Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.06.1987, Az.: VI ZR 213/86
Verneinung der Glaubwürdigkeit eines nur in der ersten Instanz vernommenen Zeugen durch das Berufungsgericht; Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme; Zustandekommen eines Vertrages; Beiderseitiger Wille der Parteien, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen auf sich zu nehmen; Ansprüche wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch einen Verrichtungsgehilfen; Bejahung des Schädigungsvorsatzes nach§ 826 BGB; Vortäuschen der Verhandlungsbereitschaft der Gegenseite durch einen Vermittler, um die Aussicht auf die Provision zu erhalten
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 23.06.1987
- Aktenzeichen
- VI ZR 213/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 13527
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Karlsruhe - 27.06.1986
- LG Offenburg
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- BB 1987, 2052
- MDR 1988, 42-43 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 1988, 2027-2028 (Urteilsbesprechung von LG Norbert Pantle)
- NJW 1987, 3205-3206 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1987, 909 (amtl. Leitsatz)
Prozessführer
Firma Immobilien M., Inhaberin Frau Irma M., K. straße ..., L.,
Prozessgegner
Herrn Adolf B., H. straße ..., E.,
Amtlicher Leitsatz
Verneint das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit eines nur in der ersten Instanz vernommenen Zeugen, so ist das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme jedenfalls dann verletzt, wenn diese Beurteilung nicht in gleichgerichteten Erwägungen des erstinstanzlichen Richters eine Stütze findet.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes
hat auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juni 1987
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Steffen
und die Richter Scheffen, Dr. Ankermann, Dr. Lepa und Dr. Birkmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision wird das Urteil des 14. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. Juni 1986 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es zum Nachteil der Beklagten erkannt hat.
In diesem Umfang wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der bei der beklagten Maklerfirma angestellte M., Ehemann der Firmeninhaberin, meldete sich Anfang März 1982 auf ein Zeitungsinserat, in dem der Kläger sein Hausgrundstück in E. zum Verkauf angeboten hatte. M. und der Kläger kamen überein, daß sich die Beklagte um Interessenten für das Grundstück bemühen dürfe, daß ihr aber im Fall einer erfolgreichen Vermittlung gegen den Kläger ein Provisionsanspruch nicht zustehe. Als Preisvorstellung nannte der Kläger 290.000 DM.
Unabhängig von der Beklagten fand der Kläger die Eheleute L., die bereit waren, für das Hausgrundstück 290.000 DM zu zahlen, allerdings nicht vor Juli 1982. Auch M. gewann Mitte März 1982 Kaufinteressenten, und zwar die Eheleute S., die gegenüber der Beklagten ein nicht beurkundetes Kaufgebot von 280.000 DM abgaben und sich zur Zahlung einer Käuferprovision an die Beklagte bereit erklärten. Im Unterschied zu den Eheleuten L. wollten die Eheleute S. den Kaufpreis sofort bezahlen.
Am 20. März 1982 kam es zwischen dem Kläger und M. zu zwei Telefongesprächen, in denen es um die Höhe des Kaufpreises ging, den die Eheleute S. zu zahlen bereit waren. Über die Erklärungen, die M. während dieser Gespräche gegenüber dem Kläger abgab, herrscht zwischen den Parteien Streit. Am 21. März 1982 teilte der Kläger den Eheleuten L. mit, daß er das Hausgrundstück an einen anderen Interessenten verkaufen werde. Der Verkauf an die Eheleute S. kam jedoch nicht zustande. Auch die Eheleute L., denen der Kläger daraufhin das Hausgrundstück wieder anbot, waren jetzt nicht mehr zum Kauf bereit. Der Kläger verkaufte das Anwesen erst am 12. November 1982 an einen anderen Interessenten für 250.000 DM.
Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Zahlung der Differenz zwischen dem mit den Eheleuten L. vereinbarten und dem später erzielten Kaufpreis in Höhe von 40.000 DM sowie Erstattung von Zinsaufwendungen in Höhe von 11.791,32 DM für einen Zwischenkredit. Er hat hierzu vorgetragen, M., dessen Vorgehen sich die Beklagte zurechnen lassen müsse, habe gewußt, daß er mit einem ernsthaften anderen Kaufinteressenten in Verbindung gestanden habe. In dem zweiten Telefongespräch vom 20. März 1982 habe ihm M. erklärt, auch die Eheleute S. seien zur Zahlung von 290.000 DM bereit, während sie in Wahrheit nur 280.000 DM hätten zahlen wollen. Diese unwahre Mitteilung habe ihn veranlaßt, den Eheleuten L., die damals fest entschlossen gewesen seien, das Hausgrundstück für 290.000 DM zu erwerben, abzusagen. Durch den Verlust dieser günstigen Verkaufsmöglichkeit sei der mit der Klage geltend gemachte Schaden entstanden.
Die Beklagte hat behauptet, M. habe dem Kläger wahrheitsgemäß mitgeteilt, daß die Eheleute S. zur Zahlung von 280.000 DM bereit gewesen seien; er habe dem Kläger zu keiner Zeit gesagt, daß sie für 290.000 DM kaufen wollten. Der Kläger sei auch zunächst mit einem Kaufpreis von 280.000 DM einverstanden gewesen; erst später habe er 290.000 DM verlangt. An dieser Forderung seien die Verhandlungen mit den Eheleuten S. gescheitert. Weder sie - die Beklagte - noch M. hätten gewußt, daß der Kläger einen ernsthaften anderen Interessenten gehabt habe. Der Kläger habe die Folgen seiner vorzeitigen Absage an die Eheleute L. selbst zu verantworten.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger habe nicht seine Behauptung zu beweisen vermocht, daß ihm M. wahrheitswidrig erklärt habe, die Eheleute S. seien zum Erwerb des Hausgrundstücks für 290.000 DM bereit. M. habe als Zeuge das Gegenteil bekundet; andere Zeugen, die über unmittelbare Wahrnehmungen aussagen könnten, stünden nicht zur Verfügung.
Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht der Klage wegen des Mindererlöses voll (40.000 DM) und wegen der Zinsaufwendungen zum Teil (8.795,35 DM) stattgegeben. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die Klageansprüche im zuerkannten Umfang begründet, da M. den Kläger i.S. von § 826 BGB vorsätzlich sittenwidrig geschädigt und die Beklagte hierfür nicht nur gemäß § 831 BGB, sondern auch nach § 278 BGB einzustehen habe. Das Berufungsgericht hält für bewiesen, daß M. dem Kläger im zweiten Telefongespräch am 20. März 1982 der Wahrheit zuwider erklärt hat, die Eheleute S. seien zur Zahlung von 290.000 DM bereit. Diese Überzeugung des Berufungsgerichts beruht auf den Bekundungen der Zeugin B., der Ehefrau des Klägers. Die Zeugin, die zu dieser Frage in der ersten Instanz nicht vernommen worden war, hatte vor dem Berufungsgericht ausgesagt, sie habe eine entsprechende Äußerung des M. gehört, als sie neben ihrem mit M. telefonierenden Ehemann gestanden habe. Die gegenteilige Aussage des M. in der ersten Instanz sei - so führt das Berufungsgericht aus - unglaubwürdig. Dies folge daraus, daß M. als Zeuge auch in einem anderen Punkt falsch ausgesagt habe; seine Bekundung, er habe für die Beurkundung des Kaufvertrages (noch) keinen Notariatstermin vereinbart gehabt, sei durch gegenteilige Aussagen dreier Zeugen widerlegt worden. Mit seiner unwahren Mitteilung über die Höhe des mit den Eheleuten S. verabredeten Kaufpreises habe M. gegen die guten Sitten i.S. des § 826 BGB verstoßen und dem Kläger vorsätzlich Schaden zugefügt, denn er habe gewußt, daß der Kläger einen anderen Interessenten für sein Hausgrundstück an der Hand gehabt habe. Da M. im Rahmen von Vertragsbeziehungen zwischen den Parteien gehandelt habe, habe die Beklagte dafür auch nach § 278 BGB einzustehen. Dem Kläger sei durch das Verhalten des M. der mit der Klage geltend gemachte Schaden in der zuerkannten Höhe entstanden. Die Eheleute L. seien damals fest entschlossen gewesen, das Anwesen des Klägers zu kaufen; diesen Vertragsabschluß habe M. durch seine unwahre Mitteilung über die Höhe des mit den Eheleuten S. verabredeten Kaufpreises vereitelt. Eine feste Kaufabsicht stelle auch ohne die für einen wirksamen Vertragsabschluß erforderliche notarielle Beurkundung einen Vermögenswert dar.
II.
Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1.
Sollten die Ausführungen des Berufungsgerichts dahin zu verstehen sein, daß die Klageansprüche aus Vertrag begründet seien, so könnte dem der Senat nicht folgen. Mit Recht macht die Revision geltend, daß die Annahme eines Vertrages - auch eines Vertrages "eigener Art" - daran scheitert, daß nach dem festgestellten Sachverhalt ein beiderseitiger Wille der Parteien, rechtsgeschäftliche Verpflichtungen auf sich zu nehmen, nicht bestanden hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. Mai 1971 - VII ZR 146/69 - NJW 1971, 1404, 1405).
2.
Die Revision rügt auch zu Recht einen Verfahrensverstoß, auf dem die Bejahung der Voraussetzungen des § 826 BGB beruht.
a)
Allerdings ist es nicht richtig, daß - wie die Revision meint - Ansprüche des Klägers wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung i.S. von § 826 BGB durch M. als Verrichtungsgehilfen der Beklagten schon daran scheitern, daß der Kläger durch die Verhandlungen mit den Eheleuten L. noch keine vom Schutzzweck dieser Norm erfaßte Vermögensposition erlangt habe. Diese Verhandlungen hatten zwar noch nicht zu einem Kaufvertrag geführt, der im übrigen der notariellen Beurkundung bedurft hätte (§ 313 BGB). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts waren die Eheleute L. jedoch in dem Zeitpunkt, als der Kläger ihnen absagte, fest entschlossen, das Anwesen zu kaufen. Der Kläger besaß danach in dem Zeitpunkt, als ihm M. die von ihm behauptete Mitteilung über die Bereitschaft der Eheleute S. zur Zahlung von 290.000 DM machte, die begründete tatsächliche Aussicht, diesen Betrag durch den Verkauf des Anwesens zu erwerben. Auch der Verlust einer derartigen Erwerbsaussicht ist ein Vermögensschaden, vor dem § 826 BGB schützt.
b)
Ohne Erfolg zieht die Revision auch in Zweifel, daß M., wenn er dem Kläger die behauptete Mitteilung gemacht hat, gegen die guten Sitten i.S. des § 826 BGB verstoßen hat. M. wußte, daß die Bereitschaft des Klägers, sein Haus an die Eheleute S. zu verkaufen, von der Einigung über den verlangten Kaufpreis von 290.000 DM abhing. Wenn M. - bestimmt durch das Ziel, für die Beklagte die Käuferprovision zu erlangen - dennoch versucht hat, die Verhandlungsbereitschaft des Klägers durch die behauptete Täuschung zu erhalten in der Hoffnung, der Kläger werde schließlich unter dem Druck der Verhältnisse (Notartermin, Zeitablauf) doch zu einem niedrigeren Preis zu verkaufen bereit sein, dann hat er damit gegen das allgemeine Anstands- und Billigkeitsgefühl verstoßen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn M. mit dem Ziel gehandelt hat, durch die Täuschung des Klägers einen anderen Vertragsabschluß, der sich anbahnte, zu vereiteln.
c)
Dem Berufungsgericht ist jedoch bei der Feststellung der Täuschungshandlung des M. ein Verfahrensfehler unterlaufen, weil es von der Unglaubwürdigkeit dieses in der ersten Instanz vernommenen Zeugen ausgegangen ist, ohne ihn selbst vernommen zu haben.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muß das Berufungsgericht, will es das ihm in § 398 Abs. 1 ZPO eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausüben, einen in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals hören, wenn es dessen Glaubwürdigkeit anders beurteilen will als der Richter der Vorinstanz (vgl. Senatsurteil vom 3. April 1984 - VI ZR 195/82 - VersR 1984, 582 m.w.N.). Dieser Grundsatz kommt auch hier zum Tragen. Allerdings hat das Landgericht die Aussage des M. verwertet, ohne sich ausdrücklich zur Glaubwürdigkeit des Zeugen zu bekennen. Es hat ausgeführt, daß die Aussage im zentralen Punkt (Bereitschaft der Eheleute S., einen Kaufpreis von 290.000 DM zu zahlen) dem Vortrag des Klägers widerspreche und weitere Beweismittel nicht zur Verfügung stünden, so daß der Kläger beweisfällig geblieben sei. Aber auch dann, wenn diese Erwägungen dahin zu verstehen wären, daß das Landgericht die Frage der Glaubwürdigkeit des Zeugen M. letztlich unentschieden gelassen hat, wäre eine erneute Vernehmung des Zeugen durch das Berufungsgericht geboten gewesen. Entscheidend ist, daß erstmals das Berufungsgericht die Glaubwürdigkeit des Zeugen verneint hat. Eine solche Beurteilung, die nicht auf dem persönlichen Eindruck des Gerichts von dem Zeugen beruht, verletzt das Gebot der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme jedenfalls dann, wenn sie - wie hier - nicht in gleichgerichteten Erwägungen des erstinstanzlichen Richters eine Stütze findet. In einem solchen Fall fehlt für die Bildung der persönlichen Gewißheit des Richters, die § 286 ZPO verlangt, die Grundlage.
Dieser Verfahrensverstoß führt zur Aufhebung des Berufungsurteils.
III.
Sollte das Berufungsgericht nach der Vernehmung des Zeugen M. wieder zu der Überzeugung gelangen, daß er die Unwahrheit bekundet hat, so ist es gehalten, sich mit der Frage des Schädigungsvorsatzes eingehender auseinanderzusetzen, als dies im Berufungsurteil geschehen ist.
Allerdings reicht für die Bejahung des Schädigungsvorsatzes nach § 826 BGB die Feststellung aus, daß der Ersatzpflichtige den dem Ersatzberechtigten entstandenen Schaden zumindest in der Form des bedingten Vorsatzes zugefügt hat (vgl. Senatsurteil vom 27. März 1984 - VI ZR 246/81 - WM 1984, 744, 745). Hierzu bedarf es aber der Feststellung, daß der - wenn auch nur bedingte - Schädigungsvorsatz die gesamten Schadensfolgen umfaßt hat; dabei braucht sich der Schädiger den genauen Kausalverlauf allerdings nicht vorgestellt und den Umfang sowie die Höhe des Schadens nicht vorausgesehen zu haben (vgl. BGH, Urteile vom 8. März 1951 - III ZR 44/50 - NJW 1951, 596, 597 und vom 5. November 1962 - II ZR 161/61 - NJW 1963, 148, 150). Danach müßte sich M. zumindest vorgestellt und es billigend in Kauf genommen haben, daß seine Mitteilung, die Eheleute S. seien zur Zahlung des geforderten Kaufpreises von 290.000 DM bereit, den Kläger veranlassen konnte, die Verhandlungen mit seinen anderen Interessenten schon vor der notariellen Beurkundung des Kaufvertrages abzubrechen; er müßte weiter damit gerechnet haben, daß dem Kläger nach einem etwaigen Scheitern der Verhandlungen mit den Eheleuten S. die Aufnahme neuer erfolgreicher Verhandlungen mit seinen früheren Kaufinteressenten nicht mehr gelingen werde, obwohl zwischen Abbruch und Neubeginn der Verhandlungen nur ein kurzer Zeitraum liegen werde (nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war der Notariatstermin schon für den 29. März 1982 vorgesehen). Zu diesen Fragen hat das Berufungsgericht noch keine Feststellungen getroffen.
Schließlich erscheint es geboten, daß sich das Berufungsgericht bei der Prüfung eines Mitverschuldens des Klägers mit der Frage auseinandersetzt, ob er nicht voreilig gehandelt hat, als er die Verhandlungen mit seinen anderen Interessenten schon vor der notariellen Beurkundung des Kaufvertrages abbrach.
Scheffen
Dr. Ankermann
Dr. Lepa
Dr. Birkmann