Der Elektrorasierer als Mobiltelefon im Sinne der StVO, oder: Wohin die Justiz manchmal gallopiert!

Strafrecht und Justizvollzug
29.10.20062674 Mal gelesen

Eine "Benutzung eines Mobiltelefons" i.S. des § 23 Ia StVO liegt nicht nur dann vor, wenn das Gerät zum Telefonieren verwendet wird, sondern auch bei jeder anderen bestimmungsgemäßen Verwendung, insbesondere - wie hier - beim Gebrauch als Diktiergerät.(OLG Jena, Beschluss vom 31.5.2006 - 1 Ss 82/06)[1]

 
 
Es ist die Bestimmung eines Telefons, damit zu telefonieren.

Es ist die Bestimmung eines Diktiergeräts, damit zu diktieren.

Es ist die Bestimmung eines Mobiltelefons, damit mobil zu telefonieren, und es ist nicht die Bestimmung eines Mobiltelefons, damit zu diktieren.

 

Wenn in ein Mobiltelefon die Funktion eines Diktiergerätes eingebaut ist, und wenn wer damit tatsächlich diktiert, dann benutzt er nicht das Telefon, telefoniert er nicht, sondern er benutzt das im Gehäuse des Mobiltelefons eingebaute Diktiergerät, und auch nur das, und das dann bestimmungsgemäß.

Das integrierte Diktiergerät kann er übrigens benutzen, wenn er keinerlei SIM-Karte hat, das Telefon also funktionsunfähig und somit lediglich seiner äußeren Gestalt nach ein Mobiltelefon ist.

 

Nun sind ja auch Fotokameras in die Mobiltelefone integriert.

 
  • Wenn  jemand, langsam sich im Stau vorwärts bewegend, vom Auto aus mit der ins Mobiltelefon integrierten Kamera einen Zeitgenossen fotografiert, der sich über die Standspur nach vorne schiebt, um das zu dokumentieren,
  • wenn jemand - bei rot an der Ampel stehend und mit laufendem Motor wartend - mit seiner in das Mobiltelefon integrierten Kamera jemanden fotografiert, der bei rot fährt und den Querverkehr erheblichst gefährdet,
  • wenn jemand - mit laufendem Motor - an einer landschaftlich besonders reizvollen Stelle stehen bleibt und das grüne Tal mit der untergehenden Sonne auf den Chip seines im Mobiltelefon integrierten elektronischen Fotoapparates bannt,
 

müsste das OLG Jena konsequent den Tatbestand der Benutzung des Mobiltelefons als erfüllt ansehen, obgleich Fotografieren ebenso wenig bestimmungsgemäßer Gebrauch eines Telefons ist wie Diktieren.  

 

Telefon im Sinne des § 23 Ia StVO ist auch ein Diktiergerät oder ein Fotoapparat? Gott sei Dank ist bis jetzt noch keine Waschmaschine in die Mobiltelefone integriert.

 
Jetzt kommen wir zur Analogie:

Wenn man im § 23 Ia StVO nicht die Nutzung des physisch vorhandenen Gerätes in den Vordergrund stellt, sondern die Gefahr, die von seiner Benutzung und der damit verbundenen Ablenkung ausgeht - man muss beim Telefonieren das Gerät oder den Hörer halten, zuhören, mitdenken, antworten, wird - das ist Gesetzesratio - von der Beobachtung des Verkehrs abgelenkt - dann müsste konsequent - weil ebenfalls  in der Regel - mit eben diesen Gefahren verbunden,

 
  • das Rasieren mit einem Elektrorasierer, gleich, ob als Einzelgerät oder ins Mobiltelefon integriert,
  • das Nasebohren,
  • das Unterhalten mit Insassen,
  • überhaupt jedes Nachdenken,
 

unter § 23 Ia StVO zu subsumieren sein, weil auch Nachdenken im Sinne einer Analogie - oder nur entsprechender Anwendung? - Gebrauch eines Mobiltelefons darstellt. Dürfen nur noch Stumpfsinnige ein Auto lenken?

 

Stellt man hingegen auf das "Aufnehmen oder Halten" des Telefons oder Hörers ab, müsste jedenfalls das Diktiergerät, die Zigarette, der Parfümzerstäuber, das Hustenbonbon und wer weiß was noch als Mobiltelefon im Sinne der Straßenverkehrsordnung anzusehen sein. Fußnägel schneidende Brummifahrer wurden ja schon gesehen; also: Die Nagelschere als Mobiltelefon im Sinne des § 23 Ia StVO?

 

Eigentlich könnte man dann die halbe StVO kürzen auf den Tatbestand des § 23 Ia:  

 

Du sollst nichts tun, was Deine Konzentration auf das Fahren beeinträchtigt, stünde nach der Lesart des OLG Jena dort zu lesen.

 

Oh heilige Justiz. Wohin verirrst Du Dich bisweilen im Dickicht der gesetzgeberischen Regelungswut? Wo bleibt das, was man   - immer noch - den gesunden Menschenverstand nennt, der sich offenbar zum Gegensatzpaar des Juristenverstandes entwickelt?

 

Gepriesen sei die Existenz des Bundesverfassungsgerichts, das wenigstens die gröbsten Schnitzer einfachrechtlicher Rechtsprechung beseitigt, wenn es ihm wichtig genug erscheint.

   

Eckhard Benkelberg

Rechtsanwalt und zugleich

Fachanwalt für Familienrecht

www.famrecht.de

 

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46446 Emmerich am Rhein

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[1]Man denkt an die Badeordnung von Schilda:
 
§ 1 Montags - Mittwochs baden Frauen.
§ 2 Donnerstags bis Samstags baden Männer
§ 3 Frau im Sinne der Badeordnung ist auch der Bademeister