Konkurrierende Scheidungsverfahren in zwei EU-Mitgliedstaaten

Scheidungsrecht Ehescheidung
02.06.2025 26 Mal gelesen
Die aktuelle EuEheVO macht es Ehegatten leicht, ihre Scheidung in dem Land einzureichen, in dem sie aktuell leben. Dabei kann es zu doppelten Verfahren kommen.

Dass ein deutsches Gericht für ein Scheidungsverfahren international zuständig ist, ergibt sich in der Regel schon aus Art. 3 EuEheVO bzw. Brüssel IIb-VO.

Dort finden sich sieben gleichrangige Alternativen, es reicht, wenn eine der dort beschriebenen Konstellationen vorliegt, eine bestimmte Prüfungsreihenfolge ist nicht einzuhalten.

Aufgrund der Gleichrangigkeit der sieben Anknüpfungspunkte kann es passieren, dass Gerichte verschiedener EU-Mitgliedstaaten international zuständig sind.

Ehegatten bleibt dann die Wahl, in welchem der prinzipiell zuständigen EU-Mitgliedstaaten sie ein Scheidungsverfahren einleiten. Dabei kann es zu doppelten Verfahren kommen, entweder weil der eine Ehegatte noch nichts von dem anderen Verfahren weiß oder weil er ihm bewusst zuvorkommen will, um sich Vorteile zu verschaffen.

Beispiel: Der Ehemann besitzt die österreichische Staatsangehörigkeit, sie die deutsche, beide lebten zuletzt in Deutschland. Nach der Trennung kehrt er nach Österreich zurück, sie bleibt in Deutschland. Er könnte frühestens nach sechs Monaten in Österreich ein Scheidungsverfahren einleiten (Art. 3 lit. a (vi) EuEheVO). Die Ehefrau ist daran interessiert, das Verfahren in Deutschland durchzuführen, das kann sie erreichen, wenn sie ihn "überholt" und ihren Antrag früher einreicht (Art. 3 lit (ii) EuEheVO).

Sobald das später angerufene Gericht erfährt, dass in einem anderen EU-Mitgliedstaat bereits ein Scheidungsverfahren anhängig sein könnte, wird es sein Verfahren aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts geklärt ist (Art. 20 Abs. 1 EuEheVO). Die Aussetzung selbst ist nicht in der EuEheVO geregelt, für sie gelten die Vorschriften des nationalen Prozessrechts, in Deutschland wären es § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG in Verbindung mit § 148 ZPO analog.

Das später angerufene Gericht hat nicht zu prüfen, ob die in dem anderen Verfahren zu erwartende Entscheidung anzuerkennen ist, nach Art. 30 Abs. 1 EuEheVO sind in einem EU-Mitgliedstaat ergangene Entscheidungen nämlich in allen anderen Mitgliedstaaten ohne ein besonderes Verfahren anzuerkennen.

Wenn es den Ehegatten wichtig ist, dem jeweils anderen zuvorzukommen, kann es auf den genauen Zeitpunkt ankommen, zu dem die beiden Verfahren eingeleitet wurden:

Nach deutschem Prozessrecht ist grundsätzlich "Rechtshängigkeit" erforderlich (§ 261 Abs. 1 ZPO), und die entsteht nicht schon mit der Einreichung der Antragsschrift beim Gericht, sondern erst mit ihrer Zustellung an den Antragsgegner (§ 253 Abs. 1 ZPO). Dabei kann es gerade bei Verfahren mit Auslandsbezug zu Verzögerungen kommen.

Unter der Geltung der EuEheVO ist es für den Antragsteller leichter, hier genügt bereits die "Anrufung" des Gerichts, und die richtet sich nicht nach dem jeweiligen nationalen Recht, sondern wird in Art. 17 lit. a EuEheVO autonom definiert. Danach gilt ein Gericht als angerufen, sobald die Antragsschrift beim Gericht eingereicht wurde, und das erfolgt heute oft elektronisch, etwa in Deutschland durch den mit der Einleitung des Scheidungsverfahrens beauftragten Rechtsanwalt.

Auf diese Weise lässt sich im Nachhinein häufig auf die Minute genau feststellen, welche der beiden Antragsschriften früher eingereicht wurde.

Rechtsanwalt Lars Finke, LL.M., Fachanwalt für Familienrecht - anwaltfinke.de