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Bundesgerichtshof
Urt. v. 27.02.2024, Az.: VIa ZR 770/22
Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 27.02.2024
Referenz: JurionRS 2024, 12407
Aktenzeichen: VIa ZR 770/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2024:270224UVIAZR770.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Duisburg - 11.09.2020 - AZ: 1 O 233/19

OLG Düsseldorf - 04.05.2022 - AZ: I-3 U 98/20

Rechtsgrundlagen:

§ 31 BGB

§ 826 BGB

BGH, 27.02.2024 - VIa ZR 770/22

Redaktioneller Leitsatz:

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV stellen Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist. Einem betroffenen Fahrzeugkäufer kann deshalb nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen.

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Mai 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als betreffend eine deliktische Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 33.058,57 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 14. November 2019 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie der Berufungsantrag zu 4 zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin gegen den vorbezeichneten Beschluss mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg vom 11. September 2020 als unzulässig verworfen wird, soweit sie sich gegen die Abweisung des Klageantrags zu 1 betreffend Zinsen vom 22. August 2019 bis zum 13. November 2019 sowie gegen die Abweisung der Klageanträge zu 2 und zu 3 richtet.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Die Klägerin erwarb am 5. Mai 2015 von der Beklagten einen von ihr hergestellten Neuwagen Mercedes-Benz b 220 CDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" gesteuert.

3

Die Klägerin hat die Beklagte unter dem Gesichtspunkt einer Rückabwicklung des Kaufvertrags infolge eines gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts und unter dem Gesichtspunkt ihrer deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Sie hat in erster Instanz zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 34.000,53 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu verurteilen (Klageantrag zu 1). Ferner hat sie die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 2) und Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten durch Zahlung an ihre Rechtsschutzversicherung (Klageantrag zu 3) begehrt. Soweit sie mit der Klageschrift die Zahlung eines um 522,21 € höheren Betrags geltend gemacht hat, hat die Klägerin den Rechtsstreit einseitig für erledigt erklärt.

4

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. In der Berufungsinstanz hat sie ihre Klageanträge mit der Maßgabe weiterverfolgt, dass sie den Klageantrag zu 1 wegen der Anrechnung einer weitergehenden Nutzungsentschädigung weiter reduziert hat (Berufungsanträge zu 1 bis 3). Sie hat ferner die Feststellung begehrt, dass der Rechtsstreit im Übrigen erledigt sei (Berufungsantrag zu 4). Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der insoweit vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter, soweit sie diese auf ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs gestützt hat.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision der Klägerin hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

A.

6

Die Berufung der Klägerin war, was der Senat als Prozessfortsetzungsvoraussetzung von Amts wegen zu beachten hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2023 - VIa ZR 510/22, juris Rn. 4; Urteil vom 11. Dezember 2023 - VIa ZR 318/22, juris Rn. 6), unzulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung des Klageantrags zu 1 betreffend Zinsen vom 22. August 2019 bis zur Rechtshängigkeit der Klage sowie gegen die Abweisung der Klageanträge zu 2 und zu 3 gerichtet hat. Das Landgericht hat seine Entscheidung insoweit auf mehrere selbstständig tragende Erwägungen gestützt. Einen Anspruch der Klägerin auf die mit dem Klageantrag zu 1 geltend gemachten Verzugszinsen hat es mit der Begründung verneint, die Beklagte sei aufgrund des von der Klägerin vorgelegten Schreibens ihrer Prozessbevollmächtigten nicht in Verzug geraten, weil die Klägerin darin mit dem dort geltend gemachten Zinsanspruch deutlich zu viel verlangt habe. Die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten hat das Landgericht abgelehnt, weil die Klägerin die der Beklagten bei der Abwicklung des Schadensersatzanspruchs zukommende Leistung nicht in gehöriger Art und Weise angeboten habe. Schließlich hat es den Klageantrag zu 3 für unbegründet erachtet, weil ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, soweit er überhaupt bestehe, auf die Rechtschutzversicherung der Klägerin übergegangen sei. Die Berufungsbegründung der Klägerin greift keine dieser Erwägungen an. Sie genügt in diesen Punkten damit nicht den Mindestanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 13. November 2023 aaO, Rn. 5; Urteil vom 20. November 2023 - VIa ZR 319/22, juris Rn. 7).

B.

7

In der Sache ist die Beurteilung des Berufungsgerichts von Rechtsfehlern beeinflusst.

I.

8

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, wie folgt begründet:

9

Die Klägerin könne die Beklagte nicht auf der Grundlage von §§ 826, 31 BGB in Anspruch nehmen. Es fehle schon an einem objektiv sittenwidrigen Verhalten der Beklagten. Soweit im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB europarechtliche Vorschriften als einschlägig angesehen werden könnten, schieden diesbezügliche Ansprüche jedenfalls deshalb aus, weil jene Normen nicht den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und speziell des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts einzelner Fahrzeugkäufer bezweckten.

II.

10

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

11

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

12

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

13

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

14

Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

15

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer

Möhring

Krüger

Wille

Liepin

Von Rechts wegen

Verkündet am: 27. Februar 2024

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