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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 30.01.2024, Az.: BVerwG 1 B 50.23
Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Verwerfung der Nichtzulassungsbeschwerde
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 30.01.2024
Referenz: JurionRS 2024, 12319
Aktenzeichen: BVerwG 1 B 50.23
ECLI: ECLI:DE:BVerwG:2024:300124B1B50.23.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

VGH Bayern - 20.09.2023 - AZ: 21 B 22.30214

BVerwG, 30.01.2024 - BVerwG 1 B 50.23

Redaktioneller Leitsatz:

Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist lediglich dann gegeben, wenn besondere Umstände deutlich belegen, dass das Gericht ein bestimmtes Vorbringen unberücksichtigt gelassen hat. Eine Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs hat die substantiierte Darlegung des Vorbringens zur Voraussetzung, dass in der Vorinstanz nicht zur Kenntnis genommen worden ist und inwiefern dieses konkret für die Entscheidung erheblich gewesen wäre.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Januar 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. September 2023 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1

Die allein auf Verfahrensmängel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg.

2

1. Das Berufungsurteil beruht nicht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör.

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Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei ihrer Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme oder Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Oktober 2012 - 1 C 13.11 - BVerwGE 144, 230 Rn. 10). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten, wie es Art. 103 Abs. 1 GG vorschreibt, zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist daher nur dann anzunehmen, wenn besondere Umstände deutlich ergeben, dass das Gericht bestimmtes Vorbringen nicht berücksichtigt hat (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>).

4

Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) erfordert regelmäßig die substantiierte Darlegung dessen, was in der Vorinstanz nicht zur Kenntnis genommen worden ist und inwiefern dies für die Entscheidung erheblich gewesen wäre (BVerwG, Beschluss vom 24. November 2023 - 6 B 7.23 - juris Rn. 19 m. w. N.).

5

Nach diesen Grundsätzen ist eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör hier nicht aufgezeigt. Die Beschwerde rügt das Fehlen einer Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Klägers im erstinstanzlichen Verfahren, auf das im Berufungsverfahren ausdrücklich hingewiesen worden sei. Der Kläger, ein syrischer Staatsangehöriger, habe im erstinstanzlichen Verfahren einen per Screenshot erzeugten Ausdruck der Internetseite "Zaman al-Wasl" zur Akte gereicht und ausgeführt, er werde auf dieser Internetseite als gesuchte Person aufgeführt, wobei sein Name - wie in seinem Personalausweis - ergänzt und konkretisiert werde durch den Muttersnamen. Dazu habe er eine Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Verwaltungsgericht Wiesbaden vorgelegt, nach der die Datenbank auf der Website der "Zaman al-Wasl" mit Angaben zu angeblich vom syrischen Regime gesuchten Personen in der Tat verlässlich sei, da sich diesen Quellen zufolge eine Vielzahl Syrer mit korrekten Angaben bis hin zu den Namen der Großeltern in dieser Datenbank gefunden hätten. Er habe zudem eine privat gefertigte teilweise Übersetzung des Internetauszugs vorgelegt und beantragt, diesen durch einen beeideten Übersetzer übersetzen zu lassen.

6

Das Berufungsgericht hat den vom Kläger vorgelegten Screenshot nebst grober Übersetzung und das Vorbringen, er werde dort als gesuchte Person aufgeführt, im Tatbestand des angefochtenen Urteils erwähnt und damit zur Kenntnis genommen. Es hat dort zudem die Erwiderung der Beklagten im erstinstanzlichen Verfahren wiedergegeben, der vorgelegte Ausdruck eines Screenshots sei nicht geeignet, eine drohende Verfolgung durch syrische staatliche Behörden zu belegen. Es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger tatsächlich auf der Website aufgeführt werde oder dass es sich bei der dort angeblich aufgeführten Person tatsächlich um den Kläger handele. Der Ausdruck sei nicht fälschungssicher und könne nicht auf Echtheit überprüft werden. Auch habe der Kläger keine Umstände geltend gemacht, aus denen sich eine Vorverfolgung ergeben würde. Er habe selbst angegeben, man habe ihm versichert, bei einer Rückkehr an seinen Arbeitsplatz werde nichts passieren.

7

Zutreffend ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in den Entscheidungsgründen auf das Vorbringen, aus dem Ausdruck der Internetseite ergebe sich, dass der Kläger gesucht werde, nicht noch einmal ausdrücklich eingegangen ist. Aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich indes, dass das Gericht nicht davon ausgegangen ist, dass der Kläger in einer Fahndungsliste regimefeindlicher Personen aufgeführt wird; andernfalls hätte es gemessen an der eigenen Bewertung der Erkenntnislage zur Existenz von Fahndungslisten (UA Rn. 27) zu einem anderen Ergebnis kommen müssen. Da das Gericht das Vorbringen des Klägers ausweislich des Tatbestands nachweislich zur Kenntnis genommen hat und besondere Umstände, die für eine Nichtberücksichtigung sprechen, fehlen, ist davon auszugehen, dass es - ebenso wie die Beklagte - den vorgelegten Ausdruck aus dem Internet auch bei Unterstellung der Richtigkeit der Inhaltsbeschreibung des Klägers nicht für geeignet angesehen hat, die Aufnahme des Klägers in eine Fahndungsliste regimefeindlicher Personen zu belegen. Damit liegt ein Gehörsverstoß nicht vor; vielmehr hat das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers der Sache nach lediglich anders gewürdigt als dieser es für richtig hält.

8

2. Die Aufklärungsrüge führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.

9

Eine Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) erfordert die schlüssige Darlegung dessen, welche Aufklärungsmaßnahmen das Gericht hätte ergreifen müssen, welche Feststellungen es dabei voraussichtlich getroffen hätte und inwiefern dies zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können. Auch muss der Beschwerdeführer entweder vortragen, dass er bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt hat oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. nur, BVerwG, Urteil vom 31. Mai 2017 - 6 C 42.16 - BVerwGE 159, 64 Rn. 31; Beschlüsse vom 9. Juli 2019 - 6 B 2.18 - NVwZ 2019, 1771 Rn. 21 und vom 26. September 2022 - 6 B 17.22 - juris Rn. 7).

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Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beschwerde nicht. Die Beschwerde sieht einen Aufklärungsmangel in dem Unterbleiben einer Übersetzung des Screenshots durch einen beeideten Übersetzer. Sie zeigt aber weder auf, dass der Kläger im Berufungsverfahren auf diese Aufklärungsmaßnahme hingewirkt hat noch legt sie dar, weshalb sich dem Berufungsgericht die Einholung einer solchen Übersetzung hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschluss vom 24. November 2023 - 6 B 7.23 - juris Rn. 14). Zum einen kann in dem bloßen Verweis im Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten an das Berufungsgericht vom 5. August 2023 auf das Vorbringen im Klageverfahren kein Hinwirken auf eine weitere Sachverhaltsaufklärung gesehen werden. Zum anderen fehlt es an jeder Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beklagten, der bezeichnete Ausdruck aus der Internetseite "Zaman al-Wasl" sei nicht fälschungssicher und könne nicht auf Echtheit überprüft werden. Damit ist nicht dargelegt, inwiefern die Übersetzung des Auszugs durch einen beeideten Übersetzer zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können.

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3. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde schließlich einen Verstoß gegen die Denkgesetze bei der Sachverhalts- und Beweiswürdigung.

12

(Vermeintliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts begründen regelmäßig keinen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Ausnahmsweise kann ein solcher indes anzunehmen sein, wenn ein Gericht von einem aktenwidrigen Sachverhalt ausgeht (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - Buchholz 402.242 § 60 Abs. 2 ff. AufenthG Nr. 58 Rn. 23 m. w. N.). Ein einen Verfahrensfehler begründender Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung im Sinne von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachtet (BVerwG, Beschluss vom 25. April 2018 - 1 B 11.18 - juris Rn. 3 m. w. N.).

13

Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass das Berufungsgericht gegen die Denkgesetze verstoßen hätte. Die Beschwerde weist darauf hin, das Berufungsgericht habe ausgeführt, die Aufnahme in die Listen der Personen, die als oppositionell angesehen würden, könne nach Informationen des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl aus einer Vielzahl von Gründen erfolgen und sogar vollkommen willkürlich sein. Zu den als regimefeindlich erachteten Personen gehörten nach einigen Quellen unter anderem medizinisches Personal, insbesondere, wenn die Person diese Aktivität in einem von der Regierung belagerten oppositionellen Gebiet ausgeführt habe, Aktivisten, regierungskritische Journalisten sowie allgemein Personen, die offene Kritik an der Regierung üben. Es verstoße gegen die Denkgesetze, wenn das Berufungsgericht diese Informationen trotz der bestätigten Möglichkeit einer willkürlichen Aufnahme und unter Missachtung des "unter anderem" dahin würdige, angesichts der konkreten Aufzählung von Personen, die seitens der syrischen Regierung als oppositionell oder regimefeindlich erachtet würden, sei eine vollkommen willkürliche Aufnahme in die Liste der regimefeindlichen Personen zur Überzeugung des Gerichts nicht der Regelfall. Diese Rüge greift nicht durch. Die vom Gericht vorgenommene Würdigung ist nicht denklogisch unmöglich, sondern hält sich in den Grenzen der dem Gericht obliegenden freien Beweiswürdigung.

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Dr. Keller

Böhmann

Dr. Wittkopp

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