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Überbau

 Normen 

§§ 912 - 916 BGB

Ergänzende Regelungen der Bundesländer zum Überbau:
Baden-Württemberg: § 7b NRG,BW
Berlin: § 5 Abs. 3 NachbG Bln
Brandenburg: § 19 BbgNRG
Niedersachsen: § 22 NNachbG,NI
Nordrhein-Westfalen: § 23 NachbG NRW
Sachsen-Anhalt: § 16 NbG,ST
Schleswig-Holstein: § 16 NachbG Schl.-H.,SH
Saarland: § 20 NachbarG,SL

 Information 

1. Allgemein

Grundsätzlich kann sich der Eigentümer eines Grundstücks bei der Beeinträchtigung seines Eigentums mit dem Abwehranspruch gemäß § 1004 BGB wehren und Beseitigung der Störung verlangen.

Sofern es sich bei der Störung um einen Überbau i.S. des § 912 BGB handelt, sind die Rechte des betreffenden Grundstückseigentümers jedoch gesondert geregelt.

Hintergrund ist die Überlegung, dass die mit der Beseitigung eines Überbaus verbundene Zerschlagung wirtschaftlicher Werte vermieden werden soll, die dadurch entsteht, dass sich der Abbruch eines überbauten Gebäudeteils meist nicht auf diesen beschränken lässt, sondern zu einer Beeinträchtigung und Wertminderung auch des bestehen bleibenden, auf eigenem Grund gebauten Gebäudeteils führt.

Die §§ 912 ff. BGB regeln nur den unrechtmäßigen Überbau, d.h. den Überbau, der nicht einvernehmlich zwischen den Parteien erfolgt.

Die Vorschrift ist aber Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes, welcher über den unmittelbar im Gesetz geregelten Fall hinaus auf ähnliche Tatbestände ausgedehnt werden kann (BGH 04.04.1986 - V ZR 17/85).

2. Voraussetzungen

Der Tatbestand des entschuldigten Überbaus erfordert das Vorliegen der folgenden Voraussetzungen:

  • Bei dem Überbau handelt es sich um ein Gebäude (Bei Mauern, Zäunen usw. kann nach den allgemeinen Anspruchsgrundlagen Beseitigung verlangt werden).

  • Es muss zum Teil über die Grenze gebaut worden sein; dabei darf das Gebäude nicht vollständig auf fremdem Grund liegen (in diesem Falle entstünde Alleineigentum des gestörten Grundstückseigentümers).

  • Der Überbau darf weder grob fahrlässig noch vorsätzlich erfolgt sein.

    Ein Verschulden des Architekten wird dem Eigentümer des störenden Grundstücks, dem Bauherrn, zugerechnet (BGH, NJW 1977, 375), nicht jedoch ein Verschulden des beauftragten Bauunternehmers und seines Personals (BGH, NJW 1977, 375).

  • Es darf nicht unmittelbar nach Überschreitung der Grenze durch den gestörten Grundstückseigentümer Widerspruch erhoben worden sein.

    Es besteht keine Frist, innerhalb der der Widerspruch zu erheben ist, jedoch beginnt die Pflicht grundsätzlich sogleich mit der Erkennbarkeit der Grenzüberschreitung. Der Grundstückseigentümer darf nicht mit dem Widerspruch bis zum Ende der Baumaßnahmen abwarten.

3. Rechtsfolgen

3.1 Duldungspflicht

Bei Vorliegen der Voraussetzungen hat der Nachbar den Überbau zu dulden (BGH, WM 1979, 644).

Die Duldungspflicht besteht jedoch nicht, wenn der Überbau nicht den Regeln der Baukunst entspricht und deshalb über die Grenzverletzung hinausreichende Beeinträchtigungen des Nachbarn besorgen lässt (BGH 19.09.2008 - V ZR 152/07).

Die zuvor umstrittene Frage, ob sich aus der allgemeinen Duldungspflicht eine weiter gehende Duldungspflicht des Nachbarn in Bezug auf die Flächen seines Grundstücks ergibt, die (wie die Zufahrt zu einer Garage) der zweckentsprechenden Nutzung des die Grenze überschreitenden Bauwerks dienen, wurde vom BGH mit dem Urteil BGH 15.11.2013 - V ZR 24/13 verneint. Eine weiter gehende Duldungspflicht kann sich nur aus anderen Rechtsgrundlagen, wie z.B. dem Notweg, ergeben.

3.2 Geldrente

Als Ausgleich für die Duldungspflicht hat der beeinträchtigte Grundstückseigentümer einen Anspruch auf die Zahlung einer Geldrente (Überbaurente), die gemäß § 914 BGB allen sonstigen Rechten am Grundstück vorgeht.

Die Höhe der Rente bestimmt sich nach dem Verkehrswert des überbauten Grundstückteils im Zeitpunkt des Überbaus und besteht in der aus dem Verkehrswert zu erzielenden Rendite (BGH 21.01.1983 - V ZR 154/81). Spätere Wertänderungen bleiben unberücksichtigt.

Diese Rechtsprechung hat der BGH nun bestätigt:

"Die Überbaurente ist nicht nach Art und Ausmaß der Einbuße bei der tatsächlichen Nutzung des überbauten Grundstücksteils, sondern allein auf der Grundlage von dessen Verkehrswert zur Zeit der Grenzüberschreitung zu berechnen" (BGH 12.10.2018 - V ZR 81/18).

Die Eintragung eines Vermerks über den Verzicht des rentenberechtigten Grundstückseigentümers auf die Überbaurente in das für das überbaute Grundstück angelegte Grundbuchblatt ist unzulässig (BGH 12.12.2013 - V ZB 120/13).

3.3 Eigentumsverhältnisse

Während beim unentschuldigten Überbau (Vorsatz, grobe Fahrlässigkeit) nach der Rechtsprechung des BGH das Eigentum an dem überbauten Teilstück des Gebäudes in das Eigentum des Eigentümers des beeinträchtigten Grundstücks fällt, steht das Eigentum beim entschuldigten Überbau dem Störer zu.

Der Überbau ist nicht im Grundbuch einzutragen.

3.4 Abkauf

Gemäß § 915 BGB kann der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks verlangen, dass ihm der Störer den überbauten Teil seines Grundstücks abkauft.

4. Überbau durch Wärmedämmung

Das OLG Karlsruhe hatte entschieden, dass der Eigentümer nicht dulden muss, dass die Wand eines an die Grundstücksgrenze gebauten Nachbarhauses mit Wärmedämmplatten versehen wird, die 15 cm in den Luftraum seines Grundstücks ragen (OLG Karlsruhe 09.12.2009 - 6 U 121/09).

Nunmehr haben viele Bundesländer die Pflicht zur Duldung einer Wärmedämmung als Überbau in den Nachbarschaftsgesetzen aufgenommen (siehe den Beitrag "Privates Nachbarrecht), so z.B. NRW in § 23a NachbG NRW.

5. Überbau nach den Nachbarrechtsgesetzen

Der BGH hat sich in der Entscheidung BGH 12.03.2021 - V ZR 31/20 mit den Begriffen "Grenzwand" und "Nachbarwand" nach den Nachbarrechtsgesetzen der Länder auseinandergesetzt:

  • "Die Vorschrift des § 7b Abs. 1 NRG BW setzt das Bestehen einer sog. Grenzwand voraus. Das sind Mauern, die bis an die Grenze gebaut werden, aber noch vollständig auf dem Nachbargrundstück stehen (...). Dass in § 7b NRG BW nur die Grenzwand geregelt wird, folgt aus dem eindeutigen Wortlaut der Norm. Zwar verwendet die Vorschrift diesen Begriff nicht. Ihr Absatz 1 Satz 1 setzt - wie auch Absatz 2 - aber voraus, dass nach den baurechtlichen Vorschriften unmittelbar "an" die gemeinsame Grundstücksgrenze gebaut werden darf, und verwendet damit die begriffliche Umschreibung für eine Grenzwand. Diese Definition findet sich auch in anderen landesrechtlichen Vorschriften (vgl. § 16 BbgNRG, § 8 Abs. 1 HessNRG, § 16 Abs. 1 NdsNRG, § 19 NachbG NRW, § 13 Abs. 1 NRG RhPf, § 11 NachbG Sachsen-Anhalt, § 11 Abs. 1 NachbG SchlH, § 13 Abs. 1 ThürNRG, § 15 Abs. 1 SaarlNRG)."

  • Eine Nachbarwand ist im Gegensatz dazu auf der Grundstücksgrenze errichtet und zum wechselseitigen Anbau bestimmt: "Eine Nachbarwand ist dazu bestimmt, von jedem der beiden Nachbarn in Richtung auf sein eigenes Grundstück benutzt zu werden. Diese Zweckbestimmung folgt regelmäßig aus einer - ggf. stillschweigenden - Übereinkunft der Nachbarn; infolgedessen bleiben die Überbauvorschriften der §§ 912 ff. BGB außer Anwendung, insbesondere kann weder eine Überbaurente verlangt noch das Recht auf Grundabnahme aus § 915 BGB geltend gemacht werden."

  • Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 7b Abs. 1 NRG BW auf eine Nachbarwand wird von dem BGH abgelehnt. Nach dem Gericht sind die Rechtsfigur der Nachbarwand und die Folgen eines Überbaus im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt.

 Siehe auch 

Duldungspflicht - nachbarrechtliche

Gemeinschaftverhältnis - nachbarliches

Grenzverletzung

Rücksichtnahmegebot - baurechtliches

BGH 30.05.2008 - V ZR 184/07 (Beseitigungspflicht eines rechtmäßigen Überbaus)

Harz/Riecke/Schmid: Handbuch des Fachanwalts Miet- und Wohnungseigentumsrecht; 7. Auflage 2021

Horst: Grenzüberbau durch Wärmedämmung; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2010, 122

Kolbe: Unzumutbarer Beseitigungsaufwand?; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2008, 3618

Ring: Der Überbau auf fremdem Grund und Boden; Juristische Arbeitsblätter - JA 2000, 414

Tersteegen: Der Überbau in der notariellen Praxis; Rheinische Notar-Praxis - RNotZ 2006, 433

Viebrok-Hörmann: Bewertung von Überbau, Wegerechten und Baulasten; Grundstücksmarkt und Grundstückswert - GuG 2010, 204