegung ist der Zweck der Ausschlußklausel besonders zu beachten. Dieser geht dahin, die erfahrungsgemäß besonders kostenträchtigen, im Kostenrisiko schwer überschaubaren und kaum kalkulierbaren rechtlichen Auseinandersetzungen um Baumaßnahmen aller Art und die sie unmittelbar begleitenden Vorgänge von der Versicherung auszunehmen, weil nur für einen verhältnismäßig kleinen Teil der Versicherten ein solches Risiko entstehen kann. Dabei hat der Senat betont, daß Ausschlußklauseln im Rahmen der Auslegung grundsätzlich nicht weiter ausgedehnt werden dürfen, als es ihr Sinn und Zweck erfordert. In seinem Urteil vom 1. Februar 1989 (IVa ZR 247/87 - VersR 1989, 470 unter 3) hat der Senat zusätzlich daran erinnert, daß bei der Auslegung auch der Baurisikoklausel auf das Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen ist, der zwar den Wortlaut, aber nicht dessen Entstehungsgeschichte kennt.
Auf dieser Grundlage hat der Bundesgerichtshof einen unmittelbaren Zusammenhang im Sinne der Baurisikoklausel zwischen den rechtlichen Interessen, die der Versicherungsnehmer und Käufer eines Baugrundstücks gegen den Verkäufer wahrnehmen will, und der Planung und Errichtung des Gebäudes durch andere Personen verneint, und zwar unabhängig davon, wann der Versicherungsnehmer den konkreten Bau-Entschluß gefaßt hatte. Zwar setzt die Errichtung eines Gebäudes den Erwerb des Baugrundstücks voraus. Das reicht aber nicht aus, um den in § 4 ARB vorausgesetzten qualifizierten Zusammenhang zu bejahen. Dem verständigen Versicherungsnehmer, auf den es hier ankommt, erschließt sich aus dem Wortlaut zwar, daß das besonders kostenträchtige "Baurisiko" nicht versichert ist. Von diesem Baurisiko wird aber nach der Verkehrsauffassung des täglichen Lebens das andersgeartete und seltenere Risiko beim Erwerb eines Baugrundstücks durchaus unterschieden. Daraus hat der Bundesgerichtshof abgeleitet, daß der Erwerb eines Baugrundstücks auch bei schon verfestigter, konkreter Bauabsicht des Erwerbers mit dem Bauvorhaben nicht so eng zusammenhängt, daß Schwierigkeiten aus dem Kauf vom Versicherungsschutz schlechthin ausgeschlossen wären. Dabei hat der Senat zum Ausdruck gebracht, seine Auffassung gelte jedenfalls für die Fälle, in denen der Grundstückskauf nicht in einem rechtlich untrennbaren Zusammenhang mit den vom Verkäufer zu erbringenden Bauleistungen steht (Senatsurteil vom 1. 2. 1989, aaO).
Aber auch wenn der Verkäufer des Grundstücks sich - wie hier - im Kaufvertrag verpflichtet, auf dem Grundstück ein Gebäude zu errichten, gilt nichts grundsätzlich anderes. Auch für Fälle dieser Art kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer dem Wortlaut zwar entnehmen, daß das besonders kostenträchtige "Baurisiko" von der Versicherung nicht gedeckt sein soll. Der Versicherungsnehmer kann bei unbefangener Lektüre aber nicht ohne weiteres annehmen, aus dem Kauf des Baugrundstücks sich ergebende Streitigkeiten seien vom Versicherungsschutz ebenfalls schlechthin ausgenommen. Da die Verkehrsauffassung auch hier das Baurisiko von dem selteneren und weniger kostenträchtigen "Erwerbsrisiko" unterscheidet, und da es nicht einmal stets auf die Art der Beteiligung der anderen Seite am Bau ankommt (Senatsurteile vom 14. 2. 1990 - IV ZR 4/89 - VersR 1990, 485, 486; 16. 10.1985, VersR 1986, 132), schlägt diese Unterscheidung hier ebenso durch, wie wenn der Erwerber Baugrundstück einerseits und Bau- und Planungsleistungen andererseits aus verschiedenen Händen erhielte. § 4 Abs. 1 Buchst. k ARB ist daher nicht dahin zu verstehen, daß der Versicherungsschutz für Streitigkeiten aus dem Erwerbsvorgang schon dann ausgeschlossen wäre, wenn der Verkäufer im Kaufvertrag zugleich die Planung und Errichtung des Gebäudes übernimmt. Maßgebend ist daher auch hier, ob das, wahrzunehmende Interesse aus dem Erwerbsvorgang in dem von der Klausel geforderten qualifizierten Zusammenhang mit Planung und Errichtung und dementsprechend mit dem Baurisiko steht. Das ist im allgemeinen nicht der Fall, wenn es sich um eine angebliche Täuschung über Eigenschaften des Grundstücks handelt, die zwar die Wertschätzung auch des Gebäudes beeinflussen mögen, aber keinen Baumangel zur Folge haben. Der Vorwurf eines arglistigen Verschweigens, den der Kläger gegen die L. hier erhebt, steht zudem außerhalb des mit der Klausel verfolgten Zweckes; er betrifft insbesondere keinen Vorgang, der Baumaßnahmen unmittelbar begleitet hätte.
4. Die Annahme des Berufungsgerichts, die geltend gemachten Beeinträchtigungen durch starken Verkehr ständen im Zusammenhang mit der Planung der gesamten Anlage, findet in den festgestellten Tatsachen keine Grundlage. Der Kläger will der L. keine fehlerhafte Planung zum Vorwurf machen; er stützt sich vielmehr darauf, daß die L. ihn über eine Änderung der Verhältnisse nach Abschluß der Planung wider besseres Wissen nicht unterrichtet habe.
5. Das Berufungsurteil kann auch nicht aus anderen Gründen aufrecht erhalten werden. Insbesondere scheitert die Klage nicht daran, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Das Berufungsgericht hat hinreichende Erfolgsaussicht vielmehr ausdrücklich bejaht. Das nimmt die Revisionserwiderung hin.