Bundesgerichtshof
Urt. v. 26.08.1986, Az.: 1 StR 351/86
Unmittelbares Ansetzen zur Tat; Grenze zwischen strafloser Vorbereitungshandlung und Versuch; Beurteilung des Versuchsbeginns aus Sicht des Täters; Überschreiten der Schwelle zum "jetzt geht es los"; Tatmehrheit bei Vorliegen getrennter Willensbetätigungen
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 26.08.1986
- Aktenzeichen
- 1 StR 351/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1986, 12047
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Regensburg - 07.02.1986
Rechtsgrundlagen
Fundstelle
- NStZ 1987, 20
Verfahrensgegenstand
Mord
Redaktioneller Leitsatz
Das unmittelbare Ansetzen eines Tötungsdelikts beginnt bereits sobald der Täter die Tür aufbricht, die das letzte Hindernis zum Tötungserfolg ist.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 26. August 1986,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schauenburg,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Ulsamer, Dr. Maul, Dr. Foth, Dr. Granderath als
beisitzende Richter,
Staatsanwalt ... in der Verhandlung,
Staatsanwalt ... bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Dr. ... aus M. als Verteidiger,
Rechtsanwalt Dr. ... aus M. als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte ... als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 7. Februar 1986 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
- a)
soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist,
- b)
im gesamten Strafausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- 2.
Die Revision der Nebenklägerin und die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft werden verworfen.
- 3.
Die Nebenklägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels und die dem Angeklagten durch dieses Rechtsmittel erwachsenen notwendigen Auslagen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zweier Verbrechen des Mordes zur Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt und die Tatwaffe eingezogen. Vom Vorwurf eines - weiteren - versuchten Mordes hat es den Angeklagten freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich mit der Sachrüge gegen den Freispruch des Angeklagten und im übrigen gegen die Strafzumessung. Die Revision der Nebenklägerin beanstandet mit der Sachbeschwerde den Strafausspruch. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung der Freisprechung und des gesamten Strafausspruchs. Die Revision der Nebenklägerin bleibt ohne Erfolg.
I.
Revision der Staatsanwaltschaft
1.
Der Freispruch vom Vorwurf des versuchten Mordes hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a)
Nach den Feststellungen entschloß sich der Angeklagte zur Tötung des Zeugen S., den er im Wohnzimmer der Wohnung seiner Schwiegereltern zusammen mit seiner Ehefrau, der Nebenklägerin, vermutete. Er holte aus seiner eigenen Wohnung sein Gewehr, lud die Waffe durch und lief zum Haus der Schwiegereltern. Vor dem Hauseingang traf er auf seine Schwiegermutter, die ihn nicht einlassen wollte. Er schoß sie nieder, lud das Gewehr erneut durch und drang durch die Glasfüllung der Eingangstüre in den Wohnungsflur. Dort trat ihm der Schwiegervater entgegen; der Angeklagte erschoß ihn, um den Weg zum Wohnzimmer freizumachen. Er vermochte die Wohnzimmertüre zunächst nicht zu öffnen, weil der Zeuge S. vorsorglich die Bettcouch von innen vor die Wohnzimmertüre gerückt hatte. Der Angeklagte durchschlug mit dem Gewehrkolben das Türblatt der Wohnzimmertür, warf sich mit dem Oberkörper gegen die Tür, die er so weit öffnete, daß er sich in das Innere des Wohnzimmers zwängen konnte. Inzwischen hatte der Zeuge S. zusammen mit der Ehefrau des Angeklagten das Wohnzimmer durch das Fenster verlassen. Der Angeklagte bemerkte, daß sich niemand auf der Bettcouch befand; er gab einen Schuß auf die Oberfläche der leeren Bettcouch ab und entfernte sich sodann vom Tatort.
Nach Auffassung des Landgerichts enthielt das gesamte Tun des Angeklagten noch keine unmittelbare Gefahr für das Leben des Zeugen S. und sei deshalb als straflose Vorbereitungshandlung zu werten. "Um zu einer wirklichen Lebensgefährdung des Zeugen S. zu kommen, mußte der Angeklagte in jedem Falle das schußbereite Gewehr auf ihn anlegen, erst dann hätte der Angeklagte nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes im Sinne von § 22 StGB unmittelbar angesetzt" (UA S. 44). Diese rechtliche Wertung verkennt den Begriff des Versuchs im Sinne des § 22 StGB.
b)
Gemäß § 22 StGB liegt der Versuch einer Straftat vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt. Die Grenze von der Vorbereitungshandlung zum Versuch wird nicht erst überschritten, wenn der Täter ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht, sondern schon dann, wenn er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden, die mithin - aus der Sicht des Täters - das geschützte Rechtsgut in eine konkrete Gefahr bringen. Dementsprechend erstreckt sich das Versuchsstadium auf Handlungen, die im ungestörten Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die im unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Dies ist der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschreitet und objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so daß sein Tun ohne Zwischenakte in die Tatbestandserfüllung übergeht (BGHSt 22, 80, 81 [BGH 19.01.1968 - 4 StR 559/67]; 26, 201, 202 ff. [BGH 16.09.1975 - 1 StR 264/75]; 28, 162, 163 [BGH 26.10.1978 - 4 StR 429/78]; 30, 363, 364 [BGH 26.01.1982 - 4 StR 631/81]; 31, 178, 182 [BGH 21.12.1982 - 1 StR 662/82]/183;Urt. vom 22. November 1983 - 1 StR 661/83 -; BGH GA 1980, 24/25;Urt. vom 29. April 1976 - 4 StR 117/76; vgl. ferner BGH NStZ 1983, 462 sowieBeschl. vom 9. August 1978 - 3 StR 281/78).
Dem wird die Auffassung des Landgerichts, ein Mordversuch komme erst in Betracht, wenn der Täter das schußbereite Gewehr auf das Opfer anlege, nicht gerecht. Nach der Vorstellung des Angeklagten war die Wohnzimmertüre das letzte Hindernis, das er noch überwinden mußte, um ungehindert den Zeugen S. erschießen zu können. Deshalb hat der Angeklagte jedenfalls durch das Aufwuchten der Tür, hinter der er den Zeugen S. vermutete, aus seiner Sicht die Schwelle zum "jetzt geht's los" überschritten und hierdurch unmittelbar zur Verwirklichung seines Tötungsvorhabens angesetzt. Daher hat die Freisprechung des Angeklagten keinen Bestand. Der Vorwurf des versuchten Mordes zum Nachteil des Zeugen S. bedarf erneuter Prüfung und Entscheidung.
2.
Das Landgericht hat zutreffend Tatmehrheit zwischen den Morden an Schwiegermutter und Schwiegervater des Angeklagten angenommen. Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft würde sich an dieser Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses auch dann nichts ändern, wenn entsprechend der in der Revisionsbegründung vorgetragenen Auffassung bereits die Tötung der Schwiegermutter oder das Eindringen des Angeklagten durch die Glasfüllung der Eingangstüre zur Wohnung der Schwiegereltern als Tötungsversuch zum Nachteil des Zeugen S. zu werten wären. Der Angeklagte erschien vor der Wohnung der Schwiegereltern mit dem unbedingten Willen, den Zeugen S. zu töten. Als er sich in diesem Vorhaben durch die Schwiegermutter und später durch den Schwiegervater behindert sah, entschloß er sich jeweils, auch diese Personen zu töten. Es lagen insoweit getrennte Willensbetätigungen, d.h. getrennte Handlungen im natürlichen Sinne vor, die sich, weil sie sich jeweils gegen das Leben einer anderen Person, also gegen höchstpersönliche Rechtsgüter richteten, unter keinem Gesichtspunkt rechtlich zu einer Einheit verbinden lassen (BGHSt 16, 397, 398 [BGH 16.01.1962 - 1 StR 524/61]; vgl. BGH NJW 1977, 2321).
3.
Es kann offen bleiben, ob die von der Beschwerdeführerin gegen die Zumessung der Einzelstrafen für die beiden Verbrechen des Mordes vorgebrachten Beanstandungen berechtigt sind. Denn der gesamte Strafausspruch kann schon aus folgenden Erwägungen keinen Bestand haben: Bejaht der neue Tatrichter ein versuchtes Tötungsdelikt zum Nachteil des Zeugen S., so muß zugleich insoweit die Frage verminderter Schuldfähigkeit geprüft werden. Das kann zu Widersprüchen mit den bisherigen Feststellungen, auf denen die Bejahung verminderter Schuldfähigkeit bei Begehung der beiden Mordtaten beruht, führen. Nach Sachlage kann diese Frage für alle drei Taten nur einheitlich beurteilt werden. Diese Beurteilung obliegt dem neuen Tatrichter. Ist der Angeklagte eines dritten (versuchten) Tötungsdelikts schuldig, so können sich aus diesem Umstand für die Ermessensentscheidung, ob für jedes der drei Verbrechen von der in § 21 StGB vorgesehenen fakultativen Strafmilderung Gebrauch zu machen ist, weitere Gesichtspunkte ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 1982 - 1 StR 77/82 = NJW 1982, 2264, 2265) . Auch deshalb muß die gesamte Strafzumessung dem neuen Tatrichter offengehalten werden. Daher hat der Senat den gesamten Strafausspruch aufgehoben.
Hiervon ist die Anordnung über die Einziehung der Tatwaffe nicht berührt.
II.
Die Revision der Nebenklägerin ist unbegründet.
Die Bemessung der Einzelstrafen für die zwei Verbrechen des Mordes und der Ausspruch der Gesamtstrafe weisen - für sich betrachtet, wie es auf die Revision der Nebenklägerin geboten ist - keinen Rechtsfehler auf. Es kann offen bleiben, ob den Darlegungen der Revision beizupflichten wäre, wenn das Landgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB allein deswegen angenommen hätte, weil der Angeklagte im Affekt gehandelt hat. So lag es hier nicht. Die sachverständig beratene Strafkammer ist rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, daß affektive Einengung und kombinierter Alkohol- und Haschischeinfluß zu einem abnormen psychischen Zustand führten, der als tiefgreifende Bewußtseinsstörung zu werten ist und aufgrund dessen eine erhebliche Verminderung der willentlichen Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB vorlag.
Ulsamer
Maul
Foth
Granderath