Bundesgerichtshof
Urt. v. 13.03.1981, Az.: V ZR 115/80
Rechtskraftbindung einer Herausgabeklage bei einem weiteren Rechtsstreit über die Herausgabe von Nutzungen; Nachfolge im Eigenbesitz an der streitbefangenen Sache als Rechtsnachfolge; Einwand der sittenwidrigen Ausnutzung eines unrichtigen Urteils
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 13.03.1981
- Aktenzeichen
- V ZR 115/80
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1981, 12223
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Frankfurt am Main - 24.04.1980
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- NJW 1982, 148-149 (Urteilsbesprechung von Dr. Johann Braun)
- NJW 1981, 1517-1518 (Volltext mit amtl. LS)
- WM 1981, 625
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bei der Nachfolge im Besitz handelt es sich nicht um eine Rechtsnachfolge im eigentlichen Sinne. Dieser Begriff umfaßt allerdings in § 325 Abs.1 BGB auch die Nachfolge im Eigenbesitz an der streitbefangenen Sache.
- 2.
Zwei identische und gleichzeitig erhobene Klagen durch den gleichen Kläger sind unzulässig. Ergehen dennoch über dieselbe Sache zwei Urteile, geht das frühere dem späteren wegen der Rechtskraftwirkung vor.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes
hat auf die mündliche Verhandlung vom 13. März 1981
durch
den Vorsitzenden Richter Hill und
die Richter Dr. Thumm, Prof. Dr. Hagen, Dr. Vogt und Dr. Räfle
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. April 1980 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Nutzungsentschädigung für einen Grundstücksteil. Sie ist Eigentümerin des Grundstücks Flur I Nr. 428/1 in Dietzenbach, das durch Vereinigung der früheren Parzellen Nr. 13, 14 und 22 1/10 gebildet worden ist. Es stößt an das Grundstück Flur I Nr. 427. Die Eigentümer dieses Grundstücks haben seit 1897 den der früheren Parzelle Nr. 14 entsprechenden Teil des Grundstücks der Klägerin in Besitz und haben ihn zum Teil auch bebaut. Die 1964 von der Klägerin gegen die Beklagte zu 1 und deren Ehemann, die damaligen Eigentümer des Grundstücks Nr. 427, erhobene Herausgabeklage wurde durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 11. Februar 1965 abgewiesen mit der Begründung, die Klägerin sei - entgegen dem Grundbuch - nicht Eigentümerin des der früheren Parzelle Nr. 14 entsprechenden Grundstücksteils. Danach erhob die Beklagte zu 1, inzwischen alleinige Eigentümerin des Grundstücks Nr. 427 und Besitzerin des streitigen Grundstücksteils, gegen die Klägerin Klage auf Zustimmung zur Wiederherstellung der Parzelle Nr. 14 und zur Eintragung der Beklagten zu 1 als Eigentümerin im Wege der Grundbuchberichtigung. Diese Klage hatte keinen Erfolg. Die Berufung der Beklagten zu 1, damals Klägerin, wies das Berufungsgericht mit Urteil vom 11. Mai 1967, das rechtskräftig geworden ist, zurück. Zur Begründung ist ausgeführt, es lasse sich nicht feststellen, daß die Klägerin (damals Beklagte) zu Unrecht im Grundbuch als Eigentümerin des der früheren Parzelle Nr. 14 entsprechenden Teils des Grundstücks Nr. 428/1 eingetragen sei.
Seit dem 12. März 1976 sind die Beklagten zu 2 und 3 infolge Auflassung durch die Beklagte zu 1 und Eintragung im Grundbuch je zur Hälfte Eigentümer des Grundstücks Nr. 427 und auch Besitzer des umstrittenen Teils des Grundstücks der Klägerin.
Die Klägerin verlangt jetzt von den Beklagten ab 1. Januar 1972 Entschädigung für die Nutzung des der früheren Parzelle Nr. 14 entsprechenden Teils ihres Grundstücks. Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Es hat für die Zeit bis zum 31. Januar 1976 die Beklagte zu 1 zur Zahlung von 2.450 DM, für die Zeit ab 12. März 1976 die Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner zur Zahlung von 2.280 DM, jeweils mit Zinsen, verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage ganz abgewiesen.
Mit der - zugelassenen - Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagten beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I.
Im Ergebnis mit Recht hat das Berufungsgericht Ansprüche der Klägerin auf Nutzungsentschädigung gemäß §§ 987 ff BGB verneint. Ihnen steht die rechtskräftige Abweisung der Herausgabeklage der Klägerin entgegen. Das ergibt sich aus der Rechtskraftwirkung (§§ 322 Abs. 1, 325 Abs. 1 ZPO) jenes Urteils, nicht - wie das Berufungsgericht meint - aus entsprechender Anwendung des § 224 BGB.
1.
Das die Herausgabeklage abweisende Urteil hat zwar nicht das Eigentum der damaligen Beklagten, wohl aber die daraus hergeleitete Rechtsfolge, daß ein Herausgabeanspruch der Klägerin gegen die damaligen Beklagten nach § 985 BGB nicht besteht, für die Parteien des damaligen Rechtsstreits bindend festgestellt (vgl. BGB-RGRK 12. Aufl. § 985 Rdn. 85; Stein/Jonas/Schumann/Leipold, ZPO 19. Aufl. § 322 Anm. VI 4 a). Diese Feststellung ist auch bindend, wenn in einem neuen Prozeß der Parteien die Entscheidung über einen anderen Anspruch von dem Bestehen oder Nichtbestehen des Herausgabeanspruchs abhängt (vgl. BGH Urteile vom 26. Februar 1958 - V ZR 141/56 = LM ZPO § 322 Nr. 23;vom 30. Mai 1960 - II ZR 207/58 = LM a.a.O. Nr. 27;vom 14. Oktober 1964 - V ZR 249/62 = LM a.a.O. Nr. 48 = NJW 1965, 42 = MDR 1965, 33 m.w.Nachw.; RGZ 50, 416, 417/418; RG GruchBeitr 49, 673; RG JW 1910, 393 Nr. 13). Dies gilt, wenn der Herausgabeklage rechtskräftig stattgegeben worden ist und in einem weiteren Rechtsstreit über die Herausgabe von Nutzungen nach §§ 292, 987 ZPO gestritten wird (vgl. BGH Urteil vom 3. März 1954 - VI ZR 256/52 = LM BGB § 987 Nr. 3). Ebenso ist das Nichtbestehen des Herausgabeanspruchs durch die rechtskräftige Abweisung der Herausgabeklage für die Entscheidung über einen von dem Herausgabeanspruch abhängigen anderen Anspruch bindend festgestellt.
2.
Diese Wirkung hat die Rechtskraft des die Herausgabeklage der Klägerin abweisenden Urteils vom 11. Februar 1965 zugunsten aller Beklagten (§ 325 Abs. 1 ZPO). Die Beklagte zu 1 war neben ihrem Ehemann als Beklagte Partei des Rechtsstreits, in dem das Urteil ergangen ist. Die Beklagten zu 2 und 3 sind ihr nach Eintritt der Rechtshängigkeit der Herausgabeklage, wenn auch erst, nachdem die Entscheidung darüber rechtskräftig geworden war (vgl. Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 12. Aufl. § 157 III 2 a ß), im Besitz des damals streitbefangenen Grundstücks gefolgt.
Nachfolge nur im Besitz ist zwar keine Rechtsnachfolge im eigentlichen Sinn. In § 325 Abs. 1 ZPO umfaßt dieser Begriff jedoch auch die Nachfolge im Eigenbesitz an der streitbefangenen Sache (vgl. RGZ 82, 35, 38; 121, 379, 381, 382; RG WarnRspr 1925, 75; Rosenberg/Schwab a.a.O. § 103 II 3; Wieczorek, ZPO 2. Aufl. § 325 Anm. C I b 3). Eigenbesitzer (§ 872 BGB) ist, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache ausübt mit dem Willen, sie wie eine ihm gehörende zu beherrschen (BGH Urteil vom 30. Juni 1971 - V ZR 43/69 = LM BGB § 872 Nr. 1 = MDR 1971, 915; BGB-RGRK 12. Aufl. § 872 Rdn. 1). Danach sind die Beklagten zu 1 und 2 Eigenbesitzer des umstrittenen Grundstücksteils, wie die Beklagte zu 1 es vor ihnen war. Die Beklagten und ihre Vorgänger besitzen und nutzen den Grundstücksteil seit Jahrzehnten unter Ausschluß Dritter, auch der Klägerin, der Eigentümerin. Selbst wenn sie von dem Eigentum der Klägerin überzeugt sein sollten, würde das ihren Eigenbesitz nicht ausschließen. Für ein Besitzrecht auf Zeit (§ 868 BGB) oder eine dahingehende Vorstellung der Beklagten fehlt auch nach dem Vorbringen der Klägerin jeder Anhalt. Die Beklagten sind vielmehr davon überzeugt, daß sie weder zur Herausgabe noch zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung gezwungen werden können.
3.
Die Rechtskraftwirkung des die Herausgabeklage der Klägerin abweisenden Urteils ist weder aufgehoben noch sonst beeinträchtigt.
a)
Daß der Herausgabeanspruch inzwischen durch Eintritt neuer Tatsachen entstanden sei, macht die Klägerin nicht geltend. Die Rechtskraft der Abweisung der Herausgabeklage hätte daher nur durch Wiederaufnahme des Verfahrens (§§ 578 ff ZPO) beseitigt werden können. Die Abweisung der Klage der Beklagten zu 1 auf Berichtigung des Grundbuchs zu ihren Gunsten (§ 894 BGB) konnte dies, wie weit die objektiven Grenzen der Rechtskraft dieser Entscheidung auch sein mögen, schon deshalb nicht bewirken, weil bei einander widersprechenden Urteilen die Rechtskraft des älteren vorgeht (vgl. § 580 Nr. 7 a ZPO).
b)
Zu Unrecht beanstandet die Klägerin, daß das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob der Rechtskraftwirkung des die Herausgabeklage abweisenden Urteils ein Einwand aus § 826 BGB entgegensteht. Zu einer solchen Prüfung bot das Vorbringen der Klägerin in den Tatsacheninstanzen keinen Anlaß. Daß die Beklagte zu 1 und ihr Ehemann die Abweisung der Widerklage in sittenwidriger Weise erwirkt haben könnten, macht auch die Revision nicht geltend. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 13, 71 [BGH 01.04.1954 - IV ZR 177/53]; 26, 391, 396, 397 [BGH 05.03.1958 - IV ZR 307/57]; 50, 115, 117 [BGH 27.03.1968 - VIII ZR 141/65]; BGH Urteil vom 22. Oktober 1969 - VIII ZR 216/68 = LM BGB § 826 Fa Nr. 20 = MDR 1970, 134 = BB 1969, 1459; jeweils m.w.Nachw.) wie auch schon des Reichsgerichts (vgl. die Nachweise in den angeführten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs; außerdem Thumm, Die Klage aus § 826 BGB gegen rechtskräftige Urteile, 1959, S. 43 ff) kann allerdings nicht nur das sittenwidrige Erwirken, sondern auch das sittenwidrige Ausnutzen eines als unrichtig erkannten rechtskräftigen Urteils einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB begründen. Damit könnte möglicherweise auch die vorgreifliche Wirkung eines unrichtigen, aber rechtskräftigen Urteils für die Entscheidung über einen anderen Anspruch ausgeräumt werden (vgl. Thumm a.a.O. S. 8/9). Daß die Klägerin die tatsächlichen Voraussetzungen dafür in den Vorinstanzen behauptet habe, zeigt aber auch die Revision nicht auf.
Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Herausgabeklage zu Unrecht abgewiesen worden sei, so hat doch die Klägerin nicht behauptet, daß die Beklagten die Unrichtigkeit des Urteils erkannt hätten. Vor allem aber setzt ein Anspruch oder Einwand aus § 826 BGB wegen sittenwidriger Ausnutzung eines als unrichtig erkannten Urteils immer auch voraus, daß besondere Umstände vorliegen, die das Gebrauchmachen von dem Urteil als einen Verstoß gegen die guten Sitten erscheinen lassen (vgl. BGH aaO; Thumm a.a.O. S. 49/50; jeweils m.w.Nachw.). Die Revision hat nicht aufgezeigt, daß das Berufungsgericht insoweit erheblichen Prozeßstoff übergangen habe. Das gleiche gilt für den außerdem erforderlichen Vorsatz der Beklagten, der auch die den Sittenverstoß ergebenden Umstände umfassen müßte.
4.
Somit steht seit 1965 bindend fest, daß die Klägerin seit 1965 gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Herausgabe des umstrittenen Grundstücksteils nach § 985 BGB hat. Die Ansprüche des Eigentümers einer Sache gegen ihren Besitzer gemäß §§ 987 ff BGB setzen aber voraus, daß zu der Zeit, zu der sie entstanden sein sollen, die Vindikationslage, d.h. der Anspruch des Eigentümers auf Herausgabe der Sache nach § 985 BGB bestanden hat (vgl. BGHZ 27, 317, 320 [BGH 23.05.1958 - VIII ZR 200/57]; 34, 122, 128 [BGH 21.12.1960 - VIII ZR 89/59]/129; Baur, Sachenrecht 10. Aufl. § 11 B I 1; BGB-RGRK § 987 Rdn. 3 und 4; Staudinger/Gursky, BGB 12. Aufl. Vorbem. zu §§ 987-993 Rdn. 6). Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten gemäß §§ 987 ff BGB auf Entschädigung für Nutzungen des umstrittenen Grundstücksteils scheiden daher aus.
II.
Mit Recht hat das Berufungsgericht auch Ansprüche der Klägerin aus anderen Vorschriften als den §§ 987 ff BGB verneint. Ob dies schon daraus folgt, daß die §§ 987 ff BGB unter den hier gegebenen Umständen die Ansprüche des Eigentümers gegen den Besitzer auf Herausgabe von Nutzungen abschließend regeln, kann auf sich beruhen. Die Voraussetzungen anderer Anspruchsgrundlagen sind nicht erfüllt.
Die Klägerin verlangt Entschädigung dafür, daß die Vorteile, die der Gebrauch des umstrittenen Grundstücksteils gewährt (§ 100 BGB), ihr entgangen und den Beklagten zugeflossen sind. Ein solcher Anspruch kann sich nicht aus §§ 687 Abs. 2 Satz 1, 681 Satz 2, 667 BGB ergeben. Er würde voraussetzen, daß die Beklagten mit Besitz und Gebrauch des Grundstücksteils ein objektiv fremdes Geschäft, nämlich ein Geschäft der Klägerin, geführt hätten. Dies ist jedoch deswegen nicht der Fall, weil die Klägerin von ihnen die Herausgabe des Grundstücksteils nicht verlangen kann. Auch einem auf § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB gestützten Verlangen auf Herausgabe des Grundstücksteils, das die Herausgabe der Nutzungen umfassen würde (§ 818 Abs. 1 und 2 BGB), steht die rechtskräftige Verneinung des Herausgabeanspruchs der Klägerin entgegen.
Dr. Thumm
Hagen
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Vogt ist wegen Erkrankung dienstunfähig und kann deshalb nicht unterschreiben. Hill
Räfle