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Bundesgerichtshof
Urt. v. 19.03.2024, Az.: VIa ZR 370/22
Schadensersatzanspruch eines Käufers eines Neufahrzeugs gegen den Hersteller wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen; Zustehen eines Anspruchs auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Versäumnisurteil
Datum: 19.03.2024
Referenz: JurionRS 2024, 13927
Aktenzeichen: VIa ZR 370/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2024:190324UVIAZR370.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Köln - 11.06.2021 - AZ: 10 O 183/20

OLG Köln - 21.02.2022 - AZ: 18 U 111/21

Rechtsgrundlagen:

§ 823 Abs. 2 BGB

§ 826 BGB

§ 6 Abs. 1 EG-FGV

§ 27 Abs. 1 EG-FGV

BGH, 19.03.2024 - VIa ZR 370/22

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. März 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Februar 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu 1, zu 3 und zu 4 zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.

2

Der Kläger kaufte am 3. März 2014 einen von der Beklagten hergestellten neuen Volvo V40 Cross Country, der mit einem Dieselmotor der Schadstoffklasse Euro 5 ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" abhängig von der Außentemperatur gesteuert.

3

Der Kläger hat den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen (Berufungsantrag zu 1) und die Zahlung von Deliktszinsen (Berufungsantrag zu 2) jeweils Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 3) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Berufungsantrag zu 4) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 1, zu 3 und zu 4 weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des Klägers hat Erfolg. Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden, weil die Beklagte in der mündlichen Revisionsverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht anwaltlich vertreten war. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2022 - VIa ZR 291/22, juris Rn. 4 mwN).

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Als unzulässige Abschalteinrichtung sei allein das Thermofenster in Betracht zu ziehen. Seine Verwendung begründe jedoch keine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung im Sinne des § 826 BGB. Der Kläger habe keine greifbaren Anhaltspunkte dafür aufgezeigt, dass es sich um eine Prüfstandserkennungssoftware handele. Ebenso wenig habe er weitere Umstände dargelegt, aus denen sich ergäbe, dass die Organe der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit Bestimmungen der EG-FGV lasse sich ein Schadensersatzanspruch nicht herleiten, weil diese Bestimmungen nicht dem Schutz von Fahrzeugkäufern vor dem Abschluss ungewollter Verträge dienten.

II.

7

Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Beru9 fungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die 10 Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer

Möhring

Krüger

Wille

Liepin

Von Rechts wegen

Verkündet am: 19. März 2024

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