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Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.02.2024, Az.: VIa ZR 1589/22
Inanspruchnahme des Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 20.02.2024
Referenz: JurionRS 2024, 11600
Aktenzeichen: VIa ZR 1589/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2024:200224UVIAZR1589.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Ingolstadt - 07.10.2021 - AZ: 41 O 4204/20

OLG München - 29.09.2022 - AZ: 8 U 7955/21

Rechtsgrundlagen:

§ 31 BGB

§ 826 BGB

BGH, 20.02.2024 - VIa ZR 1589/22

Redaktioneller Leitsatz:

Die §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV sind Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug unter Verstoß gegen die Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist.

Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Februar 2024 durch die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. C. Fischer als Vorsitzende, die Richterin Möhring, die Richter Dr. Götz, Dr. Rensen und die Richterin Dr. Vogt-Beheim
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 29. September 2022 aufgehoben, soweit der Berufungsantrag zu 1 in Höhe von 51.906,50 € nebst Zinsen und die Berufungsanträge zu 2 und zu 3 ohne Erfolg geblieben sind.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger erwarb im Januar 2015 von einem Dritten einen gebrauchten Audi Q7 3.0 TDI (Schadstoffklasse Euro 5) zum Kaufpreis von 62.500 €. Fahrzeug und Motor sind von der Beklagten hergestellt worden. In der Motorsoftware des Fahrzeugs ist ein sogenanntes Thermofenster integriert, das bewirkt, dass die Abgasrückführungsrate in bestimmten Temperaturbereichen abgeschaltet bzw. reduziert wird und der Ausstoß an Stickoxiden höher ist.

3

Das Landgericht hat die im Wesentlichen auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung, mit welcher der Kläger die Zahlung von 53.491,65 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu 1), die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Berufungsantrag zu 2) und die Feststellung des Annahmeverzugs (Berufungsantrag zu 3) beantragt hat, ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Anträge mit der Maßgabe weiter, dass er anstelle des Betrags von 53.491,65 € nur noch den Betrag von 51.906,50 € beansprucht.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - wie folgt begründet:

6

Eine Haftung der Beklagten gem. § 826, § 31 BGB bzw. § 831 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung scheide aus. Weder habe der Kläger prozessual erheblich eine evident unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Umschaltlogik vorgetragen, noch habe er im Hinblick auf das unstreitig verbaute "Thermofenster" Umstände vorgetragen, welche belegten, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten.

7

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheide aus, weil es sich bei den genannten Regelungen nicht um Schutzgesetze handele.

II.

8

Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

9

1. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

10

2. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des "Thermofensters" aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nicht verneint werden. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11

Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen Schadensersatzes" verneint (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023 - VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2023, aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso BGH, Urteile vom 20. Juli 2023 - III ZR 267/20, ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom 12. Oktober 2023 - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines Differenzschadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12

Der Zurückweisungsbeschluss ist demnach in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 ZPO, weil er sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher im tenorierten Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

13

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom 26. Juni 2023 (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245; vgl. auch BGH, Urteil vom 25. September 2023 - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13 f.) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

C. Fischer

Möhring

Götz

Rensen

Vogt-Beheim

Von Rechts wegen

Verkündet am: 20. Februar 2024

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