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Bundesgerichtshof
Urt. v. 14.09.1971, Az.: 1 StR 280/71

Abgrenzung von Tötungsvorsatz und Körperverletzungsvorsatz; Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
14.09.1971
Aktenzeichen
1 StR 280/71
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1971, 11665
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Kempten - 08.12.1970

Verfahrensgegenstand

Gefährliche Körperverletzung

Prozessführer

Maurer Wilfried W. aus D. Krs. K. Allgäu. geboren am ... 1944 in P. Krs. K./CSR

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
in der Sitzung vom 14. September 1971
an der teilgenommen haben:
Senatspräsident Dr. Pfeiffer als Vorsitzender
Bundesrichter Dr. Mösl Bundesrichter Pikart Bundesrichter Dr. Woesner Bundesrichter Strickert als beisitzende Richter
Bundesanwalt Dr. ... als Vertreter der Bundesanwaltschaft
Justizsekretär ... als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Schwurgerichts bei dem Landgericht Kempten/Allgäu vom 8. Dezember 1970 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Schwurgericht bei dem Landgericht Augsburg zurückverwiesen.

Entscheidungsgründe

1

Das Schwurgericht hat den Angeklagten, dem im Eröffnungsbeschluß versuchter Mord zur Last gelegt worden ist, allein wegen eines Vergehens der gefährlichen Körperverletzung (§ 223 a StGB) zur Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

2

Die Revision der Staatsanwaltschaft hat zu Ungunsten des Angeklagten mit der Sachbeschwerde Erfolg.

3

Der Angeklagte drohte seinem Bruder Rudolf W. im Verlauf einer häuslichen Auseinandersetzung, er werde ihm "eine draufbrennen", wenn er nicht das Zimmer verlasse. Dieser Drohung verlieh er dadurch Nachdruck, daß er wiederholt eine geladene Pistole auf seinen Bruder anlegte. Schließlich gab er aus einer Entfernung von 1 1/2 bis 2 Metern, ohne genau zu zielen, einen Schuß ab, der den an der Tür Stehengebliebenen im Bereich des Oberbauchs traf und erheblich verletzte. Wie das Urteil hierzu im einzelnen feststellt, hatte Rudolf W. mit dem Körper eine leichte Linksbewegung gemacht; das Geschoß drang infolgedessen wenige Zentimeter unterhalb der unteren rechten Rippe noch oberhalb der Nabelhöhe in den Leib, verletzte tangential den Dickdarm an einer Stelle sowie die erste Dünndarmschlinge an zwei Stellen, und blieb an der linken Bauchseite unter der Haut stecken (UA S. 6). Zur inneren Tatseite führt das Schwurgericht aus, dem Angeklagten sei nicht zu widerlegen, daß er seinen Bruder nicht habe töten wollen, ihm sei es lediglich darauf angekommen, ihm einen "Denkzettel" zu geben. Richtig sei zwar, daß eine Reihe von Umständen - Vertrautheit mit der Waffe, Abgabe des Schusses gegen die Körpermitte, Bewußtsein von der Möglichkeit der Todesfolge, Wut als Tatmotiv (UA S. 11) - zumindest bedingten Vorsatz nahelege. Aus allen diesen Anhaltspunkten ergebe sich jedoch nicht der zwingende Schluß, daß der Angeklagte den als möglich vorausgesehenen Tod seines Bruders gebilligt habe (UA S. 12, 13).

4

Hiergegen wendet die Revision im Ergebnis zutreffend sachlich-rechtliche Mängel der Beweiswürdigung ein.

5

Zur Entlastung des Angeklagten führt das Urteil u.a. an, daß er seine Waffe nicht auf Körperstellen gerichtet habe, bei denen ein Treffer zu einer "besonders erheblichen Lebensgefahr" geführt hätte, wie z.B. Kopf oder Unterleib, sondern auf die Leibesmitte. "Darüber hinaus" wird dem Angeklagten zugutegehalten, daß er seinen Zeigefinger über den Lauf der Pistole gelegt und dadurch die Treffgenauigkeit herabgesetzt habe (UA S. 10). Diese Erwägungen sind nicht ohne weiteres miteinander vereinbar. Abgesehen davon, daß nicht recht ersichtlich ist, inwiefern ein auf die Leibesmitte, etwa in die Herzgegend, abgegebener Schuß generell ungefährlicher sein soll als z.B. ein Schuß in den Unterleib, hätte es nahegelegen, gerade aus dem ungenauen Zielen mit der immerhin aus kürzester Entfernung auf den Bereich lebenswichtiger Organe gerichteten Waffe die Vorstellung des Angeklagten von einer besonderen Gefährlichkeit der Schußabgabe abzuleiten. Im übrigen erscheint es nach den Urteilsfeststellungen fraglich, inwieweit das "Zielen" mit der in "Tischhöhe" auf Rudolf W. gerichteten Waffe (vgl. UA S. 6) überhaupt möglich war und demnach für die Beurteilung des Tathergangs eine Rolle spielen konnte. Ob alles das vom Tatrichter bedacht worden ist, läßt das Urteil nicht erkennen.

6

Vor allem leidet die Urteilsbegründung jedoch daran, daß sie zwar zutreffend vom Fehlen eines unmittelbaren Tötungsvorsatzes ausgeht, aber nicht einwandfrei zwischen bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit unterscheidet.

7

Nach ständiger Rechtsprechung fällt dem Täter, der mit der Möglichkeit des Eintritts eines bestimmten schädlichen Erfolges rechnet, im Hinblick hierauf nur dann bedingter Vorsatz - anstelle bewußter Fahrlässigkeit - zur Last, wenn er den als möglich erkannten Erfolgseintritt billigt. Auch ein "Inkaufnehmen" des Erfolges reicht insoweit nur aus, wenn es als Billigung angesehen werden kann; es genügt also nicht ohne weiteres, daß dem Täter der Eintritt des Erfolges gleichgültig ist (vgl. RGSt 72, 36, 43, 44;  76, 115, 116; BGH bei Dallinger MDR 52, 16 - 1 StR 436/51; BGH, Urteil vom 3. März 1966 - 2 StR 524/65; Pfeiffer-Maul-Schulte StGB § 59 Anm. 6). Dabei ist aber für die Wertung des Begriffs der Billigung davon auszugehen, daß der Täter bei seiner willentlich vorgenommenen und unmittelbar auf einen bestimmten Erfolg gerichteten Handlung mit dem Eintritt eines weiteren Erfolges schon dann einverstanden sein kann, wenn er es bewußt hinnimmt, daß gerade diese Handlung die von ihm als möglich und nicht ganz fernliegend erachtete weitere Rechtsgutverletzung herbeizuführen vermag (BGH NJW 1968, 661 [BGH 09.02.1968 - 4 StR 582/67]; BGH, Urteil vom 9. August 1968 - 4 StR 149/68). Billigung im Rechtssinn kommt daher auch in Betracht, wenn der Erfolg dem Täter an sich unerwünscht ist und er ihn lieber vermieden hätte (BGHSt 7, 363, 369 [BGH 22.04.1955 - 5 StR 35/55]; BGH, Urteile vom 2. März 1971 - 1 StR 616/70 und 1 StR 691/70). Das kann namentlich dann der Fall sein, wenn der Täter - in Wirklichkeit oder nach seiner Vorstellung - anders als über den an sich unerwünschten Erfolg sein in erster Linie erstrebtes Ziel nicht erreichen kann (vgl. BGHSt 7, 363)- Die Annahme der Billigung liegt aber auch nahe, wenn der Täter an der Verfolgung seines unmittelbaren Zieles trotz äußerster Gefährlichkeit des eingeschlagenen Weges um jeden Preis festhält, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und wenn er es dann dem reinen Zufall überläßt, ob sich die von ihm erkannte besondere Gefahr verwirklicht oder nicht (BGH, Urteil vom 9. Juli 1969 - 4 StR 232/69). In solchen Fällen würde selbst die - vage - Hoffnung, die mit dem Tatvorgehen verbundene besondere Gefahr werde sich wider Erwarten nicht verwirklichen, die bewußte Hinnahme ihrer Verwirklichung im Sinne einer Billigung nicht ausschließen können, weil sie nichts anderes wäre als die bloße Vorstellung eines milderen Handlungsablaufs (vgl. BGH, Urteile vom 5. Oktober 1965 - 1 StR 370/65 - und vom 18. Januar 1966 - 1 StR 558/65).

8

So verhält es sich möglicherweise hier. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte allerdings kein ernstliches Interesse an der Tötung seines Bruders, wohl aber hatte er den Willen, sich ihm gegenüber auf die angedrohte Weise - Gebrauch der Schußwaffe - durchzusetzen. Dabei ergeben die festgestellten Einzelumstände der begangenen gefährlichen Körperverletzung, daß die Verletzungshandlung in hohem Maße lebensbedrohend war und daß der Angeklagte, wie er wußte, es nicht in der Hand hatte, ob er seinen Bruder töten werde oder nicht. Unter diesen Umständen kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Schwurgericht bei Beachtung der aufgezeigten Grundsätze zu einer anderen Beurteilung des inneren Tatbestandes gelangt wäre.

9

Das Urteil muß nach alledem aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.

Pfeiffer
Mösl
Pikart
Woesner
Strickert