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Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.02.2024, Az.: VIa ZR 947/22
Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 20.02.2024
Referenz: JurionRS 2024, 11324
Aktenzeichen: VIa ZR 947/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2024:200224UVIAZR947.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Potsdam - 07.07.2021 - AZ: 1 O 3/21

OLG Brandenburg - 08.06.2022 - AZ: 4 U 148/21

Rechtsgrundlagen:

§ 31 BGB

§ 826 BGB

BGH, 20.02.2024 - VIa ZR 947/22

Redaktioneller Leitsatz:

Die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist.

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 8. Juni 2022 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 33.444,92 € nebst Zinsen und die Berufungsanträge zu 3 und zu 4 zurückgewiesen worden sind.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Sie erwarb am 17. Januar 2015 für 44.500 € ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug BMW 330d, das mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe N47 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3

Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf die Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen, Zahlung von Deliktszinsen, Feststellung des Annahmeverzugs und Freistellung von Rechtsverfolgungskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6

Der Klägerin stehe ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB nicht zu. Sie habe Umstände, die das Handeln der Beklagten sittenwidrig erscheinen ließen, nicht vorgetragen. So könne die Verwendung eines Thermofensters für sich betrachtet mangels Prüfstandsbezugs nicht die Sittenwidrigkeit begründen. Nicht maßgeblich sei hierbei, ob in einem Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung liege. Denn die Klägerin habe eine diesbezügliche Verschleierung durch die Beklagte oder eine sonstige arglistige Täuschung nicht hinreichend dargetan. Die Behauptungen der Klägerin zu einem Kaltstartheizen seien nicht von Bedeutung, weil das Kraftfahrzeug nicht über einen NOx-Speicher-Katalysator verfüge. Soweit sie die Verwendung einer Funktion "Hard Cycle Beating" vortrage, handele es sich mangels greifbarer Anhaltspunkte hierfür um eine "ins Blaue hinein" aufgestellte Behauptung. Schließlich fehle es an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz der Beklagten.

7

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV bestehe nicht, weil in den zuletzt genannten Bestimmungen keine Schutzgesetze lägen.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

10

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12

Die angefochtene Entscheidung ist demnach im beantragten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer

Möhring

Götz

Rensen

Vogt-Beheim

Von Rechts wegen

Verkündet am: 20. Februar 2024

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