Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesgerichtshof
Urt. v. 02.03.1988, Az.: IVa ZR 218/87

Pflichten des Verkehrsanwalts hinsichtlich der verkündeten Entscheidung ; Erforderlichkeit der nachträglichen Recherche; Verfristung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
02.03.1988
Aktenzeichen
IVa ZR 218/87
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1988, 13104
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Düsseldorf - 07.07.1987

Fundstelle

  • VersR 1988, 835-836 (Volltext mit red. LS)

Prozessführer

Frau Helga H., S. 12, K.

Prozessgegner

Firma S. und K. GmbH, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatergesellschaft, D.,
vertreten durch ihre Geschäftsführer Dr. S. und Dr. K., K.allee 100, D.

Der IVa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Hoegen und
die Richter Dr. Lang, Dr. Schmidt-Kessel, Dr. Ritter und Dr. v. Ungern-Sternberg
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Januar 1988
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision der Beklagten wird das Zwischenurteil des 23. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. Juli 1987 aufgehoben.

    Wegen der Versäumung der Berufungsfrist wird der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

  2. 2.

    Die Kosten der Wiedereinsetzung hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 15. Oktober 1986 antragsgemäß zur Zahlung von 5.029,88 DM Steuerberaterhonorar nebst Zinsen an die Klägerin verurteilt. Dieses Urteil ist der Beklagten am 23. Oktober 1986 zu Händen ihrer erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zugestellt worden. Hiergegen hat die Beklagte durch ihre zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 23. Dezember 1986 Berufung eingelegt und hat wegen der Versäumung der Berufungsfrist gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Berufung ist nach entsprechender Fristverlängerung am 13. Februar 1987 begründet worden.

2

Nach gesonderter mündlicher Verhandlung über den Wiedereinsetzungsantrag hat das Oberlandesgericht diesen Antrag durch Zwischenurteil vom 7. Juli 1987 zurückgewiesen und hat die Berufung durch Beschluß vom 8. Juli 1987 auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen. Die Beklagte wendet sich mit der Revision gegen das Zwischenurteil und mit der sofortigen Beschwerde gegen die Verwerfung der Berufung. Die Klägerin tritt beiden Rechtsmitteln entgegen.

Entscheidungsgründe

3

I.

Im vorliegenden Revisionsverfahren ist ausschließlich über die Revision der Beklagten gegen das Zwischenurteil des Berufungsgerichts zu entscheiden.

4

Die Revision führt zur Aufhebung des Zwischenurteils und zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

5

1.

Bereits mit dem in BGHZ 47, 289 [BGH 20.03.1967 - VII ZR 296/64] veröffentlichten Urteil hat der Bundesgerichtshof darauf aufmerksam gemacht, wie unzweckmäßig es ist, in Fällen der vorliegenden Art Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch Zwischenurteil zu versagen (ebenso schon RG WarnR 1930 Nr. 140; OGHZ 2, 235, 237; BGH Urteil vom 26.6.1979 - VI ZR 218/78 - VersR 1979, 960). Ist die Berufung verspätet eingelegt und liegen Wiedereinsetzungsgründe nicht vor, dann ist der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif (§ 300 Abs. 1 ZPO) und für ein Zwischenurteil grundsätzlich kein Raum. Soweit das Berufungsgericht sich hier an einer sofortigen Verwerfung der Berufung durch Endurteil gehindert gesehen haben sollte, weil entsprechend seinem Beschluß gemäß § 238 Abs. 1 Satz 2 ZPO vom 23. Februar 1987 vor ihm noch nicht zur Berufung verhandelt worden war, erweist das nur, daß es zweckmäßiger gewesen wäre, allenfalls eine abgesonderte Verhandlung und Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung anzuordnen.

6

Diese Gesichtspunkte führen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes aber nicht dazu, das angefochtene Zwischenurteil als unanfechtbar anzusehen. Vielmehr ist es hinsichtlich der Anfechtbarkeit gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO wie ein Endurteil zu behandeln und kann daher selbständig mit der Revision angefochten werden (BGHZ 47, 289 [BGH 20.03.1967 - VII ZR 296/64]).

7

2.

Nach § 233 ZPO ist einer Partei Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn sie ohne eigenes Verschulden und ohne diesem gleichgestelltes Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) verhindert war, eine Notfrist oder eine Rechtsmittelbegründungsfrist einzuhalten. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.

8

a)

Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht erkannt, daß die Versäumung der Berufungsfrist nicht auf eine schuldhafte Pflichtverletzung der erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten zurückzuführen ist.

9

In Übereinstimmung mit dem Berufungsgericht ist als glaubhaft gemacht anzusehen: Die erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten sandte am Tag der Zustellung des angefochtenen Urteils am 23. Oktober 1986 einen einfachen Brief auf dem Postweg an die Beklagte, in dem sie die Zustellung des Urteils mitteilte und unter Beifügung einer Urteilsabschrift die erforderliche Rechtsmittelbelehrung erteilte. Diesen Brief hat die Beklagte nicht erhalten. Sie erfuhr von der Urteilszustellung erst aufgrund eines Ferngesprächs mit ihrer Prozeßbevollmächtigten am 10. Dezember 1986.

10

Unter diesen Umständen beruht die Fristversäumung nicht auf einem Verschulden der Prozeßbevollmächtigten. Diese durfte sich auf zuverlässige Arbeit der Deutschen Bundespost verlassen (BGH Beschluß vom 14.11.1984 - VIII ZB 180/84 - VersR 1985, 90; Beschluß vom 2.12.1987 - IVa ZB 17/87 - zur Veröffentlichung bestimmt).

11

Zu einer Nachfrage bei der Beklagten, ob sie den Brief vom 23. Oktober 1986 auch erhalten habe, war die Prozeßbevollmächtigte nicht verpflichtet. Wenn das Berufungsgericht eine Nachfragepflicht mit der Begründung verneint, die Prozeßbevollmächtigte habe ihr Mandat mit Schreiben vom 17. Oktober 1986 niedergelegt, dann stößt das, wie die Revisionserwiderung mit Recht hervorhebt, allerdings auf rechtliche Bedenken. Denn die vorgelegte Kopie des Schreibens vom 17. Oktober 1986 betrifft nicht den vorliegenden Rechtsstreit, sondern eine Angelegenheit "van Schöll". Auch hat die Prozeßbevollmächtigte in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 22. Dezember 1986 zum Ausdruck gebracht, alle "weiteren" vier Mandate am 17. Oktober 1986 niedergelegt zu haben, möglicherweise also gerade nicht die Vertretung in dem vorliegenden Verfahren. Das kann jedoch auf sich beruhen. Denn auch wenn die Prozeßbevollmächtigte ihr Mandat in dem vorliegenden Rechtsstreit nicht niedergelegt haben sollte, kann es ihr nicht als Verschulden zur Last gelegt werden, daß sie sich bei der Beklagten nicht nach dem Eingang ihres Briefes vom 23. Oktober 1986 erkundigt hat.

12

Bereits mit Urteil vom 30. September 1958 (VIII ZR 133/57 - NJW 1958, 2015) hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, daß es eine Überspannung bedeuten würde, von einem Rechtsanwalt zu verlangen, daß er bei wichtigen Mitteilungen an seine Partei durch einfachen Brief bei dieser rechtzeitig nachfragen müsse, ob sie die Mitteilung erhalten hat. Eine solche Pflicht besteht regelmäßig nicht (BGH Beschluß vom 5.5.1986 - II ZR 102/86 - VersR 1986, 966); sie kann - je nach Sachlage - nur bei Hinzutreten besonderer Umstände in Betracht gezogen werden (vgl. BGH Beschluß vom 14.11.1984 - VIII ZR 180/84 - VersR 1985, 90; Beschluß vom 14.5.1981 - VI ZB 39/80 - VersR 1981, 834), die hier fehlen. Daß der Ehemann der Beklagten die Prozeßführung der Prozeßbevollmächtigten bemängelt hatte, mußte dieser noch nicht die Überzeugung vermitteln, die Beklagte wolle auf jeden Fall Berufung einlegen, und gab deshalb noch keinen Anlaß zu einer Rückfrage (vgl. den genannten Beschluß VersR 1986, 966).

13

Etwas anderes hat auch der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes in dem von der Revisionserwiderung angeführten Beschluß vom 26. September 1985 (VII ZB 14/85 - VersR 1986, 36) nicht zum Ausdruck gebracht. Die dort angenommene Pflicht zur Nachfrage ist vielmehr aus den besonderen Umständen des damals entschiedenen Falles abgeleitet; der VersR 1986, 36 abgedruckte abstrakt formulierte Leitsatz geht über den Inhalt der Entscheidung hinaus und ist nicht amtlich.

14

b)

Aber auch die Partei selbst hat die Fristversäumung nicht verschuldet.

15

Das Berufungsgericht hält der Beklagten vor, sie habe bei der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erfahren, daß Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 15. Oktober 1986 bestimmt war. Aufgrund einer Äußerung ihrer Prozeßbevollmächtigten sei die Beklagte davon ausgegangen, daß eine ihr nachteilige Entscheidung ergehen werde. Der Ehemann der Beklagten habe deswegen sogar die Prozeßführung durch die Prozeßbevollmächtigte bemängelt, was zur Niederlegung des Mandats geführt habe. Unter diesen Umständen habe die Beklagte mit der alsbaldigen Zustellung des Urteils rechnen und sich deshalb alsbald nach dem 15. Oktober 1986 über die Entscheidung und deren Zustellung vergewissern müssen. Wegen der Störung des Vertrauensverhältnisses zu der Prozeßbevollmächtigten habe sie auch eine Störung des Informationsflusses in Betracht ziehen müssen.

16

Dieser Auffassung folgt der erkennende Senat nicht.

17

Die Annahme des Berufungsgerichts, die Prozeßbevollmächtigte habe die Vertretung der Beklagten niedergelegt, ist, wie bereits ausgeführt, rechtlich bedenklich. Aber auch wenn man dem Berufungsgericht in diesem Punkte folgt, stellt es an die Pflichten der Beklagten zu hohe Anforderungen.

18

Nach der Niederlegung des Mandats bleibt der Rechtsanwalt verpflichtet, seine frühere Partei über eine an ihn erfolgte Zustellung unverzüglich zu unterrichten. Darauf, daß der frühere Prozeßbevollmächtigte diese nachwirkende Pflicht ordnungsmäßig erfüllt, darf sich die Partei verlassen. Solange die Beklagte daher keine Zustellungsnachricht von der Prozeßbevollmächtigten erhielt, brauchte sie daher nicht damit zu rechnen, daß ihre Rechtsanwältin eine Zustellung entgegengenommen und dadurch die Berufungsfrist in Gang gesetzt hatte (BGH Urteil vom 14.12.1979 - V ZR 146/78 - VersR 1980, 383). Anlaß zu der Befürchtung, daß die Mitteilung der Prozeßbevollmächtigten über die Zustellung des Urteils auf dem Postweg hätte verloren gegangen sein können, hatte die Beklagte vor dem 10. Dezember 1986 nicht.

19

Der erkennende Senat hat in seinem Beschluß vom 2. Dezember 1987 (IVa ZB 17/87 - zur Veröffentlichung bestimmt) ausgesprochen, daß auch der Verkehrsanwalt nicht sogleich bei dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten Rückfrage halten muß, wenn dessen Nachricht über die Zustellung der verkündeten Entscheidung nach dem ihm bekannten Verkündungstermin längere Zeit ausbleibt; das gelte selbst dann, wenn es sich um etwa drei Monate und zwei Wochen handele. Er hat das damit begründet, daß es Fälle gebe, in denen die Zustellung einer verkündeten Entscheidung etwa infolge eines Fehlers oder einer Überlastung des Gerichts monatelang ausbleibe. Der Verkehrsanwalt müsse deshalb, wenn keine besonderen Umstände vorlägen, nur die Fünfmonatsfrist der §§ 516, 552 ZPO beachten. An die Partei selbst höhere Anforderungen zu stellen als an den Verkehrsanwalt, wäre damit nicht recht in Einklang zu bringen und geht daher grundsätzlich nicht an.

20

Die Beklagte mag zwar damit gerechnet oder sogar gewußt haben, daß am 15. Oktober 1986 ein der Klage stattgebendes Urteil verkündet worden war. Einen Anhalt dafür, daß dieses Urteil bereits zugestellt war, hatte sie aber nicht. Ein solcher ergab sich weder aus der seit dem Verkündungstermin verstrichenen Zeit von fast zwei Monaten, noch aus dem vom Berufungsgericht herangezogenen Umstand, daß die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten mit Schreiben vom 18. November 1986 Kostenfestsetzungsanträge der Klägerin und eine Stellungnahme dazu zugeleitet hatte. Das Kostenfestsetzungsverfahren kann vor der Zustellung einer Ausfertigung des verkündeten Urteils eingeleitet werden. Im übrigen kann von einer Partei nicht erwartet werden, daß ihr diese Einzelheiten des Prozeßverfahrens geläufig sind.

21

Der Senat weicht mit dieser Entscheidung nicht von dem - nicht zur Veröffentlichung bestimmten - Beschluß des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes vom 26. September 1985 (VII ZB 14/85 - VersR 1986, 36) ab. Daß der VII. Zivilsenat in jenem Fall auch ein Verschulden der Partei selbst bejahte, beruhte - wie der VII. Zivilsenat auf Antrage erklärt hat - auf den besonderen Umständen des Falles: Berufungsklägerin war eine GmbH, für deren Verschulden damals strengere Maßstäbe anzusetzen waren. Der Beschluß des VII. Zivilsenats steht daher auch nach dessen Auffassung der vorliegenden Entscheidung nicht im Wege.

22

II.

Mit dieser Entscheidung wird der Beschluß des Oberlandesgerichts vom 8. Juli 1987 über die Verwerfung der Berufung ohne weiteres wirkungslos; einer ausdrücklichen Aufhebung bedarf es nicht (BGH Beschluß vom 22.11.1957 - IV ZB 236/57 - LM ZPO § 519b Nr. 9). Eine Entscheidung über die sofortige Beschwerde der Beklagten ist danach entbehrlich.

Dr. Hoegen
Dr. Lang
Dr. Schmidt-Kessel
Dr. Ritter
Dr. v. Ungern-Sternberg