Änderung der BGH-Rechtsprechung zum Zahlungsverbot in der Gesellschaftskrise
Der BGH hat sich erneut zur Haftung eines AG-Vorstands oder eines GmbH-Geschäftsführers für (nicht) abgeführte Sozialversicherungsbeiträge und Steuern in der Krise der Gesellschaft geäußert und dabei seine bisherige Rechtsprechung teilweise aufgegeben (BGH, Urteil vom 14.5.2007, Az. II ZR 48/06).
Die Problematik ergab sich für einen Vorstand/Geschäftsführer daraus, dass er sich nach Eintritt eines Insolvenzgrunds in einer Pflichtenkollision befand: Einerseits ist er unter Strafandrohung zur Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen verpflichtet (§ 266a StGB), andererseits machte er sich der Gesellschaft gegenüber schadensersatzpflichtig, wenn er nach diesem Zeitpunkt Zahlungen leistete, die nicht mit der "Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind" (Verstoß gegen das Zahlungsverbot: § 92 Abs. 3 AktG; § 64 Abs. 2 GmbHG). Der 5. Strafsenat und der 2. Zivilsenat des BGH hatten insoweit divergierende Entscheidungen gefällt.
Der 2. Zivilsenat hat nun in Anbetracht der gefestigten Rechtsprechung des 5. Strafsenats seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, nach der die Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Krise einen Verstoß gegen das Zahlungsverbot darstellt. Vielmehr handele ein organschaftlicher Vertreter bei Insolvenzreife der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters, wenn er den sozial- und steuerrechtlichen Normen entsprechend die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung oder Lohnsteuer abführe. Die persönliche Haftung und folglich auch die Pflichtenkollision sind damit entfallen.
Offen bleibt nun die strafrechtliche Beurteilung der Nichtabführung von Sozialversicherungsbeiträgen in der Krise und die damit einhergehende deliktische Haftung des Geschäftsführers/Vorstands gegenüber dem Träger der Sozialversicherung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB). Bisher hat der 5. Strafsenat angesichts der Pflichtenkollision eine Strafbarkeit der Nichtabführung innerhalb der Dreiwochenfrist ausgeschlossen, in der nach Eintritt der Insolvenzreife Insolvenzantrag zu stellen ist (§ 64 Abs. 1 GmbHG; § 92 Abs. 2 AktG) und sie erst für den Zeitraum danach bejaht (Beschluss vom 30.7.2003, Az. 5 StR 221/03). Da die Pflichtenkollision nunmehr entfallen ist, bleibt abzuwarten, ob die Rechtsprechung künftig eine Strafbarkeit bereits ab Insolvenzreife annimmt.
Im Ergebnis ist einem Geschäftsführer/Vorstand zu empfehlen, künftig nach Eintritt der Insolvenzreife (Vorliegen von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) auch innerhalb der genannten Dreiwochenfrist die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen. Eine persönliche Haftung gegenüber der Gesellschaft wegen Verstoßes gegen das Zahlungsverbot kommt nun nicht mehr in Betracht.