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Bundesgerichtshof
Urt. v. 05.03.2024, Az.: VIa ZR 948/22
Inanspruchnahne des Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 05.03.2024
Referenz: JurionRS 2024, 12143
Aktenzeichen: VIa ZR 948/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2024:050324UVIAZR948.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Hanau - 04.11.2021 - AZ: 4 O 829/21

OLG Frankfurt am Main - 14.06.2022 - AZ: 17 U 126/21

Rechtsgrundlagen:

§ 31 BGB

§ 826 BGB

BGH, 05.03.2024 - VIa ZR 948/22

Redaktioneller Leitsatz:

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen.

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 14. Juni 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu I in Höhe von 24.738,78 € nebst Zinsen seit dem 19. Juni 2021 und die Berufungsanträge zu III und zu IV zurückgewiesen worden sind.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb am 20. Juni 2014 für 30.300,01 € ein von der Beklagten hergestelltes Kraftfahrzeug BMW 525d Touring, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N57 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3

Das Landgericht hat die auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung, mit der der Kläger seine Anträge aus dem ersten Rechtszug weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Dem Kläger stehe ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht zu. Umstände im Sinne eines vorsätzlichen, sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten könnten weder hinsichtlich des Thermofensters, des Hard Cycle Beatings noch des Kaltaufheizens festgestellt werden. Das Thermofenster betreffend fehle es an einem Prüfstandsbezug und mit seinem Vorbingen zu einer Täuschung der Genehmigungsbehörde durch die Beklagte dringe der Kläger nicht durch. So ließen eventuell fehlende Angaben der Beklagten nicht auf die billigende Inkaufnahme eines Rechtsverstoßes schließen und könnten auch eine Täuschungsabsicht nicht begründen. Ebenso wenig seien in Bezug auf das Hard Cycle Beating Umstände im Sinn eines verwerflichen Verhaltens der Beklagten ersichtlich. Zu einem Kaltaufheizen komme es in dem Kraftfahrzeug des Klägers schon deshalb nicht, weil ein NOx-Speicherkatalysator hier nicht Verwendung gefunden habe. Schließlich habe der Kläger einen Schaden nicht hinreichend dargetan. Einen merkantilen Minderwert habe er ohne greifbare Anhaltspunkte behauptet, und mangels drohender Betriebsbeschränkungen ergebe sich hier auch kein anderer Schaden.

7

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, weil in den zuletzt genannten Bestimmungen keine Schutzgesetze lägen.II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

10

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

12

Der Anspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens kann auch nicht unter Rückgriff auf die vom Berufungsgericht im Zusammenhang mit § 826 BGB angestellten Erwägungen zum haftungsausfüllenden Schaden verneint werden. Vielmehr hat der Senat nach der angefochtenen Entscheidung sowohl entschieden, dass eine Verringerung des objektiven Werts des Kraftfahrzeugs infolge seiner Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Vergleich zu einem Kraftfahrzeug der betreffenden Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung nicht ohne Verstoß gegen § 287 ZPO verneint werden kann, als auch die für die Schätzung des Schadens geltenden Maßstäbe geklärt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245, Rn. 41 und 71 ff.).

III.

13

Die angefochtene Entscheidung ist demnach im beantragten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

14

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer

Krüger

Götz

Rensen

Katzenstein

Von Rechts wegen

Verkündet am: 5. März 2024

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