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Bundesgerichtshof
Urt. v. 05.03.2024, Az.: VIa ZR 1257/22
Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 05.03.2024
Referenz: JurionRS 2024, 12525
Aktenzeichen: VIa ZR 1257/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2024:050324UVIAZR1257.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Bayreuth - 14.03.2022 - AZ: 23 O 887/21

OLG Bamberg - 27.07.2022 - AZ: 6 U 21/22

Rechtsgrundlagen:

§ 826 BGB

§ 6 Abs. 1 EG-FGV

§ 27 Abs. 1 EG-FGV

BGH, 05.03.2024 - VIa ZR 1257/22

Redaktioneller Leitsatz:

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen. Das Vorliegen eines solchen Schadens ergibt sich bereits aus der mit dem Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung einhergehenden Möglichkeit von Betriebsbeschränkungen und kann dementsprechend im Falle der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht ohne Verstoß gegen § 287 Abs. 1 ZPO verneint werden.

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Dr. Krüger, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und Dr. Katzenstein
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 27. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufungsanträge zu 1, zu 3 und zu 4 zurückgewiesen worden sind.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Er erwarb am 20. April 2016 für 30.000 € ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW X3 18d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3

Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz von Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB bestehe nicht, weil der Kläger weder ein sittenwidriges Verhalten noch einen Schädigungsvorsatz der Beklagten dargetan habe. So funktionierten sowohl das Thermofenster als auch das behauptete "hard cycle beating" beim Fahrbetrieb des Fahrzeugs ebenso wie auf dem Prüfstand. Die danach erforderlichen Umstände im Sinne einer Täuschung der Genehmigungsbehörde durch die Beklagte habe der Kläger indessen nicht vorgetragen. Hinsichtlich der weiteren, behaupteten Abschalteinrichtungen lasse der Vortrag des Klägers keine Anhaltspunkte für deren Vorhandensein erkennen. Schließlich fehle es an jedwedem substantiierten Vortrag des Klägers zu Entscheidungsprozessen der Organe der Beklagten.

7

Einem Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stehe entgegen, dass die vorgenannten Bestimmungen nicht dem Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts von Fahrzeugkäufern dienten. Bei diesen Bestimmungen handele es sich nach der für den Senat verbindlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht um Schutzgesetze. Die abweichende Auffassung des Generalanwalts sei weder für die deutschen Gerichte noch für den Gerichtshof der Europäischen Union rechtsverbindlich. Darüber hinaus setze eine Haftung nach der Auffassung des Generalanwalts eine Täuschung der Genehmigungsbehörde voraus, die nicht ersichtlich sei. Ferner könne der Beklagten mit Rücksicht zum einen auf die Unschärfe des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, zum anderen auf die Untätigkeit des KBA in Bezug auf die bekannte Verwendung von Thermofenstern keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden. Schließlich setzten die Annahme eines Vermögensschadens und die Anwendung des die Kausalität betreffenden Erfahrungssatzes voraus, dass dem erworbenen Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung drohe. Das sei hier nicht der Fall.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

10

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Auf eine Täuschung der befassten Genehmigungsbehörde kommt es dabei nicht an, da im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB ein fahrlässiger Verstoß für die Haftung genügt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 34, 38).

12

Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Verschulden der Beklagten können insofern keinen Bestand haben, als von einer Verschuldensvermutung auszugehen ist und die Beklagte zu ihrer Entlastung einen Irrtum der maßgebenden Personen (§ 31 BGB) sowie dessen Unvermeidbarkeit substantiiert darzulegen und - erforderlichenfalls - zu beweisen hat. Auch insofern gelten die vom Senat nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts geklärten Maßstäbe (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 59 ff.; Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13 f.).

13

Ebenso wenig können die vom Berufungsgericht zum Schaden und zur Anwendung des die haftungsausfüllende Kausalität betreffenden Erfahrungssatzes angestellten Erwägungen die Ablehnung eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV rechtfertigen. Vielmehr hat der Senat sowohl entschieden, dass eine Verringerung des objektiven Werts des Kraftfahrzeugs infolge seiner Ausrüstung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Vergleich zu einem Kraftfahrzeug der betreffenden Baureihe und Motorisierung ohne unzulässige Abschalteinrichtung nicht ohne Verstoß gegen § 287 ZPO verneint werden kann, als auch die für die Schätzung des Schadens geltenden Maßstäbe geklärt (BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245, Rn. 41 und 71 ff.).

14

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht deshalb auch der Anwendung des bekannten Erfahrungssatzes in den Fällen einer Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nichts im Wege (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 55 ff.).

III.

15

Die angefochtene Entscheidung ist demnach im beantragten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

16

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer

Krüger

Götz

Rensen

Katzenstein

Von Rechts wegen

Verkündet am: 5. März 2024

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