Beweiswert ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen:

Arbeit Betrieb
11.10.20064794 Mal gelesen
Arbeitnehmer sind verpflichtet, ihre Arbeitsunfähigkeit zu beweisen. In der Regel kommt der Arbeitnehmer im Falle einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit seiner Pflicht durch die Vorlage einer ordnungsgemäß ausgestellten, ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach.
 
 
Inhaltlich muss die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung folgende Merkmale enthalten:
 
-          Beginn der Arbeitsunfähigkeit
-          voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit
-          Datum der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit
-          Aussage darüber, ob eine Erst- oder Folgebescheinigung vorliegt
-          nicht hingegen die Diagnose
 
 
Die inhaltliche Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird vermutet. Insoweit spricht man von dem so genannten Beweis des ersten Anscheins. Diesen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungkann der Arbeitgeber durch das Vortragen von Tatsachen, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der attestierten Arbeitsunfähigkeit geben, erschüttern. Die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit kann somit durch den Arbeitgeber widerlegt werden.
 
Beispiele, die eine Erschütterung des Beweiswertes zulassen können, sind:
 
-          Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit nach Erhalt der Kündigung bzw. nach Ablehnung eines Urlausgesuches
-          häufiger Arztwechsel
-          Erteilung einer Arbeitsunfähigkeit ohne Untersuchung des ausstellenden Arztes
-          auffällige Krankheitszeitpunkte (z. B. nur montags (langes Wochenende), an Brückentagen, vor oder nach Feiertagen)
-          Durchführung beschwerlicher Reisen während der Arbeitsunfähigkeit
-          Verrichten einer anderen Arbeit bei einem weiteren Arbeitgeber während der Arbeitsunfähigkeit
-          extreme, sportliche Aktivitäten bei Wirbelsäulenleiden
 
In der Regel sind jedoch folgende Anhaltspunkte nicht ausreichend:
 
-          Abwesenheit des Arbeitnehmers von seiner Wohnung
-          Einkaufs- oder leichte Spaziergänge
 
Es muss jedoch immer auf die Gesamtumstände des Einzelfalls abgestellt werden.
 
 
Gelingt dem Arbeitgeber die Erschütterung des Beweiswertes der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, so muss der Arbeitnehmer erneut seine Arbeitsunfähigkeit beweisen. Er trägt die volle Beweislast. In einem Gerichtsverfahren müsste dann der Arbeitnehmer den Beweis durch einen detaillierten Tatsachenvortrag führen, seinen behandelnden Arzt als Zeugen benennen und ihn von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden. Bestehen dennoch weitere Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, so gehen diese zu Lasten des Arbeitnehmers.
 
 
Der Arbeitgeber hat auch die Möglichkeit, bei begründeten Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers von der Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung anzufordern. Nach § 275 Abs. 1a S. 1 SGB V werden begründete Zweifel unter anderem bejaht, wenn
 
-          "Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt" bzw.
-          "die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist."
 
Insoweit stellt das Anfordern einer solchen gutachterlichen Stellungnahme durch den Arbeitgeber auch ein erzieherisches Mittel für diejenigen Ärzte dar, die vorschnell Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausstellen.
 
 
 
Helen Althoff
Rechtsanwältin
 
 
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