Vollstreckung deutscher (Zivil-)Urteile in England nach dem Brexit

20.06.2025 19 Mal gelesen
Deutsche Urteile in England vollstrecken nach dem Brexit? Wie Unternehmen & Privatpersonen trotz Bürokratie zu ihrem Recht kommen. Update 2025 vom Anwalt.

Zwangsvollstreckung in England nach Brexit: Rechtsunsicherheit, bürokratische Hürden und praktikable Lösungen

Mit dem Brexit hat sich die Durchsetzbarkeit deutscher Urteile im Vereinigten Königreich erheblich erschwert. Während bis zum 31. Dezember 2020 die Brüssel Ia-Verordnung (EuGVVO) eine automatische Anerkennung und Vollstreckung ermöglichte, sind deutsche Gläubiger heute auf alternative Rechtsgrundlagen angewiesen.

Insbesondere für Rechtsanwälte, die mit grenzüberschreitenden Forderungsangelegenheiten befasst sind, stellt sich die Frage: Welche Möglichkeiten bestehen nach dem Brexit, deutsche Urteile in England erfolgreich zu vollstrecken?

Dieser Beitrag beleuchtet die aktuellen Rechtsinstrumente und zeigt anhand eines von uns betreuten Mandats, wie eine Vollstreckung in der Praxis umgesetzt werden kann.

 

Das Haager Übereinkommen - eine begrenzte, aber bestehende Option

Das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜ) von 2005 bietet eine Möglichkeit zur Anerkennung und Vollstreckung deutscher Urteile, sofern zwischen den Parteien eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines deutschen Gerichts besteht.

Nach dem Brexit ist das Vereinigte Königreich am 1. Januar 2021 dem Übereinkommen formell beigetreten, doch es bestehen erhebliche Unsicherheiten bezüglich der Anwendbarkeit auf Gerichtsstandsvereinbarungen aus der Zeit vor 2021. Während die britische Regierung argumentiert, dass ihre Vertragsstaateneigenschaft durchgängig seit dem 1. Oktober 2015 bestand, sehen EU-Staaten dies kritisch.

Weitere Einschränkungen des HGÜ:

  • Es gilt nur für Zivil- und Handelssachen, nicht für Verbraucher- oder familienrechtliche Streitigkeiten.
  • Es enthält keine eigenständige Vollstreckungsregelung, sondern verweist auf nationale Verfahren.
  • Die Regelung zu parallelen Verfahren ist weniger restriktiv als in der EuGVVO, was zu Verzögerungen führen kann.

Fazit: Das HGÜ bleibt ein nützliches, aber begrenztes Instrument. Ohne eine eindeutige Gerichtsstandsvereinbarung sind andere Wege erforderlich.

 

Das Lugano-Übereinkommen - Politisch gescheitert, rechtlich irrelevant

Das Lugano-Übereinkommen von 2007 (LugÜ) hätte eine fast nahtlose Weiterführung der bisherigen Vollstreckungsmechanismen ermöglicht. Das Vereinigte Königreich stellte am 8. April 2020 einen Antrag auf Beitritt.

Die EU lehnte diesen Antrag jedoch ab – aus mehreren Gründen:

  • Rückständiges Regelwerk: Das LugÜ basiert auf der alten Brüssel-I-Verordnung und bietet weniger Schutz vor Missbrauch.
  • Kein Einfluss des EuGH: Anders als die EuGVVO zwingt das LugÜ britische Gerichte nicht zur einheitlichen Auslegung durch den EuGH.
  • Gefahr von forum shopping und Anti-Suit Injunctions, die britische Gerichte ohne direkte EU-Aufsicht wieder stärker nutzen könnten.

Da die Frist nach Art. 72 Abs. 3 LugÜ abgelaufen ist, ist ein britischer Beitritt zum LugÜ nun praktisch ausgeschlossen.

Fazit: Das LugÜ ist keine Option für die Vollstreckung deutscher Urteile in England.

 

Praxisfall: Die Vollstreckung über das Deutsch-Britische Abkommen von 1960

Angesichts der weggefallenen EU-Regelungen bleibt eine bilaterale Lösung: das Deutsch-Britische Abkommen von 1960, welches die Grundlage für die Anwendung des Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 bildet.

Mandatsfall – Durchsetzung eines deutschen Urteils in England

Unsere Kanzlei betreut eine Gläubigerin, die 2022 vor dem Landgericht Verden Klage erhob und im Jahr 2023 ein rechtskräftiges Urteil gegen eine in London ansässige Schuldnerin über ca. 10.000 € erwirkte.

Die Schuldnerin verweigerte die Zahlung. Daher haben wir mit der Foreign Process Section des Royal Court of Justice Kontakt aufgenommen. Uns wurde bestätigt, dass die Vollstreckung über PART 74 CPR möglich ist.

Vollstreckungsverfahren nach britischem Recht

Der Antrag wird bei der King’s Bench Division des High Court eingereicht. Notwendige Unterlagen:
✅ Application Notice (N244)
✅ Draft Order (PF 160)
✅ Originales deutsches Urteil & beglaubigte englische Übersetzung
✅ Ein weiteres Duplikat aller vorgenannten Unterlagen
✅ Drei Kopien der Draft Order (PF 160)

💰 Gerichtsgebühr: 78 Pfund

Sobald das Urteil anerkannt wird, ist es nach britischem Recht vollstreckbar.

 

Fazit - Rechtsanwälte müssen strategisch vorgehen

Die Vollstreckung deutscher Urteile im Vereinigten Königreich ist nach dem Brexit komplizierter, aber keineswegs unmöglich. Unsere Erfahrungen zeigen, dass eine kluge Auswahl der Rechtsgrundlage entscheidend ist:

✅ Das HGÜ ist eine Option, sofern eine exklusive Gerichtsstandsvereinbarung vorliegt.
❌ Das LugÜ ist politisch und rechtlich irrelevant.
✅ Das Deutsch-Britische Abkommen von 1960 ist die aktuell praktikabelste Lösung.

Obwohl es einen erhöhten Verwaltungsaufwand mit sich bringt, bietet das Abkommen von 1960 eine rechtssichere Möglichkeit zur Durchsetzung deutscher Urteile in England.

 

Sind Sie mit der Vollstreckung eines deutschen Urteils im Vereinigten Königreich befasst?
Wir stehen für einen fachlichen Austausch und Beratung zur Verfügung.

📞 Tel.: 04202 63 83 70
📧 E-Mail: info@rechtsanwaltkaufmann.de

 

 

Dieser Artikel ist stark vereinfacht und dient lediglich zu Informationszwecken. Eine individuelle Beratung mit einem Rechtsanwalt ist zu empfehlen! 

 

 

Link zum Originalartikel:

 

Mehr zum Thema “Brexit-Urteilsvollstreckung”:

 

Quellen zum Thema “Vollstreckung nach dem Brexit”: