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Bundesgerichtshof
Urt. v. 27.02.2024, Az.: VIa ZR 1148/22
Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 27.02.2024
Referenz: JurionRS 2024, 11638
Aktenzeichen: VIa ZR 1148/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2024:270224UVIAZR1148.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Wuppertal - 20.05.2021 - AZ: 5 O 70/20

OLG Düsseldorf - 07.07.2022 - AZ: I-5 U 119/21

Rechtsgrundlagen:

§ 31 BGB

§ 826 BGB

BGH, 27.02.2024 - VIa ZR 1148/22

Redaktioneller Leitsatz:

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist.

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterinnen Möhring, Dr. Krüger, Wille und den Richter Liepin
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 7. Juli 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung betreffend die deliktische Schädigung des Klägers durch das Inverkehrbringen des erworbenen Fahrzeugs - mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu III auch begehrten Freistellung von Zinsen auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten - zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb im August 2012 von der Beklagten einen von ihr hergestellten gebrauchten Mercedes Benz C 220 CDI, der mit einem Motor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Die Abgasrückführung erfolgt in dem Fahrzeug in Abhängigkeit von der Temperatur (Thermofenster).

3

Der Kläger, dessen Klage in den Vorinstanzen erfolglos geblieben ist, hat die Beklagte unter dem Gesichtspunkt einer Rückabwicklung des Kaufvertrags infolge eines gewährleistungsrechtlich gerechtfertigten Rücktritts und unter dem Gesichtspunkt seiner deliktischen Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs in Anspruch genommen. Er hat zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 33.488,88 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs zu verurteilen (Berufungsantrag zu I) und wegen einer ursprünglich höheren Forderung die Klage einseitig für erledigt erklärt. Ferner hat der Kläger die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu II) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen (Berufungsantrag zu III) begehrt. Mit der vom Senat im tenorierten Umfang zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz insoweit weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch nicht gemäß §§ 826, 31 BGB zu. Es lägen keine Anhaltspunkte für eine sittenwidrige Schädigung vor. Der Kläger habe gegen die Beklagte auch keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV bzw. den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, betreffe die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit und liege offensichtlich nicht im Aufgabenbereich der vorgenannten Vorschriften.

II.

7

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

8

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.

9

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11

Die angefochtene Entscheidung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer

Möhring

Krüger

Wille

Liepin

Von Rechts wegen

Verkündet am: 27. Februar 2024

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