Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 15.12.1992, Az.: BVerwG 9 C 61.91
Gewährung von Asyl auf Grund eines Eingriffs in die Religionsausübung im Heimatland; Eingriff in die Religionsausübung in Pakistan; Bestehen einer Ehe bereits im Verfolgerstaat hinsichtlich der Gewährung von Familienasyl in der Bundesrepublik Deutschland
Bibliographie
- Gericht
- BVerwG
- Datum
- 15.12.1992
- Aktenzeichen
- BVerwG 9 C 61.91
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 12814
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Karlsruhe - 20.12.1989 - AZ: A 10 K 68/85
- VGH Baden-Württemberg - 27.12.1990 - AZ: A 12 S 363/90
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DVBl 1993, 327-329
- DVBl 1993, 327-329 (Volltext mit amtl. LS)
- DÖV 1993, 390-391
- DÖV 1993, 390-391 (Volltext mit amtl. LS)
- FamRZ 1993, 955 (amtl. Leitsatz)
- InfAuslR 1993, 152-154
- InfAuslR 1993, 152-154 (Volltext mit amtl. LS)
- KirchE 30, 438-443
- NVwZ 1993, 792-794
- NVwZ 1993, 792-794 (Volltext mit amtl. LS)
- ZAR 1993, 93 (red. Leitsatz)
Verfahrensgegenstand
Tolerierung der Religionsausübung im privaten Bereich durch Rechtsanwendungspraxis der Strafgerichte trotz Tatbestandsmäßigkeit nach einer Strafnorm
Amtlicher Leitsatz
- 1.
§ 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG erfordert für das "Ehegattenasyl", daß die eheliche Lebensgemeinschaft bereits im Verfolgen Staat bestanden hat.
- 2.
Die Strafandrohung für bestimmte Formen der Religionsausübung im privaten Bereich (hier: Sektionen 298 B und 298 C des Pakistanischen Strafgesetzbuches) stellt für sich allein noch keine Verfolgung dar, wenn die Strafnorm in der herrschenden Rechtsanwendungspraxis der ausländischen Strafgerichte nur auf die Religionsausübung in der Öffentlichkeit angewandt wird.
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. Dezember 1992
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Seebass
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Säcker, Dr. Bender, Dawin und Dr. Henkel
ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27. November 1990 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 9.000 DM festgesetzt (§§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 GKG; Asyl-Anerkennungsbegehren: 6.000 DM; Abschiebungsschutzbegehren: 3.000 DM).
Gründe
I.
Die im Jahre 1957 geborene Klägerin, eine pakistanische Staatsangehörige, die der Glaubensgemeinschaft der Ahmadis angehört, reiste im September 1984 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach ihren Angaben traf sie hier erstmals mit ihrem Ehemann, einem seit 1980 in Deutschland lebenden und - wie sie vorträgt - inzwischen als asylberechtigt anerkannten Landsmann, zusammen. Die Ehe war, wie die Klägerin weiter angegeben hat, noch vor ihrer Ausreise aus Pakistan von den Eltern "arrangiert" worden.
Den alsbald nach der Einreise gestellten, mit Zugehörigkeit zur Ahmadi-Glaubensgemeinschaft begründeten Asylantrag der Klägerin lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ab. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat die Klägerin ausweislich des Tatbestandes des erstinstanzlichen Urteils angegeben, ihre Familie sei in der Zeit von 1981 bis 1984, als sie in Karachi neben der Ahmadi-Moschee gewohnt habe, immer wieder von Moslems belästigt worden. Im Herbst 1983 sei das Wohnhaus von einer fanatisierten Menge angegriffen worden; die Polizei habe die Randalierer vertrieben und das Haus in der Folgezeit bewacht.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten zurückgewiesen. Zur Begründung hat der Verwaltungsgerichtshof ausgeführt: Die Klägerin sei asylberechtigt, denn ihr stehe im Falle einer Rückkehr nach Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Leben unter Verbotsnormen und Strafbestimmungen bevor, die als Eingriffe in die Religionsausübung im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich ihr das religiöse Existenzminimum nähmen. In Pakistan stünden nämlich die Sektionen 298 B und 298 C des Pakistanischen Strafgesetzbuches (PPC) in Geltung. Diese Normen erfaßten nach Inhalt und Reichweite auch Verhaltensweisen, die dem internen Bereich der Religionsausübung zuzuordnen seien. Schon der Wortlaut der Vorschriften unterscheide insoweit nicht zwischen Außen- und Innenbereich, sondern erfasse jegliche religiöse Äußerung und Betätigung unabhängig von ihrer Außenwirkung. Auch nach Sinn und Zweck der Bestimmungen, wie sie insbesondere vom Bundes-Shariat-Gericht in seiner Entscheidung vom 28. Oktober 1984 verdeutlicht worden seien, sollten Betätigungen erfaßt werden, die zum forum internum gehörten. Die Vorschriften sollten sicherstellen, daß die Ahmadis, die nach der Auffassung des Bundes-Shariat-Gerichts entgegen ihrer Selbsteinschätzung keine Moslems seien, sich nicht Moslems nennen oder direkt oder indirekt als Moslems auftreten oder moslemische Kultsymbole oder Riten benutzen. Das den Ahmadis damit abverlangte Verzichtsverhalten, insbesondere der Verzicht auf den Gebrauch des überkommenen Glaubensbekenntnisses, berühre den Kern der religiösen Überzeugung der Ahmadis. Würden diese das gesetzliche Verbot befolgen, würden sie tragende Inhalte ihres Glaubens aufgeben und damit ihre Religion so, wie sie selbst diese verstehen, nicht mehr ausüben. Damit griffen die Sektionen 298 B und 298 C PPC in das religiöse Existenzminimum der Ahmadis ein. Der Senat habe bereits in seinem Urteil vom 1. Februar 1990 - A 12 S 183/89 - ausgeführt, daß nach den genannten Strafbestimmungen des Pakistanischen Strafgesetzbuches religiöse Betätigungen im privaten Bereich auch tatsächlich bestraft worden seien. Es sei unerheblich, wie groß die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung wegen privater Religionsausübung sei, der Verfolgungseingriff liege darin, daß für jeden Ahmadi das Verbot, seine Religion auszuüben, auch im privaten Bereich gelte, und daß dieses Verbot mit einer Strafsanktion bewehrt sei, die nicht lediglich auf dem Papier stehe.
Zur Begründung seiner vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision führt der Bundesbeauftragte aus: Der Entscheidung des Berufungsgerichts liege letztlich die Auffassung zugrunde, eine Beschränkung der Religionsfreiheit sei bereits dann asylrechtlich erheblich, wenn sie die betroffene Religionsgesellschaft zu einer Zurückhaltung bei der Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit zwinge, sofern diese Zurückhaltung von der Glaubensgemeinschaft nach ihrem Selbstverständnis als identitätszerstörend empfunden werde. Demgegenüber sei nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts maßgeblich, ob der von dem Eingriff betroffene Bereich der religiösen Betätigung dem asylrechtlich geschützten forum internum angehöre.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend; die Beklagte hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 144 Abs. 3 Nr. 2 VwGO).
Die Klägerin ist nicht - bereits - asylberechtigt aufgrund der gesetzlichen Regelung über die Gewährung von Familienasyl, hier aufgrund der am 1. Juli 1992 in Kraft getretenen und deshalb im Revisionsverfahren anzuwendenden (vgl. etwa Urteil vom 16. Januar 1986 - BVerwG 3 C 66.84 - BVerwGE 72, 339 <340>[BVerwG 16.01.1986 - 3 C 66/84] m.w.N.) Regelung des § 26 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes in der zur Zeit gültigen Fassung (BGBl. I S. 1733). Denn die Anerkennung des Ehegatten eines Asylberechtigten als gleichfalls asylberechtigt erfordert nach dieser Vorschrift u.a., daß die Ehe schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird. Das trifft nach den Angaben der Klägerin für ihre Ehe mit Kauser Ahmad nicht zu. Wie die Klägerin angibt, hat sie die eheliche Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann erst in Deutschland begründet, in Pakistan hat diese noch nicht bestanden. Hierauf hebt aber § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG ab. Mit "Ehe" ist in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch die mit Eheschließungswillen eingegangene, staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft gemeint (vgl. Palandt, BGB, 48. Auflage, Einführung vor § 1353 Anm. 1 a). Auch durch das weitere Tatbestandserfordernis, daß die Ehe schon im Verfolgerstaat "bestanden" haben muß, wird zum Ausdruck gebracht, daß es auf das tatsächliche Bestehen einer ehelichen Gemeinschaft, nicht aber auf die rechtliche Gültigkeit oder Rechtswirksamkeit des familienrechtlichen Rechtsgeschäfts "Eheschließung" im Heimatland ankommt. Dieses Verständnis wird schließlich auch allein dem hinter dem Tatbestandserfordernis des § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG stehenden Grundgedanken gerecht, daß die Gewährung des Familienasyls an den Ehegatten - auch - wegen dessen Nähe zum Verfolgungsgeschehen und damit wegen der daraus gleichfalls für ihn herrührenden Gefahr gerechtfertigt ist (Urteil vom 25. Juni 1991 - BVerwG 9 C 48.91 - BVerwGE 88, 326 <330>[BVerwG 25.06.1991 - 9 C 48/91]). Eine Nähe des Ehegatten zum Verfolgungsgeschehen und eine eigene Gefährdung setzen aber voraus, daß die Ehegatten bereits im Verfolgerland zusammengelebt haben. Wenn das Gesetz wie in § 26 AsylVfG ausschließen will, daß durch die Eheschließung mit einem Asylberechtigten in Deutschland ein Ehegattenasyl erworben wird, macht es keinen Unterschied, ob bei einer Eheschließung mit einem bereits in Deutschland lebenden Asylberechtigten der andere Ehepartner sich ebenfalls in Deutschland oder noch im Heimatland aufhält.
Der Klägerin steht ein Asylrecht auch nicht aufgrund des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG zu. Die Klägerin hat Pakistan nicht als Verfolgte verlassen. Ihre Ausreise im Jahre 1984 stand nicht mehr in nahem zeitlichen Zusammenhang mit der Verfolgung, welche die Ahmadis bei dem Pogrom des Jahres 1974 erlitten hatten (vgl. zu diesem Erfordernis im einzelnen Urteil vom 30. Oktober 1990 - BVerwG 9 C 60.89 - BVerwGE 87, 52). Die von der Klägerin geschilderten Versuche fanatischer Moslems, in das Wohnhaus ihrer Familie einzudringen, sind dem pakistanischen Staat nicht zuzurechnen und deshalb keine Verfolgung im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Wie die Klägerin selbst angegeben hat, hat die Polizei die Angreifer vertrieben, das Haus und die Umgebung in der Folgezeit gesichert und neuen Übergriffen erfolgreich vorgebeugt.
Eine der Klägerin vor ihrer Ausreise widerfahrene Verfolgung liegt schließlich auch nicht darin, daß sie damals unter der Geltung der im April 1984 eingeführten Sektionen 298 B und 298 C des Pakistanischen Strafgesetzbuches (PPC) und damit unter der Geltung von Rechtsvorschriften hat leben müssen, die bestimmte Formen der Ausübung des Glaubens der Ahmadis mit Strafe bedrohen. Zwar läßt die Erklärung eines bestimmten Verhaltens als strafbar durch Schaffung eines entsprechenden Straftatbestandes durch den staatlichen Gesetzgeber eine jedermann treffende Pflicht zum Unterlassen des damit verbotenen Verhaltens entstehen; ist Gegenstand der auf diese Weise erzwungenen Unterlassung eine asylrechtlich geschützte Glaubensbetätigung, so stellt grundsätzlich bereits die Existenz der Strafnorm politische Verfolgung dar (vgl. etwa Urteil vom 25. Oktober 1988 - BVerwG 9 C 37.88 - BVerwGE 80, 321). Dennoch rechtfertigt im vorliegenden Fall allein das In-Geltung-Stehen der Sektionen 298 B und 298 C PPC bereits während des Aufenthalts der Klägerin in Pakistan nicht den Schluß, daß die Klägerin damals aufgrund der Existenz dieser strafbewehrten Verbotsnormen von religiöser Verfolgung betroffen war. Vielmehr läßt sich nach den weiteren tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausschließen, daß die Existenz der Strafbestimmungen keine religiöse Verfolgung der Ahmadis dargestellt hat.
Grund hierfür ist allerdings nicht, daß den Ahmadis durch die Sektionen 298 B und 298 C PPC - wie der Beteiligte meint - nur der Verzicht auf solche Glaubensbetätigungen abverlangt wird, die nicht zu dem durch Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG geschützten internen Bereich der Religionsausübung gehören. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs verbieten die Sektionen 298 B und 298 C PPC den Ahmadis nämlich auch die Religionsausübung im internen Bereich. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Bereich definiert als den für die Gewährleistung des religiösen Existenzminimums und des Kerns der Religionsfreiheit unverzichtbaren internen Bereich der religiösen Gemeinschaft, nämlich die Religionsausübung im häuslich privaten Bereich sowie das Gebet und den Gottesdienst abseits der Öffentlichkeit in persönlicher Gemeinschaft mit anderen Gläubigen dort, wo man sich nach Treu und Glauben unter sich wissen darf (BVerfGE 76, 143). Daß die Strafvorschriften auch den internen Bereich erfassen, entnimmt der Verwaltungsgerichtshof vorrangig dem Fehlen jeglichen Hinweises sowohl im Text und im Regelungszusammenhang der Vorschriften als auch in den Darlegungen des Bundes-Shariat-Gerichts im Urteil vom 28. Oktober 1984 darauf, daß generell und auch bezüglich der Anwendbarkeit dieser Strafbestimmungen zwischen dem forum internum und dem forum externum differenziert werden muß (in diesem Sinne auch Bundesverfassungsgericht, Beschluß vom 23. September 1991 - 2 BvR 1350/89, 2 BvR 1352/89 -). Gegen diese Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zum Inhalt des ausländischen Rechts haben die Parteien keine Rügen erhoben. Deshalb ist auch der Frage nicht weiter nachzugehen, ob das Schweigen des pakistanischen Gesetzes und des Bundes-Shariat-Gerichts hierzu in der Tat in diesem Sinne zu verstehen ist oder sich nicht aus der Unanwendbarkeit der Kategorien "forum internum" und "forum externum" auf die Religionsausübung eines Moslems erklärt.
Eine Verfolgung durch die bezeichneten Strafbestimmungen läßt sich den Feststellungen des Berufungsgerichts jedoch deshalb nicht entnehmen, weil das Berufungsgericht die Rechtspraxis in Pakistan nicht ausreichend berücksichtigt hat. Es läßt sich nicht ausschließen, daß die Sektionen 298 B und 298 C PPC keinen Verfolgungscharakter aufweisen, weil sie, mögen sie auch geltendes pakistanisches Recht sein, nicht eine Zwangs- und Nötigungswirkung entfalten, aufgrund derer sich die Ahmadis zum Verzicht auf asylrechtlich geschützte Glaubensbetätigungen veranlaßt sehen müssen. Zwar ist es - nach westlichem Verständnis - gerade Merkmal einer Strafnorm, das in ihrem Tatbestand beschriebene Verhalten zu einem jedermann grundsätzlich verbotenen Tun zu machen und auf diese Weise die Rechtsunterworfenen in ihrem Verhalten zu bestimmen. Das gilt aber nur für Staaten, deren rechtliche und soziale Ordnung vor allem anderen auf der vorbehaltlosen Verbindlichkeit und Maßgeblichkeit des Gesetzes gegründet ist, nicht hingegen für solche Staaten, in denen sich die Grenzen menschlicher Betätigungsfreiheit einerseits sowie Inhalt und Reichweite der Verpflichtungen des einzelnen gegenüber Staat und Gesellschaft andererseits gleichrangig oder sogar vorrangig aus sonstigen Äußerungen staatlicher oder religiöser Autoritäten ergeben. Handelt ein Staat bei Bewältigung eines Sachverhalts, der vom Gesetz in bestimmter Weise geregelt ist, nicht einmal im Prinzip gemäß der Gesetzesvorschrift, sondern folgt er sonstigen Anordnungen oder Vorgaben, so steht hinter der Gesetzesbestimmung ungeachtet ihrer formalen Geltung kein staatlicher Wille, in jedem Fall nach ihr zu verfahren und sie durchzusetzen. Verhält sich ein Staat über längere Zeit so, verliert die Norm weitgehend ihre verhaltensbestimmende Wirkung. Die Furcht, von der in der Norm vorgesehenen Strafe getroffen zu werden, schwindet bei den Rechtsunterworfenen, das in der Norm ausgesprochene Verbot wird nicht mehr als zwingend auferlegt angesehen, die Passivität des Staates, seine Hinnahme und Tolerierung des an sich Verbotenen, beraubt die Norm ihres verpflichtenden Charakters und damit ihrer als Zwang empfundenen Wirkung.
Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellung des Berufungsgerichts zur Praxis der pakistanischen Strafgerichte liegt die Annahme nicht fern, daß den Gesetzesbestimmungen der Sektionen 298 B und 298 C PPC - ungeachtet ihrer tatbestandsmäßigen Anwendbarkeit auf die Ausübung des Ahmadi-Glaubens im privaten Bereich - die Wirkung, den einzelnen Ahmadi von der Ausübung seines Glaubens auch im Privatbereich abzuhalten, gänzlich abgeht, weil der pakistanische Staat die interne Glaubensausübung der Ahmadis in aller Regel nicht bestraft, sondern toleriert. Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, die genannten Strafbestimmungen seien tatsächlich auch in solchen Fällen angewandt worden, in denen es ausschließlich um religiöse Betätigung im Privatbereich gegangen sei. Wegen dieser Verurteilungen bezieht sich das Berufungsgericht auf sein Urteil vom 1. Februar 1990 - A 12 S 183/89 -. In diesem Urteil hat der Verwaltungsgerichtshof zum Beleg dafür, daß religiöse Betätigungen im internen Bereich bestraft werden, zum einen auf eine Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 14. Dezember 1989 Bezug genommen. Von den in dieser Auskunft ausgeführten Verurteilungen bezeichnet der Verwaltungsgerichtshof "jedenfalls" eine als eine Bestrafung wegen Glaubensausübung im privaten Bereich (S. 16 des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 1. Februar 1990 - A 12 S 183/89 -). Zum anderen beruft sich der Verwaltungsgerichtshof auf "zahlreiche Vorfälle strafrechtlicher Maßnahmen, wie sie der Senat in seinem Urteil vom 13. Juli 1989 - A 12 S 181/89 - geschildert hat". Die im Urteil vom 13. Juli 1989 genannten Strafverfahren betrafen allerdings ganz überwiegend Glaubensbetätigungen in der Öffentlichkeit, nur einige wenige der mehreren hundert Verfahren hatten eine eindeutig dem Privatbereich zugehörige Religionsausübung zum Gegenstand. Danach hat es trotz der seit nunmehr acht Jahren bestehenden Strafbarkeit der Ausübung des Glaubens der Ahmadis im Privatreich und trotz der in die Tausende gehenden Gottesdienste und sonstigen religiösen Zusammenkünfte im Privatbereich, welche die vier Millionen in Pakistan lebenden Ahmadis mit Wissen ihrer moslemischen Umwelt und unter den Augen der Polizei täglich veranstalten, nur einige wenige Bestrafungen wegen Religionsausübung im Privatbereich gegeben. Dann aber liegt die Annahme nahe, daß dies seinen Grund nicht etwa in Beweisschwierigkeiten der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte, sondern darin hat, daß die pakistanischen Strafgerichte die Sektionen 298 B und 298 C PPC in aller Regel nicht auf die Glaubensbetätigung der Ahmadis im forum internum anwenden. Dies würde bedeuten, daß nach der Rechtsanwendungspraxis der pakistanischen Gerichte die Religionsausübung der Ahmadis im privaten und im nachbarschaftlich-kommunikativen Bereich vom pakistanischen Staat toleriert wird. Wäre es so, läge in der Existenz der Sektionen 298 B und 298 C PPC ungeachtet ihrer tatbestandsmäßigen Anwendbarkeit auch auf die Ausübung des Glaubens der Ahmadis im forum internum kein Verfolgungseingriff. Das Berufungsgericht hat dem Umstand, daß Bestrafungen wegen interner Glaubensbetätigung nach den Sektionen 298 B und 298 C PPC bisher nur in verschwindend geringer Zahl festzustellen sind, keine rechtliche Bedeutung beigelegt und infolgedessen auch nicht geprüft, worin diese geringe Zahl von Verurteilungen ihren Grund hat. Diese Prüfung hat es nunmehr nachzuholen. Kommt es dabei zu dem Ergebnis, daß die Sektionen 298 B und 298 C PPC in der Rechtsanwendungspraxis der pakistanischen Strafgerichte bis zur Ausreise der Klägerin in aller Regel nicht als Grundlage für eine Bestrafung der Glaubensausübung der Ahmadis im Privatbereich herangezogen worden sind und stellt es weiter fest, daß diese Praxis auch heute noch vorherrscht, so ist die Klägerin nicht asylberechtigt und es steht ihr auch kein Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zu.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 9.000 DM festgesetzt (§§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 GKG; Asyl-Anerkennungsbegehren: 6.000 DM; Abschiebungsschutzbegehren: 3.000 DM).
Dr. Säcker
Dr. Bender
Dawin
Dr. Henkel