Bundesgerichtshof
Urt. v. 09.07.1993, Az.: V ZB 20/93
Rechtsanwalt; Zulassung; Berufung
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 09.07.1993
- Aktenzeichen
- V ZB 20/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1993, 14953
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- AnwBl 1994, 89-90 (Volltext mit amtl. LS)
- FamRZ 1994, 569 (amtl. Leitsatz)
- MDR 1993, 1008 (Volltext mit amtl. LS)
- NJ 1993, 480 (amtl. Leitsatz)
- NJW 1993, 2538-2539 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1993, 1862-1864 (Volltext mit amtl. LS)
- ZIP 1993, A106-A107 (Kurzinformation)
- ZIP 1993, 1497-1499 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Ein zur Vertretung vor dem BezG berechtigter, bei dem OLG eines neuen Bundeslandes aber nicht zugelassener Rechtsanwalt kann dort auch in einer Angelegenheit, in der er bis zum 31.12.1994 einen Auftrag erhalten hat (§ 26 III RpflAnpG), nicht Berufung einlegen.
Gründe
I. Die Beklagte wurde vom Kreisgericht Zwickau - Stadt am 15. Dezember 1992 zur Zahlung von 464. 538, 60 DM sowie zur Herausgabe einer Reihe gewerblich genutzter Räume verurteilt. Das Urteil wurde ihr am 23. Dezember 1992 zugestellt. Mit Schriftsätzen ihres beim Oberlandesgericht Dresden nicht zugelassenen Rechtsanwalts legte sie am 21. Januar 1993 dort und beim Landgericht Zwickau Berufung ein. Auf einen Hinweis des Vorsitzenden des Berufungssenats vom 18. Februar 1993 erhob sie am nächsten Tag beim Oberlandesgericht durch einen bei diesem zugelassenen Rechtsanwalt erneut Berufung und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist. Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung versagt und die Berufung verworfen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.
II. Die nach §§ 238 Abs. 2, 519 b Abs. 2, 547 ZPO statthafte Beschwerde ist nach Zustellung des angefochtenen Beschlusses am 19. März 1993 rechtzeitig, nämlich am 1. April 1993, beim Oberlandesgericht eingelegt worden (§§ 577 Abs. 2 Satz 1, 569 ZPO). Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist verspätet (§ 516 ZPO).
a) Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß mit der Errichtung der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgesehenen Gerichte in Sachsen am 1. Januar 1993 (Art. 6, 10 des Gesetzes über die Organisation der Gerichte im Freistaat Sachsen, Sächsisches Gerichtsorganisationsgesetz, SächsGerOrgG vom 30. Juni 1992, Gesetz- und Verordnungsbl. S. 287) der Rechtsstreit der Parteien auf das Landgericht Zwickau übergegangen ist. Die im Einigungsvertrag enthaltenen Maßgaben zum Gerichtsverfassungsgesetzüber das einstweilige Fortbestehen der Kreis- und Bezirksgerichte (Anl. I Kap. III, Sachgeb. A Abschnitt III Nr. 1) waren, soweit sie hier von Interesse sind, mit diesem Tag nicht mehr anzuwenden (§§ 14, 17 Nr. 1 a) des Gesetzes zur Anpassung der Rechtspflege im Beitrittsgebiet, Rechtspflege-Anpassungsgesetz, RpflAnpG vom 26. Juni 1992, BGBl I, 1147). Die beim Kreisgericht anhängigen Sachen gingen, soweit sie nach § 23 GVG in der damals geltenden Fassung des Rechtspflege-Vereinfachungsgesetzes in Verbindung mit § 71 GVG in die Zuständigkeit des Landgerichts fielen, nach Art. 8 § 5 SächsGerOrgG auf dieses über. Hierzu zählte der Rechtsstreit der Parteien, der die damalige Wertgrenze für die Zuständigkeit des Amtsgerichts von 6. 000 DM überschritt. Die Berufung gegen das zum Nachteil der Beklagten ergangene Urteil war mithin nach §§ 518 ZPO, 119 Abs. 1 Nr. 3 GVG beim Oberlandesgericht einzulegen.
b) Vor dem Oberlandesgericht konnte für die Beklagte gemäß § 78 ZPO nur ein dort zugelassener Rechtsanwalt auftreten. Die Einschränkungen des Anwaltszwanges und des Erfordernisses der Postulationsfähigkeit nach der Maßgabe Nr. 5 b - zur Zivilprozeßordnung - des Einigungsvertrags (Anhang I, Abschn. III aaO) waren mit der Umstellung der Gerichtsorganisation in Sachsen nicht mehr anzuwenden (§§ 14, 17 Nr. 1 d RpflAnpG). Allerdings sieht das Rechtspflege-Anpassungsgesetz selbst wiederum Sonderregelungen gegenüber der allgemeinen Vorschrift des § 78 ZPO vor. Keine von ihnen ist aber auf die Einlegung der Berufung vor dem Oberlandesgericht, um die es hier geht, anwendbar.
Nach §§ 14, 22 RpflAnpG kann sich eine Partei (oder ein am Verfahren beteiligter Dritter) im Anwaltsprozeß vor dem Amtsgericht als Familiengericht oder vor dem Landgericht bis zum 31. Dezember 1994 grundsätzlich von jedem bei einem Amts- oder Landgericht in den neuen Bundesländern zugelassenen oder bei einem Bezirksgericht registrierten Rechtsanwalt vertreten lassen. Die Vorschrift findet Anwendung, wenn die Umstellung der Gerichtsorganisation, wie hier, vor dem 31. Dezember 1994 erfolgt ist; sie ist aber für die Berufung vor dem Oberlandesgericht nicht einschlägig.
Die Übergangsvorschrift für den Anwaltsprozeß des § 26 RpflAnpG sieht in Absatz 1 vor, daß in Verfahren, die im Zeitpunkt der Einrichtung des Amtsgerichts, Landgerichts oder Oberlandesgerichts anhängig waren, für die anwaltliche Vertretung die bisher maßgeblichen Vorschriften bis zur Beendigung des Rechtszuges weitergelten. Das bedeutet, daß bei einer vom Kreisgericht auf das Landgericht oder das Amtsgericht als Familiengericht übergegangenen Sache weiterhin kein Anwaltszwang besteht (vgl. Rieß, DtZ 1992, 226, 231); ging die Sache vom Bezirksgericht auf das Oberlandesgericht über, blieb der bis dahin zur Vertretung vor den Bezirksgerichten berechtigte Rechtsanwalt bis zur Beendigung des Rechtszuges auch vor dem Oberlandesgericht postulationsfähig (BGH, Beschl. v. 10. März 1993, IV ZB 18/92IV ZB 18/92, ZAP-DDR EN Nr. 282/93). Nach dem eindeutigen Wortlaut und dem Sinn der Bestimmung (vgl. Amtl. Begründung, BT-Drucks. 12/2168, S. 36) ist die Übergangsregelung auf den Rechtszug beschränkt, in dem das Verfahren bei der Errichtung der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgesehenen Gerichte anhängig war. Ein Zwang zur erstmaligen Bestellung eines Anwalts während des Rechtszugs oder zum Anwaltswechsel vor Abschluß der Instanz sollte durch sie vermieden werden. Zur Frage, durch wen sich eine Partei bei der Einlegung eines Rechtsmittels vertreten lassen muß, enthält § 26 Abs. 1 RpflAnpG dagegen keine Bestimmung.
Nach § 26 Abs. 2 RpflAnpG soll der Rechtsanwalt, der bei Errichtung des Amtsgerichts oder Landgerichts bereits ein Mandat hatte, in dem nach diesem Zeitpunkt anhängig gewordenen Rechtsstreit bis zur Beendigung der ersten Instanz zur Vertretung befugt sein; die Vorschrift gilt nach § 26 Abs. 3 entsprechend in einer Angelegenheit, in der bis zum 31. Dezember 1994 ein Rechtsanwalt beauftragt war. Die Beklagte meint, § 26 Abs. 3 enthalte eine besondere, auf das Berufungsverfahren zugeschnittene Übergangsvorschrift. Der Anwalt, der vor dem Stichtag beauftragt war, Berufung einzulegen, sei danach bis zur Beendigung der zweiten Instanz vertretungsberechtigt. Dies ist verfehlt. § 26 Abs. 3 RpflAnpG knüpft nicht an einen Rechtsmittelauftrag, sondern an das anwaltliche Mandat schlechthin an. Die von der Beklagten - entgegen dem Wortlaut - für richtig gehaltene Einschränkung der Bestimmung kann auch nicht aus dem Gesamtzusammenhang der Übergangsvorschrift hergeleitet werden. § 26 RpflAnpG läßt die Frage der Fortgeltung des bisherigen Vertretungsrechts vor dem Berufungsgericht nicht ungeregelt. Die Übergangsvorschrift des Absatz 1, die an die Anhängigkeit des Verfahrens zum Zeitpunkt der Umstellung der Gerichtsorganisation anknüpft, gilt ohne Unterschied für den ersten Rechtszug wie für das Berufungsverfahren. Aber auch der engere Zusammenhang der Absätze 2 und 3, die beide auf das Bestehen des anwaltlichen Mandats zum jeweils maßgeblichen Zeitpunkt abstellen, stützt die Auffassung der Beklagten nicht. Im Gegenteil würde die in § 26 Abs. 2 RpflAnpG angeordnete Beschränkung des Fortbestehens der Postulationsfähigkeit auf den ersten Rechtszug unterlaufen, wenn bereits der Umstand, daß das Mandat vor dem 31. Dezember 1994 erteilt wurde, den beim Berufungsgericht nicht zugelassenen Anwalt zur Einlegung des Rechtsmittels und zur Vertretung im Berufungsverfahren berechtigte. Die von der Beklagten vertretene Auffassung würde die Übergangsvorschrift in sich unstimmig machen.
Die am 21. Januar 1993 beim Oberlandesgericht eingegangene Berufung konnte mithin wegen fehlender Postulationsfähigkeit des anwaltlichen Vertreters die Berufungsfrist nicht wahren. Bei Eingang des weiteren Rechtsmittels am 19. Februar 1993 war die Frist schon verstrichen.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann der Beklagten nicht gewährt werden, da sie nicht ohne ihr Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten (§ 233 ZPO); hierbei ist ihr das Verschulden ihres Anwalts nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.
Ein Rechtsanwalt ist verpflichtet, seine eigene Postulationsfähigkeit zu prüfen. Bei dieser Prüfung hat er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt zu beachten (BGH, Beschl. v. 2. Dezember 1992, XII ZB 124/92, BGHR ZPO § 233 - Verschulden 16). Sie ist bei Einlegung der Berufung am 21. Januar 1993 nicht gewahrt worden.
a) Zu Unrecht macht die Beklagte geltend, ein gerichtliches Verschulden habe zur Versäumung der Frist beigetragen; die Frage, unter welcher Voraussetzung in einem solchen Falle Wiedereinsetzung zu gewähren ist (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 22. Oktober 1986, VIII ZB 40/86, BGHR § 233 ZPO - Verschulden 1; Urt. v. 5. April 1989, VII ZR 215/89, aaO, Verschulden 5), tritt mithin nicht auf.
Sollte der Präsident des Landgerichts Zwickau (und der Vertreter des Präsidenten eines anderen Landgerichts), wie die Beklagte vorträgt, auf Anfrage erklärt haben, die Berufung sei beim Landgericht Zwickau einzulegen, ist die Auskunft für die Fristversäumnis nicht ursächlich geworden. Die Berufung wurde von der Beklagten - auch - beim Oberlandesgericht eingelegt. Im übrigen steht nicht fest, daß der anfragende Anwalt die Tatsachen mitgeteilt hat, die für eine erschöpfende Auskunft erforderlich waren. Hierzu wäre der Hinweis notwendig gewesen, daß der bisher vor dem Kreisgericht geführte Rechtsstreit in die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts fiel. Anderenfalls war Berufung beim Landgericht einzulegen. Daß der Anwalt die erforderliche Mitteilung bei der Nachfrage gemacht hat, wird in der Beschwerde nicht vorgetragen.
Von der früher aufgestellten Behauptung, ein "Mitarbeiter des Oberlandesgerichts" habe keine Schwierigkeiten darin gesehen, daß der beim Bezirksgericht registrierte Anwalt die Berufung beim Oberlandesgericht einlege, ist die Beklagte abgerückt. Die Frage sei nicht im Zusammenhang mit der Einlegung der Berufung und nicht von dem damaligen Vertreter der Beklagten, sondern von einem anderen Rechtsanwalt in einer anderen Sache angeschnitten worden.
b) Die irrige Auffassung, die sich der Anwalt vom Inhalt der Überleitungsvorschrift des § 26 RpflAnpG gebildet hat, entlastet die Beklagte nicht. Ein Rechtsanwalt muß die Gesetze, insbesondere die Bundesgesetze, kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen (BGH, Beschl. v. 30. Juni 1971, IV ZB 41/71, NJW 1971, 1704). Hierzu gehört, jedenfalls für einen Anwalt in den neuen Bundesländern, das Rechtspflege-Anpassungsgesetz. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Prozeßbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn die Partei, die dem Anwalt die Prozeßführung überträgt, vertraut zu Recht darauf, daß er dieser als Fachmann gewachsen ist (vgl. MünchKomm/ZPO-Feiber, § 233 Rdn. 56). Die in sich unstimmige Auslegung des § 26 RpflAnpG durch den Vertreter der Beklagten genügt dieser Anforderung nicht. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, daß die Auffassung ihres Prozeßbevollmächtigten in der Rechtsprechung oder in der Literatur Vertreter gefunden habe (vgl. dazu BGH, Beschl. v. 18. Oktober 1984, III ZB 22/84, NJW 1985, 495). Hierfür vermag sie nichts anzuführen; auch sonst ist nicht ersichtlich, daß die Auffassung ihres Bevollmächtigten noch anderweit vertreten worden wäre. Entgegen dem früheren Vorbringen der Beklagten war insbesondere unter den Richtern des Oberlandesgerichts nicht die Auffassung vertreten worden, ein beim Oberlandesgericht nicht zugelassener Rechtsanwalt könne dort erstmals im Berufungsrechtszug auftreten. Dies ergibt sich aus der der Beklagten zugegangenen Stellungnahme des Vertreters des Präsidenten des Oberlandesgerichts Dresden vom 5. April 1993. Danach ist auch die Behauptung der Beklagten unzutreffend, die meisten Anwälte hätten in der Meinung, nach der Übergangsvorschrift ohne weiteres beim Oberlandesgericht auftreten zu können, davon abgesehen, dort einen Zulassungsantrag zu stellen. Vielmehr haben nahezu alle Anwälte, welche die Voraussetzungen hierzu erfüllten, bis zum 31. Dezember 1992 einen Antrag auf Zulassung beim Oberlandesgericht gestellt.
Aber auch wenn die Rechtslage, wie nicht, zweifelhaft gewesen wäre, hätte der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg gehen und der Beklagten raten müssen, das Rechtsmittel durch einen beim Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt einlegen zu 1assen (vgl. BGH, Urt. v. 25. Juni 1974, VI ZR 18/73, NJW 1974, 1865). Eine Liste der beim Oberlandesgericht zugelassenen Anwälte hätte beim Sächsischen Staatsministerium der Justiz, bei der Rechtsanwaltskammer Sachsen und beim Oberlandesgericht eingesehen werden können.
Die nach dem Beitritt am 3. Oktober 1990 allgemein aufgetretenen Übergangsschwierigkeiten vermögen eine abweichende Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Der Übergang von dem bisherigen Gerichtsaufbau in der DDR zu den im Gerichtsverfassungsgesetz bestimmten Gerichten war bereits im Einigungsvertrag vorgesehen (Anl. I, Kap. III, Sachgeb. A, Abschn. III Nr. 1 a Abs. 2). Das Rechtspflege-Anpassungsgesetz und das Sächsische Gerichtsorganisationsgesetz waren schon am 30. Juni bzw. 1. Juli 1992 veröffentlicht worden. Den Beteiligten standen mithin sechs Monate zur Verfügung, sich auf die künftige Rechtslage einzurichten. Darüber hinaus hatte die Rechtsanwaltskammer Sachsen in ihrem Rundschreiben vom 1. September 1992 auf das Inkrafttreten der neuen Vorschriften hingewiesen.