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Bundesverwaltungsgericht
Urt. v. 14.03.1985, Az.: BVerwG 5 C 145.83

Sozialhilfe; Ausländer; Einschränkungsmöglichkeit; Laufende Geldleistungen; Lebensunterhalt

Bibliographie

Gericht
BVerwG
Datum
14.03.1985
Aktenzeichen
BVerwG 5 C 145.83
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1985, 12331
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stuttgart - 20.10.1983 - AZ: VRs 9 K 3307/83

Fundstellen

  • BVerwGE 71, 139 - 150
  • DVBl 1986, 105-108 (Volltext mit amtl. LS)
  • NVwZ 1986, 48-51 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die in § 120 Abs. 2 Satz 3 BSHG F. 1983 vorgesehene Einschränkbarkeit laufender Geldleistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche verstößt nicht gegen Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG.

  2. 2.

    Die Möglichkeit der Leistungseinschränkung ist auch auf einen Ausländer türkischer Staatsangehörigkeit anwendbar, der die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt hat; das Europäische Fürsorgeabkommen steht dem nicht entgegen.

  3. 3.

    Die Einschränkung laufender Geldleistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche im Wege des Ermessens kann nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angeordnet werden.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. März 1985
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Zehner und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fink, Rochlitz, Rotter und Bermel
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 20. Oktober 1983 geändert.

Die Beklagte wird verpflichtet, über das Begehren des Klägers, ihm für den Monat Oktober 1982 noch 70 DM als Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts erneut zu entscheiden.

Der Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29. Oktober 1982 und die zugrundeliegenden Bescheide werden aufgehoben.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu einem Drittel und die Beklagte zu zwei Dritteln. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1

I.

Der 1942 geborene, ledige Kläger - türkischer Staatsangehöriger - beantragte nach (erneuter) Einreise in die Bundesrepublik Deutschland im September 1980 die Anerkennung als Asylberechtigter. Nach Übersiedelung in den Bereich der beklagten Stadt im Juni 1982 erteilte deren Amt für öffentliche Ordnung dem Kläger eine befristete asylverfahrensabhängige Aufenthaltserlaubnis. Das Sozialamt der Beklagten bewilligte dem Kläger zeitabschnittsweise Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des Regelsatzes für einen Haushaltsvorstand (340 DM monatlich). Mit den Bescheiden vom 4. und 18. Oktober 1982 bewilligte die Beklagte Hilfe zum Lebensunterhalt von 135 DM und 189 DM für die Zeit vom 1. bis zum 15. Oktober 1982 bzw. vom 18. Oktober bis zum 7. November 1982. Den gegen die hierin liegende Kürzung der Hilfe zum Lebensunterhalt erhobenen Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit der Begründung zurück, daß der Sozialhilfeanspruch von Asylbewerbern durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22. Dezember 1981 neu bestimmt worden sei. Entsprechend einer Empfehlung des Sozialministers zum Begriff des zum Lebensunterhalt Unerläßlichen sei bei einem alleinstehenden Asylbewerber mit eigener Haushaltsführung von einem Regelsatz von 270 DM monatlich auszugehen.

2

Auf die Klage des Klägers hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für den Monat Oktober 1982 70 DM mehr Sozialhilfe zu gewähren, und dazu folgende Gründe angeführt: Der Kläger könne sich auf das in innerstaatliches Recht transformierte und unmittelbar anwendbare Europäische Fürsorgeabkommen vom 11. Dezember 1953 berufen. Nach dessen Artikel 1 habe sich jeder Vertragschließende verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden, die sich in irgendeinem Teil des Gebiets, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebiets geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Der Kläger halte sich aufgrund der asylverfahrensabhängigen Aufenthaltserlaubnis der Beklagten "erlaubt" in der Bundesrepublik Deutschland auf. Dem Abkommen lasse sich nicht entnehmen, daß nur eine asylverfahrensunabhängige Aufenthaltserlaubnis den Aufenthalt zu einem "erlaubten" mache.

3

Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

4

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für richtig. Mindestens sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, damit entsprechend dem von ihm im ersten Rechtszug hilfsweise gestellten Beweisantrag geklärt werde, ob bei der vorgenommenen Kürzung der Sozialhilfe seine physische Existenz noch gewährleistet sei.

5

Der sich am Verfahren beteiligende Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht vertritt die Auffassung, daß ein Asylbewerber aus einem Staat, der das Europäische Fürsorgeabkommen unterzeichnet habe, sich nicht schon deshalb in der Bundesrepublik Deutschland "erlaubt" im Sinne des Abkommens aufhalte, weil er eine asylverfahrensabhängige Aufenthaltserlaubnis besitze.

6

Der Vertreter des öffentlichen Interesses bei den Gerichten der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden-Württemberg schließt sich dieser Auffassung an.

7

II.

Die Revision der Beklagten unter Übergehung der Berufungsinstanz (vgl. § 134 VwGO) ist zulässig. Insbesondere ist das Urteil des Verwaltungsgerichts - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht ein "Nichturteil".

8

Die Revision ist zum Teil begründet. Die (zulässige) Klage ist nur insoweit begründet, als die Beklagte verpflichtet ist, über das Begehren des Klägers, ihm für den Monat Oktober 1982 weitere 70 DM als Sozialhilfe in der Gestalt der Hilfe zum Lebensunterhalt zu gewähren, in Ausübung von Ermessen zu befinden. Der Kläger hat keinen von vornherein nicht einschränkbaren Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des Regelsatzes, den die zuständige Landesbehörde nach § 22 Abs. 3 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) nach Maßgabe der Verordnung zur Durchführung dieser Vorschrift (Regelsatzverordnung) für die damalige Zeit festgesetzt hatte.

9

Von Verfassungs wegen (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG: Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.) ist die Regelung dahin, daß die laufenden Geldleistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt - auf diese hat der Ausländer, der die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt hat (Asylsuchender), bis zum rechtskräftigen Abschluß des Asylverfahrens (wie bisher) einen Anspruch - auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche eingeschränkt werden können (siehe die Sätze 1 und 3 des dem § 120 BSHG durch Art. 21 Nr. 29 des Zweiten Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur - 2. HStruktG - vom 22. Dezember 1981 <BGBl. I S. 1523, 1535> neu eingefügten Absatzes 2), nicht ausgeschlossen. Den vom Verfassungsgeber mit der Schaffung des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG verfolgten Zielen, dem anerkannten Asylanten und gleichermaßen dem Asylsuchenden nicht nur Schutz gegen Zurückweisung an der Grenze und gegen Ausweisung in den Zugriffsbereich des Verfolgerstaats zu gewähren, sondern ihm auch eine Lebensmöglichkeit zu geben - der Zufluchtstaat darf den Asylsuchenden nicht verhungern lassen -, wird die getroffene Regelung gerade gerecht, um so mehr, als im Anwendungsbereich des Sozialhilfegesetzes die Möglichkeit, Hilfeleistungen auf das Unerläßliche einzuschränken, von jeher vorgesehen war (siehe die §§ 25 Abs. 2, 29 a und 64 Abs. 2 Satz 2 BSHG).

10

Die laufenden Geldleistungen auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche einschränken zu können ist die Beklagte nicht mit Rücksicht auf das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11. Dezember 1953 (BGBl. II 1956 S. 564), das für die Bundesrepublik Deutschland am 1. September 1956 und für die Türkei am 1. Januar 1977 in Kraft getreten ist (siehe die Bekanntmachungen des Bundesministers des Auswärtigen vom 8. Januar 1958 <BGBl. II S. 18> und 10. Februar 1977 <BGBl. II S. 255>), gehindert gewesen. Dessen Bestimmungen sind Rechtsvorschriften im Sinne des § 120 Abs. 1 Satz 3 BSHG und revisibles Bundesrecht. Der Bundestag hat mit dem mit Zustimmung des Bundesrats beschlossenen Gesetz vom 15. Mai 1956 (BGBl. II S. 563) dem Europäischen Fürsorgeabkommen zugestimmt (s. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG) und dadurch dessen Inhalt insoweit in innerstaatlich anwendbares, Rechte und Pflichten des einzelnen begründendes Recht transformiert, als die Vertragsbestimmungen nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie innerstaatliche Gesetzesvorschriften rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sind (vgl. BVerfGE 29, 348 <360>, BVerwGE 44, 156 [BVerwG 08.11.1973 - BVerwG V C 29.71] <160>). Wie auf das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über Fürsorge und Jugendwohlfahrtspflege vom 17. Januar 1966 (BGBl. II 1969, S. 2) - siehe dazu das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Juni 1980 - BVerwG 5 C 66.79 - FEVS 28, 441; ZfS 1980, 332; ZfSH 1980, 344 - treffen diese Voraussetzungen auch auf das Europäische Fürsorgeabkommen deshalb zu, weil es ein Vertrag ist, dessen Zweck darin liegt, auf den Gebieten der sozialen und der Gesundheitsfürsorge den Angehörigen der Vertragsstaaten Gleichbehandlung mit den Inländern einzuräumen. Dieser Zweck läßt sich nur erreichen, wenn die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten die Gleichbehandlung nach Maßgabe der im Anhang I des Abkommens genannten nationalen Gesetze unmittelbar geltend machen können; der Anhang I ist nach Art. 19 EFA Bestandteil des Abkommens (siehe auch die Begründung zu § 113 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung für ein Bundessozialhilfegesetz <Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Drucks. 1799, S. 60 f.>)

11

All dem steht nicht entgegen, daß Art. 1 Satz 2 des Zustimmungsgesetzes vom 15. Mai 1956 die in Jahren zuvor in Zustimmungsgesetze aufgenommenen Wörter "mit Gesetzeskraft" nicht enthält. Dieser "Mangel" besagt deshalb nichts, weil die genannten Wörter von 1955 an generell nicht mehr in Zustimmungsgesetze aufgenommen worden sind. An der Rechtswirkung der Zustimmungsgesetze sollte damit nichts geändert werden (v. Münch, Grundgesetz - Kommentar, 2. Auflage 1983, Band II, Art. 59 RdNr. 40, S. 809). Entscheidend sind mithin die zuvor genannten Kriterien.

12

Auch Gründe der Systematik des § 120 BSHG stehen der Anwendbarkeit des Europäischen Fürsorgeabkommens nicht entgegen. Der in Satz 3 des § 120 Abs. 1 BSHG bestimmte Vorbehalt zugunsten der Anwendung von Rechtsvorschriften günstigeren Inhalts gilt auch in bezug auf die in Absatz 2 des § 120 BSHG getroffenen Regelungen, soweit er überhaupt rechtserheblich werden kann. Das ist - was die Hilfe zum Lebensunterhalt angeht, um die im anhängigen Rechtsstreit ausschließlich gestritten wird - nur insoweit der Fall, als nach den Sätzen 2 und 3 hinsichtlich der Form der Hilfeleistung (vgl. § 8 Abs. 1 BSHG) - Sachleistung statt Geldleistung - und der Höhe der Geldleistung - Einschränkung auf das Unerläßliche - Regelungen des Hilfefalles möglich sind, die mit ihrem einschränkenden Charakter über diejenigen hinausgehen, die nach dem Bundessozialhilfegesetz sonst getroffen werden können. Insgesamt handelt es sich dabei nicht um ein Sondergesetz, mit dem die Gewährung von Sozialhilfe an Ausländer, die um Asyl nachsuchen, eigenständig und abschließend geregelt worden ist, sondern - wie schon der Wortlaut des Gesetzes ergibt - lediglich um Abweichungen von der in Satz 1 des § 120 Abs. 1 BSHG getroffenen Regelung der Sozialhilfe für Ausländer.

13

Satz 3 dieser Vorschrift ist hiervon nicht betroffen. Infolgedessen erstreckt sich der dort bestimmte Vorbehalt ohne weiteres auf die Abweichendes regelnden neuen Vorschriften.

14

Der Anspruch des Klägers auf inländergleiche Behandlung durch Gewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des ungekürzten Regelsatzes für einen Haushaltsvorstand für den Monat Oktober 1982 ist daher danach zu beurteilen, ob die Voraussetzungen hierfür nach Art. 1 EFA erfüllt waren. Darüber, daß der Kläger damals nicht über ausreichende Mittel verfügte, seinen notwendigen Lebensunterhalt sicherzustellen, besteht kein Streit, jedoch darüber, ob er sich in der Bundesrepublik Deutschland "erlaubt aufgehalten" hat.

15

"Erlaubt" im Sinne des Europäischen Fürsorgeabkommens hält sich in der Bundesrepublik Deutschland nicht derjenige Staatsangehörige eines Vertragsstaates auf, der einen Asylantrag gestellt hat und dem allein aufgrund dessen nach § 19 Abs. 1 des Gesetzes über das Asylverfahren (Asylverfahrensgesetz - AsylVfG) vom 16. Juli 1982 (BGBl. I S. 946) der Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes nach Maßgabe der Vorschriften des Vierten Abschnitts dieses Gesetzes gestattet ist; denn bei dieser Gestattung, über die dem Ausländer, der nicht im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung ist, eine Bescheinigung erteilt wird (§ 20 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG), handelt es sich weder um eine Aufenthaltserlaubnis noch um eine andere in den Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland vorgesehene Aufenthaltserlaubnis (aufgrund welcher dem Ausländer der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist), vermöge deren nach Art. 11 Abs. a Satz 1 EFA der Aufenthalt des Ausländers als erlaubt gilt. Um welche Art von Erlaubnis es sich dabei handeln kann, wird durch den Anhang III zum Abkommen bestimmt, der nach Art. 19 EFA Bestandteil dieses Abkommens ist. In ihm sind die Urkunden verzeichnet, die als Nachweis des Aufenthalts im Sinne des Artikels 11 des Abkommens anerkannt werden. Daß u.a. durch diese Urkunden auch der Zeitpunkt des Beginns der in Art. 7 festgelegten Dauer des gewöhnlichen Aufenthalts bestimmt wird (siehe Art. 12 EFA), ist eine weitere Funktion des Anhangs III. Vor allem aber hat er rechtsbegründenden (konstitutiven) Charakter in der Weise, daß mit den dort aufgeführten Urkunden die Erlaubnistatbestände abschließend genannt sind, aufgrund deren der Aufenthalt des ausländischen Staatsangehörigen im Sinne des Abkommens erlaubt ist.

16

Dieses Verständnis gebietet der Grundsatz der "souveränitätsschonenden Auslegung" (vgl. dazu BVerwGE 42, 148 <151>; 66, 29 <35>). Diesem Anliegen widerspräche es, würden unter Außerachtlassung der Vielfalt der von Staat zu Staat verschiedenen aufenthaltsrechtlichen Regelungen Aufenthaltsgewährungen jedweder Art ohne Rücksicht auf ihre Ausgestaltung und Tragweite im nationalen Recht pauschal für die Annahme des Erlaubtseins des Aufenthalts im fürsorgerechtlichen Sinne genügen. Insoweit ist den Vertragschließenden ein von jedem von ihnen auszufüllender Freiraum belassen und dabei davon ausgegangen worden, daß der einzelne Vertragschließende von dieser Ermächtigung nur in einer den Vertragszweck nicht gefährdenden Weise Gebrauch machen wird. Hierfür ist es ohne Belang, wie der einzelne Vertragsstaat den Freiraum ausfüllt, ob mittels eines Aktes der Gesetzgebung oder lediglich administrativ. Letzteres ist durch Art. 16 Abs. a EFA nicht ausgeschlossen. Dort ist lediglich eine Verpflichtung der Vertragschließenden zur Unterrichtung des Generalsekretärs des Europarats vereinbart.

17

In der durch den Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit am 23. Januar 1979 bekanntgemachten Neufassung des Anhangs III (BGBl. II S. 289 <297>) sind für die Bundesrepublik Deutschland als Urkunden, die als Nachweis des Aufenthalts im Sinne des Art. 11 des Abkommens anerkannt werden, aufgeführt: "Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsberechtigung, auf besonderem Blatt erteilt oder im Ausweis eingetragen. Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis, nachgewiesen durch eine entsprechende Bescheinigung oder durch Eintragung im Ausweis: 'Ausländerbehördlich erfaßt'." (gleichlautend der Text in der am 6. Mai 1983 bekanntgemachten Neufassung des Anhangs III <BGBl. II S. 337, 346>). Die oben erwähnte Bescheinigung nach § 20 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG ist nicht genannt. Hierfür gibt es sachgerechte Gründe. Zwischen der "normalen" Aufenthaltserlaubnis, die nur erteilt wird, wenn die Anwesenheit des Ausländers Belange der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigt (§ 2 Abs. 1 des Ausländergesetzes - AuslG -), und erst recht der Aufenthaltsberechtigung nach § 8 AuslG einerseits und der Gestattung nach § 19 Abs. 1 AsylVfG andererseits, die allein dadurch eintritt, daß der Ausländer seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland oder Berlin (West) nimmt und einen Antrag auf Asyl stellt, besteht ein gewichtiger wesensmäßiger Unterschied: Die Gestattung ist die kraft Gesetzes eintretende Folge einseitigen Handelns des Ausländers, ohne daß der Zufluchtstaat hierauf Einfluß nehmen kann; erst nach unanfechtbarer Anerkennung der Asylberechtigung wird dem Ausländer - im Regelfall - eine (unbefristete) Aufenthaltserlaubnis erteilt (§ 29 Abs. 1 AsylVfG). Die Aufenthaltserlaubnis wird dagegen nur nach individueller Prüfung der vom Ausländer für die Aufenthaltnahme geltend gemachten Gründe und nach Abwägung der Belange des Ausländers einerseits und der Bundesrepublik Deutschland andererseits erteilt. Diesen Unterschied zwischen der asylverfahrensunabhängigen Aufenthaltserlaubnis und derjenigen, die vor dem Inkrafttreten des Asylverfahrensgesetzes am 1. August 1982 lediglich zur Durchführung des Asylverfahrens erteilt worden war und die vom Inkrafttreten dieses Gesetzes an als Aufenthaltsgestattung galt (§ 43 Nr. 1 AsylVfG), hat das Bundesverwaltungsgericht in BVerwGE 62, 206 <214> deutlich hervorgehoben. Die vielfach anzutreffende Annahme, schon aus dieser Entscheidung ergebe sich, daß sich der Ausländer, der im Besitz einer asylverfahrensabhängigen Aufenthaltserlaubnis gewesen oder dessen Aufenthalt in Nachfolge einer derartigen Erlaubnis nunmehr gestattet sei, ohne weiteres "erlaubt" im Sinne des Europäischen Fürsorgeabkommens in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten habe (aufhalte), ist daher unzutreffend.

18

Sachgerecht ist auch die unterschiedliche Behandlung der Aufenthaltsgestattung einerseits und der Bescheinigung über die Beantragung einer (normalen) Aufenthaltserlaubnis bei der Aufzählung der den erlaubten Aufenthalt begründenden Urkunden. Zwar gilt der Aufenthalt des Ausländers, der nach der Einreise eine Aufenthaltserlaubnis beantragt hat, bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde ohne nähere Prüfung vorläufig als erlaubt (§ 21 Abs. 3 Satz 1 AuslG). Jedoch kann dieser Ausländer im Unterschied zum Asylbewerber ausgewiesen werden, wenn er den Lebensunterhalt für sich und seine unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfe bestreiten kann oder bestreitet (§ 10 Abs. 1 Nr. 10 und § 11 Abs. 3 AuslG).

19

Bezogen auf den in diesem Rechtsstreit streitbefangenen Zeitraum (Oktober 1982) hat der Kläger sich schließlich nicht aus dem Grunde "erlaubt" im Sinne des Art. 1 EFA in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten, daß er - wie er vorträgt - im Verwaltungsrechtsstreit betreffend die Anerkennung als Asylberechtigter inzwischen in erster Instanz ein (allerdings noch nicht rechtskräftiges) Urteil zu seinen Gunsten erstritten hat. Dieser Umstand ist für die Beurteilung, ob die Beklagte im Oktober 1982 die laufende Geldleistung zum Lebensunterhalt einschränken durfte, aus Rechtsgründen unerheblich. Das ergibt sich nicht nur aus § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BSHG selbst - maßgeblicher Umstand für die Regelung des Hilfefalles ist das Anhängigsein des Asylverfahrens -, sondern auch daraus, daß Sozialhilfe (regelmäßig) nicht im Nachhinein für vergangene Zeitabschnitte zu gewähren ist.

20

Ist die Beklagte aus den vorgenannten Gründen nicht durch die Bestimmungen des Europäischen Fürsorgeabkommens gehindert, die laufende Geldleistung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts eines asylsuchenden Ausländers türkischer Staatsangehörigkeit einzuschränken, so erlaubt doch Satz 3 des § 120 Abs. 2 BSHG nicht, die Leistung im Regelfall auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche einzuschränken und sie nur ausnahmsweise ungekürzt zu gewähren. Mit einer solchen Verwaltungspraxis werden die gesetzlichen Grenzen des Ermessens (siehe § 114 VwGO; vgl. auch § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I) überschritten. Diese ergeben sich zum einen aus dem Gesamtzusammenhang, in dem die Regelung über die Gewährung von Sozialhilfe an asylsuchende Ausländer steht, zum anderen aus der Systematik des § 120 Abs. 2 BSHG. Die Sicherstellung des Lebensunterhalts desjenigen mittellosen Ausländers, der in die Bundesrepublik Deutschland oder nach Berlin (West) einreist und der die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt, ist im Sozialhilferecht als ein Anwendungsfall des § 120 BSHG - "Sozialhilfe für Ausländer" - geregelt worden. Den Vorschlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, für die Sicherstellung des notwendigen Lebensunterhalts für asylsuchende Ausländer eine eigenständige Regelung im Ausländerrecht zu treffen, die die Anwendung des Bundessozialhilfegesetzes ausschließt (siehe die Thesen in NDV 1982, 246), hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Das schließt die Annahme aus, Absatz 2 des § 120 BSHG sei eine sondergesetzliche Regelung, für die die Grundsätze, die das Sozialhilferecht prägen, nicht gelten würden. Für die Hilfegewährung an einen asylsuchenden Ausländer gilt daher auch der Individualisierungsgrundsatz (§ 3 Abs. 1 BSHG). Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BSHG hat jeder Ausländer einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt (vorbehaltlich des § 120 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BSHG), und zwar nach Maßgabe der §§ 11 ff. BSHG (vgl. BVerwGE 68, 91 <93>; FEVS 33, 89; DÖV 1984, 251; NDV 1984, 93; NVwZ 1984, 241; ZfSH/SGB 1984, 372). Hieran ist durch die Einfügung des neuen Absatzes 2 in den § 120 BSHG (im Grundsatz) nichts geändert worden. Mit dem Halbsatz 1 des § 120 Abs. 2 Satz 1 BSHG ist in bezug auf den asylsuchenden Ausländer der genannte Rechtsanspruch gerade bestätigt worden. Diese Vorschrift dient allein dazu, den asylsuchenden Ausländer für die Dauer des Asylverfahrens vom bisher nach § 120 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BSHG bestehenden Rechtsanspruch auf die Krankenhilfe, die Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen, die Tuberkulosehilfe und die Hilfe zur Pflege auszuschließen - mit dem Vorbehalt, daß auch diese Hilfen gewährt werden können. Das ist eine Grundsatzregelung. Im Verhältnis dazu ist die Einschränkbarkeit der laufenden Geldleistungen die Ausnahme, wobei mit dem zum Lebensunterhalt Unerläßlichen die äußerste Grenze der Einschränkbarkeit bezeichnet ist. Auch hierdurch werden der Ermessensausübung durch den Träger der Sozialhilfe, zu der er nach § 120 Abs. 2 Satz 3 BSHG ermächtigt ist, Grenzen gesetzt. Auf die hieraus folgende Notwendigkeit, daß die Begründung für die Einschränkung der laufenden Geldleistung die Gesichtspunkte erkennen lassen muß, von denen der Träger der Sozialhilfe bei der Ausübung seines Ermessens ausgegangen ist (vgl. § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X), hat das Bundesverwaltungsgericht schon in seinem Urteil vom 13. Oktober 1983 (BVerwGE 68, 91 <93>) hingewiesen.

21

Mit dem Gesetz unvereinbar ist daher eine Ermessensausübung insbesondere dann, wenn bei ihr allein der Umstand zugrunde gelegt wird, daß der Hilfesuchende ein Ausländer ist, der die Anerkennung als Asylberechtigter beantragt hat; denn gerade auf diesen Umstand gründet sich nach § 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BSHG nach wie vor der Rechtsanspruch auf die ungekürzte Regelsatzhilfe. Eine solche Ermessensausübung läuft darauf hinaus, daß die dargestellte Grundsatz-Ausnahme-Systematik umgekehrt wird. Nichts anderes gilt für Richtlinien, die der Träger der Sozialhilfe zur Steuerung seines Ermessens (mit selbstbindender Wirkung) erläßt und darin die Einschränkung der Geldleistung auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche als Regel und die Gewährung der Hilfe bis zum "normalen" Regelsatz als Ausnahme vorsieht, unter der Voraussetzung, daß der Hilfesuchende besondere Umstände geltend zu machen in der Lage ist. Eine Ermessensentscheidung, die auf eine solche Richtlinie gestützt wird, ist fehlerhaft. Hieran kann die mit dem Erlaß der Richtlinie beabsichtigte Selbstbindung der Verwaltung nichts ändern.

22

Gegen all das kann nicht eingewendet werden, § 120 Abs. 2 BSHG liege eine ausländerrechtliche und ausländerpolitische, insbesondere asylpolitische, Zielsetzung zugrunde; durch sie sei das Ermessen des Trägers der Sozialhilfe von vornherein im Sinne einer Einschränkung der Hilfe gebunden worden (so Schellhorn in Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, 11. Auflage 1984, § 120 RdNrn. 28 und 30). Eine solche Zielsetzung, hinsichtlich der zunächst gefragt werden müßte, ob sie mit der Zielsetzung des Sozialhilferechts vereinbar wäre, wie sie insbesondere in den Grundvorschriften des Bundessozialhilfegesetzes ausgedrückt ist, ist in der Gesetz gewordenen Regelung sowenig zum Ausdruck gekommen, wie die aus einer asylpolitischen Zielsetzung abgeleitete Vorgabe an den Träger der Sozialhilfe. § 120 Abs. 2 ist erst durch den Vermittlungsausschuß ohne nähere Begründung dem 2. Haushaltsstrukturgesetz eingefügt worden (siehe BT-Drucks. 9/1140 S. 6; dort Nr. 18 Buchst. c zu Art. 22). Zielsetzung dieses Gesetzes ist es aber, die Dynamik der öffentlichen Ausgaben zu begrenzen; und hierzu ist der Schwerpunkt des Maßnahmenpakets mit Kürzungen auf der Ausgabenseite einschließlich Eingriffen in Leistungsgesetze gelegt worden - ohne den Kernbestand der sozialen Sicherung anzutasten (BT-Drucks. 9/842 S. 1). Dieser Zielsetzung wird aber § 120 Abs. 2 BSHG mit seinem oben dargestellten Verständnis zur Systematik seiner Regelung schon dadurch gerecht, daß der asylsuchende Ausländer vom Rechtsanspruch auf bekanntermaßen besonders ausgabenwirksame Hilfen in besonderer Lebenslage ausgeschlossen worden ist; die Möglichkeit der Einschränkung der Hilfe zum Lebensunterhalt bis zum Unerläßlichen - allerdings im Rahmen der Zielsetzung des Sozialhilferechts - kommt hinzu. Es läßt sich daher nicht einwenden, ohne die asylpolitisch begründete Vorgabe habe § 120 Abs. 2 BSHG keinen Sinn, "laufe leer".

23

Eine Ermessensentscheidung, die den dargelegten Anforderungen genügt, hat die Beklagte nicht getroffen. Mit ihren Bescheiden vom 4. und 18. Oktober 1982 hat sie lediglich für bestimmte Zeitabschnitte die Auszahlung von Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 9 DM täglich, d.h. nach einem Monatssatz von 270 DM verfügt. Im Widerspruchsbescheid ist dargelegt, daß der Begriff des für den Lebensunterhalt Unerläßlichen eine Kürzung erlaube, die zwischen 20 und 30 v.H. des Regelsatzes liege und daß der Sozialausschuß des Gemeinderats beschlossen habe, der Empfehlung des Sozialministeriums zu folgen, bei alleinstehenden Asylbewerbern mit eigener Haushaltsführung von einem Regelsatz von 270 DM monatlich auszugehen. Hiermit hat die Beklagte lediglich dargelegt, worin nach ihrer Ansicht die äußerste Grenze für die Einschränkung der laufenden Geldleistung liegt. Aus welchen in der Person des Klägers liegenden Gründen sie ihr Ermessen dahingehend ausgeübt hat, die laufende Leistung - wie geschehen - einzuschränken, ist nicht zu erkennen.

24

Da nicht auszuschließen ist, daß die Beklagte eine Einschränkung der laufenden Geldleistung noch ermessensgerecht anordnen kann, ist sie auf das Verpflichtungsbegehren des Klägers lediglich zur Neubescheidung zu verpflichten. Der Umstand, daß der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hilfsweise beantragt hat, das Gutachten eines Sachverständigen zum Beweis dafür einzuholen, daß bei einer Kürzung der Sozialhilfe in dem Umfang der angefochtenen Bescheide das Existenzminimum unterschritten sei, nötigt nicht zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz zur erneuten Verhandlung und Entscheidung. Soweit dieser Beweisantrag dahin verstanden werden müßte, daß eine Einschränkung der Geldleistung auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche nicht zulässig sei, wäre er aus Rechtsgründen unbeachtlich; denn hierbei handelt es sich um eine Rechtsfrage. Zielte er dagegen auf die Berücksichtigung der bei der Ausübung des Ermessens zu wägenden Umstände, dann käme es auf diesen Beweisantrag deshalb nicht an, weil aus den oben dargelegten Gründen die Ermessensentscheidung zunächst in die Hand der Beklagten gelegt ist.

25

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO. Der (eigenständige) Ausspruch des Verwaltungsgerichts, daß die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren seitens des Klägers notwendig war (siehe § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO), bleibt unberührt.

26

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Revisionsverfahren auf 70 DM festgesetzt (§ 10 Abs. 1 BRAGO).

Dr. Zehner
Dr. Fink
Rochlitz
Rotter
Bermel