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Bundesgerichtshof
Urt. v. 30.10.1990, Az.: VI ZR 340/89

Verkehrsrecht; Geschwindigkeit; Straßenbahn; Notbremsung

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
30.10.1990
Aktenzeichen
VI ZR 340/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 14423
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Fundstellen

  • DAR 1991, 57-58 (Volltext mit amtl. LS)
  • LM H. 25 / 1991 § 3 StVO 1970 Nr. 6
  • MDR 1991, 426-427 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW-RR 1991, 347-348 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZV 1991, 114-115 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1991, 320-322 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Zur Verpflichtung des Straßenbahnführers, eine Notbremsung einzuleiten, wenn er auf einem die Straßenbahngleise kreuzenden Fußgängerüberweg einen Fußgänger wahrnimmt, der wegen inzwischen auf "Rot“ umgesprungener Fußgängerampel im Gleisbereich verharrt und in einen Engpaß zwischen der Straßenbahn und dem Kfz-Verkehr auf der neben den Gleisen liegenden Fahrbahn zu geraten droht.

Tatbestand:

1

Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, der sich am 16. August 1983 gegen 18.15 Uhr an der Kreuzung K.-Straße/O. in D. ereignet hat. Der damals 47jährige Kläger wollte die K.-Straße auf dem südlich der Kreuzung gelegenen Fußgängerüberweg von Ost nach West überqueren. Die beiden in nördlicher (stadteinwärts) bzw. südlicher (stadtauswärts) Richtung verlaufenden mehrspurigen Fahrbahnen dieser Straße wurden damals in der Straßenmitte durch einen gesonderten Bahnkörper der Straßenbahn mit zwei Gleispaaren getrennt. Bei Erreichen der westlichen Fahrbahn nach Überqueren der Gleise brach der Kläger die Straßenüberquerung ab und blieb am Rand des Bahnkörpers stehen. Dort wurde er von einem für ihn von rechts kommenden, stadtauswärts fahrenden Straßenbahnzug der Erstbeklagten, den der Zweitbeklagte führte, erfaßt und auf die Fahrbahn geschleudert. Dabei erlitt er schwere Verletzungen, insbesondere Abrisse im Bereich der versorgenden Gefäße des Dünn- und Dickdarms; der Dünndarm mußte um 1,5 m verkürzt werden.

2

Die Erstbeklagte, die vorprozessual von einem Verursachungsanteil der Beklagten von einem Drittel ausgegangen ist, hat auf den auf 1.030 DM bezifferten Sachschaden des Klägers 350 DM entrichtet, ferner hat sie ein Schmerzensgeld in Höhe von 5000 DM gezahlt. Mit der Klage hat der Kläger eine Zahlung der verbleibenden 680 DM des Sachschadens sowie - vorbehaltlich eines Anspruchsübergangs auf einen Sozialversicherungsträger - die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz seines weiteren materiellen Schadens und außerdem die Zahlung eines weiteren angemessenen Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Verpflichtung des Zweitbeklagten zum Ersatz des weiteren immateriellen Schadens begehrt. Er hat geltend gemacht, er habe die westliche Fahrbahn der K.-Straße nicht mehr überqueren können, weil inzwischen die Fußgängerampel auf "Rot" umgesprungen sei und sich der für ihn von rechts kommende Kraftfahrzeugverkehr stadtauswärts in Bewegung gesetzt habe. Er habe deshalb auf dem 75 cm breiten Streifen zwischen Fahrbahnrand und äußerer Straßenbahnschiene verharrt. Der Zweitbeklagte habe ihn auf eine Entfernung von 100-200 m sehen und erkennen können, daß er wegen des einsetzenden Autoverkehrs den Überquerungsvorgang nicht habe beenden können. Statt sofort eine Bremsung einzuleiten um zu verhindern, daß er - der Kläger - zwischen die sich stadtauswärts bewegenden Verkehrsströme gerate, habe sich der Zweitbeklagte mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h der Kreuzung genähert und erst gebremst, nachdem er von der Straßenbahn erfaßt worden sei.

3

Die Beklagten haben vorgetragen, der Kläger sei für den Zweitbeklagten erst aus einer Entfernung von 10-15 m auf dem Bordstein des Bahnkörpers sichtbar geworden. Er sei zunächst auf die westliche Fahrbahn getreten, dann aber vor den herannahenden Kraftfahrzeugen auf den Bordstein des Bahnkörpers zurückgewichen. Dort sei er vollends unsicher geworden, habe einen Schritt nach vorn auf den Schotter des Bahnkörpers gemacht und sei dabei von dem Straßenbahnzug erfaßt worden. Der Zweitbeklagte habe noch durch ein Warnzeichen und eine Bremsung reagiert; es sei ihm aber wegen des langen Bremsweges des Straßenbahnzuges nicht mehr möglich gewesen, den Unfall zu vermeiden. Jedenfalls treffe den Kläger ein Mitverschulden, weil er sich im Zeitpunkt des Unfalls außerhalb des Fußgängerüberwegs auf dem Bahnkörper befunden und es versäumt habe, die westliche Fahrbahn zügig zu überqueren, als die Fußgängerampel auf "Rot" umgesprungen sei.

4

Das Landgericht hat dem Anspruch auf Ersatz des restlichen Sachschadens stattgegeben und dem Kläger - unter teilweiser Abweisung des geltend gemachten Zinsanspruchs - ein weiteres Schmerzensgeld von 13.000 DM zuerkannt; ferner hat es den Feststellungsanträgen entsprochen. Das Oberlandesgericht hat den Anspruch auf Ersatz des restlichen Sachschadens gegenüber der Erstbeklagten bestätigt und im übrigen die im Berufungsrechtszug um weitere Schmerzensgeldansprüche erweiterte Klage abgewiesen.

5

Mit der Revision verfolgt der Kläger seine abgewiesenen Klageansprüche weiter. Die Erstbeklagte hat Anschlußrevision eingelegt, mit der sie die vollständige Klageabweisung erstrebt.

Entscheidungsgründe

6

I.

Das Berufungsgericht kann ein unfallursächliches Verschulden des Zweitbeklagten nicht feststellen. Das gelte zunächst für den Vorwurf, der Zweitbeklagte habe es schuldhaft unterlassen, den Straßenbahnzug bei Wahrnehmung des Klägers voll abzubremsen. Insoweit sei von der Einlassung des Zweitbeklagten vor dem Senat auszugehen. Danach habe der Zweitbeklagte kurz vor Erreichen der Kreuzung den Kläger unmittelbar hinter der südlichen Fußgängerfurt gesehen; er habe die Bahn abgebremst und ein Warnsignal gegeben, die Bremsung aber beendet, als ihn der Kläger angesehen habe, weil er angenommen habe, daß er den Kläger ohne Gefährdung passieren könne. Es könne - so führt das Berufungsgericht aus - auf sich beruhen, ob diese Fahrweise verkehrsgerecht gewesen sei, denn jedenfalls scheiterten deliktische Ansprüche daran, daß es dem Zweitbeklagten, der sich der Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h genähert habe, ohnehin nicht mehr möglich gewesen sei, auf der bis zum Standplatz des Klägers verbleibenden Strecke von etwa 25 m das Fahrzeug anzuhalten. Dem Zweitbeklagten könne auch nicht vorgeworfen werden, daß er zu schnell an die Kreuzung herangefahren sei und den Kläger zu spät gesehen habe; es lasse sich nämlich nicht feststellen, wie sich der Kläger bei der Überquerung der K. -Straße verhalten und wo er sich befunden habe, bevor ihn der Zweitbeklagte wahrgenommen habe. Damit entfielen die gegen den Zweitbeklagten gerichteten, auf deliktische Anspruchsgrundlagen (§§ 823, 847 BGB) gestützten Klageansprüche. Lasse sich aber ein Verkehrsverstoß des Zweitbeklagten nicht feststellen, dann scheide nach § 831 BGB auch eine deliktische Haftung der Erstbeklagten aus. Der gegen sie gerichtete Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz des materiellen Zukunftsschadens bleibe gleichfalls erfolglos, weil der Kläger die Möglichkeit der Entstehung eines solchen Schadens nicht dargetan habe. Lediglich der Anspruch auf Ersatz des bezifferten Sachschadens sei gegenüber der Erstbeklagten gemäß §§ 1, 6 HPflG begründet. Dieser Anspruch sei auch nicht durch ein Mitverschulden des Klägers gemindert. Zwar hätte der Kläger an sich beim Wechsel des Ampellichts von "Grün" auf "Rot" nach § 37 Abs. 2 Nr. 5 StVO die Straßenüberquerung zügig fortsetzen müssen; es lasse sich jedoch nicht ausschließen, daß er daran durch einbiegende Fahrzeuge aus der Straße "O." gehindert worden sei.

7

II.

Diese Erwägungen halten den Angriffen von Revision und Anschlußrevision nicht stand.

8

1. Zur Revision

9

Das Berufungsgericht geht davon aus, daß der Zweitbeklagte, der sich der Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h näherte, nur etwa 25 m von dem Kläger entfernt war, als er ihn auf seinem gefahrenträchtigen Standplatz wahrnahm. Hiergegen richtet sich die auf § 286 ZPO gestützte Verfahrensrüge der Revision. Diese Rüge greift durch.

10

Die Revision macht mit Recht geltend, daß der Zweitbeklagte in dem Zeitraum, der ihm für das Durchfahren einer Strecke von 25 m mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h zur Verfügung gestanden hat, unter Berücksichtigung einer Reaktionszeit von einer Sekunde nicht die Aktivitäten (Abbremsung des Straßenbahnzuges, Abgabe eines Warnsignals, Aufnahme des Blickkontakts mit dem Kläger, Beendigung des Bremsvorgangs) entfaltet haben kann, von denen das Berufungsgericht - der Unfalldarstellung des Zweitbeklagten folgend - ausgeht. Es kann auf sich beruhen, ob die Erwägung der Revision zutrifft, daß die behaupteten Abläufe einen Zeitaufwand erforderten, in dem ein mit 50 km/h fahrender Straßenbahnzug eine Strecke von über 70 m zurücklegt. Denn jedenfalls beträgt diese Strecke deutlich mehr als 25 m. Zwischen dem zugrunde gelegten Geschehensablauf und dem zeitlichen Rahmen, in dem sich dieser Geschehensablauf nach den Ausgangspunkten des Berufungsgerichts (Durchfahren einer Strecke von 25 m bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h) abgespielt haben soll, besteht eine unüberbrückbare Diskrepanz. Damit beruht die Feststellung des Berufungsgerichts, dem Zweitbeklagten habe ein Anhalteweg von nur 25 m zur Verfügung gestanden, auf einem Denkfehler. Das Berufungsgericht hätte - den Beweisantritten des Klägers folgend (GA 214/216) - auf der Grundlage der für glaubwürdig erachteten Unfalldarstellung des Zweitbeklagten ein Sachverständigengutachten zu der Frage einholen müssen, wie weit der Zweitbeklagte bei der Wahrnehmung des Klägers von dessen Standplatz entfernt war und ob er den Straßenbahnzug noch rechtzeitig zum Stehen gebracht hätte, wenn er sofort eine Notbremsung eingeleitet hätte.

11

Zur Einleitung einer solchen Notbremsung war der Zweitbeklagte verpflichtet. Er hatte, da er eine öffentliche Straße kreuzte, seine Fahrweise nach den Vorschriften der StVO auszurichten (vgl. Senatsurteil vom 5. November 1974 - VI ZR 91/73 - VersR 1975, 258, 259; vgl. ferner Senatsurteile vom 21. März 1961 - VI ZR 180/60 - VersR 1961, 475, 476, vom 27. Juni 1975 - VI ZR 42/74 - VersR 1975, 1007, 1008 und vom 25. Mai 1976 - VI ZR 101/75 - VersR 1976, 960, 961). Damit war er nach § 3 Abs. 1 StVO verpflichtet, seine Fahrgeschwindigkeit den Verkehrsverhältnissen anzupassen. Diesen Anforderungen hat er schon nach seiner eigenen Darstellung des Unfallhergangs nicht genügt:

12

Nach seiner eigenen Einlassung, von der das Berufungsgericht ausgeht, hat der Zweitbeklagte den Kläger unmittelbar hinter dem südlichen Fußgängerüberweg im Schotterbereich des Bahnkörpers stehen gesehen. Der Zweitbeklagte wußte oder mußte jedenfalls erkennen, daß mit seinem Einfahren in die Kreuzung gleichzeitig oder wenigstens nicht wesentlich später der Kraftfahrzeugverkehr richtungsgleich einsetzt. Ihm mußte daher bei der gebotenen Aufmerksamkeit bewußt sein, daß der Kläger bei der Weiterfahrt des Straßenbahnzuges in eine gefährliche Lage geraten konnte, wenn er durch den einsetzenden Kraftfahrzeugverkehr an einer Überquerung der Fahrbahn gehindert wurde. Entweder konnte der Kläger -. wie es dann auch geschehen ist - auf dem nur etwa 0,75 m breiten Streifen des Bahnkörpers zwischen der äußeren Straßenbahnschiene und der westlichen Fahrbahn, der noch um den über das Gleis hinausragenden Teil der Straßenbahnwagen verengt wurde, verharren. Für diesen Fall blieb für den Zweitbeklagten unklar, ob der Kläger imstande sein wurde, die unmittelbare Nähe des mit etwa 50 km/h vorüberfahrenden Straßenbahnzuges mit seiner Sogwirkung ohne Schwindelerscheinungen und Schreck- oder Panikreaktionen durchzustehen. Oder der Kläger konnte sich durch eine Bewegung zur Fahrbahn hin der gefährlichen Nähe des vorbeifahrenden Straßenbahnzuges entziehen. Gegen ein solches Verhalten sprach aber, daß er sich damit der Gefahr einer Kollision mit den herannahenden Kraftfahrzeugen ausgesetzt hätte. In dieser unklaren, für den Kläger in jedem Fall in hohem Maße gefahrenträchtigen Situation war der Zweitbeklagte nach § 3 Abs. 1 StVO verpflichtet, sofort bei Wahrnehmung des Klägers eine Notbremsung vorzunehmen. Der Zweitbeklagte handelte deshalb pflichtwidrig, als er seinen Straßenbahnzug nur kurz abbremste, um dann seine Fahrt ungebremst in Richtung auf den Kläger, der erkennbar in einen Engpaß zwischen dem Straßenbahnzug und dem Verkehrsstrom auf der westlichen Fahrbahn zu geraten drohte, fortzusetzen. Es handelt fahrlässig, wer zu schnell in eine unklare Verkehrslage hineinfährt; für einen Kraftfahrer - und für einen Straßenbahnfahrer gilt hier nichts anderes -, der sich einer solchen Verkehrslage gegenübersieht, kann es nur eine Verhaltensmaßnahme geben, nämlich seine Geschwindigkeit sofort so weit herabzusetzen, daß er notfalls noch vor der Gefahrenstelle anhalten kann (BGH, Urteile vom 10. Juni 1966 - 4 StR 169/66 - VRS 31, 106 und vom 19. Mai 1967 - 4 StR 36/67 - VRS 33, 120, 122; vgl. ferner Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 30. Aufl., § 3 StVO Rdn. 29; Möhl/Rüth, StVO, 1973, § 3 Rdn. 35; Rüth/Berr/Berz, Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 3 StVO Rdn. 17).

13

An der Pflicht des Zweitbeklagten, sofort bei Wahrnehmung des Klägers in seiner gefahrenträchtigen Lage eine Notbremsung durchzuführen, ändert auch der Vertrauensgrundsatz nichts. Danach kann der Straßenbahnfahrer in der Regel darauf vertrauen, daß ein Verkehrsteilnehmer, den er vor sich auf den Gleisen in einem Abstand sieht, der dem Bremsweg der Bahn nahekommt, diese rechtzeitig vor der herannahenden Straßenbahn verläßt, so daß er seinetwegen noch nicht sogleich die Fahrgeschwindigkeit zu verringern oder anzuhalten braucht (vgl. Senatsurteil vom 5. November 1974 - VI ZR 91/73 - aaO Seite 259). Dieser Grundsatz kommt hier nicht zum Tragen, weil er voraussetzt, daß der Betroffene in der Lage ist, die Gleise ohne weiteres zu verlassen. Für ein Vertrauen darauf ist kein Raum, wenn sich der Betroffene - wie hier - in einer Zwangslage befindet, in der ihm die Flucht von den Gleisen nur um den Preis anderer und nicht geringerer Gefahren verbleibt.

14

Sollte dem Kläger der Beweis seiner Behauptung, der Zweitbeklagte habe den Straßenbahnzug durch eine Notbremsung noch rechtzeitig anhalten können, mißlingen, bleibt es ihm unbenommen vorzutragen, daß bei einer sofortigen Notbremsung jedenfalls die Geschwindigkeit des Straßenbahnzuges so gering gewesen wäre, daß seine Verletzungen weniger schwerwiegend gewesen wären.

15

b) Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Haftung der Erstbeklagten aus § 831 Abs. 1 BGB verneint hat, können gleichfalls keinen Bestand haben.

16

Das Berufungsgericht stellt - im Ansatz zutreffend - darauf ab, ob der Zweitbeklagte rechtswidrig gehandelt hat. im Gegensatz zu seiner Auffassung scheitert der Anspruch aus § 831 Abs. 1 BGB jedoch nicht dann, wenn ein rechtswidriger Verkehrsverstoß des Zweitbeklagten nicht bewiesen ist. Vielmehr ist es im Gegenteil Sache der Erstbeklagten zu beweisen, daß der Zweitbeklagte sich verkehrsrichtig verhalten hat; Zweifel gehen zu Lasten der Erstbeklagten (BGHZ 24, 21, 29) [BGH 04.03.1957 - GSZ - 1/56]. Diesen Beweis hat die Erstbeklagte nicht geführt, vielmehr kommt - wie oben ausgeführt - in Betracht, daß der Zweitbeklagte seine Sorgfaltspflicht als Straßenbahnfahrer verletzt haben kann, wenn er es in aussichtsreicher Position unterlassen hat, sofort bei Wahrnehmung des Klägers eine Notbremsung einzuleiten. Im übrigen teilt der Senat nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, die Annahme eines Verschuldens des Zweitbeklagten vor der Wahrnehmung des Klägers scheide aus, weil es "denkbar" sei, daß die Sicht für den Zweitbeklagten zunächst durch den Querverkehr auf der Kreuzung verdeckt gewesen sei. In diesem Fall verlangte es das Gebot des Fahrens auf Sicht (§ 3 Abs. 1 Satz 3 StVO), daß er seine Geschwindigkeit der dadurch geschaffenen unklaren Verkehrslage anpaßte.

17

Dies bedeutet, daß dem Anspruch aus § 831 Abs. 1 BGB nur der Entlastungsbeweis aus § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB entgegenstehen kann, den die Erstbeklagte angetreten hat.

18

Hierzu bedarf es noch tatrichterlicher Sachverhaltsaufklärung. Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen, die es dem Senat erlauben, die unter den Parteien streitige Frage der Auswahl und Überwachung des Zweitbeklagten zu entscheiden.

19

c) Die Verneinung des Interesses des Klägers an der Feststellung der Verpflichtung der Erstbeklagten zum Ersatz des materiellen Zukunftsschadens hält gleichfalls der Überprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an das Feststellungsinteresse. Bei so schweren Verletzungen, wie sie der Kläger erlitten hat, kann das Feststellungsinteresse nur verneint werden, wenn aus der Sicht des Klägers bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen wenigstens zu rechnen (vgl. Senatsurteile vom 25. Januar 1972 - VI ZR 20/71 - VersR 1972, 459, 460, vom 30. Oktober 1973 - VI ZR 51/72 - VersR 1974, 248 und vom 11. Juli 1989 - VI ZR 234/88 - VersR 1989, 1055 f.). Danach kann hier das Feststellungsinteresse nicht verneint werden. Bei so schweren inneren Verletzungen wie hier lassen sich solche Folgen nie ganz ausschließen.

20

2. Zur Anschlußrevision

21

Die Anschlußrevision wendet sich gegen die Verneinung eines Mitverschuldens des Klägers. Damit hat sie Erfolg. Der Kläger hat nach seinem Vorbringen davon abgesehen, auch die westliche Fahrbahn zu überqueren, weil inzwischen die Fußgängerampel auf "Rot" umgesprungen sei. Er hat damit § 37 Abs. 2 Nr. 5 StVO verletzt. Nach dieser Vorschrift war er verpflichtet, seinen Weg zügig fortzusetzen. Dies hat das Berufungsgericht nicht verkannt. Dennoch hat es ein Mitverschulden verneint, weil nicht auszuschließen sei, daß der Kläger durch einbiegende Kraftfahrzeuge aus der Straße "O. " am Weitergehen gehindert worden sei. Damit hat das Berufungsgericht einen Sachverhalt in seine rechtliche Beurteilung einbezogen, den die Parteien nicht vorgetragen haben. Hierin erblickt die Anschlußrevision mit Recht eine Verletzung von § 286 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1990 - V ZR 241/88 - VersR 1990, 872, 873 m.w.N.).

22

Im gegenwärtigen Verfahrensstand läßt sich nicht ausschließen, daß die Beklagten dem Kläger ein Mitverschulden nach § 254 BGB, § 4 HPflG zur Last legen können. Die Feststellungen dazu sind Aufgabe des Tatrichters.

23

III.

Das Berufungsurteil war damit aufzuheben und die Sache war an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.