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Bundessozialgericht
Beschl. v. 29.02.2024, Az.: B 1 KR 80/22 B
Beschwerde der klagenden Trägerin eines Krankenhauses gegen die Krankenkasse wegen der Vergütung der stationären Behandlung aufgrund eines akuten chronischen Nierenversagens
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.02.2024
Referenz: JurionRS 2024, 13407
Aktenzeichen: B 1 KR 80/22 B
ECLI: ECLI:DE:BSG:2024:290224BB1KR8022B0

Verfahrensgang:

vorgehend:

SG Kiel - 30.04.2019 - AZ: S 44 KR 208/18

LSG Schleswig-Holstein - 27.07.2022 - AZ: L 5 KR 49/19

Rechtsgrundlage:

§ 7 Abs 5 PrüfvV 2014

BSG, 29.02.2024 - B 1 KR 80/22 B

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Die Konkretisierung einer aufgeworfenen Rechtsfrage setzt regelmäßig voraus, dass sie mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann.

  2. 2.

    Unzulässig ist eine Frage, die so allgemein gehalten ist, dass ihre Beantwortung eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat verlangen würde.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 29. Februar 2024 durch den Richter Dr. Scholz als Vorsitzenden sowie den Richter Dr. Bockholdt und die Richterin Dr. Matthäus
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Schleswig Holsteinischen Landessozialgerichts vom 27. Juli 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1318,18 Euro festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Klägerin ist Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses (im Folgenden: Krankenhaus). Eine bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte befand sich dort vom 6. bis 19.5.2016 nach notfallmäßiger Aufnahme mit einem Harnwegsinfekt und akutem chronischen Nierenversagen in stationärer Behandlung. Hierfür berechnete das Krankenhaus 4192,17 Euro nach Diagnosis Related Group (DRG) L63C (Infektionen der Harnorgane mit äußerst schweren CC, ohne Komplexbehandlung bei multiresistenten Erregern, Alter > 5 Jahre oder ohne äußerst schwere CC, mit Komplexbehandlung bei multiresistenten Erregern; Rechnung vom 28.6.2016). Die Beklagte beglich den Rechnungsbetrag zunächst vollständig, beauftragte jedoch den MDK ua mit der Prüfung der Kodierbarkeit der Nebendiagnosen, insbesondere der Kodes J91, N17.91, D62 und R57.1. Der MDK beanstandete die Kodierung I27.0 (Primäre pulmonale Hypertonie), weshalb die DRG L63F anzusteuern sei. Die KK verrechnete den sich daraus ergebenden Erstattungsbetrag von 1318,88 Euro mit anderweitigen, für sich genommen unstreitigen Vergütungsforderungen. In der Folgezeit rechnete das Krankenhaus den Behandlungsfall unter Nachkodierung neuer Nebendiagnosen (J96.00 - akute hypoxische respiratorische Insuffizienz und J96.11 - chronische hyperkapnische respiratorische Insuffizienz) erneut nach der DRG L63C ab (Rechnungskorrektur vom 4.4.2017 mit Eingang des korrigierten Datensatzes bei der KK am 18.1.2018). Die Beklagte trat der Nachkodierung entgegen, da diese verfristet sei. Das SG hat die KK zur Zahlung des Differenzbetrags iHv 1318,88 Euro verurteilt: § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 stehe der Nachkodierung nicht entgegen (Urteil vom 30.4.2019). Das LSG hat auf die Berufung der KK das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Die Nachkodierung sei ausgeschlossen. § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 bewirke eine materielle Präklusion. Änderungen des MDK-geprüften Teils des Datensatzes nach § 301 SGB V außerhalb der in § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 geregelten Änderungsmöglichkeiten seien unzulässig. Sämtliche vergütungsrelevanten Nebendiagnosen seien vom Prüfauftrag erfasst gewesen und vom MDK geprüft worden, weshalb eine Nachkodierung unzulässig sei (Urteil vom 27.7.2022).

2

Das Krankenhaus wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

3

Die Beschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (dazu 1.) und der Divergenz (dazu 2.).

4

1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG vom 17.4.2012 - B 13 R 347/11 B - SozR 4-2600 § 72 Nr 5 RdNr 17 mwN; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieses Maßstabs BVerfG vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff mwN). Dem wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht.

5

a) Das Krankenhaus formuliert folgende Fragen:

(1) "wie sich die Präklusion zu einem unbestimmten Prüfauftrag verhält; zumal wenn nicht einmal der Textbaustein auf den Einzelfall konkretisiert ist;"

(2) "wie sich die Präklusion zu einer unbestimmten Prüfanzeige durch den MDK verhält; zumal wenn keine sog. Vollprüfung angezeigt ist;"

(3) "wie sich die Präklusion zu einer unbestimmten Prüfanzeige durch die Kasse verhält; zumal wenn keine sog. Vollprüfung angezeigt ist;"

(4) "wie sich die Präklusion bei der Anzeige der Prüfung nur eines bestimmten Aspekts der Kodierung von Nebendiagnosen zu einer Nachkodierung anderer / weiterer Nebendiagnosen verhält;"

(5) "wie sich die Präklusion zu einer von dem Prüfauftrag abweichenden Prüfanzeige verhält; mit anderen Worten: Wer trägt das Risiko einer falschen Mitteilung durch den MDK?;"

(6) "wie sich die Präklusion zu einer unvollständigen Erledigung des Prüfauftrages verhält, insbesondere: keine vollständige Prüfung der kodierten Nebendiagnosen, und / oder: - keine ergebnisoffene Prüfung, ob weitere Nebendiagnosen zu kodieren waren."

6

b) Das Krankenhaus stellt damit bereits keine hinreichend konkreten abstrakten Rechtsfragen. Eine Rechtsfrage ist regelmäßig nur eine solche des materiellen oder des Verfahrensrechts, die mit Mitteln juristischer Methodik beantwortet werden kann und im Kern auf die Entwicklung abstrakter Rechtssätze durch das BSG abzielt (vgl BSG vom 22.8.2023 - B 1 KR 22/23 B - juris RdNr 6 mwN). Die Konkretisierung setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann; das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalles abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (stRspr; vgl zB BSG vom 11.11.2019 - B 1 KR 87/18 B - juris RdNr 6 mwN; BSG vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - BeckRS 2020, 1779 RdNr 10). Unzulässig ist eine Frage, die so allgemein gehalten ist, dass ihre Beantwortung eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat verlangen würde. Eine in dieser Weise unkonkrete Frage kann nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein (vgl BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 104/17 B - juris RdNr 8). So liegt die Sache hier.

7

Die gestellten Fragen können weder mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden noch enthalten sie überhaupt eine konkrete Norm, die zur Überprüfung gestellt wird. Ihre Beantwortung würde vielmehr eine kommentar- oder lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat erfordern, was nicht Gegenstand der Revision sein kann.

8

c) Die gestellten Fragen enthalten zudem Prämissen ("unbestimmter Prüfauftrag"; "unbestimmte Prüfanzeige"; "falsche Mitteilung durch den MDK"; "unvollständige Erledigung des Prüfauftrags"), deren Vorliegen das Krankenhaus lediglich behauptet. Weder teilt es die vom LSG hierzu festgestellten Tatsachen (§ 163 SGG) mit noch setzt es sich mit der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts auseinander (vgl zB BSG vom 25.9.2023 - B 12 BA 1/23 B - juris RdNr 23; BSG vom 23.7.2023 - B 12 BA 20/22 B - juris RdNr 12; BSG vom 4.5.2018 - B 3 KR 2/18 B - juris RdNr 10). Insoweit fehlt es auch an Darlegungen zur Klärungsfähigkeit der Fragen.

9

d) Selbst wenn dem Beschwerdevorbringen konkludent die Frage zu entnehmen sein sollte, ob die Nachkodierung weiterer Nebendiagnosen nach § 7 Abs 5 PrüfvV präkludiert ist, wenn der Prüfauftrag zuvor vom Krankenhaus kodierte Nebendiagnosen nennt, legt das Krankenhaus jedenfalls deren Klärungsbedürftigkeit nicht ausreichend dar. Eine Rechtsfrage ist dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits höchstrichterlich entschieden ist. Die Beschwerdebegründung hat deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und den Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse vornehmen soll (vgl BSG vom 22.2.2017 - B 1 KR 73/16 B - juris RdNr 8 mwN; vgl zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit eines entsprechenden Maßstabs BVerfG <Kammer> vom 12.9.1991 - 1 BvR 765/91 - SozR 3-1500 § 160a Nr 6 S 10 f = juris RdNr 4). Daran fehlt es. Das Krankenhaus setzt sich mit der hierzu ergangenen BSG-Rechtsprechung nicht hinreichend auseinander. Zwar benennt es die Entscheidung des BSG vom 18.5.2021 - B 1 KR 34/20 R - (BSGE 132, 152 = SozR 4-2500 § 301 Nr 10) und das dort in RdNr 17 benannte Beispiel und zitiert dieses auch in Auszügen wörtlich, es verhält sich aber nicht dazu, warum unter Berücksichtigung der in dieser Entscheidung niedergelegten Grundsätze noch Klärungsbedarf bestehen soll. Es vermischt in seiner Darlegung vielmehr Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz, ohne sich mit deren Abgrenzung substantiiert auseinanderzusetzen (vgl dazu BSG vom 27.6.2018 - B 13 R 273/16 B - juris RdNr 8). Im Kern wendet sich das Krankenhaus vielmehr lediglich gegen die seiner Auffassung nach unrichtige Rechtsanwendung des LSG. Die Behauptung, das Berufungsurteil sei inhaltlich unrichtig, kann jedoch nicht zur Zulassung der Revision führen (vgl BSG vom 17.4.2020 - B 1 A 1/19 B - juris RdNr 19).

10

e) Das Krankenhaus legt auch die Breitenwirkung der Rechtsfragen nicht ausreichend dar. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage erwächst daraus, dass ihre Klärung nicht nur für den Einzelfall, sondern im Interesse der Fortbildung des Rechts oder seiner einheitlichen Auslegung erforderlich ist (vgl BSG vom 7.10.2005 - B 1 KR 107/04 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 9 RdNr 7 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist eine Rechtsnorm, bei der es sich um ausgelaufenes Recht handelt, deshalb regelmäßig nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Bei Rechtsfragen zu bereits außer Kraft getretenem Recht muss für eine grundsätzliche Bedeutung entweder noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des ausgelaufenen Rechts zu entscheiden sein, oder die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihrer Auslegung muss aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung haben, insbesondere wegen einer weitgehenden Übereinstimmung mit dem neuen Recht (vgl BSG vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10; BSG vom 11.5.2022 - B 8/7 AY 5/21 B - juris RdNr 8; BSG vom 14.7.2023 - B 1 KR 9/23 B - juris RdNr 8, jeweils mwN). Diese Maßgaben gelten entsprechend auch für Übergangsvorschriften (vgl BSG vom 22.4.2010 - B 11 AL 22/09 BH - juris RdNr 5; BSG vom 14.7.2023 - B 1 KR 9/23 B - juris RdNr 8).

11

Das Krankenhaus setzt sich nicht damit auseinander, inwiefern die einschlägigen Regelungen der PrüfvV 2014 weitgehende Übereinstimmung mit dem neuen Recht (PrüfvV 2021) haben. Nicht ausreichend ist auch der Vortrag, dass "eine Vielzahl noch offener Rechtsstreitigkeiten zu Fragen der Nachkodierung unter den unterschiedlichen Fassungen der PrüfvV" betroffen sei. Die pauschale Behauptung einer Breitenwirkung genügt nicht (vgl Berchtold in Berchtold/Karmanski/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 3. Aufl 2024, § 8 Verfahren vor dem Bundessozialgericht RdNr 100).

12

2. Wer sich - wie das Krankenhaus - auf den Zulassungsgrund der Divergenz beruft (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG), muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze im Urteil des Berufungsgerichts einerseits und in einem Urteil des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und Ausführungen dazu machen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein sollen und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG vom 19.9.2007 - B 1 KR 52/07 B - juris RdNr 6; BSG vom 9.5.2018 - B 1 KR 55/17 B - juris RdNr 8; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Darlegungsanforderungen vgl BVerfG <Dreierausschuss> vom 8.9.1982 - 2 BvR 676/81 - juris RdNr 8). Erforderlich ist, dass das LSG bewusst einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt und nicht etwa lediglich fehlerhaft das Recht angewendet hat; dies hat der Beschwerdeführer schlüssig darzulegen (vgl zB BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 72/18 B - juris RdNr 8). Daran fehlt es.

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Das Krankenhaus legt nicht ausreichend dar, dass das LSG einen vom BSG abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat. Es setzt sich bereits nicht substantiiert damit auseinander, welcher konkreten Passage im LSG-Urteil es den abstrakten Rechtssatz

"Wenn sich der MDK auftrags der Kasse überhaupt irgendwie mit dem Thema Nebendiagnosen befasst hat, ist das Krankenhaus insgesamt und unter allen denkbaren Aspekten mit einer Nachkodierung von Nebendiagnosen präkludiert"

entnimmt.

14

Im Kern wendet sich das Krankenhaus auch insoweit lediglich gegen die seiner Auffassung nach unrichtige Rechtsanwendung des LSG.

15

3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

Scholz

Bockholdt

Matthäus

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