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Bundesgerichtshof
Urt. v. 04.03.1977, Az.: V ZR 236/75

Personenschäden oder Sachschäden durch wiederholte unerlaubte Lärmeinwirkungen oder Erschütterungseinwirkungen; Anforderungen an die Darlegungspflicht des Immittenten bezüglich der Einrede der Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus unerlaubter Handlung; Vermögensschaden durch immissionsbedingte Verkehrswertminderung eines Grundstücks; Entfallen des Vermögensschadens bei Beendigung der Immissionseinwirkungen

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
04.03.1977
Aktenzeichen
V ZR 236/75
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1977, 11389
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Koblenz - 19.09.1975
LG Koblenz

Fundstellen

  • DB 1977, 1649 (Volltext mit amtl. LS)
  • DB 1977, 1554 (Volltext mit amtl. LS)
  • DB 1977, 1745 (Volltext mit amtl. LS)
  • MDR 1977, 922 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1978, 262-264 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Haben wiederholte unerlaubte Lärm- oder Erschütterungseinwirkungen während eines längeren Zeitraums Personen- oder Sachschäden verursacht, so obliegt es dem Immittenten, der sich auf Verjährung beruft, darzulegen, welche Schadensersätzansprüche aus den einzelnen unerlaubten Handlungen verjährt sind. Hierzu gehört auch die Darlegung des Zeitpunkts, in dem der Geschädigte Kenntnis von den schädlichen Folgen der einzelnen Immissionen erlangt hat.

Wird der Verkehrswert eines Grundstücks vorübergehend durch Immissionen vermindert, so endet der hiermit verbundene Vermögensschaden, sobald die Einwirkungen endgültig aufhören. Von diesem Zeitpunkt ab entfällt eine etwaige Ersatzpflicht des Schädigers.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 1977
durch
den Vorsitzenden Richter Hill und
die Richter Offterdinger,
Dr. Eckstein, Prof.Dr. Hagen und Linden
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers und auf die Anschlußrevision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. September 1975 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionsinstanz, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger und seine Ehefrau sind Miteigentümer des Grundstücks B. Nr. ... in S. auf dem sie ein 1947/1948 erbautes Einfamilienhaus bewohnen. Etwa 50 m entfernt betreibt die erstbeklagte Kommanditgesellschaft, deren persönlich haftender Gesellschafter der Zweitbeklagte ist, seit dem Jahre 1963 eine - inzwischen gewerbeaufsichtlich genehmigte - Fabrik, in der sie Heizölbehälter und Rauchrohre herstellt. Zwischen dem Betriebsgelände und dem Hausgrundstück B. Nr. ... befindet sich ein etwa 1.100 qm großes Baugrundstück, das ebenfalls dem Kläger und seiner Ehefrau je zur ideellen Hälfte gehört.

2

In den Jahren 1964 bis 1966 bildeten sich an den Wänden des Hauses des Klägers Risse. Der Kläger und andere Anlieger beschwerten sich bei den Beklagten über betriebsbedingte Belästigungen durch Lärm, Erschütterungen und Dämpfe und verlangten die Einstellung der Immissionen; der Kläger erstattete im Juli 1964 Strafanzeige gegen den Zweitbeklagten. Am 30. Juni 1966 wurde er, nachdem er bereits seit fünf Jahren ständig ärztlich behandelt worden war, invalidisiert und trat vorzeitig in den Ruhestand.

3

Am 10. Juni 1969 reichte der Kläger, der sich etwaige Schadensersatzansprüche seiner Ehefrau hatte abtreten lassen, durch seinen Prozeßbevollmächtigten einen als "Klageschrift" bezeichneten Schriftsatz bei Gericht ein und beantragte gleichzeitig auf einem gesonderten Formular das Armenrecht "für die zunächst beabsichtigte Klage"; für den Fall der Armenrechtsbewilligung bat er "um sofortige Zustellung der Klage"; als beigefügte Anlagen erwähnte der Formulartext den "Entwurf einer Klage in 2 Stücken". Der Kläger machte die Beklagten aufgrund der Immissionen für Personen- und Sachschäden verantwortlich. Seine zunächst angekündigten Zahlungsanträge bezogen sich auf Lohnausfall in der Zeit vom 1. Juli 1966 bis zum 30. Juni 1969 (23.613,70 DM), auf ein angemessenes Schmerzensgeld und auf Wertminderung des dem Fabrikgelände benachbarten Baugrundstücks (9.900,00 DM); sein Feststellungsbegehren erstreckte sich auf den Ersatz des weiteren Lohnausfallschadens bis zum 31. März 1977, dem normalen Zeitpunkt seines Eintritts in den Ruhestand, sowie des durch Erschütterungen seitens einer Tiefziehpresse am Wohnhaus verursachten Sachschadens. Nachdem am 3. Oktober das Armenrecht bewilligt worden war und der Kammervorsitzende Termin anberaumt hatte, wurde den Beklagten die Klageschrift am 13. Oktober 1969 zugestellt. Die Beklagten erheben u.a. die Einrede der Verjährung.

4

Während des ersten Rechtszuges hat der Kläger seinen Schadensersatzanspruch hinsichtlich des Lohnausfalls auf die Hälfte beschränkt; er hat die Leistungsklage auf den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1971 erstreckt und sie insoweit auf 26.656,54 DM beziffert.

5

Durch Teil- und Grundurteil hat das Landgericht dem Zahlungsbegehren in Höhe von insgesamt 36.556,54 DM (26.656,54 DM Lohnausfallschaden sowie 9.900,00 DM Wertminderung des Hausgrundstücks) nebst 4 v. H. Zinsen stattgegeben. Weiter hat es die Beklagten zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 15.000,00 DM nebst 4 v. H. Zinsen verurteilt. Außerdem hat das Landgericht festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger den weiteren Lohnausfallschaden für die Zeit vom 1. Januar 1972 bis zum 31. März 1977 zur Hälfte zu ersetzen, soweit der Ersatzanspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Das Feststellungsbegehren bezüglich des Sachschadens am Wohnhaus hat das Landgericht mangels Feststellungsinteresses als unzulässig abgewiesen; insoweit hat es die - hilfsweise erhobene - Zahlungsklage auf Ersatz der erforderlichen Reparaturkosten (53.307,45 DM) nebst Zinsen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

6

Gegen dieses Urteil haben zunächst beide Parteien Berufung eingelegt. Der Kläger hat seine Berufung zurückgenommen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen lediglich die Verurteilung zu Zahlung eines - auf 10.000,00 DM nebst Prozeßzinsen gekürzten - Schmerzensgeldes aufrechterhalten und die weitergehende Klage abgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Die Beklagten verfolgen mit der Anschlußrevision den Antrag auf volle Klageabweisung weiter. Beide Parteien beantragen, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

A.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

8

1.

Die Ansprüche auf Ersatz der Hälfte des Verdienstausfalls seien gemäß § 852 BGB verjährt. Der Kläger habe die den Verjährungsbeginn auslösende Kenntnis eines bereits entstandenen Personenschadens und weiterer nachteiliger Folgen bereits im Juni 1964 erlangt. Im Strafverfahren 3 Ds 73/64 AG Selters habe er als Nebenkläger damals schriftsätzlich erklärt, er werde durch Lärm- und Geruchsbelästigungen, die vom Grundstück der Beklagten ausgingen, ständig in seinem Gesundheitszustand gestört und werde, wenn die Störungen nicht abgestellt würden, Frühinvalide werden oder vorzeitig ableben. Spätestens aber habe der Kläger die erforderliche Kenntnis im Juni 1966 erlangt, weil er am 30. Juni 1966 vorzeitig in den Ruhestand getreten sei. Die Ansprüche seien daher spätestens im Juni 1969 verjährt. Die Verjährung sei - entgegen der Annahme des Landgerichts - nicht durch die Einreichung der "Klageschrift" am 10. Juni 1969 unterbrochen worden, denn die Klage sei nicht, wie § 261 b Abs. 3 ZPO voraussetze, "demnächst" zugestellt worden, weil der Kläger durch Nachlässigkeit selbst dazu beigetragen habe, daß sich die Zustellung bis zum Oktober 1969 verzögert habe. Er habe eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß - aus Kostengründen - erst nach Bewilligung des Armenrechts Termin anberaumt und die Klage zugestellt werden sollte; erst nach Bewilligung des Armenrechts habe die Klageschrift als solche - und nicht mehr als Entwurf - angesehen werden sollen, so daß die vor dem 3. Oktober 1966 entstandenen Schadensersatzansprüche wegen Verdienstausfalls verjährt seien.

9

2.

Ansprüche auf Schadensersatz wegen Wertminderung des an das Fabrikgelände angrenzenden Baugrundstücks (§ 823 BGB) seien nicht schlüssig dargetan: Im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung seien keine Lärmbelästigungen nicht unerheblicher Art mehr vom Grundstück der Beklagten ausgegangen. Nach den einschlägigen VDI-Richtlinien 2058 "Beurteilung und Abwehr von Arbeitslärm" (Hinweis auf BGHZ 46, 35) brauche der Kläger zwar Lärm, der tagsüber 60 DIN-Phon und nachts 45 DIN-Phon übersteige, nicht zu dulden. Nachdem jedoch im Mai 1973 die den Lärm auslösende Tiefziehpresse entfernt worden sei, seien diese Höchstwerte nicht mehr erreicht worden. Dies habe die vom Senat in dem Prallelverfahren S. gegen Sc. (8 U 915/74 OLG Koblenz) durchgeführte Beweisaufnahme ergeben.

10

3.

Ansprüche des Klägers auf Beseitigung des durch Erschütterungen entstandenen Schadens am Wohnhaus seien schon dem Grunde nach nicht gerechtfertigt; sie seien zum Teil verjährt, zum Teil nicht schlüssig dargetan. Der Kläger habe spätestens am 19. Juni 1966 (gemeint ist ersichtlich 19. September 1966) Kenntnis von den bis dahin entstandenen Sachschäden erlangt; denn aus einem Bericht der Psychiatrischen Klinik der Universität G. vom 20. Juni 1966 (richtig: 29. September 1966), wo sich der Kläger in der Zeit vom 9. August bis zum 19. September 1966 aufgehalten habe, gehe hervor, daß er zur Vorgeschichte seines Leidens angegeben habe, in der Umgebung seines Hauses sei es durch eine Presse zu erheblichen Erschütterungen des gesamten Erdreichs gekommen, so daß das Haus schon gefährliche Risse zeige und er den Einsturz befürchte, wenn das so weiter gehe. Schadensersatzansprüche wegen der bis zum 3. Oktober 1966 entstandenen Schäden seien daher, so meint das Berufungsgericht, verjährt. Daß noch nach dem 3. Oktober 1966 Schäden an dem Hausgrundstück entstanden seien, habe der Kläger nicht schlüssig dargetan.

11

4.

Den Schmerzensgeldanspruch des Klägers hält das Berufungsgericht in Höhe von 10.000,00 DM für gerechtfertigt. Es sieht als bewiesen an, daß der Kläger in der Zeit vom 3. Oktober 1966 (Ersatzansprüche wegen früherer begangener unerlaubter Handlungen seien verjährt) bis Mai 1973 durch die vom Grundstück der Beklagten ausgehenden Immissionen Gesundheitsschäden erlitten hat. Auch nach Durchführung schalldämmender Maßnahmen im Jahre 1968 bis zur Entfernung der Tiefziehpresse im Mai 1973 habe der Betriebslärm die zulässige Grenze überschritten. Zwar liege beim Kläger eine vorzeitige Hirnaderverkalkung vor, doch habe sich unabhängig davon lärmbedingt ein organisches Psychosyndrom gebildet. Beide Faktoren zusammen hätten den besonderen Krankheitszustand des Klägers verursacht und dazu beigetragen, daß der Kläger 11 Jahre vor Erreichen der Altersgrenze invalidisiert worden sei; die anlagebedingte besondere Lärmempfindlichkeit des Klägers entlaste die Beklagten nicht.

12

B.

Zur Revision

13

I.

Verdienstausfall

14

1.

Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe den Eintritt der Verjährung unter Verletzung der §§ 852 BGB, 261 b ZPO festgestellt. Die Rüge hat im Ergebnis Erfolg.

15

a)

Entgegen der Ansicht der Revision ist allerdings das Berufungsurteil dahin zu verstehen, daß das Berufungsgericht den Beginn der Verjährung in erster Linie bereits für den 29. Juni 1964 angenommen hat. Es ist davon ausgegangen, für den Kläger sei, wie aus seinem im Strafverfahren 3 Ds 73/64 AG Selters unter diesem Datum verfaßten Schriftsatz hervorgehe, von dem genannten Zeitpunkt ab voraussehbar gewesen, daß bei Fortdauer der Lärmimmissionen seine Erwerbsunfähigkeit die Folge sein könne.

16

Diese Erwägung ist jedoch von Rechtsirrtum beeinflußt und rechtfertigt nicht den Schluß auf den Verjährungsbeginn. Zwar trifft es zu, daß die für den Beginn der Verjährung nach § 852 BGB maßgebliche Kenntnis des Verletzten von dem Schaden bereits dann vorliegt, wenn der Verletzte die Tatsachen kennt, aufgrund deren die spätere Schadensfolge der unerlaubten Handlung voraussehbar wird (vgl. etwa BGHZ 33, 112; speziell zum vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand: BGH Urteile v. 20. Januar 1961 - VI ZR 92/60 - VersR 1961, 416;v. 13. Februar 1962 - VI ZR 195/61 - VersR 1962, 615 [BGH 13.02.1962 - VI ZR 195/61];v. 24. März 1964 - VI ZR 179/62 - VersR 1964, 640, 642 [BGH 24.03.1964 - VI ZR 179/62];v. 5. Dezember 1967 - VI ZR 99/66 - VersR 1968, 277, 278). Aber die in Lauf gesetzte Verjährungsfrist bezieht sich, wie sich von selbst versteht, nur auf die Folgen der jeweiligen - vorher begangenen - unerlaubten Handlung.

17

Die vorliegenden Immissionen bilden keine einheitliche unerlaubte Handlung. Zwar wird im Wettbewerbsrecht und für Vertragsstrafeversprechen teilweise die Auffassung vertreten, der strafrechtliche Begriff der fortgesetzten Handlung könne in das Zivilrecht übernommen werden mit dem Ziel und der Folge, daß eine einheitliche Verletzung anzunehmen sei und jede neue gleichartige Handlung (Teilhandlung) den Beginn der Verjährung bis zum Abschluß der Einwirkung hinausschiebe (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbs- und Warenzeichenrecht, 11. Aufl. § 21 UWG Rdn. 13 und Einl. Rdn. 319; Finger MuW 1917, 10, 13; ausführlich Lobe, MuW 1932, 109 ff; vgl. auch BGH Urt. v. 14. März 1951 - II ZR 1/50 - NJW 1951, 518; LG Düsseldorf, GRUR 1967, 158). Dabei ist indessen zu beachten, daß der Rechtsbegriff der fortgesetzten Handlung besonderen Bedürfnissen der strafrechtlichen Praxis Rechnung tragen, insbesondere den Täter vor unangemessen hohen Strafen bewahren und das Strafverfahren vereinfachen soll. Eine Übertragung auf das Zivilrecht kommt daher nicht allgemein, sondern allenfalls insoweit in Betracht, als dies im Hinblick auf eine Verwandtschaft der Regelungsprobleme als zulässig und geboten erscheint (vgl. BGHZ 33, 163, 167 [BGH 20.09.1960 - I ZR 77/59] - Vertragsstrafeversprechen; noch weiter einschränkend BGH Urt. v. 14. April 1954 - VI ZR 26/53 - NJW 1954, 1033). Für den Bereich wiederholter Immissionen fehlt es an dieser Voraussetzung.

18

Mit der ganz herrschenden Meinung ist deshalb daran festzuhalten, daß im Falle fortgesetzter Immissionen mehrere (wiederholte) unerlaubte Handlungen vorliegen, die je eigene Schadensfolgen zeitigen und dadurch erst den Gesamtschaden bewirken; jede schädigende (Teil-)Handlung stellt eine verjährungsrechtlich selbständige neue Schädigung dar, die einen neuen Ersatzanspruch mit eigenem Lauf der Verjährungsfrist erzeugt (vgl. RGZ 80, 436, 438; 134, 335, 339/340; LZ 1919, 322/323; JW 1912, 31/32; WarnRspr. 1914, 269, 270; JV 1938, 3306/3308; vgl. auch BGH Urt. v. 14. April 1954 - VI ZR 26/53 - NJW 1954, 1033/1034; aus dem Schrifttum BGB-RGRK 12. Aufl. § 906 Rdn. 62; Staudinger/Seufert, BGB 11. Aufl. § 906 Rdn. 51; Büning, Die Verjährung der Ansprüche aus unerlaubter Handlung, 1964, S. 25, 26).

19

Dies bedeutet, daß am 29. Juni 1964 allenfalls Ersatzansprüche wegen der schädlichen Folgen der bis dahin erzeugten Immissionen (einschließlich der Spätfolgen dieser Immissionen) zu verjähren begannen. Es fehlt jedoch an der Feststellung, daß der Kläger auch dann vorzeitig in den Ruhestand hätte treten müssen, wenn nicht auch noch nach dem 29. Juni 1964 weitere Lärmbeeinträchtigungen seitens des Betriebes der Beklagten hinzugekommen wären. Insbesondere fehlt es an der Feststellung einer entsprechenden Kenntnis des Klägers, dessen geäußerte Befürchtung vorzeitiger Invalidisierung sich gerade an die (unterstellte) Fortdauer der Beeinträchtigungen knüpfte.

20

b)

Hiernach stellt sich für die Revisionsinstanz weiter die Frage, ob von dem im Berufungsurteil in zweiter Linie ("spätestens") angenommenen Beginn der dreijährigen Verjährung am 30. Juni 1966, dem Tage, mit dessen Ablauf der Kläger in den Ruhestand getreten ist, ausgegangen werden kann.

21

Insoweit meint die Revision, die Ansicht des Berufungsgerichts, die Verjährung sei im Juni 1969 eingetreten, verletze § 203 BGB und § 261 b ZPO. Die Rüge ist begründet.

22

Es ist anerkannten Rechts, daß das Unvermögen, die Kosten der Prozeßführung aufzubringen, und die Verzögerung der Entscheidung über ein rechtzeitig und auch im übrigen ordnungsgemäß angebrachtes Armenrechtsgesuch als unabwendbarer Zufall und damit als höhere Gewalt im Sinne des § 203 Abs. 2 BGB die Verjährung hemmen (vgl. BGH, Urt. v. 21. November 1960 - III ZR 153/59 - LM BGB § 203 Nr. 8). Wie die Revision mit Recht geltend macht, spricht das Anliegen des sozialen Rechtsstaats, eine Benachteiligung "armer" Parteien bei der Verfolgung oder Verteidigung ihrer Rechte zu vermeiden, dafür, die Rechtzeitigkeit des Armenrechtsgesuchs - ebenso wie bei der vollen Ausnutzung von Rechtsmittelfristen (BGHZ 16, 1, 3) [BGH 09.12.1954 - IV ZB 94/54] - auch dann noch anzunehmen, wenn die Partei das Gesuch um einstweilige Kostenbefreiung erst am letzten Tage der Verjährungsfrist eingereicht hat (vgl. allerdings BGHZ 17, 199, 202) [BGH 04.05.1955 - VI ZR 37/54]; denn die unterschiedliche Länge der Rechtsmittelfristen einerseits und der Verjährungsfristen andererseits ändern im Grundsatz nichts daran, daß es für eine "arme" Partei eine Benachteiligung bedeutet, wenn sie, um den Eintritt der Verjährung zu vermeiden, früher als eine nicht "arme" Partei prozessual tätig werden muß. Indessen kann diese Frage offen bleiben, weil die Verjährung jedenfalls in dem Augenblick gehemmt wird, in dem der Kläger eine richtige Entscheidung über sein Armenrechtsgesuch erwarten durfte, und die Hemmung grundsätzlich so lange fortdauert bis diese Entscheidung vorliegt (BGHZ 17, 199, 202) [BGH 04.05.1955 - VI ZR 37/54]. Hier ist das Armenrechtsgesuch des Klägers am 10. Juni 1969 bei Gericht eingegangen, mithin 20 Tage vor Ablauf der Verjährungsfrist. Unter diesen Umständen durfte der Kläger davon ausgehen, daß die Entscheidung über das Armenrechtsgesuch jedenfalls bis zum 30. Juni 1969 getroffen würde, zumal er auf die drohende Verjährung - wenngleich im Zusammenhang mit der Begründung des Rechtsschutzinteresses für das Feststellungsbegehren - hingewiesen hatte. Daß die Stellungnahme der Beklagten erst am 1. Juli 1969 bei Gericht einging, kann ihm nicht angelastet werden, wenn seine Rechte gegenüber einer auf die einstweilige Kostenbefreiung nicht angewiesenen Partei nicht unvertretbar verkürzt werden sollen. Dieser Ansicht steht auch nicht die Entscheidung des VI. Zivilsenats in BGHZ 17, 199, 202 [BGH 04.05.1955 - VI ZR 37/54]/203 entgegen; denn in jenem Falle betrug die verbleibende Bearbeitungsfrist zwischen dem Eingang des Armenrechtsgesuchs bei Gericht (16. Juli) und dem Eintritt der Verjährung (11. August) zwar 26 Tage, doch fiel, worauf in der Entscheidung ausdrücklich abgehoben wird, der gesamte Zeitraum in die Gerichtsferien, ohne daß die Kläger auf die drohende Verjährung hingewiesen oder den Antrag gestellt hatten, die Sache auch in den Gerichtsferien zu bearbeiten.

23

Nach alledem ist die Verjährung bis zum 3. Oktober 1969, dem Tage der Zustellung des Armenrechtsbeschlusses und der Klageschrift, gehemmt gewesen. Mit Rückwirkung auf diesen Zeitpunkt ist die Verjährung dann dadurch unterbrochen worden, daß die Klageschrift am 13. Oktober 1969 - mithin "demnächst" im Sinne des § 261 Abs. 3 ZPO - zugestellt wurde. Die Klage ist daher noch innerhalb der Verjährungsfrist erhoben worden.

24

Da das Berufungsgericht- von seinem Standpunkt aus folgerichtig - auf die sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs wegen des Lohnausfalls nicht eingegangen ist, kann das Urteil insoweit keinen Bestand haben.

25

II.

Schmerzensgeld

26

Begründet ist hiernach auch die Revisionsrüge gegen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Schmerzensgeldanspruch sei nur in Höhe von 10.000,00 DM gerechtfertigt, weil die bis zum 3. Oktober 1966 entstandenen Schmerzensgeldansprüche verjährt seien. Die Verjährung betrifft, wie unter I ausgeführt, nur Ansprüche aus unerlaubten Handlungen, die bis Ende Juni 1966 begangen worden sind. Das Berufungsgericht wird daher, sofern es trotz der von der Anschlußrevision erhobenen Rügen (vgl. hierzu unten C) die sonstigen Anspruchsvoraussetzungen neuerlich bejaht, in ihm vorbehaltener tatrichterlicher Würdigung zu erwägen haben, ob und, wenn ja, in welchem Umfange sich durch Immissionen in der Zeit vom 1. Juli bis zum 3. Oktober 1966 weitere Schmerzensgeldansprüche ergeben.

27

III.

Erschütterungsschaden am Wohnhaus

28

Die Revision rügt mit Recht, daß das Berufungsgericht Schadensersatzansprüche wegen der erschütterungsbedingten Schäden am Wohnhaus zum Teil als verjährt, im übrigen als nicht schlüssig dargetan angesehen habe.

29

1.

Hinsichtlich der Verjährung ergibt sich aus den Ausführungen zu I, daß nach den bisherigen tatrichterlichen Feststellungen die Hemmung bereits am 30. Juni 1969 eingetreten ist und Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlungen nicht verjährt sind, von deren Schadensfolgen der Kläger (wenigstens in den Grundzügen) nicht vor dem 1. Juli 1966 Kenntnis erlangt hat.

30

Im Berufungsurteil heißt es zwar, daß der Kläger spätestens am 19. Juni 1966 die maßgebliche Kenntnis erlangt habe; doch handelt es sich dabei offensichtlich um einen Schreibfehler oder um ein Versehen. Denn das Berufungsgericht stützt seine Überzeugung auf einen ärztlichen Bericht vom 20. September 1966, der auf Angaben Bezug nimmt, die der Kläger während seines Aufenthalts in der neuropsychiatrischen Klinik der Universität G. (in der Zeit vom 9. August bis zum 19. September 1966) gemacht hat. Die Erwägungen des Berufungsgerichts tragen daher die Feststellungen von der Kenntnis des Klägers bezüglich bestimmter Gebäudeschäden erst vom 19. September 1966 an.

31

2.

Im übrigen hat das Berufungsgericht auch die Anforderungen an die Substantiierung überspannt sowie die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hätte der Kläger im einzelnen darlegen müssen, welche Schäden in unverjährter Zeit entstanden seien, welche Risse neu aufgetreten seien, welche alten Risse sich vergrößert hätten usw. Auch für eine Schätzung nach § 287 ZPO sei kein Raum: Zwar sei nach dem Gutachten des Sachverständigen Schumacher vom 4. Juli 1970 davon auszugehen, daß durch die Erschütterungen Risse entstanden sind, doch fehle es an jeglichen Anhaltspunkten dafür, welche Schäden noch nach dem 3. Oktober 1966 aufgetreten oder vertieft worden seien. Aus der Tatsache, daß die im Jahre 1968 im Obergeschoß vorgenommenen Renovierungen keine Schäden mehr gezeigt hätten, habe der Sachverständige gefolgert, daß zumindest seit diesem Zeitpunkt die Stärke der äußeren Einwirkungen so weit nachgelassen habe, daß die Beanspruchungsgrenze der Bauteile nicht mehr überschritten worden sei.

32

Da die Beklagten mit der Einrede der Verjährung ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 222 BGB) geltend machen, obliegt es ihnen, die Voraussetzungen dieses Gegenrechts darzutun und gegebenenfalls zu beweisen. Ihre Sache ist es daher, dazulegen, welche Schadensersatzansprüche aus unerlaubten Handlungen (Erschütterungen) verjährt sind, weil der Kläger die erforderliche Kenntnis bereits zu einem bestimmten Zeitpunkt gehabt habe. Verbleibende Unklarheiten und Zweifel, die sich auch durch eine sachgerechte Schätzung des Schadens nach § 287 ZPO nicht hinreichend ausräumen lassen, gehen nicht zu Lasten des Klägers, sondern der Beklagten.

33

IV.

Wertminderung der unbebauten Parzelle

34

1.

Die Revision stellt zunächst zur Nachprüfung (§ 249 BGB), ob einmal entstandene Ansprüche der vorliegenden Art bei Veränderungen der äußeren Verhältnisse entfallen.

35

a)

Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung zum merkantilen Minderwert von Kraftfahrzeugen, die allein auf die Wertminderung unmittelbar nach dem Unfall abstellt und eine spätere Verringerung der Wertminderung (durch weitere Benutzung des Fahrzeugs seitens des Geschädigten) für unbeachtlich erklärt (Hinweis auf BGHZ 35, 396). Im Hinblick hierauf hält die Revision es für bedenklich, daß das Berufungsgericht zwar ersichtlich davon ausgegangen ist, bis zur Entfernung der Tiefziehpresse im Mai 1973 hätten rechtswidrige und schuldhafte Einwirkungen vorgelegen, daß es jedoch allein auf den Zustand der letzten mündlichen Verhandlung abgestellt und das Vorhandensein einer (andauernden) Wertminderung verneint hat. Diese Rüge bleibt im Ergebnis erfolglos.

36

Ob ein zu ersetzender Vermögensschaden im Sinne der §§ 249, 251 BGB vorliegt, ergibt ein Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne jenes Ereignis ergeben hätte, und zwar beurteilt nach dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (Differenzhypothese). Nach neueren Urteilen beschränkt sich die Funktion der Differenzhypothese allerdings "vorzugsweise" darauf, allgemeine Vermögensschaden zu erfassen und ihre geldmäßige Höhe mittels der Differenzrechnung zu bestimmen; bei der konkreten Beeinträchtigung einzelner Vermögensgüter seien ihr dagegen Grenzen gesetzt: Lasse sich das Maß der Beeinträchtigung eines Vermögensgutes nach objektiven Maßstäben in Geld bewerten, so sei die Berechtigung einer Ersatzforderung nicht stets davon abhängig, daß eine das Gesamtvermögen erfassende Differenzrechnung eine ziffernmäßige Minderung dieses Vermögens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ergebe (vgl. BGHZ 45, 212, 218 [BGH 15.04.1966 - VI ZR 271/64] - entgehende Gebrauchsvorteile; einschränkend etwa BGHZ 54, 45, 51) [BGH 05.05.1970 - VI ZR 212/68]. Aber auch von dieser Beurteilungsgrundlage her bedarf es stets einer besonderen Begründung, weshalb die strenge Anwendung der Differenzhypothese, d.h. der Berücksichtigung aller tatsächlichen und hypothetischen schadensbeeinflussenden Faktoren bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, in jeder einzelnen Gruppe von Problemfällen zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen führt und daher durch eine wertende (normative) Betrachtungsweise zu ergänzen ist. Speziell zu dem von der Revision angesprochenen Problem der Fortdauer des merkantilen Minderwerts hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, es sei nicht einzusehen, weshalb der Entschluß des Eigentümers, den (infolge größerer Schadensanfälligkeit) weniger wertvollen Wagen selbst weiter zu benutzen (anstatt ihn zu verkaufen und den hierbei realisierten merkantilen Minderwert als Vermögensschaden geltend zu machen), zu einer Entlastung des Schädigers führen solle.

37

Für den hier vorliegenden Fall der vorübergehenden Beeinträchtigung eines Grundstücks passen diese oder ähnliche Erwägungen indessen nicht. Hier endet die Verminderung des Grundstückswerts zugleich mit den Immissionen, ohne daß irgendwelche Nachteile - sei es am (in der Substanz unversehrten) Grundstück, sei es im Vermögen des Grundstückseigentümers - fortdauern. Der Geschädigte konsumiert nicht etwa - wie beim merkantilen Minderwert - in überobligationsmäßiger Schadensminderung seinen - trotz Naturalherstellung (Reparatur) verbleibenden - Schaden selbst, sondern sein Vermögensschaden endet dadurch, daß der Schädiger von sich aus die Immission einstellt und damit den vollen Verkehrswert des Grundstücks wieder herstellt. Unter diesen Umständen fehlt es an den Voraussetzungen für eine Geldentschädigung nach § 251 BGB. - Auch aus Billigkeitsgründen ist es weder geboten noch auch nur vertretbar, von der strikten Anwendung der Differenzhypothese ausnahmsweise abzusehen und einen Vermögensschaden anzunehmen.

38

b)

Die Revision vermißt eine Erörterung, ob der Klageanspruch nicht trotz Fehlens einer schuldhaften Eigentumsverletzung seine Grundlage in § 906 Abs. 2 BGB finden könne, da auch insoweit die Annahme eines automatischen Wegfalls bei Beendigung der Beeinträchtigung als nicht sachgerecht erscheine. Zu einer solchen Erörterung hatte das Berufungsgericht jedoch keinen Anlaß, da die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht vorliegen.

39

2.

Dagegen ist die Revisionsrüge begründet, das Berufungsgericht habe bezüglich der fortdauernden Minderung des Grundstückswerts durch Geruchseinwirkungen einen hinreichend substantiierten Vortrag des Klägers vermißt. Das Berufungsgericht meint, der Beklagte hätte unter Beweisantritt dartun müssen, daß es sich bei diesen Geruchsbeeinträchtigungen um solche handele, die rechtswidrige und schuldhafte Eingriffe der Beklagten, mithin unerlaubte Handlungen im Sinne der §§ 823 ff BGB, darstellen; eine Wertminderung des Grundstücks, die allein auf dem Vorhandensein oder dem Betreiben der Fabrik beruhe, stelle, da der Gewerbebetrieb der Beklagten gewerbeaufsichtlich genehmigt sei, keinen rechtswidrigen Eingriff dar und müsse daher außer Betracht bleiben.

40

Diese Betrachtungsweise des Berufungsgerichts übersieht, daß sich für den Fall einer gewerbeaufsichtlichen Genehmigung ein Anspruch auf Schadloshaltung aus § 26 GewO (jetzt § 14 BImSchG) ergeben kann und der Kläger zur Substantiierung eines solchen Anspruchs zunächst nur die immissionsbedingte Störung seines Grundeigentums darzutun braucht, während es dann dem Störer obliegt, die Unwesentlichkeit der Einwirkung dazutun.

41

Der Kläger hatte sich zum Beweise dafür, daß sein Grundstück (auch) durch die Zuführung von Nitrolack-Gasen und Dämpfen beeinträchtigt werde, auf das Zeugnis seiner Ehefrau und des Nachbarn S. bezogen und die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Diese Beweisanträge hätte das Berufungsgericht, wie dargelegt, mit der gegebenen Begründung nicht ablehnen dürfen; das Berufungsurteil beruht insoweit auf einem Verstoß gegen § 286 ZPO.

42

V.

Die Revision ist nach alledem begründet.

43

C.

Zur Anschlußrevision

44

I.

Die Anschlußrevision meint, die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 10.000,00 DM durch das Berufungsgericht verstoße gegen §§ 308, 322, 536 ZPO: Das Landgericht habe Schadensersatzansprüche aufgrund von nach 1966 aufgetretenen Lärmimmissionen nicht zuerkannt. Obwohl der Kläger seine Berufung gegen dieses Urteil zurückgenommen habe, habe das Berufungsgericht ihm Schadensersatzansprüche aufgrund angeblicher Gesundheitsschäden zugesprochen, die durch nach Oktober 1966 aufgetretene Lärmimmissionen verursacht worden seien.

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Die Rüge ist unbegründet.

46

1.

Entgegen der Annahme der Anschlußrevision hat der Kläger seine Gesundheitsschäden schon in der Klageschrift nicht allein auf Immissionen bis Oktober 1966 zurückgeführt, sondern hat von vornherein "fortgesetzte Lärmbelästigungen" geltend gemacht (Klageschrift S. 3). In seinem Schriftsatz vom 29. Juli 1969 (S. 2) hat er klarstellend ausgeführt, die Einwirkungen lägen nicht lediglich in der Vergangenheit, sondern verursachten "vielmehr fortgesetzte weitere Schäden an der Gesundheit des Klägers". Eine Klageänderung ist in diesen Ausführungen schon deswegen nicht zu sehen, weil der Schriftsatz vom 29. Juli 1969 noch vor Bewilligung des Armenrechts und vor Zustellung der Klageschrift eingegangen ist. Im übrigen ist es gemäß § 268 Nr. 1 ZPO nicht als Klageänderung anzusehen, wenn nur die tatsächlichen Anführungen ergänzt werden; dies ist zum Beispiel der Fall, wenn rechtsverletzende Tatsachen geltend gemacht werden, die sich erst im Laufe des Rechtsstreits ereignet haben, sofern nur der Gesamttatbestand derselbe bleibt (RGZ 99, 172, 176 f - fortgesetzte übermäßige Salzzuführungen in die Elbe und damit Entzug brauchbaren Elbwassers für das Wasserwerk der Klägerin).

47

2.

Das Landgericht hat nicht, wie die Anschlußrevision meint, sein Urteil allein darauf gestützt, daß die Gesundheitsschäden des Klägers durch Lärmimmissionen in der Zeit von 1964 bis 1966 verursacht worden seien. Es hat vielmehr festgestellt, daß unter anderem am 3. März 1967 der Lärm von dem Betriebsgelände der Beklagten den tagsüber zulässigen Wert von 55 DIN-Phon erheblich überschritten habe (Urteil des Landgerichts S. 13). Noch weiter gehend hat es bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, daß der übermäßige Lärm auch noch nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit des Klägers angedauert und selbst nach Anbringung von schalldämmenden Maßnahmen im Jahre 1968 "bis zum heutigen Zeitpunkt", das heißt mindestens bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht (8. Mai 1974), den Rahmen des Zulässigen überschritten habe (Urteil des Landgerichts S. 21). Unter diesen Umständen kann auch unter Berücksichtigung der weiteren von der Revision angeführten - für sich allein betrachtet mißverständlichen - Stellen des landgerichtlichen Urteils dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe nicht entnommen werden, daß das Landgericht Schmerzensgeldansprüche wegen Lärmeinwirkungen nach dem Jahre 1966 habe abweisen wollen. Unerheblich ist deshalb, daß der Kläger seine Berufung zurückgenommen hat.

48

3.

Da der Kläger im zweiten Rechtszuge das angefochtene Urteil verteidigt und beantragt hatte, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen, verstößt das Berufungsurteil, auch soweit es ihm Schmerzensgeld aufgrund von Immissionen in den Jahren 1969 bis 1973 zugebilligt hat, weder gegen § 308 ZPO noch gegen § 536 ZPO.

49

II.

Die Anschlußrevision rügt weiter, daß das Berufungsgericht seine tatsächlichen Feststellungen, die es der Zuerkennung von Schmerzensgeld wegen Lärmimmissionen nach dem Jahre 1966 zugrunde gelegt hat, unter Verstoß gegen die §§ 286, 551 Nr. 7 ZPO, 823, 847 BGB getroffen habe.

50

Sie bekämpft in diesem Zusammenhang unter anderem die Ansicht des Berufungsgerichts, es könne aus einer Ortsbesichtigung durch das Landgericht am 10. November 1971 ohne Darlegung eigener Sachkunde entnehmen, daß Messungen im Hause des Klägers nahezu das gleiche Ergebnis erbracht hätten wie die im Hause S. durchgeführten Messungen (§ 286 ZPO).

51

Die Rüge hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat bei seiner Beweiswürdigung an das Gutachten angeknüpft, das der Sachverständige Dr. Thomassen in dem Parallelprozeß S. ./. Sc. unter dem 9. März 1967 erstattet hat (Bl. 64 ff der im vorliegenden Rechtsstreit beweishalber verwerteten Akten 8 U 915/74 OLG Koblenz) und dem Schallmessungen zugrunde liegen, die der Sachverständige am Vormittag des 3. März 1967 auf dem Grundstück der Eheleute S. durchgeführt hat. Diesem Gutachten hat das Berufungsgericht entnommen, daß an jenem Tage auf dem Grundstück S. "von einzelnen Spitzen abgesehen, die Häufigkeit des Lärms zwischen 65 und 67,5 DIN-Phon lag". Wenn auch das Grundstück des Klägers etwas weiter von der den Lärm verursachenden Tiefziehpresse entfernt liege, könne doch, so hat das Berufungsgericht gefolgert, festgestellt werden, daß die Lärmeinwirkungen nicht wesentlich geringer gewesen seien und jedenfalls die zulässige Lärmgrenze von 60 DIN-Phon, wenn auch nicht erheblich, überschritten hätten. Das Berufungsgericht hebt hierbei auf folgende Umstände ab: Bei der Ortsbesichtigung, die das Landgericht am 10. November 1971 in Anwesenheit des Sachverständigen Dr. Thomassen vorgenommen habe, habe sich ergeben, daß das Ergebnis der an jenem Tage durchgeführten Messungen der Erschütterungen im Hause des Klägers fast dem Meßergebnis im Hause S. entsprach; die Werte hätten nach Angaben des Sachverständigen zwar etwas darunter gelegen, doch rechtfertige dies nach seiner Darlegung kaum eine andere Beurteilung.

52

Es ist nicht auszuschließen, daß die Beweiswürdigung von einem Irrtum beeinflußt ist. Denn die Äußerung des Sachverständigen Dr. Thomassen im Ortstermin am 10. November 1971, daß die geringe Abweichung der Meßwerte auf den beiden Grundstücken eine abweichende Beurteilung kaum rechtfertige, bezieht sich nach dem Inhalt der Sitzungsniederschrift (Seite 4) ausschließlich auf die Ergebnisse der Messungen von Erschütterungen, nicht auch von Schallimmissionen. Der Revision ist darin beizupflichten, daß sich jedenfalls aus jener Äußerung des Sachverständigen die vom Berufungsgericht gezogenen Schlußfolgerungen nicht ohne weiteres ableiten lassen. Wenn das Berufungsgericht zur Feststellung der Geräuschbeeinträchtigungen überhaupt auf Ergebnisse von Erschütterungsmessungen zurückgreifen wollte, hätte es hierfür entweder einen Sachverständigen zu Rate ziehen oder darlegen müssen, daß es insoweit über hinreichende eigene Sachkunde verfügt (§ 286 ZPO).

53

Auf die Anschlußrevision ist daher die Verurteilung zur Zahlung eines Schmerzensgeldes aufzuheben und die Sache auch insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der neuerlichen Verhandlung werden die Beklagten Gelegenheit haben, die in den sonstigen Verfahrensrügen der Anschlußrevision geäußerten Bedenken gegen die ihnen nachteiligen Feststellungen des Berufungsgerichts vorzutragen. Allerdings mag für das Berufungsgericht auch Anlaß bestehen, bei der Würdigung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Thomassen vom 9. März 1967 zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, daß hiernach der Beurteilungspegel der Geräuschimmissionen auf dem Grundstück Sanner 73 dB(A) betragen hat und daß nach der zusammenfassenden Beurteilung des Sachverständigen (in Bezug auf das Grundstück Sanner) die Tagesrichtwerte für ein gemischt genutztes Grundstück erheblich überschritten worden sind.

Vorsitzender Richter Hill
Richter Offterdinger
Richter Dr. Eckstein
Richter Hagen
Richter Linden