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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 06.07.2023, Az.: V ZB 68/22
Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckungen in im Wege der Arrestvollziehung nach § 111f StPO gesicherte Gegenstände während der Dauer der Arrestvollziehung; "Dauer der Arrestvollziehung" nach § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO bis zur Aufhebung der Vollziehungsmaßnahme
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 06.07.2023
Referenz: JurionRS 2023, 29466
Aktenzeichen: V ZB 68/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2023:060723BVZB68.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

OLG Bremen - 12.09.2022 - AZ: 3 W 13/22

Fundstellen:

DZWIR 2024, 58

FGPrax 2023, 203-204

MDR 2023, 1208-1209

NJW 2023, 2783-2785

NZI 2023, 894-895

NZWiSt 2023, 395-397

Rpfleger 2023, 726

StRR 2023, 2

WM 2023, 1608-1609

ZfIR 2023, 504-505

ZInsO 2023, 2054-2056

BGH, 06.07.2023 - V ZB 68/22

Amtlicher Leitsatz:

  1. a)

    Das in § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO angeordnete Vollstreckungsverbot findet auf die Vollziehung eines Vermögensarrestes im Sinne des § 111f StPO generell keine Anwendung.

  2. b)

    Infolgedessen wird die Eintragung einer weiteren Sicherungshypothek aufgrund desselben - noch nicht ausgeschöpften - oder eines anderen Vermögensarrestes nicht ausgeschlossen, wenn das Grundstück eines Beschuldigten mit einer Sicherungshypothek belastet ist, die in Vollziehung eines Vermögensarrestes in das Grundbuch eingetragen worden ist.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juli 2023 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, die Richter Dr. Göbel, Dr. Hamdorf und Dr. Malik und die Richterin Laube
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Beteiligten werden der Beschluss des 3. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Bremen vom 12. September 2022 und der Beschluss des Amtsgerichts Bremen - Grundbuchamt - vom 14. Juni 2022 aufgehoben.

Das Grundbuchamt wird angewiesen, die beantragte Eintragung nicht aus den in den vorgenannten Beschlüssen genannten Gründen zu verweigern.

Gründe

I.

1

In einem von der Beteiligten (Freie und Hansestadt Hamburg) durch die Staatsanwaltschaft gegen die Beschuldigte geführten Ermittlungsverfahren ordnete das Amtsgericht Hamburg mit Beschluss vom 1. Februar 2022 wegen eines Anspruchs auf Wertersatz i.H.v. 173.495 € den Vermögensarrest in das Vermögen der Beschuldigten an. Diese ist im Grundbuch als Eigentümerin des in dem Rubrum näher bezeichneten Grundbesitzes eingetragen. Aufgrund Ersuchens der Staatsanwaltschaft trug das Amtsgericht - Grundbuchamt - eine Arresthypothek im Höchstbetrag von 100.000 € sowie ein Veräußerungsverbot ein.

2

Ein weiteres Ersuchen, mit der die Staatsanwaltschaft auf der Grundlage des Arrestbeschlusses vom 1. Februar 2022 die Eintragung einer zusätzlichen Sicherungshypothek i.H.v. 73.495 € begehrt hat, ist von dem Grundbuchamt zurückgewiesen worden. Die dagegen gerichtete Beschwerde ist vor dem Oberlandesgericht erfolglos geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Staatsanwaltschaft das Eintragungsersuchen weiter.

II.

3

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts, dessen Entscheidung unter anderem in NZI 2022, 951 [OLG Bremen 12.09.2022 - 3 W 13/22] veröffentlicht ist, steht der Eintragung einer weiteren Sicherungshypothek entgegen, dass das Grundstück bereits durch die erste Sicherungshypothek belastet ist. Unter die Vorschrift des § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO, wonach weitere Zwangsvollstreckungen während der hier noch andauernden Arrestvollziehung unzulässig seien, fielen alle Maßnahmen nach dem achten Buch der Zivilprozessordnung und damit auch die Sicherungsvollstreckung eines Vermögensarrestes nach der Strafprozessordnung, auf die § 928 und § 930 ZPO sinngemäß anzuwenden seien. § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO sichere den grundsätzlichen Vorrang der Verletzten vor anderen Gläubigern und die Gleichbehandlung der Geschädigten. Darüber hinaus solle die Vorschrift verhindern, dass andere Gläubiger im Falle der Insolvenz des Arrestschuldners Absonderungsrechte erlangten. Da mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die im Wege der Vollziehung des Vermögensarrests eingetragene Sicherungshypothek nach § 111i Abs. 1 Satz 1 StPO erlösche, hätten die zur Absonderung berechtigten Gläubiger ohne das Vollstreckungsverbot bessere Befriedigungsmöglichkeiten als die Tatgeschädigten, deren Ansprüche nur durch den Vermögensarrest gesichert seien. Komme es nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, habe das Vollstreckungsverbot allerdings zur Folge, dass Tatgeschädigte und auch andere Gläubiger ihre Forderungen nicht sichern könnten. Der eindeutige Wortlaut des § 111h Abs. 2 StPO lasse aber eine teleologische Auslegung in dem Sinne, dass er nur für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelte, nicht zu. Das Vollstreckungsverbot greife zudem auch dann ein, wenn die Staatsanwaltschaft selbst eine weitere Sicherung begehre. Ansonsten würde die Staatsanwaltschaft gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt, ohne dass sich eine solche Ungleichbehandlung rechtfertigen ließe.

III.

4

1. Die aufgrund der Zulassung durch das Beschwerdegericht (§ 78 Abs. 1 GBO) statthafte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 78 Abs. 3 GBO i.V.m. § 71 FamFG). Insbesondere ist die Beteiligte ohne Bevollmächtigung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts ordnungsgemäß vertreten und postulationsfähig (§ 10 Abs. 4 Satz 2 FamFG).

5

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde zu Unrecht zurückgewiesen. Das in § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO angeordnete Vollstreckungsverbot findet auf die Vollziehung eines Vermögensarrestes im Sinne des § 111f StPO generell keine Anwendung. Infolgedessen wird die Eintragung einer weiteren Sicherungshypothek aufgrund desselben - noch nicht ausgeschöpften - oder eines anderen Vermögensarrestes nicht ausgeschlossen, wenn das Grundstück eines Beschuldigten mit einer Sicherungshypothek belastet ist, die in Vollziehung eines Vermögensarrestes in das Grundbuch eingetragen worden ist.

6

a) Gemäß § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO sind Zwangsvollstreckungen in Gegenstände, die im Wege der Arrestvollziehung nach § 111f StPO gesichert worden sind, während der Dauer der Arrestvollziehung nicht zulässig. Wie das Beschwerdegericht zutreffend sieht, endet das sich hieraus ergebende Vollziehungsverbot nicht schon durch die Eintragung der Sicherungshypothek. Vielmehr hält die "Dauer der Arrestvollziehung" nach § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO bis zur Aufhebung der Vollziehungsmaßnahme an, die hier noch nicht erfolgt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Mai 2020 - V ZB 56/19, NJW 2020, 2337 Rn. 14).

7

b) Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts wird aber die Vollziehung eines strafrechtlichen Vermögensarrestes von § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO nicht erfasst, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um die Vollziehung desselben Vermögensarrestes oder eines weiteren Vermögensarrestes in demselben Ermittlungsverfahren oder um die Vollziehung eines Vermögensarrestes aus einem anderen Ermittlungsverfahren gegen denselben Beschuldigten handelt.

8

aa) Dies folgt allerdings nicht bereits aus dem Wortlaut des § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO. Insoweit ist dem Beschwerdegericht zuzustimmen. Gemäß § 111f Abs. 2 StPO wird der Vermögensarrest in ein Grundstück durch die Eintragung einer Sicherungshypothek bewirkt. Nach Satz 2 dieser Vorschrift finden die §§ 928 und 932 ZPO sinngemäß Anwendung. Bei der Eintragung einer Arresthypothek gemäß § 932 Abs. 1 ZPO handelt es sich aber um eine Maßnahme der "Zwangsvollstreckung"; dies ergibt sich auch aus den in § 932 Abs. 2 ZPO für anwendbar erklärten Vorschriften der § 866 Abs. 3 Satz 1, § 867 Abs. 1 und 2 und § 868 ZPO, die sich sämtlich in dem mit "Zwangsvollstreckung" überschriebenen Buch 8 der Zivilprozessordnung finden (vgl. zum weiten Verständnis des § 111h Abs. 2 StPO auch Johann in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., § 111h Rn. 13).

9

bb) Eine allein an dem Wortlaut orientierte Auslegung widerspräche aber eindeutig dem Sinn und Zweck des angeordneten Vollstreckungsverbots. § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO ist deshalb teleologisch in dem Sinne zu reduzieren, dass Vollziehungen eines (weiteren oder desselben) strafrechtlichen Vermögensarrestes von der Norm generell nicht erfasst werden (so im Ergebnis auch MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111h Rn. 32 ff.; ders. in Bittmann/Köhler/Seeger/Tschakert, Handbuch der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung, Rn. 501; SK-StPO/Rogal/Schumann, 6. Aufl., § 111h Rn. 15; Savini, Rpfleger 2018, 177, 179; ders., Handbuch zur Vermögensabschöpfung, 6. Aufl., S. 195 f., allerdings wohl nur für eine Erweiterung der Vollziehung in demselben Sicherungsverfahren). Nur darum geht es. Die von dem Beschwerdegericht zitierten und zur Begründung für die Zulassung der Rechtsbeschwerde herangezogenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts München (NZI 2021, 1035 [OLG München 08.09.2021 - 8 W 1216/21] Rn. 15 f.; BeckRS 2021, 29813 Rn. 12 f.) betreffen demgegenüber die anders gelagerte und hier nicht zu entscheidende Frage, ob die Forderungspfändung eines privaten Gläubigers des Beschuldigten trotz Vollziehung eines Vermögensarrestes durch die Staatsanwaltschaft noch in dem Umfang möglich ist, in dem die Staatsanwaltschaft auf die Forderung nicht zugegriffen hat. § 111h Abs. 2 Satz 2 StPO, wonach die Vollziehung einer Arrestanordnung nach § 324 der Abgabenordnung unberührt bleibt, soweit der Arrestanspruch aus der Straftat erwachsen ist, betrifft einen Sonderfall. Ein Umkehrschluss dergestalt, dass die Vollziehung eines Vermögensarrestes nach dem Willen des Gesetzgebers unzulässig sein soll, ergibt sich hieraus nicht.

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(1) Die Unzulässigkeit von Zwangsvollstreckungen in den durch die Arrestvollziehung gesicherten Gegenstand soll zum einen verhindern, dass andere Gläubiger durch eine Vollstreckungshandlung ein Absonderungsrecht an dem Vermögen des Arrestschuldners erlangen können (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 78). Denn indem § 111i Abs. 1 Satz 1 StPO im Falle der Insolvenz des Arrestschuldners bei Vorliegen eines Anspruchsberechtigten das Erlöschen des durch den Vermögensarrest erlangten Sicherungsrechts vorsieht, hätte das Entstehen eines (zunächst) nachrangigen Absonderungsrechts zur Folge, dass die hiervon Begünstigten im Insolvenzfall vorrangig vor den Verletzten der Straftat befriedigt würden (vgl. Senat, Beschluss vom 28. Mai 2020 - V ZB 56/19, NJW 2020, 2337 Rn. 12). Zum anderen dient das Vollstreckungsverbot sowohl dem grundsätzlichen Vorrang als auch der Gleichbehandlung der Verletzten (vgl. BT-Drucks. 18/9525 S. 78 f.). Der Gesetzgeber wollte die als "Windhundrennen" empfundene Geltung des Prioritätsgrundsatzes nach dem bisherigen Recht im Verhältnis der Verletzten einer Straftat untereinander beseitigen (vgl. BT-Drs. 18/9525 S. 1). Der sichergestellte Gegenstand soll nunmehr frei von nachrangigen Belastungen verwertet werden, damit der gesamte Erlös für eine Verteilung in einem Entschädigungs- oder Insolvenzverfahren zur Verfügung steht (vgl. hierzu auch Senat, Beschluss vom 28. Mai 2020 - V ZB 56/19, NJW 2020, 2337 Rn. 19).

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(2) Nimmt man (nur) den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beschuldigten in den Blick, bedeutete es allerdings für die Verletzten der Straftat keinen Nachteil, wenn das Vollstreckungsverbot die weitere Vollziehung desselben oder eines anderen Vermögensarrestes erfasste. Sie würden nämlich an der Verteilung der strafprozessual sichergestellten Vermögenswerte ebenso partizipieren wie die übrigen Gläubiger. Gegen eine Bevorzugung anderer Geschädigter oder anderer Gläubiger wären sie dadurch hinreichend geschützt, dass aufgrund der bereits erfolgten Vollziehung des Vermögensarrestes im Insolvenzverfahren vorrangige Absonderungsrechte wegen des Vollstreckungsverbots nach § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO nicht entstehen konnten.

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(3) Anders ist es hingegen, wenn es nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt, sondern zu einer Verwertung des Vermögensgegenstands im Wege der Einzelzwangsvollstreckung (vgl. § 459h Abs. 2, § 459g Abs. 2, § 459 StPO). Wäre die Staatsanwaltschaft daran gehindert, denselben, noch nicht ausgeschöpften oder einen anderen Vermögensarrest wegen der bereits zuvor erfolgten Vollziehung eines Vermögensarrestes zu vollziehen, ginge dies zu Lasten einzelner Verletzter, die ebenso wie andere Verletzte durch die Straftaten des Beschuldigten geschädigt worden sind, im Zeitpunkt der Vollziehung des Vermögensarrestes aber noch nicht bekannt waren. Die von dem Gesetzgeber beabsichtigte Gleichbehandlung der Tatgeschädigten wäre deshalb nicht gewährleistet, würde man das Vollstreckungsverbot auf die Vollziehung von Vermögensarresten erstrecken. Ohne die Möglichkeit der Ergänzung bestehender Sicherheiten besteht zudem die Gefahr, dass die Verwertung der einmal eingetragenen Sicherungshypothek die Ansprüche der Tatgeschädigten nicht deckt. Bei der Vollstreckung in den seinerseits pfändbaren (vgl. Hintzen in Dassler/Schiffhauer/Hintzen/Engels/Rellermeyer, ZVG, 16. Aufl., § 109 Rn. 14 ff.) Anspruch des Arrestschuldners auf Auskehrung des möglichen Übererlöses drohte ein Wettlauf der Geschädigten untereinander ("Windhundrennen"), den der Gesetzgeber gerade vermeiden wollte.

13

(4) Ob der Vermögensarrest, den die Staatsanwaltschaft im Anschluss an eine bereits vorgenommene Vollziehung in den gesicherten Vermögensgegenstand vollziehen möchte, in demselben Strafverfahren oder in einem anderen Strafverfahren erlassen wurde, ist insoweit unerheblich; § 111h Abs. 2 Satz 1 StPO ist im einen wie im anderen Fall nicht anzuwenden. Mit dem von dem Gesetzgeber angestrebten Ziel der Gleichbehandlung wäre eine unterschiedliche Behandlung der Geschädigten aus verschiedenen Strafverfahren unvereinbar; zudem kann es vom Zufall abhängen, welche Arresthypothek zuerst eingetragen wird (vgl. auch MüKoStPO/Bittmann, 2. Aufl., § 111h Rn. 35 f.; aA wohl Savini, Rpfleger 2018, 177, 179; ders., Handbuch zur Vermögensabschöpfung, 6. Aufl., S. 195 f.).

IV.

14

1. Das Grundbuchamt ist deshalb unter Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse anzuweisen, die Eintragung der zusätzlichen Sicherungshypothek nicht aus den in den Beschlüssen genannten Gründen abzulehnen (§ 78 Abs. 3 GBO i.V.m. § 74 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 Halbs. 2 FamFG).

15

2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.

Brückner

Göbel

Hamdorf

Malik

Laube

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