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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 12.05.2023, Az.: BLw 1/22
Statthaftigkeit der Beschwerde gegen den Beschluss des Landwirtschaftsgericht (hier: in Niedersachsen); Feststellung der zur Erteilung eines Hoffolgezeugnisses erforderlichen Tatsachen hinsichtlich Wirtschaftsfähigkeit
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.05.2023
Referenz: JurionRS 2023, 24283
Aktenzeichen: BLw 1/22
ECLI: ECLI:DE:BGH:2023:120523BBLW1.22.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Osterholz-Scharmbeck - 13.10.2021 - AZ: 8 VI 1109/19

OLG Celle - 05.07.2022 - AZ: 7 W 1/22 (L)

Rechtsgrundlagen:

§ 58 Abs. 1 FamFG

§ 72 Abs. 1 NJG

§ 7 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1, 2 HöfeO

Fundstellen:

FamRB 2023, 422

ZEV 2023, 616-619

BGH, 12.05.2023 - BLw 1/22

Amtlicher Leitsatz:

Gegen den Beschluss des Landwirtschaftsgerichts, durch den die zur Erteilung eines Hoffolgezeugnisses erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet werden, ist in Niedersachsen die Beschwerde nach § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Sie wird nicht durch § 72 Abs. 1 NJG ausgeschlossen.

Der Bundesgerichtshof, Senat für Landwirtschaftssachen, hat am 12. Mai 2023 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Laube sowie die ehrenamtlichen Richter Stapelfeldt und Velder
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats - Senat für Landwirtschaftssachen - des Oberlandesgerichts Celle vom 5. Juli 2022 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor dieses Beschlusses wie folgt ergänzt wird:

Der Antrag der Beteiligten zu 1 auf Erteilung eines sie als Hoferbin ausweisenden Hoffolgezeugnisses wird zurückgewiesen.

Die Beteiligte zu 1 trägt die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der übrigen Beteiligten.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 250.000 €; die Wertfestsetzungen des Amtsgerichts - Landwirtschaftsgericht - Osterholz-Scharmbeck vom 13. Oktober 2021 und des 7. Zivilsenats - Senat für Landwirtschaftssachen - des Oberlandesgerichts Celle vom 5. Juli 2022 - werden geändert und der Gegenstandswert insoweit ebenfalls auf 250.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der Vater der vier Beteiligten (nachfolgend: Erblasser) war Eigentümer des in dem Eingang dieses Beschlusses näher bezeichneten und in Niedersachsen belegenen Hofes. Es handelt sich um einen Hof im Sinne der Höfeordnung, für den im Grundbuch ein Hofvermerk eingetragen ist. Der als Nebenerwerb geführte Betrieb, auf dem Rinder als Pensionstiere gehalten werden, hat - einschließlich Pachtland - bewirtschaftete Flächen von rund 40 ha. Der Hof war seit vielen Jahren verpachtet, zuletzt an die Ehefrau des Beteiligten zu 2. Im Jahr 2015 setzte der Erblasser die Beteiligte zu 1 in einem notariellen Testament als seine Alleinerbin ein. Dem Beteiligten zu 2 vermachte er etwa 3 ha Grünland und die Nutzung der Hofstelle. Daneben bestimmte er, dass der Beteiligte zu 2 die Hofstelle - solange er Vieh halte - gegen Zahlung einer jährlichen Pacht von 2.000 € an die Beteiligte zu 1 weiter nutzen dürfe. Am 30. Dezember 2017 verstarb der Erblasser.

2

Mit ihrem Antrag verlangt die Beteiligte zu 1 - soweit noch von Interesse - die Erteilung eines sie als Hoferbin ausweisenden Hoffolgezeugnisses. Das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - hat die hierfür erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 2 hat das Oberlandesgericht - Landwirtschaftssenat - den Beschluss aufgehoben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, deren Zurückweisung der Beteiligte zu 2 beantragt, erstrebt die Beteiligte zu 1 vorrangig die Verwerfung der Beschwerde des Beteiligten zu 2 als unzulässig und hilfsweise die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und die Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.

II.

3

Das Beschwerdegericht sieht die Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Feststellungsbeschluss des Landwirtschaftsgerichts gemäß § 58 Abs. 1 FamFG als statthaft an. Zwar habe Niedersachsen von der Ermächtigung des § 20 Abs. 3 LwVG Gebrauch gemacht und in § 72 Abs. 1 NJG angeordnet, dass in den Verfahren über die Erteilung eines Erbscheins, für die die Landwirtschaftsgerichte zuständig seien, unter anderem § 58 FamFG keine Anwendung finde. § 72 Abs. 1 NJG sei jedoch einschränkend dahin auszulegen, dass der Ausschluss des § 58 FamFG für Feststellungsbeschlüsse nach § 352e FamFG wie den vorliegenden nicht gelte. Die Beschwerde sei auch begründet. Die Beteiligte zu 1 habe nicht zur Hoferbin bestimmt werden können, da sie zum Zeitpunkt des Erbfalls wirtschaftsunfähig gewesen sei (vgl. § 7 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 HöfeO). Die Wirtschaftsunfähigkeit der Beteiligten zu 1 sei auch nicht ausnahmsweise gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 HöfeO unerheblich, da von den übrigen Geschwistern jedenfalls der Beteiligte zu 2 wirtschaftsfähig sei. Deshalb sei ihr das beantragte Hoffolgezeugnis nicht zu erteilen.

III.

4

Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 bleibt ohne Erfolg.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie gemäß § 1 Abs. 1 HöfeVfO, § 9 LwVG, § 70 Abs. 1 FamFG statthaft. Hierfür genügt grundsätzlich, dass das Beschwerdegericht - wie hier - die Rechtsbeschwerde in dem angefochtenen Beschluss zugelassen hat. An diese Zulassung ist der Senat gemäß § 70 Abs. 2 Satz 2 FamFG gebunden.

6

a) Etwas Anderes gälte nur dann, wenn die Entscheidung des Beschwerdegerichts nach dem Gesetz der Anfechtung generell entzogen wäre. Eine nach dem Gesetz unanfechtbare Entscheidung kann auch nicht durch Zulassung einer Anfechtung unterworfen werden. Die Rechtsbeschwerde ist in diesem Fall selbst dann unzulässig, wenn das Beschwerdegericht sie eigens zur Klärung der Zulässigkeitsfrage zugelassen hat (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. September 2022 - V ZB 71/21, NJW-RR 2022, 1533 Rn. 5 mwN). Dies gilt erst recht, wenn schon das Rechtsmittel zum Beschwerdegericht nicht statthaft war (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Mai 2012 - XII ZB 417/11, NJW-RR 2012, 1156 Rn. 4 mwN). Deshalb könnte die Beteiligte zu 1 ihr mit der Rechtsbeschwerde vorrangig erstrebtes Rechtsschutzziel der Verwerfung der Beschwerde des Beteiligten zu 2 selbst dann nicht erreichen, wenn diese Beschwerde unstatthaft wäre.

7

b) So liegt der Fall aber nicht, weil die Entscheidung des Landwirtschaftsgerichts der Beschwerde nach § 58 Abs. 1 FamFG unterliegt. Hiervon geht das Beschwerdegericht zutreffend aus.

8

aa) Allerdings ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, ob in Niedersachsen von Landwirtschaftsgerichten nach § 352e Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG erlassene Feststellungsbeschlüsse mit der Beschwerde angegriffen werden können.

9

(1) Ausgangspunkt der Kontroverse ist § 20 Abs. 3 LwVG. Nach dieser Ermächtigungsnorm können die Länder bestimmen, dass die Entscheidung über die Erteilung eines Erbscheins ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter erfolgen kann und dass insoweit § 14 Abs. 2 und § 30 LwVG sowie § 38 Abs. 3, §§ 39, 41 Abs. 1 Satz 2, §§ 58 und 66 FamFG keine Anwendung finden, so dass unter anderem die Statthaftigkeit der Beschwerde nach § 58 FamFG ausgeschlossen wäre. Von dieser Ermächtigung hat der niedersächsische Landesgesetzgeber Gebrauch gemacht. Gemäß § 72 Abs. 1 des niedersächsischen Justizgesetzes (NJG) findet unter anderem § 58 FamFG in den Verfahren über die Erteilung eines Erbscheins, für die die Landwirtschaftsgerichte zuständig sind, keine Anwendung. Gemäß § 18 Abs. 1, Abs. 2 HöfeO, § 2 Abs. 1 Satz 1 LwVG sind die Landwirtschaftsgerichte unter anderem für die Erteilung von Hoffolgezeugnissen zuständig, d.h. von Erbscheinen, die sich auf die Hoferbfolge beschränken und den Hoferben ausweisen (vgl. Lüdtke-Handjery/v. Jeinsen/Brinkmann, HöfeO, 11. Aufl., § 18 Rn. 10). In diesen Verfahren kann das Landwirtschaftsgericht einen Feststellungsbeschluss nach § 352e Abs. 1 Sätze 1 und 2 FamFG erlassen.

10

(2) Diese Gesetzeslage soll nach teilweiser vertretener Auffassung, der auch das Beschwerdegericht folgt, der Statthaftigkeit einer Beschwerde gemäß § 58 FamFG nicht entgegenstehen. Feststellungsbeschlüsse nach § 352e Abs. 1 Sätze 1 und 2 FamFG seien nämlich vom Anwendungsbereich des § 72 Abs. 1 NJG auszunehmen. Die Ermächtigung in § 20 Abs. 3 LwVG umfasse sie nicht, da nach deren Wortlaut nur die eigentliche Erteilung des Erbscheins gemeint sei. Der Gesetzgeber des FGG-Reformgesetzes (nachfolgend: FGG-RG) habe nicht eine Kernbestimmung des neuen Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) für Erbscheinsverfahren in Landwirtschaftssachen außer Kraft setzen, sondern lediglich § 20 Abs. 3 LwVG an das neue Recht anpassen wollen (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 26. Januar 2016 - 2 W 49/15, juris Rn. 33, 35; OLG Celle, Beschluss vom 15. Juni 2020 - 7 W 37/19, juris Rn. 39; Zimmermann, Erbschein - Erbscheinsverfahren - Europäisches Nachlasszeugnis, 4. Aufl., Rn. 545).

11

(3) Andere lehnen eine solche einschränkende Auslegung des § 72 Abs. 1 NJG ab. Sie widerspreche dem Wortlaut der Vorschrift und führe zu einer Aushöhlung des darin geregelten Beschwerdeausschlusses. Die eigentliche Erteilung des Erbscheins unterliege als bloße Vollziehung des vorangegangenen Feststellungsbeschlusses ohnehin nicht der Beschwerde. Da auch die Möglichkeit eines Feststellungsverfahren gemäß § 11 HöfeVfO bestehe, die zudem den Vorteil biete, dass die Hoferbfolge rechtskräftig festgestellt werde, bedürfe es keiner gesonderten Beschwerde gegen den Feststellungsbeschluss. Andernfalls komme es zu einer doppelten Prüfung der Hoferbfolge. Schließlich entspreche die Abschaffung der Beschwerde auch dem historischen Willen des Gesetzgebers, der den in § 5 NAGLwVG aF geregelten Ausschluss der sofortigen Beschwerde in § 72 Abs. 1 NJG habe übernehmen wollen (vgl. OLG Oldenburg, Nds. Rpfl. 2019, 345 f.; zu § 107 JustG NRW: BeckOK GVG/Vieregge [15.8.2022], § 107 JustG NRW Rn. 1; Lüdtke-Handjery/v. Jeinsen/Brinkmann, HöfeO, 11. Aufl., § 18 Rn. 63).

12

bb) Im Ergebnis richtig ist die unter (2) genannte Ansicht. Gegen den Beschluss des Landwirtschaftsgerichts, durch den die zur Erteilung eines Hoffolgezeugnisses erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet werden, ist in Niedersachsen die Beschwerde nach § 58 Abs. 1 FamFG statthaft. Sie wird nicht durch § 72 Abs. 1 NJG ausgeschlossen. Dies folgt zwar nicht bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, da auch ein Feststellungsbeschluss i.S.d. § 352e Abs. 1 FamFG zu dem "Verfahren über die Erteilung eines Erbscheins" gehört. Die Aufführung von § 58 FamFG in § 72 Abs. 1 NJG beruht aber auf einem Redaktionsversehen des Bundesgesetzgebers und in der Folge auch des Landesgesetzgebers. Der niedersächsische Landesgesetzgeber wollte mit § 72 Abs. 1 NJG - ebenso wie der Bundesgesetzgeber mit § 20 Abs. 3 LwVG - lediglich redaktionelle Anpassungen wegen des FGG-RG vornehmen. Inhaltliche Änderungen im Vergleich zur früheren Rechtslage waren nicht beabsichtigt.

13

(1) Nach früherer Rechtslage konnten in Niedersachsen Beschlüsse der Landwirtschaftsgerichte in Erbscheinsverfahren, wozu auch die Erteilung von Hoffolgezeugnissen gehört, mit der Beschwerde angefochten werden.

14

(a) Richtig ist zwar, dass § 5 NAGLwVG - die Vorgängervorschrift des § 72 Abs. 1 NJG - unter anderem vorsah, dass § 22 LwVG aF in den Verfahren über die Erteilung eines Erbscheins keine Anwendung findet. Nach § 22 Abs. 1 LwVG aF fand gegen die in der Hauptsache erlassenen Beschlüsse des Amtsgerichts die sofortige Beschwerde statt. Damit hatte der niedersächsische Landesgesetzgeber von der gleichlautenden Ermächtigung in § 20 Abs. 3 LwVG aF Gebrauch gemacht. Hintergrund für diese Regelung war, dass Entscheidungen im Erbscheinsverfahren nicht in Rechtskraft erwachsen. Das Erbscheinsverfahren in Höfesachen sollte vereinfacht und beschleunigt und dem klassischen Erbscheinsverfahren des Bürgerlichen Rechts weitgehend angeglichen werden.

15

(b) Mit dem Ausschluss der sofortigen Beschwerde nach § 22 Abs. 1 LwVG aF waren die Beschlüsse der Landwirtschaftsgerichte in Erbscheinsverfahren jedoch nicht unanfechtbar. Es verblieb vielmehr bei den allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften insbesondere des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG). Damit bestand die Möglichkeit, die Beschlüsse, mit denen der Antrag auf Erteilung eines Erbscheins bzw. eines Hoffolgezeugnisses abgelehnt wurde, mit der einfachen (unbefristeten) Beschwerde nach § 9 LwVG, § 19 FGG anzufechten. Bei einem antragsgemäß erteilten Erbschein konnte die Beschwerde - wie im klassischen Erbscheinsverfahren - allerdings nur mit dem Ziel der Einziehung des Erbscheins (ex nunc) eingelegt werden (vgl. jetzt: § 352e Abs. 3 FamFG), da der öffentliche Glaube und die Richtigkeitsvermutung nicht rückwirkend wieder beseitigt werden konnten und sollten (zum Ganzen vgl. Senat, Beschluss vom 10. Dezember 1957 - V BLw 31/57, RdL 1958, 39; Gesetzesbegründung zum NAGLwVG, Nds. Rpfl. 1956, 9, 11; OLG Braunschweig, RdL 1958, 123; OLG Oldenburg, DNotZ 1957, 21; Keidel, DNotZ 1957, 21, 23 f. [OLG Oldenburg 06.07.1956 - 3 Wlw 55/56]; Wöhrmann, RdL 1956, 44, 45; ders., RdL 1956, 269 f.; aA OLG Celle, RdL 1956, 145). Gleiches galt auch in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, die mit § 2 AGLwVG NRW aF bzw. § 2 AGLwVG SH aF entsprechende Vorschriften erlassen hatten (vgl. LT-Drucks. NRW 4/304 S. 5 f. mit Plenarprotokollen S. 1578 B, 1810 A und D, 1811 A; OLG Hamm, RdL 1961, 263, 264; AgrarR 1991, 251; OLG Köln, AgrarR 1990, 112; LT-Drucks. SH 12/1565 S. 5; OLG Schleswig, SchlHA 1996, 44 ff.).

16

(2) Im Jahr 2009 wurden im Zuge des FGG-RG die Vorschriften zur einfachen und sofortigen Beschwerde (§§ 19, 22 FGG) aufgehoben. Eine einfache Beschwerde gibt es seitdem nicht mehr; vielmehr ist nur noch das Rechtsmittel der befristeten Beschwerde nach § 58 FamFG eröffnet. Diesen Änderungen wollte der Bundesgesetzgeber in redaktioneller Hinsicht auch in Verfahren vor dem Landwirtschaftsgericht Rechnung tragen. Die Vorschrift zur sofortigen Beschwerde in Landwirtschaftssachen nach § 22 LwVG aF wurde aufgehoben. Damit "passte" auch der Verweis auf § 22 LwVG aF in der bisherigen Fassung des § 20 Abs. 3 LwVG aF nicht mehr. In der Folge wurde in der neuen Fassung des § 20 Abs. 3 LwVG ein Verweis auf § 58 FamFG und weitere Vorschriften vorgenommen. Dabei hat der Gesetzgeber übersehen, dass nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 3 LwVG die Landesgesetzgeber seither - anders als vorher - ermächtigt sind, den einzigen Rechtsbehelf gegen Beschlüsse der Landwirtschaftsgerichte in Erbscheinsverfahren, die Beschwerde nach § 58 FamFG, auszuschließen. Das war erkennbar nicht gewollt. Der Bundesgesetzgeber beabsichtigte lediglich, den Verweis anzupassen. Dementsprechend heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfs auch nur, dass "§ 58 FamFG an die Stelle von § 22 LwVG getreten" sei (vgl. BT-Drucks. 16/6308 S. 330 f.). Anhaltspunkte dafür, dass die bisherige Rechtslage (grundlegend) geändert werden sollte, ergeben sich demgegenüber aus der Gesetzesbegründung nicht. Insbesondere findet sich dort auch kein Hinweis auf das besondere Feststellungsverfahren nach § 11 HöfeVfO sowie darauf, dass diesem Verfahren der Vorrang gegenüber der Beschwerde gegen einen im Erbscheinsverfahren ergangenen Feststellungsbeschluss zukommen sollte (vgl. zu dem grundsätzlichen Verhältnis der beiden Verfahren Lüdtke-Handjery/v. Jeinsen/Brinkmann, HöfeO, 11. Aufl., § 18 Rn. 8, 43 f.). Deshalb beruht es auf einem Versehen, dass bei der Neufassung des § 20 Abs. 3 LwVG als Vorschrift, deren Anwendung die Bundesländer ausschließen können, § 58 FamFG aufgeführt worden ist.

17

(3) Das Redaktionsversehen des Bundesgesetzgebers hat sich bei dem Gesetzgeber des Landes Niedersachsen fortgesetzt. Mit der Änderung des § 20 Abs. 3 LwVG aF und der Aufhebung des § 22 LwVG aF entstand auch in Niedersachsen Änderungsbedarf. Der Verweis auf § 22 LwVG aF in § 5 NAGLwVG lief nunmehr ins Leere. Deshalb verweist die neue Norm des § 72 Abs. 1 NJG entsprechend der Ermächtigung in § 20 Abs. 3 LwVG nF unter anderem auf § 58 FamFG. Nach dem Wortlaut ist damit der einzige Rechtsbehelf gegen Beschlüsse der Landwirtschaftsgerichte in Erbscheinsverfahren ausgeschlossen (vgl. dazu bereits Rn. 16). Ebenso wie der Bundesgesetzgeber wollte jedoch auch der niedersächsische Landesgesetzgeber lediglich die bisherige Regelung redaktionell anpassen und keine inhaltliche Änderung vornehmen. Dementsprechend heißt es in der Begründung des Gesetzesentwurfs auch nur, dass § 5 NAGLwVG übernommen und damit von der Ermächtigung in § 20 Abs. 3 LwVG, die Anwendung näher bezeichneter Bestimmungen (unter anderem: § 58 FamFG) auszuschließen, Gebrauch gemacht werde (vgl. LT-Drucks. 17/1585 S. 86 f.). Hätte der Landesgesetzgeber die Auswirkungen der Gesetzesänderung, soweit es um die Anführung von § 58 FamFG geht, erkannt, hätte er sich damit in der Gesetzesbegründung auseinandergesetzt. Hieran fehlt es. Es trifft deshalb nicht zu, wenn das Oberlandesgericht Oldenburg in seiner Entscheidung (Nds. Rpfl. 2019, 345 f.) ausführt, der Gesetzgeber habe den in § 5 NAGLwVG geregelten Ausschluss der sofortigen Beschwerde übernehmen wollen. Es kann gerade nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber erkannt hat, dass der Ausschluss der Beschwerde gemäß § 58 FamFG - anders als zuvor - zu einer Unanfechtbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung führen würde.

18

(4) Dass durch die Neufassung des § 72 Abs. 1 NJG keine grundlegende Änderung der Rechtsschutzmöglichkeiten erfolgen, sondern lediglich die redaktionelle Anpassung an die neuen Vorschriften erreicht werden sollte, ergibt sich mittelbar auch aus den Gesetzgebungsmaterialien zu den Änderungen in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Diese haben ihre Verweise auf § 22 LwVG aF entsprechend der neuen Ermächtigung in § 20 Abs. 3 LwVG ebenfalls durch Verweise auf § 58 FamFG ersetzt. In den jeweiligen Gesetzgebungsmaterialien wird ausdrücklich darauf hingewiesen, lediglich "redaktionelle" Anpassungen an die neue Gesetzeslage nach dem FamFG vornehmen zu wollen (zu § 107 JustG NRW vgl. LT-Drucks. 16/12986 S. 13 mit Plenarprotokoll 16/124 S. 12963; LT-Drucks. 16/13357 S. 3 mit Plenarprotokoll 16/128 S. 13431 ff.; BeckOK GVG/Vieregge [15.8.2022], § 107 JustG NRW vor Rn. 1, Rn. 2; zu § 2 AGLwVG SH nF vgl. LT-Drucks. 17/2146 S. 2 f., 11).

19

2. In der Sache ist die Rechtsbeschwerde unbegründet. Das Beschwerdegericht hält die Beschwerde des Beteiligten zu 2 - wie gezeigt - zu Recht für statthaft und hat ihr ohne Rechtsfehler stattgegeben. Die Voraussetzungen für die Erteilung des von der Beteiligten zu 1 beantragten Hoffolgezeugnisses liegen nicht vor. Auf der Grundlage der Feststellungen des Beschwerdegerichts ist die Beteiligte zu 1 nicht wirtschaftsfähig i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 i.V.m. § 6 Abs. 7 HöfeO. Zugleich bejaht das Beschwerdegericht die Wirtschaftsfähigkeit jedenfalls des Beteiligten zu 2. Damit greift die Ausnahme des § 7 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 HöfeO, wonach die Wirtschaftsunfähigkeit eines Abkömmlings seiner Bestimmung zum Hoferben nicht entgegensteht, wenn sämtliche Abkömmlinge wegen Wirtschaftsunfähigkeit ausscheiden und ein wirtschaftsfähiger Ehegatte nicht vorhanden ist, nicht ein. Bei der Beurteilung der Wirtschaftsfähigkeit des Hoferben handelt es sich im Wesentlichen um eine dem Tatrichter obliegende Entscheidung, die für das Rechtsbeschwerdegericht, soweit nicht der Begriff der Wirtschaftsfähigkeit verkannt ist, bindend ist, es sei denn, dass die Entscheidung sonst auf einer Rechtsverletzung beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Juli 1963 - V BLw 19/62, MDR 1963, 996). Die Feststellungen des Beschwerdegerichts lassen jedoch einen Rechtsverstoß nicht erkennen. Ein solcher wird auch von der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt, die insoweit nur auf die ihrer Ansicht nach zutreffenden Ausführungen des Landwirtschaftsgerichts verweist.

20

3. Dementsprechend hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Landwirtschaftsgerichts zu Recht aufgehoben. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht auch in der Sache über den Antrag der Beteiligten zu 1 auf Erteilung eines sie als Hoferbin ausweisenden Hoffolgezeugnisses entschieden. Eine Verletzung von § 69 Abs. 1 Satz 1 FamFG, wonach das Beschwerdegericht grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden hat, liegt nicht vor. Das ergibt sich eindeutig aus den Gründen des Beschlusses. Hiernach soll der Beteiligten zu 1 das beantragte Hoffolgezeugnis nicht zu erteilen sein. Dass dieser Ausspruch in der Beschlussformel nicht aufgeführt ist, verhilft der Rechtsbeschwerde nicht zum Erfolg; vielmehr ist ihr Rechtsmittel mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der Beschluss des Beschwerdegerichts entsprechend ergänzt wird.

IV.

21

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 1 Abs. 1 HöfeVfO i.V.m. § 34, § 44 Abs. 1, § 45 Satz 1 und 2 LwVG.

22

2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren folgt aus § 61 Abs. 1 Satz 1, § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 3, § 46 GNotKG. Den danach maßgeblichen Verkehrswert des Hofes im Zeitpunkt des Erbfalls am 30. Dezember 2017 schätzt der Senat entsprechend den Angaben in dem notariellen Testament und dem Antrag auf Erteilung des Hoffolgezeugnisses auf 250.000 €. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist der Geschäftswert nicht nach § 48 GNotKG zu bemessen.

23

a) Voraussetzung für dieses Bewertungsprivileg ist, dass die unmittelbare Fortführung des Betriebs durch den Erwerber selbst beabsichtigt ist und der Betrieb unmittelbar nach Vollzug der Übergabe oder Zuwendung einen nicht nur unwesentlichen Teil der Existenzgrundlage des zukünftigen Inhabers bildet (vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 GNotKG). Hintergrund dieser Einschränkung ist der Umstand, dass keine generelle Privilegierung von land- oder forstwirtschaftlichen Betrieben erfolgen soll. Die eng auszulegende Ausnahmevorschrift bevorzugt wegen ihrer Zielrichtung, dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung und Fortführung leistungsfähiger landwirtschaftlicher Betriebe in Familienbesitz Rechnung zu tragen, nur bestimmte Fortführungsgeschäfte. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll das Bewertungsprivileg nur dann greifen, wenn der Erwerber dem bisherigen Eigentümer unmittelbar als Bewirtschafter nachfolgt. Eine Anwendung von § 48 GNotKG scheidet demnach aus, wenn entweder schon der bisherige Eigentümer den Betrieb, etwa aufgrund einer Verpachtung - auch an Familienangehörige, nicht selbst bewirtschaftet hat oder keine unmittelbare eigene Bewirtschaftung des Betriebs durch den Erwerber erfolgt (vgl. BT-Drucks. 17/11471 S. 169; siehe zum Ganzen auch OLG Hamm, Beschluss vom 10. Mai 2022 - I-10 W 141/20, juris Rn. 6 f.).

24

b) Danach sind hier beide Voraussetzungen des Bewertungsprivilegs nicht erfüllt. Zum einen hatte bereits der Erblasser den Hof verpachtet und nicht selbst bewirtschaftet, und auch die Beteiligte zu 1 möchte nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts den Hof nicht selbst bewirtschaften, sondern weiterhin verpachten. Zum anderen ist eine jährliche Pacht von 2.000 € nur ein unwesentlicher Teil der Existenzgrundlage der Beteiligten zu 1.

25

3. Dementsprechend sind auch die Wertfestsetzungen der Vorinstanzen von Amts wegen gemäß § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GNotKG zu ändern und auf 250.000 € festzusetzen.

Brückner

Göbel

Laube

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