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Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 01.08.1985, Az.: 2 AZR 101/83

Neueinstellung; Schwerbehinderung; Gleichstellung; Offenbarungspflicht; Anfechtung

Bibliographie

Gericht
BAG
Datum
01.08.1985
Aktenzeichen
2 AZR 101/83
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1985, 10013
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Augsburg 17.02.1982 - 1 Ca 1414/81
LAG München 22.12.1982 - 9 Sa 452/82

Fundstellen

  • BAGE 49, 214 - 225
  • DB 1986, 2238
  • NJW 1987, 398-399 (Volltext mit amtl. LS)
  • RdA 1986, 331

Amtlicher Leitsatz

1. Der Arbeitnehmer ist bei den Verhandlungen über den Abschluß eines Arbeitsvertrages nur dann von sich aus verpflichtet, seine Schwerbehinderteneigenschaft oder eine Gleichstellung zu offenbaren, wenn er erkennen muß, daß er wegen der Behinderung, die der Feststellung oder der Gleichstellung zugrundeliegt, die vorgesehene Arbeit nicht zu leisten vermag oder eine deswegen beschränkte Leistungsfähigkeit für den vorgesehenen Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung ist.

2. a) Der Arbeitgeber hat uneingeschränkt das Recht, einen Bewerber nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft oder einer Gleichstellung zu fragen.

b) Die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage kann den Arbeitgeber zur Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB berechtigen.

Tatbestand:

1

Der im März 1940 geborene Kläger ist verheiratet und hat ein am 18. Januar 1966 geborenes Kind, das in der Türkei lebt. Aufgrund einer "Einstellungsvereinbarung" vom 20. Februar 1981 wurde der Kläger ab 2. März 1981 von der Beklagten in den Fabrikationsabteilungen ihrer Garnfabrik in A. als Arbeiter mit einem Stundenlohn von 9,77 DM brutto beschäftigt. Er wurde als sog. Spulenfahrer eingesetzt, zu dessen Aufgaben es gehört, volle und leere Garnspulen in Behältnissen mit einem Hubwagen und Chemikaliensäcke mit einer Sackkarre zwischen den einzelnen Abteilungen zu transportieren.

2

Der Kläger ist wegen eines Bandscheibenschadens laut Gleichstellungsbescheid vom 6. Februar 1977 zu 40 % erwerbsgemindert. Die Beklagte, die in A. rund 1000 Arbeitnehmer beschäftigt, hatte im Jahre 1980 keine Ausgleichsabgabe für nicht besetzte Schwerbehindertenpflichtplätze zu entrichten.

3

Vor seiner Einstellung wurden dem Kläger am 27. Oktober 1980 in der Personalabteilung von der Auszubildenden T. die Fragen eines Personalfragebogens vorgelesen und nach seinen Angaben überwiegend von ihr ausgefüllt. Der dabei anwesende stellvertretende Personalleiter M. ergänzte einzelne Punkte. Die Frage Nr. 3 im Fragebogen, ob er Schwerbehinderter oder Gleichgestellter sei, verneinte er nach den Angaben auf dem Formular. Das "Ja" ist sowohl mit dem von der Auszubildenden benutzten Kugelschreiber als auch mit der von dem stellvertretenden Personalleiter benutzten Tinte durchgestrichen. Der Kläger wies allerdings darauf hin, daß er 1975 eine Bandscheibenoperation gehabt habe, worauf er am 20. Februar 1981 von dem Betriebsarzt Dr. W. untersucht wurde. Der Kläger erwähnte auch bei dieser Untersuchung seine Bandscheibenoperation. Streitig ist, ob er auch versicherte, jetzt beschwerdefrei zu sein und jede Arbeit ausführen zu können. Der Arzt war daraufhin der Überzeugung, einer Tätigkeit als Spulenführer stehe nichts entgegen.

4

Am 31. März 1981 erklärte der Kläger dem zuständigen Meister, als er Kartons in der Zwirnerei von einem Stapel heben sollte, er könne diese Kartons nicht heben, weil sie ihm nach seiner Bandscheibenoperation zu schwer seien. Am nächsten Tag übergab ihm der Obermeister daraufhin eine Kündigung. Danach fand ein Gespräch im Personalbüro u. a. mit dem Personalleiter G., dem Obermeister und dem vorgesetzten Meister des Klägers statt, in dessen Folge der Kläger nochmals vom Betriebsarzt untersucht wurde. Aufgrund der Angaben des Klägers, er habe bei den ihm aufgetragenen Arbeiten keine Beschwerden, hatte der untersuchende Arzt keine Bedenken gegen den Einsatz des Klägers in seiner "bisherigen Tätigkeit". Der Kläger wurde daraufhin von der Beklagten weiterbeschäftigt.

5

Nachdem der Kläger am 20. Mai 1981 auf Veranlassung des Arbeitsamtes einen Bescheid des Arbeitsamtes A. vom 6. April 1977 vorgelegt hatte, demzufolge er bis zum 31. Dezember 1982 bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % einem Schwerbehinderten gleichgestellt worden war, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 26. Mai 1981 die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses.

6

Der Kläger, der sich mit der vorliegenden Klage gegen die Anfechtung wendet, hat vorgetragen, bei seiner Einstellung nicht gefragt worden zu sein, ob er Schwerbehinderter oder Gleichgestellter sei. Abgesehen davon, daß er keine Offenbarungspflicht gehabt habe und sich rechtliche Konsequenzen allenfalls bei einer vorsätzlich falschen Beantwortung ergeben könnten, sei das Ausfüllen des Personalfragebogens seitens der Beklagten eine routinemäßige Angelegenheit von untergeordneter Bedeutung gewesen. Er sei weder auf die Bedeutung der Fragen hingewiesen noch seien sie ihm übersetzt worden. Bei dem Einstellungsgespräch habe er den stellvertretenden Personalleiter M. darauf hingewiesen, daß er nicht schwer tragen könne. Auch habe er den Betriebsarzt Dr. W. auf die Bandscheibenoperation aufmerksam gemacht, worauf dieser jedoch erwidert habe, er sei für die vorgesehene Tätigkeit als Spulenfahrer geeignet. Am 31. März 1981 habe er in einem anderen Bereich, der sonst nicht zu seiner Tätigkeit gehörte, aushelfen müssen. Bei dem Gespräch am 1. April 1981 habe er erklärt, er könne, weil die Lasten mit Hilfe eines Hubkarrens in die Höhe gehoben werden, die Tätigkeit als Spulenfahrer weiter ausüben; er habe jedoch nicht erklärt, keinerlei Beschwerden zu haben und ohne Einschränkung auch für schwere Arbeiten einsetzbar zu sein. Bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe er seine Arbeit ohne Beanstandung ausgeführt. Im übrigen sei auch dann, wenn unterstellt werde, daß er die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft wahrheitswidrig verneint habe, die verschwiegene Tatsache nicht ursächlich für die Begründung des Arbeitsverhältnisses gewesen. Nicht der Gleichstellungsbescheid als solcher, sondern nur die von ihm wahrheitsgemäß mitgeteilten körperlichen Behinderungen könnten Auswirkungen auf die Begründung des Arbeitsverhältnisses haben. Schließlich stimme es auch nicht, daß er am 27. Mai 1981 dem Personalleiter G. erklärt habe, den Gleichstellungsbescheid wegen der Befürchtung, gar nicht eingestellt zu werden, nicht vorgelegt zu haben. Er habe nur erklärt, er glaube, wenn jemand einen solchen Bescheid vorlege, werde er nirgendwo eingestellt.

7

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtung der Beklagten vom 26. Mai 1981 nicht aufgelöst ist. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

8

Sie hat vorgetragen, der Kläger, der ausgezeichnet deutsch verstehe und sich auch in deutsch auszudrücken vermöge, sei bei seiner Einstellung entsprechend den Fragen im Personalfragebogen befragt worden, ob er Schwerbehinderter oder Gleichgestellter sei. Obwohl zur wahrheitsgemäßen Beantwortung verpflichtet, habe der Kläger diese Frage verneint. Der Hinweis des Klägers auf seine sechs Jahre zurückliegende Bandscheibenoperation genüge nicht, da sich daraus jedenfalls nicht ohne weiteres ergebe, ob eine Erwerbsminderung vorliege. Schließlich sei der Arbeitgeber, jedenfalls dann, wenn er seine Pflicht zur Besetzung von Arbeitsplätzen mit Schwerbehinderten erfüllt habe, in seiner Entscheidung frei, ob er einen bestimmten Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten oder gleichgestellten Bewerber besetzen wolle oder nicht. Seine Gleichstellung habe der Kläger verschwiegen und den Gleichstellungsbescheid deswegen nicht vorgelegt, weil er, wie er am 27. Mai 1981 in Gegenwart des Betriebsratsvorsitzenden We. dem Personalleiter G. erklärt habe, befürchtet habe, nicht eingestellt zu werden. Tatsächlich wäre der Kläger nicht eingestellt worden, wenn sie gewußt hätte, daß er einem Schwerbehinderten gleichgestellt sei, da sie einen Arbeiter für Transport- und Versandarbeiten in der Zwirnerei gesucht habe. Ein in seiner Erwerbsfähigkeit geminderter Arbeitnehmer sei dafür wegen des damit verbundenen häufigen Hebens von zum Teil schweren Kartons mit Garnspulen nicht geeignet. Der Kläger, der nicht für eine bestimmte Tätigkeit eingestellt worden sei, habe dem stellvertretenden Personalleiter M. nicht erklärt, schwere Lasten nicht tragen zu können. Dem Betriebsarzt Dr. W. habe er dagegen versichert, beschwerdefrei zu sein und jede Arbeit ausführen zu können. Die bereits unterschriebene Kündigung vom 1. April 1981 sei deshalb nicht ausgesprochen worden, weil der Kläger dem Personalleiter G. und dem Betriebsarzt Dr. W. erneut versichert habe, keinerlei Beschwerden zu haben und ohne Einschränkung auch für schwere Arbeiten einsetzbar zu sein.

9

Das Arbeitsgericht hat nach Einholung einer schriftlichen Aussage des Zeugen Dr. W. und Vernehmung der Zeugen T., M., Wi. und G. der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten, die den Kläger seit dem 22. März 1982 vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits wieder als Spulenfahrer weiterbeschäftigt, zurückgewiesen und die Revision zugelassen.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das Landesarbeitsgericht.

11

I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger von der Beklagten vor Eingehung des Arbeitsverhältnisses nach der Gleichstellung gefragt worden sei und ob er diese Frage verstanden habe, da nur die falsche Antwort auf eine zulässigerweise gestellte Frage eine arglistige Täuschung i. S. des § 123 BGB sein könne. Die Beklagte habe den Kläger nicht uneingeschränkt, d. h. nicht ohne Beschränkung auf die Ersetzbarkeit am künftigen Arbeitsplatz nach der Gleichstellung fragen dürfen. Die Grundsätze, die für die Frage nach einer Schwangerschaft gelten, könnten nicht auf die Fragen nach der Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten übertragen werden, da die Beschäftigung eines Gleichgestellten weitaus geringere finanzielle und betriebliche Auswirkungen habe als die Beschäftigung einer schwangeren Arbeitnehmerin. Das Interesse des Gleichgestellten an der Erlangung des Arbeitsplatzes müsse insoweit der Vorrang eingeräumt werden. Der Kläger sei jedoch dann verpflichtet gewesen, das der Gleichstellung zugrundeliegende Leiden zu offenbaren, wenn er habe erkennen müssen, daß sein Leiden Auswirkungen auf seine Einsetzbarkeit am vorgesehenen Arbeitsplatz haben könne. Ob dies der Fall gewesen sei, habe dahingestellt bleiben können, da er dieser Offenbarungspflicht nachgekommen sei, indem er den stellvertretenden Personalleiter M. auf seine Schwierigkeiten mit der Bandscheibe hingewiesen habe. Ohne Bedeutung sei dabei, ob er auch erklärt habe, keine Beschwerden zu haben, und ob dies der Wahrheit entsprochen habe, da die Beklagte ihn noch vor der Einstellung vom Werksarzt habe untersuchen lassen. Deshalb sei das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung ursächlich für den Abschluß des Einstellungsvertrages gewesen. Ohne Erfolg berufe sich die Beklagte auch darauf, der Kläger habe den Betriebsarzt Dr. W. zwar auf die Bandscheibenoperation hingewiesen, aber gleichzeitig erklärt, er sei beschwerdefrei und könne jede Tätigkeit ausführen. Denn die Beklagte habe ihre Anfechtung nicht darauf, sondern auf die falsche Beantwortung der Frage nach der Gleichstellung gestützt.

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II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten hinsichtlich der von der Beklagten behaupteten Täuschung über die Gleichstellung als Schwerbehinderter der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

13

1. Das mit dem Kläger seit dem 2. März 1981 bestehende Arbeitsverhältnis hat die Beklagte mit Schreiben vom 26. Mai 1981 dem Kläger gegenüber wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten, nachdem der Kläger ihr zuvor am 20. Mai 1981 seinen Gleichstellungsbescheid des Arbeitsamtes vorgelegt hatte. In dem Verschweigen seiner Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten bei den Einstellungsverhandlungen bzw. in der Falschbeantwortung des Punktes 3 im Personalfragebogen sieht die Beklagte eine zur Anfechtung des Arbeitsverhältnisses berechtigende arglistige Täuschung. Tatsächlich kann eine zur Anfechtung berechtigende arglistige Täuschung i. S. des § 123 Abs. 1 BGB dann vorliegen, wenn der Kläger eine zulässige Frage der Beklagten nach seiner Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten vorsätzlich falsch beantwortet hat und er erkennen mußte, daß die von ihm verschwiegene Frage seiner Gleichstellung für die Entscheidung der Beklagten über die Begründung des Arbeitsverhältnisses wesentlich und auch ursächlich war (vgl. dazu BAG 11, 270, 273 f.; BAG Urteil vom 25. März 1976 - 2 AZR 136/75 - AP Nr. 19 zu § 123 BGB; BAG Urteil vom 16. September 1982 - 2 AZR 228/80 - EzA § 123 BGB Br. 22; BAG Urteil vom 7. Juni 1984 - 2 AZR 270/83 - AP Nr. 26 zu § 123 BGB; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band 1, § 22 IV 2, Seite 194 f.; Gröninger, SchwbG, Stand Juni 1984, § 12 Anm. 4 b aa; Falkenberg, BB 1970, 1013; Haberkorn, RdA 1962, 416 f.; Weber, SchwbG, Stand Januar 1985, § 1 Anm. 8; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 35 II 5, Seite 98).

14

Ob die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung vorliegen und die gem. § 124 BGB fristgerecht erfolgte Anfechtung das in Vollzug gesetzte Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten mit ihrem Zugang am 27. Mai 1981 aufgelöst hat, läßt sich jedoch noch nicht abschließend beurteilen, da es insoweit noch an tatsächlichen Feststellungen durch das Landesarbeitsgericht darüber fehlt, ob der Kläger nach einer Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten gefragt worden ist.

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2. Ohne entsprechende Frage des Arbeitgebers muß der Arbeitnehmer von sich aus bei der Einstellung nur dann auf eine Schwerbehinderteneigenschaft oder seine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten hinweisen, wenn er erkennen muß, daß er wegen der Behinderung die der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Gleichstellung zugrunde liegt, die vorgesehene Arbeit nicht zu leisten vermag oder die Minderung der Leistung und Fähigkeiten für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung ist (Urteil des Senates vom 25. März 1976 - 2 AZR 136/75 - AP Nr. 19 zu § 123 BGB; Wilrodt/Neumann, SchwbG, 6. Aufl., § 12 Rz 45).

16

Diese Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB sind nach der Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts vorliegend nicht erfüllt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger seine Offenbarungspflicht vollständig und richtig erfüllt hat. Es ist zwar zwischen den Parteien streitig, ob der Kläger bei den Einstellungsverhandlungen nicht nur auf seine Schwierigkeiten mit der Bandscheibe hingewiesen, sondern darüber hinaus auch erklärt hat, er habe keine Beschwerden mehr. Nach der von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deswegen für den Senat bindenden tatsächlichen Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist aber nicht diese Erklärung des Klägers ursächlich für den Abschluß des Einstellungsvertrages gewesen, sondern insoweit das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung.

17

Unerheblich ist ferner, ob der Kläger gegenüber dem Betriebsarzt unwahre Angaben gemacht hat, indem er versichert hat, er sei beschwerdefrei und könne jede Arbeit ausführen. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, die Beklagte habe ihre Anfechtung nicht auf die Angaben gegenüber dem Betriebsarzt, sondern auf die falsche Beantwortung der Frage nach der Gleichstellung gestützt. Auch insoweit hat die Revision gegen die Würdigung des Landesarbeitsgerichts keine Rügen erhoben.

18

3. Nach der herrschenden Meinung, der sich der Senat anschließt, darf der Arbeitgeber jedoch bei den Einstellungsverhandlungen den Bewerber uneingeschränkt nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft oder der Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten befragen. Der Arbeitnehmer ist dann zur wahrheitsgemäßen Beantwortung dieser Frage verpflichtet (vgl. Bleistein, BlStSozArbR 1969, 172; Braasch, Handbuch des Arbeitsrechts, Teil VII B, § 12 SchwbG Anm. 7 S. 156; Brill, AuR 1968, 136, 140, und BlStSozArbR 1985, 113 f.; Degener, Das Fragerecht des Arbeitgebers gegenüber Bewerbern, 1975, S. 127 ff.; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 94 Rz 12; Falkenberg, BB 1970, 1015; Gröninger, aaO, § 12 Anm. 4 b aa; Haberkorn, RdA 1962, S. 418; Hümmerich, BB 1979, 428, 430; KR-Etzel, 2. Aufl., §§ 12 - 17 SchwbG Rz 28; Neumann DB 1961, 1291 f.; Rewolle/Dörner, SchwbG, Stand Juli 1984, § 12 Anm. III 5 e; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., S. 98; Sommer, AR-Blattei, Anfechtung I, unter B II 2; Weber, aaO, § 1 Anm. 8; Wilrodt/Neumann, aaO, § 12 Rz 45). Auch der Senat ist bereits in den Urteilen vom 25. März 1976 (- 2 AZR 136/75 - AP Nr. 19 zu § 123 BGB) und vom 7. Juni 1984 (- 2 AZR 270/83 - AP Nr. 26 zu § 123 BGB) ohne nähere Begründung davon ausgegangen, der Arbeitgeber dürfe uneingeschränkt nach der Schwerbehinderteneigenschaft fragen.

19

a) Das Fragerecht des Arbeitgebers und die entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers zur wahrheitsgemäßen Beantwortung folgt insoweit aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der auch das vorvertragliche Anbahnungsverhältnis der Parteien beherrscht (Hofmann, ZfA 1975, 7, 27; Haberkorn, aaO; Neumann, aaO). Es ist allerdings davon auszugehen, daß insoweit gegensätzliche Interessen bestehen. Der künftige Arbeitgeber ist daran interessiert, von dem Bewerber alle für das konkret beabsichtigte Arbeitsverhältnis erforderlichen Tatsachen zu erfahren, um den Arbeitsplatz mit einem geeigneten Bewerber besetzen zu können. Der Bewerber hingegen ist daran interessiert, möglichst wenig aus seinem persönlichen Bereich offenbaren zu müssen, um nicht Gefahr zu laufen, den Arbeitsplatz nicht zu erhalten.

20

Bei Abwägung dieser gegensätzlichen Interessen des Arbeitsplatzbewerbers und des Arbeitgebers überwiegt nach Auffassung des Senats das des zukünftigen Arbeitgebers daran zu erfahren, ob der Bewerber Schwerbehinderter (§ 1 SchwbG) oder Gleichgestellter (§ 2 SchwbG) ist, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, welche Auswirkung die Schwerbehinderteneigenschaft oder die Gleichstellung sowie die zugrundeliegende Behinderung konkret für die in Aussicht genommene Tätigkeit hat. Bei der Frage nach Schwerbehinderteneigenschaft oder der Gleichstellung, die für die Durchführung und die Abwicklung des beabsichtigten Arbeitsverhältnisses von erheblicher Bedeutung ist, muß gegenüber dem objektiv schutzwürdigeren Interesse des Arbeitgebers das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre zurücktreten.

21

b) Das vorrangige Interesse des Arbeitgebers folgt aus den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen, die für ihn durch die Beschäftigung Schwerbehinderter entstehen, d. h. aus der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und der betrieblichen Auswirkungen, die sich für den Arbeitgeber aus der Einstellung und Beschäftigung eines Schwerbehinderten (§ 1 SchwbG) oder eines Gleichgestellten (§ 2 SchwbG) ergeben (vgl. Urteil des Senats vom 7. Juni 1984, aaO; Hümmerich, aaO, S. 430; Wilrodt/Neumann, aaO, § 12 Rz 45). So trifft den Arbeitgeber neben der Melde- und Mitwirkungspflicht gegenüber dem Arbeitsamt und der Hauptfürsorgestelle nach § 12 SchwbG die Pflicht zur beruflichen Förderung des Schwerbehinderten nach § 11 SchwbG. Von besonderer Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang der besondere Kündigungsschutz nach den Bestimmungen der §§ 12 bis 19 SchwbG, der durch das Erfordernis der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht nur den Bestandsschutz nach § 1 KSchG oder § 626 BGB verstärkt, sondern in den Fällen, in denen das KSchG nicht oder noch nicht eingreift, gegenüber ordentlichen Kündigungen überhaupt erst begründet und für Arbeiter gegenüber § 622 BGB die regelmäßige Kündigungsfrist nach § 13 SchwbG auf vier Wochen verlängert. Ein Schwerbehinderter und einem diesem gleichgestellter Arbeitnehmer ist zudem nicht uneingeschränkt einsetzbar, sondern er kann z. B. nach § 43 SchwbG verlangen, von Mehrarbeit freigestellt zu werden. Diese mit der Einstellung eines Schwerbehinderten verbundenen erhöhten Vertragsrisiken des Arbeitgebers rechtfertigen einerseits das uneingeschränkte Fragerecht des Arbeitgebers und andererseits die Pflicht des Arbeitnehmers, die Frage nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung wahrheitsgemäß zu beantworten. Anders als bei der Frage nach der Körperbehinderung (vgl. dazu das Urteil des Senates vom 7. Juni 1984, aaO) kommt eine Beschränkung auf Schwerbehinderungen, die erfahrungsgemäß die Eignung des Arbeitnehmers für die vorgesehene Tätigkeit beeinträchtigen insbesondere deswegen nicht in Betracht, weil der Schwerbehindertenschutz auf Dauer den Inhalt der Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis prägt (Dietz/Richardi, aaO, § 94 Rz 12).

22

Für einen Arbeitnehmer, der nach § 2 Abs. 1 SchwbG einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist, kann hinsichtlich des Fragerechts des Arbeitgebers und der Auskunftspflicht des Bewerbers nichts anderes gelten. Auch für diesen Personenkreis finden die Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes gemäß § 2 Abs. 2 SchwbG bis auf den Zusatzurlaub nach § 44 SchwbG Anwendung, und allein diese Ausnahme rechtfertigt wegen der Vielzahl der genannten sonstigen Pflichten keine andere Beurteilung.

23

c) Diese mit der Einstellung und der Beschäftigung eines Schwerbehinderten oder eines Gleichgestellten stets generell und latent verbundenen Vertragsrisiken des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht zu gering bewertet, indem es zu Unrecht weiter und entscheidend darauf abgestellt hat, ob durch die Schwerbehinderung der betriebliche Arbeitsablauf konkret beträchtlich erschwert wird oder der Schwerbehinderte oder der Gleichgestellte infolge seiner Behinderung die vorgesehene Arbeit nicht oder nur eingeschränkt ausüben kann. Neben den bereits behandelten Verpflichtungen des Arbeitgebers, die sich aus dem SchwbG ergeben, hat die Beklagte entgegen der Würdigung des Landesarbeitsgerichts auch wegen der Beschäftigungspflicht nach den §§ 4 ff. SchwbG ein schutzwürdiges Interesse daran gehabt, den Kläger nach der Schwerbehinderteneigenschaft oder seiner Gleichstellung zu fragen. Die Beklagte hatte zwar bei der Einstellung des Klägers ihre Beschäftigungspflicht nach § 4 SchwbG erfüllt und brauchte deswegen damals keine Ausgleichsabgabe nach § 8 SchwbG zu bezahlen. Das hätte sich jedoch im Laufe der Beschäftigung des Klägers infolge Ausscheidens anderer Schwerbehinderter ändern können, und die Beklagte wäre dann wegen der wahrheitswidrigen Angaben des Klägers nicht in der Lage gewesen, auch ihn auf die gesetzliche Pflichtquote anzurechnen.

24

Dem Landesarbeitsgericht kann auch nicht in der Begründung gefolgt werden, die Einschränkung der Fragepflicht sei deswegen erforderlich, weil das SchwbG anders als das MuSchG nicht nur den Sinn habe, dem Schwerbehinderten den bereits erworbenen Arbeitsplatz zu sichern, sondern auch bezwecke, dem Behinderten oder Gleichgestellten die Eingliederung in das Arbeitsleben zu erleichtern. Dieser Schutzzweck würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn dem Arbeitgeber allein wegen des besonderen Schutzes des Schwerbehinderten ein Interesse zugebilligt würde, von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Gleichstellung zu erfahren. Mit dieser Würdigung hat das Landesarbeitsgericht aus dem Zweck des SchwbG zu weitgehende Rechtsfolgen hergeleitet.

25

Das SchwbG begründet in den §§ 4 ff., 41 nur eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Staat mit dem Inhalt, im Rahmen der festgelegten Pflichtzahl Schwerbehinderte auf einem entsprechenden Arbeitsplatz einzustellen und zu beschäftigen. Diese Einstellungspflicht besteht jedoch nicht den einzelnen Schwerbehinderten gegenüber (vgl. Braasch, aaO, § 4 Anm. 5 S. 63; Gröninger/Thomas, aaO, § 4 Anm. 2a; Wilrodt/Neumann, aaO, § 4 Rz 10). Der Arbeitgeber hat danach grundsätzlich die Wahl, welchen oder welche Schwerbehinderten er einstellen will. Er ist nach der Erfüllung der Pflichtquote nicht gezwungen, einem Schwerbehinderten den Vorzug vor einem anderen Bewerber zu geben. Auch aus § 11 SchwbG, der die Pflichten des Arbeitgebers gegenüber Schwerbehinderten regelt und den Arbeitgeber verpflichtet, bei der Besetzung freier Arbeitsplätze zu prüfen, ob Schwerbehinderte beschäftigt werden können, läßt sich kein Einstellungsanspruch des Schwerbehinderten herleiten (Gröninger/Thomas, aaO, § 11 Anm. 3a; Braasch, aaO, § 11 Anm. 20 S. 143). Der Verpflichtung, Schwerbehinderte bei Einstellungen bevorzugt zu behandeln, kann der Arbeitgeber im übrigen auch nur dann gerecht werden, wenn er weiß oder auf Befragen vom Bewerber erfährt, daß es sich bei dem Bewerber um einen Schwerbehinderten oder einen Gleichgestellten handelt.

26

Da das SchwbG das Interesse des Schwerbehinderten, als Arbeitnehmer eingestellt zu werden, damit nur in diesem beschränkten Umfang anerkannt und geregelt hat, widerspricht es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht dem Zweck und dem Schutzgedanken dieses Gesetzes, die Frage des Arbeitgebers nach der Anerkennung als Schwerbehinderter oder nach der Gleichstellung bei den Einstellungsverhandlungen uneingeschränkt zuzulassen. Insoweit durchaus mit dem MuSchG vergleichbar (vgl. dazu BAG Urteil vom 22. September 1961 - 1 AZR 241/60 - AP Nr. 15 zu § 123 BGB und BAG 3, 309, 312), beschränkt sich der individuelle Schutz des SchwbG des Schwerbehinderten oder des Gleichgestellten im Verhältnis zum Arbeitgeber darauf, ihm den bereits erworbenen Arbeitsplatz, nicht aber auch die Eingehung des Arbeitsvertrages selbst, d. h. den Erwerb des Arbeitsplatzes unter allen Umständen zu sichern.

27

3. Die unrichtige Einschränkung der Fragepflicht hat das Landesarbeitsgericht - von seinem Standpunkt aus zutreffend - veranlaßt, keine Feststellungen darüber zu treffen, ob der Kläger bei den Einstellungsverhandlungen nach der Gleichstellung gefragt worden ist, ob er diese Frage verstanden hat und ob die Beklagte deswegen i. S. des § 123 Abs. 1 BGB durch arglistige Täuschung seitens des Klägers dazu bestimmt worden ist, dem Kläger den Abschluß eines Arbeitsvertrages anzubieten bzw. das Angebot des Klägers anzunehmen. Diese Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht ebenso nachzuholen, wie die tatrichterliche Würdigung, ob für den Abschluß des Einstellungsvertrages die vom Kläger verneinte Gleichstellung als Schwerbehinderter oder - wie der Kläger geltend macht - nur das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung ursächlich gewesen ist. Nach den zutreffenden Ausführungen der Revision hat das Landesarbeitsgericht die Frage der Kausalität nur im Zusammenhang mit der von der Beklagten behaupteten Angabe des Klägers geprüft, er habe aufgrund seiner Schwierigkeiten mit der Bandscheibe keine Beschwerden. Auf die unrichtige Beantwortung der Frage nach der Gleichstellung bezieht sich diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts hingegen nicht.