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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 17.12.1980, Az.: IVb ZB 499/80

Schutz der gesetzlichen Härteklauseln bei der Entscheidung über den Versorgungsausgleich; Beschränkung der Rechtsmittelzulassung auf einzelne rechtliche Gesichtspunkte; Verfassungsmäßigkeit des Versorgungsausgleichs, insbesondere des so genannten Quasi-Splittings; Herabsetzung des Ausgleichsanspruchs der Ehefrau; Grobe Unbilligkeit der Durchführung des Versorgungsausgleichs für den Ehemann unter Berücksichtigung der Interessen der Ehefrau; Zumutbarkeit der Schaffung einer Daseinsgrundlage durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
17.12.1980
Aktenzeichen
IVb ZB 499/80
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1980, 11871
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Stuttgart - 04.10.1978

Fundstelle

  • FamRZ 1981, 340

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung auf einzelne rechtliche Gesichtspunkte (Frage der Verfassungsmäßigkeit des Versorgungsausgleichs) ist nicht wirksam.

  2. 2.

    Die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs ist in der Regel grob unbillig, wenn die ausgleichsberechtigte Frau darauf vertrauen kann, daß die Ehe nicht geschieden und sie Anspruch auf Unterhalt und Versorgung behalten werde, und sie angesichts ihres Alters bei der Trennung (55 Jahre) nicht mehr in der Lage war, ihre Altersversorgung selbst sicherzustellen.

Der IV b - Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Grell und
die Richter Lohmann, Dr. Seidl, Dr. Blumenröhr und Dr. Krohn
am 17. Dezember 1980
beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des 17. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Oktober 1978 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner trägt die Kosten der weiteren Beschwerde.

Wert der Beschwer: 9.343,08 DM.

Gründe

1

I.

Die Parteien haben im Jahre 1953 die Ehe geschlossen, aus der Kinder nicht hervorgegangen sind. Die Ehefrau ist jetzt 72 Jahre, der Ehemann 67 Jahre alt. Seit März 1964 leben die Parteien getrennt. Im April 1964 erhob der Ehemann eine auf § 43 EheG a.F. gestützte Scheidungsklage (Beiakte 15 R 200/65 LG Stuttgart), die rechtskräftig abgewiesen wurde. Der Ehemann war Beamter - zuletzt Amtmann - im gehobenen Dienst der Finanzverwaltung; er ist inzwischen im Ruhestand. Die Ehefrau war während der Ehe - vor wie nach der Trennung der Parteien - nicht erwerbstätig.

2

Auf Antrag der Ehefrau hat das Amtsgericht - Familiengericht - durch Urteil vom 29. Juni 1978 die Scheidung der Ehe ausgesprochen. Zugleich hat es den Versorgungsausgleich dahin geregelt, daß es zu Lasten der für den Ehemann beim Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg bestehenden Versorgungsanwartschaft für die Ehefrau auf einem bei der Landesversicherungsanstalt Württemberg zu errichtenden Versicherungskonto Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 778,59 DM, bezogen auf den 31. Oktober 1977, begründet hat.

3

Die auf die Durchführung des Versorgungsausgleichs beschränkte Beschwerde des Ehemannes hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Ehemannes, mit der er sein früheres Begehren weiter verfolgt, den Versorgungsausgleich entfallen zu lassen oder den Ausgleichsanspruch herabzusetzen.

4

II.

Die weitere Beschwerde ist nach § 621 e Abs. 2 Satz 1 i.V. mit § 621 Abs. 1 Nr. 6 ZPO statthaft. Allerdings hat das Oberlandesgericht die weitere Beschwerde "beschränkt" zugelassen und dazu in den Gründen des angefochtenen Beschlusses ausgeführt, die Zulassung werde auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Versorgungsausgleichs beschränkt. Diese Einschränkung berührt indessen die Wirksamkeit der Zulassung nicht. Sie hat entgegen der Ansicht der Beschwerdeerwiderung auch nicht zur Folge, daß der Senat die angefochtene Entscheidung nur unter dem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen hat, ob die gesetzlichen Vorschriften über den Versorgungsausgleich sich im Rahmen der Verfassung halten. Vielmehr erstreckt sich seine Prüfungsbefugnis auch darauf, ob über den Versorgungsausgleich rechtlich einwandfrei entschieden, insbesondere ob dem Ehemann - wie er geltend macht - der Schutz der gesetzlichen Härteklauseln zu Unrecht versagt worden ist. Bei der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung wie bei der Anwendbarkeit der Härteklauseln handelt es sich um nichts anderes als verschiedene rechtliche Gesichtspunkte, die - neben anderen - bei der gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidung über den Versorgungsausgleich zu berücksichtigen sind. In dieser rechtlichen Prüfung konnte das Oberlandesgericht den Bundesgerichtshof nicht beschränken. Soweit die Rechtsprechung bisher Beschränkungen der Rechtsmittelzulassung als wirksam behandelt hat (vgl. die Nachweise im Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 1979 - IV ZR 76/78 - LM ZPO § 546 Nr. 92 = NJW 1979, 767 - FamRZ 1979, 233), war das Rechtsmittel jeweils auf rechtlich und tatsächlich selbständige Teile des Gesamtprozeßstoffs beschränkt, über die ein Teilurteil hätte ergehen und auf die ein Rechtsmittel hätte beschränkt werden können. Das ist bei der Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften über den Versorgungsausgleich nicht der Fall. Etwas anderes würde auch dann nicht gelten, wenn die Zulassungsentscheidung des Oberlandesgerichts dahin zu verstehen wäre, daß die weitere Beschwerde zugelassen, (allein) die Entscheidung über die Anwendbarkeit der Härteklauseln aber der Anfechtung entzogen werden solle. Auch wenn die Anwendung der Härteklausel des Artikel 12 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 und 4 des 1. EheRG von dem Antrag des Ausgleichsverpflichteten abhängt (anders die Härteregelung des § 1587 c BGB), handelt es sich doch nicht um ein "Verteidigungsmittel", das einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teil des Gesamtstreitstoffs darstellt, wie im Fall BGHZ 53, 152, 154 f. Eine Beschränkung der Rechtsmittelzulassung auf einzelne rechtliche Gesichtspunkte wird mit Recht nicht für wirksam erachtet. Auch dem angeführten Beschluß des früheren IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 10. Januar 1979 liegt eine andere Auffassung nicht zugrunde.

5

III.

Die weitere Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

6

1.

Soweit der Beschwerdeführer Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des durch das 1. EheRG eingeführten Versorgungsausgleichs, insbesondere des sogenannten Quasisplittings nach § 1587 b Abs. 2 BGB erhebt, sind diese nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts unbegründet. Auf die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 21. März 1979 (IV ZB 136/78 und 142/78 - BGHZ 74, 86 ff und 38 ff) und auf das Urteil des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1980 (1 BvL 17/77 u.a. - BVerfGE 53, 257) wird Bezug genommen. Für die vom Beschwerdeführer angeregte Aussetzung des Verfahrens ist kein Raum.

7

2.

Der Ehemann hat beantragt, den Ausgleichsanspruch der Ehefrau nach Art. 12 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 und 4 des 1. EheRG auf die Hälfte herabzusetzen. Nach dieser Vorschrift kann das Familiengericht auf Antrag des Ausgleichspflichtigen den Ausgleichsanspruch bis zur Hafte des auf die Trennungszeit entfallenden gesetzlichen Anspruchs herabsetzen, wenn die Ehe vor Inkrafttreten des 1. EheRG allein wegen des Widerspruchs des anderen Ehegatten nicht geschieden werden durfte (§ 48 EheG a.F.) und die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs für ihn auch unter Berücksichtigung der Interessen des anderen Ehegatten grob unbillig wäre. Ob die Voraussetzungen, unter denen nach dieser Vorschrift eine Herabsetzung des Ausgleichsanspruchs in Betracht kommt, im vorliegenden Fall gegeben sind, ist dem angefochtenen Beschluß nicht sicher zu entnehmen, kann aber auch auf sich beruhen. Denn dem Oberlandesgericht ist jedenfalls darin beizupflichten, daß die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs für den Ehemann unter Berücksichtigung der Interessen der Ehefrau nicht grob unbillig ist.

8

Das Oberlandesgericht hat hierzu ausgeführt: Wie sich aus den Akten des früheren Ehescheidungsrechtstreits ergebe, habe die Ehefrau darauf vertrauen können, daß die Ehe nicht geschieden werde und sie Ansprüche auf Unterhalt und Versorgung erhalten werde. An eine eigene Versorgung habe sie nicht zu denken brauchen. Angesichts ihres Alters im Zeitpunkt der Trennung von (richtig) 55 Jahren sei sie auch nicht mehr in der Lage gewesen, ihre Altersversorgung selbst sicherzustellen. Dem Ehemann verblieben bei uneingeschränkter Durchführung des Versorgungsausgleichs monatlich rund 1.200 DM, was für ihn eine ausreichende Alterssicherung darstelle.

9

Diese Gründe tragen die angefochtene Entscheidung.

10

Da der Versorgungsausgleich dem Gedanken der Versorgungsgemeinschaft Rechnung tragen soll, die eine Ehe schon während der Phase der Erwerbstätigkeit des oder der Ehegatten (auch) ist, fehlt ihm die eigentliche rechtfertigende Grundlage, solange die eheliche Lebensgemeinschaft durch Trennung der Ehegatten aufgehoben ist (BGHZ 75, 241, 269). Darauf beruht die hier in Rede stehende Härteklausel (BGHZ a.a.O. S. 270; Senatsbeschluß vom 12. November 1980 - IV b ZB 503/80 - zur Veröffentlichung bestimmt). Andererseits macht das Gesetz die Herabsetzung des Ausgleichsanspruchs von der strengen Voraussetzung der groben Unbilligkeit abhängig und verlangt ausdrücklich, daß bei deren Prüfung die Interessen des anderen Ehegatten berücksichtigt werden; eine Herabsetzung auf weniger als die Hälfte des auf die Trennungszeit entfallenden gesetzlichen Anspruchs ist überhaupt ausgeschlossen. Durch diese Regelungen betont das Gesetz das Schutzbedürfnis des ausgleichsberechtigten Ehegatten, der nach dem früheren Rechtszustand gegen seinen Widerspruch nicht geschieden werden und daher auf den Fortbestand seiner Versorgung vertrauen durfte.

11

Bei Anlegung der Maßstäbe, die das Gesetz hiermit gibt, ist die vom Oberlandesgericht vorgenommene Würdigung, die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs sei im vorliegenden Fall nicht grob unbillig, nicht rechtsfehlerhaft. Die Ehefrau war vor der Eheschließung der Parteien unstreitig niemals erwerbstätig. Vielmehr war sie vorher schon einmal verheiratet und hatte aus ihrer ersten Ehe fünf Kinder. Das ergeben die im ersten Ehescheidungsrechtstreit der Parteien ergangenen Urteile, auf die der angefochtene Beschluß sich bezieht. Bei der Trennung der Parteien im Jahre 1964 war die Ehefrau 55 Jahre alt; daß sie sogleich Anlaß gehabt hätte, diese Trennung für endgültig zu halten, ist nicht festgestellt und auch nicht aus dem Zusammenhang des festgestellten Sachverhalts zu ersehen. Nach dem Ausgang des ersten Ehescheidungsverfahrens, das den gegen sie erhobenen Vorwurf schwerer Eheverfehlungen nicht bestätigt, sondern im Gegenteil den Ehemann belastet hatte, brauchte sie nach dem damaligen Rechtszustand mit einer Scheidung gegen ihren Willen nicht zu rechnen. Andererseits hatte ihr Ehemann als Beamter auf Lebenszeit des gehobenen Dienstes ein gesichertes Einkommen und feste Aussicht auf eine Altersversorgung, die den Unterhalt beider Eheleute auf Dauer zu sichern vermochte. Nach alledem war der Ehefrau entgegen der Ansicht der weiteren Beschwerde nicht zuzumuten, sich nach der Trennung der Parteien - soweit das in ihrem damaligen Alter überhaupt noch möglich gewesen wäre - durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit eine eigene Daseinsgrundlage zu schaffen. Daß sie dies unterlassen hat, läßt daher die uneingeschränkte Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht als grob unbillig erscheinen.

12

Auch die sonstigen Umstände des Sachverhalts rechtfertigen keine andere Beurteilung. Insbesondere gilt dies für den von der weiteren Beschwerde hervorgehobenen Umstand, daß die Parteien bis zur Trennung nicht mehr als 11 Jahre zusammengelebt haben. Diese Zeitspanne ist an sich nicht kurz. Außerdem fällt ins Gewicht, daß die Ehefrau bei der Heirat der Parteien schon in verhältnismäßig vorgerückten Jahren stand, keine eigene Altersversorgung hatte und eine solche - ersichtlich im Einverständnis des Ehemannes - auch während der Ehe nicht aufgebaut hat. Er hat daher mit der Heirat in besonderem Maße die Verantwortung für ihre Alterssicherung übernommen.

13

3.

Nach § 1587 c Nr. 1 BGB findet ein Versorgungsausgleich nicht statt, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten unter Berücksichtigung der beiderseitigen Verhältnisse, insbesondere des beiderseitigen Vermögenserwerbs während der Ehe oder im Zusammenhang mit der Scheidung grob unbillig wäre. Zu Recht hat das Oberlandesgericht auch diese Voraussetzungen für einen Wegfall oder eine Herabsetzung der Ausgleichspflicht im vorliegenden Fall verneint.

14

Daß die Vermögensverhältnisse der Parteien die. Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig machten, nimmt die weitere Beschwerde selbst nicht in Anspruch. Nach den Feststellungen des angefochtenen Beschlusses kann die Ehefrau sich nicht selbst unterhalten, während dem Ehemann auch nach Durchführung des Versorgungsausgleichs ein zu seinem Unterhalt durchaus ausreichender Teil seiner Versorgung verbleibt.

15

Ob das längere Getrenntleben der Parteien vor Inkrafttreten des 1. EheRG hier im Hinblick auf die Sonderregelung des Art. 12 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 und 4 des 1. EheRGüberhaupt berücksichtigt werden darf (vgl. dazu BGHZ 75, 241, 269; Senatsbeschluß vom 12. November 1980 aaO), kann auf sich beruhen. Ebensowenig nötigt die vorliegende Sache zu einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der - vom Oberlandesgericht verneinten - Frage, ob und inwieweit das Getrenntleben der Eheleute und dessen Dauer für die Härteregelung des § 1587 c Nr. 1 BGB Bedeutung gewinnen kann. Denn jedenfalls führen dieselben Gründe, aus denen schon im Rahmen von Art. 12 Nr. 3 Abs. 3 Satz 3 und 4 des 1. EheRG der Fall grober Unbilligkeit verneint wurde (s. oben zu 2.), auch hier zu dem Ergebnis, daß die Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht wegen der Dauer des Getrenntlebens der Parteien grob unbillig ist.

16

4.

Soweit die weitere Beschwerde einen Ausschluß des Versorgungsausgleichs daraus herleiten will, daß die Ehefrau während der Ehe gröblich ihre Pflicht verletzt habe, zum Familienunterhalt beizutragen (§ 1587 c Nr. 3 BGB), führt sie - wie die Beschwerdeerwiderung mit Recht geltend macht - einen neuen Sachverhalt ein, dem nachzugehen das Vorbringen in den Tatsacheninstanzen dem Oberlandesgericht keinen Anlaß gab.

17

5.

Gegen die Höhe der für die Ehefrau begründeten Rentenanwartschaft erhebt die weitere Beschwerde keine Bedenken. Solche sind auch aus Rechtsgründen nicht ersichtlich.

Streitwertbeschluss:

Wert der Beschwer: 9.343,08 DM.

Dr. Grell
Lohmann
Dr. Seidl
Blumenröhr
Krohn