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Bundesgerichtshof
Urt. v. 29.03.1983, Az.: VI ZR 172/81

Aufklärungspflicht eines Rechtsanwaltes gegenüber seinem Mandanten; Schadensersatzpflicht aus einem Rechtsberatungsvertrag; Fristgerechtes Geltendmachen von Ansprüchen aus einem Arbeitsverhältnis vor Gericht

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
29.03.1983
Aktenzeichen
VI ZR 172/81
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1983, 12749
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Köln - 14.05.1981
LG Köln

Fundstellen

  • MDR 1983, 1011-1012 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1983, 1665-1666 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZIP 1983, 996-999

Prozessführer

Polier Helmut B., W.wiese ..., F.

Prozessgegner

Rechtsanwalt Sigurd A., B. Straße ..., K.

Amtlicher Leitsatz

  1. a)

    Ein Rechtsanwalt, der die Vertretung eines Arbeitnehmers in einem Arbeitsgerichtsprozeß übernimmt, beachtet nur dann die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wenn er die veröffentlichte höchstrichterliche Rechtsprechung, vornehmlich die in der Entscheidungssammlung des Bundesarbeitsgerichts abgedruckten Urteile, berücksichtigt.

  2. b)

    Zu den Pflichten eines Rechtsanwalts, der einen Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozeß vertritt, im Hinblick auf die Sicherung des seinem Mandanten entstandenen Lohnausfalls (hier: Aufklärung der etwaigen Anwendbarkeit einer tarifvertraglichen Ausschlußklausel und der daraus folgenden weiteren Maßnahmen).

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 1983
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Hiddemann und
die Richter Dunz, Dr. Steffen, Dr. Kullmann und Dr. Ankermann
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 14. Mai 1981 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von dem beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz wegen Verletzung von Beratungspflichten.

2

Im Mai 1976 war dem Kläger, einem Maurerpolier, nach 18-jähriger Betriebszugehörigkeit von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt worden. Die von ihm zunächst beauftragten Rechtsanwälte reichten für ihn Anfang Juni 1976 eine Kündigungsschutzklage bei dem Arbeitsgericht K. ein. Später beauftragte der Kläger den Beklagten als Prozeßbevollmächtigten. Dieser bestellte sich mit Schriftsatz vom 4. August 1976 und vertrat den Kläger in zwei Rechtszügen erfolgreich. Die Revision gegen das der Kündigungsschutzklage stattgebende Urteil des Landesarbeitsgerichts nahm der Arbeitgeber am 15. März 1978 zurück.

3

Mit Schreiben vom 2. März 1978 verlangte der Beklagte erstmals für den Kläger von dessen Arbeitgeber den in der Zeit der Nichtbeschäftigung entgangenen Lohn. Die daraufhin erhobene Klage wies das Arbeitsgericht mit der Begründung ab, für die Zeit bis zum 31. Dezember 1977 seien Ansprüche wegen des zur Anwendung kommenden § 14 des Rahmentarifvertrages für die Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 14. Juni 1971 (im folgenden RTV genannt) verfallen. § 14 des RTV hat folgenden Wortlaut:

"Ausschlußfristen

1.
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

2.
Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird."

4

Das Arbeitsgericht hat die Auffassung vertreten, dieser RTV sei zwar nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden, aber gleichwohl kraft betrieblicher Übung für das Beschäftigungsverhältnis des Klägers verbindlich; denn u.a. habe der als Zeuge vernommene Betriebsratsvorsitzende glaubhaft bekundet, daß auf dessen eigenes Arbeitsverhältnis als Polier die Bestimmungen des RTV - und zwar gemäß betrieblicher Übung - angewendet wurden und sich insbesondere die Fragen des Urlaubs, der Versicherung in der maßgeblichen Zusatzversorgungskasse usw. bei allen beschäftigten Polieren nach dem RTV gerichtet hätten.

5

Der Kläger beauftragte nach Erlaß dieses Urteils wiederum andere Rechtsanwälte mit seiner Vertretung; diese beantragten nach Ablauf der Berufungsfrist für den Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legten gleichzeitig Berufung ein. Einige Zeit später nahmen sie jedoch ohne Begründung die Berufung wieder zurück.

6

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagte habe prüfen müssen, ob ein Tarifvertrag mit Ausschlußfristen auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung finde; außerdem habe er ihn über die Folgen einer solchen Anwendbarkeit belehren und ihn auch darauf hinweisen müssen, daß unter Umständen über diese Frage Beweis zu erheben und der Ausgang der Beweisaufnahme ungewiß sei. Bei ordnungsgemäßer Prüfung und Belehrung hätte er rechtzeitig und erfolgreich Klage erheben können.

7

Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung von 15.000 DM nebst Zinsen stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

8

I.

Das Berufungsgericht unterstellt, daß der Beklagte den Sachverhalt nicht - wie geboten - vollständig und sachkundig mit Blick auf alle rechtserheblichen Umstände aufgeklärt hat. Dennoch hält es die Klage für unbegründet, weil der Kläger die Ursächlichkeit der unterstellten Pflichtverletzung des Beklagten für den eingetretenen Schaden nicht hinreichend dargelegt habe. Nach dessen Vorbringen sei nämlich davon auszugehen, daß dem Beklagten auch bei sorgfältigerer Aufklärung kein anderer oder vollständigerer Sachverhalt zur Verfügung gestanden hätte, als ihm ohne sein Befragen bereits mitgeteilt worden sei. Aufgrund des ihm bekannten Sachverhalts sei er zu einem Hinweis auf die rechtlichen Auswirkungen etwa zu beachtender Ausschlußfristen und zu dem Rat, vorsichtshalber doch sofort schon eine Zahlungs- oder Feststellungsklage zu erheben, nicht verpflichtet gewesen.

9

II.

Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

10

1.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß der Beklagte zumindest objektiv seine durch den Anwaltsvertrag begründeten Pflichten dem Kläger gegenüber verletzt hat.

11

a)

Das Berufungsgericht weist mit Recht darauf hin, der Beklagte habe bei der Übernahme des Mandats für die schon anhängige Kündigungsschutzklage erkennen oder durch Befragung ermitteln müssen, daß der Kläger auch ein finanzielles Interesse, gerichtet auf Ausgleich eines ihm zwischenzeitlich entstandenen und künftig entstehenden Lohnausfalles, verfolgte. Diese Erkenntnis verpflichtete ihn, den Kläger auch insoweit zu beraten und für die Sicherung seiner auf Ersatz des Lohnausfalls gerichteten Ansprüche zu sorgen.

12

b)

In diesem Zusammenhang war der Beklagte, worauf das Berufungsgericht ferner rechtlich einwandfrei hinweist, auch zur Prüfung verpflichtet, ob für die Geltendmachung der Lohnansprüche des Klägers etwa tarifvertragliche oder auf andere Weise vereinbarte Ausschlußfristen galten.

13

aa)

Dabei mußte der Beklagte beachten, daß die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht immer eine solche Ausschlußfrist wahren kann - und zwar jedenfalls dann nicht, wenn die tarifliche Ausschlußklausel, wie der im Streitfall bedeutsame § 14 RTV, bestimmt, daß Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gerichtlich geltend gemacht werden müssen, sofern die Gegenpartei sich nicht innerhalb einer bestimmten Frist erklärt. Das hatte das Bundesarbeitsgericht bereits lange Zeit vor der Beratung des Klägers durch den Beklagten entschieden (Urt.v. 9. März 1966 - 4 AZR 87/65 - AP Nr. 31 zu § 4 TVG Ausschlußfristen = NJW 1966, 1477) und diese Ansicht trotz der kritischen Auffassung von Zöllner (Anmerkung zu AP Nr. 31 zu § 4 TVG Ausschlußfristen) im Urteil vom 8. Januar 1970 (BAGE 22, 241, 244 = AP Nr. 43 zu § 4 TVG Ausschlußfristen = NJW 1970, 1472 LS) aufrecht erhalten. Ein Rechtsanwalt, der die Vertretung eines Arbeitnehmers in einem Arbeitsgerichtsprozeß übernimmt, beachtet nur dann die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wenn er die veröffentlichte höchstrichterliche Rechtsprechung, vornehmlich die in der Entscheidungssammlung des Bundesarbeitsgerichts abgedruckten Urteile, berücksichtigt. Der Beklagte mußte deshalb auch schon bei der Wahrnehmung der Interessen des Klägers in der Kündigungsschutzangelegenheit an die Möglichkeit denken, daß die Lohnansprüche innerhalb bestimmter Verfallfristen gerichtlich geltend gemacht werden mußten. Er durfte nicht etwa darauf vertrauen, daß das Bundesarbeitsgericht, das in BAGE 22, 241 auf die Gegenmeinung nicht eingegangen war, auf die zu dieser Rechtsprechung geäußerte Kritik - z.B. von Lieb (in seiner Anmerkung zu dieser Entscheidung in AP Nr. 43 zu § 4 TVG Ausschlußfristen) - seine Meinung ändern werde.

14

bb)

Außerdem war der Beklagte entsprechend seiner Pflicht zur Klärung des Sachverhalts aber auch gehalten, im einzelnen - und zwar zunächst durch Befragung seines Mandanten - zu ermitteln, ob dieser mit seinem Arbeitgeber persönlich Ausschlußfristen vereinbart hatte, ob ein Tarifvertrag bestand, welcher derartige Fristen enthielt, und ob gegebenenfalls dieser Tarifvertrag - und wenn auch nur durch betriebliche Übung - auf das Arbeitsverhältnis seines Mandanten Anwendung finden konnte. Diese Verpflichtung oblag dem Beklagten auch schon im Jahre 1976, als er das Mandat übernahm. Schon damals gab es außer dem hier bedeutsamen RTV auch in anderen Tarifverträgen - etwa in § 9 RTV-Bau (BAGE 22, 241, 243; BAG, Urteil vom 9. März 1966 - 4 AZR 87/65 - aaO) - fast gleichlautende Bestimmungen. Auch war es damals bereits allgemein anerkannt, daß nichtorganisierte Arbeitnehmer in ihrem Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber auf einschlägige Tarifverträge Bezug nehmen können und dann auch hinnehmen müssen, daß ungünstige Regelungen dieses Tarifvertrages, wie z.B. Ausschlußfristen, ihnen gegenüber genau so angewendet werden wie im Verhältnis zwischen den Angehörigen von Tarifvertragsparteien (BAG, Urteile vom 5. November 1963 - 5 AZR 136/63 - AP Nr. 1 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag und vom 12. März 1971 - 3 AZR 224/70 - BAGE 23, 248, 255 = BB 1971, 824). In gleicher Weise war anerkannt, daß bei fehlender Tarifbindung auch durch Betriebsvereinbarung (BAGE 14, 140 [BAG 27.03.1963 - 4 AZR 72/62] = AP Nr. 9 zu § 59 BetrVG = NJW 1963, 1546 [BGH 23.01.1963 - Ib ZR 78/61] LS) oder betriebliche Übung derartige Bezugnahmen auf Tarifverträge erfolgen können (LAG Bremen, BB 1965, 495; LAG Düsseldorf, DB 1969, 88 [LAG Düsseldorf 02.01.1969 - 8 Sa 462/68]; zur Geltung von - für Arbeitnehmer - ungünstigen betrieblichen Übungen, die in einem Betrieb bestehen, in die der Arbeitnehmer eintritt, vgl. BAG, Urteil v. 8. November 1957 - 1 AZR 123/56 - BAGE 5, 44, 47 - AP Nr. 2 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Schaub weist in seinem Arbeitsrechtshandbuch bereits seit der 1. Auflage (1972, S. 434) darauf hin, daß die Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der Betriebsübung ergeben kann, daß der Arbeitgeber den gesamten Tarif, z.B. auch Verfallfristen, zum Inhalt des Arbeitsvertrages machen will, wenn u.a. Arbeitszeit, Urlaub und Urlaubsentgelt entsprechend dem Tarifvertrag geregelt werden. Auch Putzo hat in dem Handkommentar von Palandt schon in der 35. Aufl. (1976) klar und eindeutig die Gefahren aufgezeigt, die Arbeitnehmerndurch Ausschlußfristen drohen, selbst wenn sie diese nicht kennen. Er hat dabei ebenfalls darauf hingewiesen, daß sie für das Einzelarbeitsverhältnis auch durch Bezugnahme auf einen Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung gelten können. In dem Lernbuch "Arbeitsrecht" von Hanau/Adomeit wird überdies bereits seit der im Jahre 1972 erschienenen ersten Auflage (in Abschnitt K I 5, später K I 4) besonders hervorgehoben, wegen der oft sehr kurzen tariflichen Ausschlußfristen empfehle sich eine isolierte Kündigungsschutzklage nicht; dies sei schon manchem Arbeitnehmer, der auf die Gehaltsklage verzichtete, weil er sie neben der Kündigungsschutzklage für entbehrlich hielt und/oder Kosten sparen wollte, zum Verhängnis geworden.

15

cc)

Mit Recht führt das Berufungsgericht deshalb aus, der Beklagte habe dem Kläger gezielte Fragen zur Sachverhaltsaufklärung stellen müssen, nach denen die faktische Anwendung von Tarifvertragsrecht und damit zugleich von tariflichen Ausschlußfristen auf die Arbeitsverhältnisse der Betriebsangehörigen zu beantworten war. Diese Pflicht entfiel auch nicht bereits deswegen, weil der Beklagte, wie das Berufungsgericht weiterhin bemerkt, von dem Kläger erfahren hatte, dieser habe keinen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen, sei schon lange in einem relativ kleinen Betrieb tätig und seine Bezahlung richte sich nicht nach einem Tarifvertrag, seine Arbeitsbedingungen (insbesondere die Gehaltsfragen) habe er vielmehr immer mit dem Seniorchef ausgehandelt, mit dem er in einem fast familiären Verhältnis gestanden habe. Der Beklagte durfte allein aus diesen Angaben noch nicht den Schluß ziehen, Ausschlußfristen, die sich aus einem Tarifvertrag bzw. einer Betriebsvereinbarung ergaben oder aufgrund "betrieblicher Übung" galten, könnten sich auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht auswirken. Es mußte dem Beklagten damals vor allem klar sein, daß die Nichtanwendung eines Lohntarifvertrages noch keinen Anhaltspunkt dafür gab, daß auch Bestimmungen eines Rahmentarifvertrages keine Anwendung fanden, in dem gewöhnlich Ausschlußfristen vereinbart werden.

16

Die Aufklärungspflicht des Beklagten hatte sich daher vor allem darauf zu erstrecken, ob hinsichtlich der Anwendung des RTV eine (vielleicht seinem Mandanten sogar unbekannte) Betriebsvereinbarung oder betriebliche Übung bestand bzw. ob der Arbeitgeber dem Kläger etwa Leistungen gewährte, die ihre Grundlage im RTV hatten; dabei hätte etwa auch von Bedeutung sein können, ob sich u.U. der Urlaubsanspruch des Klägers, seine regelmäßige Arbeitszeit, die Bestimmung seiner Tätigkeitsgrundlagen usw. nach dem RTV richteten.

17

2.

Der erkennende Senat vermag dem Berufungsgericht jedoch nicht darin zu folgen, der Kläger habe die Schadensursächlichkeit der Pflichtverletzung des Beklagten nicht hinreichend dargelegt.

18

a)

Aus dem Vorbringen des Klägers ist zumindest zu entnehmen, daß der Beklagte bereits von ihm bei ausführlicher Befragung hätte erfahren können, daß er jedenfalls tariflichen Urlaub erhalten hatte. Das hätte den Beklagten schon zu besonderer Vorsicht veranlassen müssen, weil es dann naheliegen konnte, daß im Rahmen einer Betriebsvereinbarung oder aufgrund betrieblicher Übung sämtliche Bestimmungen des RTV - und zwar auch die den Arbeitnehmern nachteiligen - auf das Arbeitsverhältnis angewendet wurden. Bereits ein solcher Hinweis mußte daher für den Beklagten Veranlassung zu weiterer Prüfung geben. Zur sorgfältigen Erfüllung seiner Anwaltspflichten hätte es in diesem Falle gehört, zunächst den Kläger dahingehend zu belehren, daß er bei dieser Sachlage die Anwendbarkeit der Ausschlußklausel des § 14 RTV nicht sicher verneinen könne. Dann mußte er aber - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - unverzüglich unmittelbar bei dem Arbeitgeber wegen einer entsprechenden Betriebsvereinbarung oder betrieblichen Übung anfragen und, falls dieser sich auf eine solche Vereinbarung oder Übung berief, ihn darauf hinweisen, daß er Zahlungs- oder Feststellungsklage erheben müsse, falls dieser ihm nicht zusichere, er werde den Anspruch des Klägers, wenn er bestehe, ohne Rücksicht auf den Ablauf der Ausschlußfrist erfüllen. Für den Fall, daß der Arbeitgeber wider Erwarten eine derartige Zusicherung verweigert haben sollte, hätte er dem Kläger eindringlich zur Klage raten müssen.

19

b)

Ein solches Vorgehen des Beklagten hätte einen Schaden des Klägers mit Sicherheit verhindert.

20

aa)

Hätte der Arbeitgeber das Bestehen einer Betriebsvereinbarung oder betrieblichen Übung, wonach der gesamte RTV auf die Arbeitsverhältnisse der Poliere angewendet wird, verneint, hätte er sich gegenüber der späteren Zahlungsklage nicht - wie geschehen - wirksam darauf berufen können, gemäß betrieblicher Übung finde die Ausschlußklausel des § 14 RTV auf das Arbeitsverhältnis des Klägers Anwendung.

21

bb)

Hätte der Arbeitgeber dagegen bestätigt, daß eine entsprechende betriebliche Übung bestand, wäre der Kläger durch dessen Zusicherung, er werde den Anspruch auch ohne fristgerechte Geltendmachung erfüllen, gesichert gewesen, da auch die Anwendung einer von Amts wegen zu beachtenden Ausschlußfrist unter dem Grundgedanken des § 242 BGB steht (BAGE 14, 140, 145 [BAG 27.03.1963 - 4 AZR 72/62];  24, 84, 90 - AP Nr. 2 zu § 6 LohnFG = NJW 1972, 888 LS).

22

cc)

Hätte der Arbeitgeber eine derartige Zusicherung nicht abgegeben und der Beklagte den Kläger daraufhin auf die ernste Gefahr des Verlustes seiner Ansprüche hingewiesen, dann muß davon ausgegangen werden, daß sich der Kläger einem Rat, Klage zu erheben, nicht verschlossen hätte (vgl. Senatsurteil vom 23. Juni 1981 - VI ZR 42/80 - VersR 1981, 982, 985 im Anschluß an BGHZ 61, 118, 122); denn insofern besteht eine tatsächliche Vermutung für einen erfahrungsmäßigen Ablauf.

23

dd)

Aber selbst wenn der Beklagte von dem Kläger nicht einmal erfahren hätte, daß ihm sein Arbeitgeber tariflichen Urlaub gewährt hatte, läßt sich die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung des Beklagten für den Schaden des Klägers nicht verneinen. Auch dann konnte es einer Übung im Betrieb entsprechen, die Bestimmungen des Rahmentarifvertrages auf alle Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Der Beklagte, der als Anwalt verpflichtet war, den "sichersten" Weg zu gehen, um das von seinem Mandanten erstrebte Ziel zu erreichen (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 23. Juni 1981 - VI ZR 42/80 - a.a.O. m.w.Nachw.), durfte daher auch bei einem solchen Ergebnis seiner Ermittlungen nicht ohne weiteres auf die Sicherungswirkung der Kündigungsschutzklage vertrauen. Auch bei derartiger Gestaltung ergaben sich für ihn die gleichen Erörterungs- bzw. Aufklärungspflichten wie in dem zuvor erörterten Fall.

24

III.

Bei dieser Sachlage war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, da das Berufungsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob dem Kläger infolge der Pflichtverletzung des Beklagten überhaupt ein Schaden entstanden ist und ggf. in welchem Ausmaß.

Dr. Hiddemann
Dunz
Dr. Steffen
Dr. Kullmann
Dr. Ankermann