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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 22.03.2022, Az.: XIII ZB 11/20
Anordnung des Transitaufenthalts; Grundsatz des fairen Verfahrens
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 22.03.2022
Referenz: JurionRS 2022, 17490
Aktenzeichen: XIII ZB 11/20
ECLI: ECLI:DE:BGH:2022:220322BXIIIZB11.20.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Frankfurt am Main - 07.10.2019 - AZ: 934 XIV 1752/19

LG Frankfurt am Main - 14.01.2020 - AZ: 2-21 T 191/19

BGH, 22.03.2022 - XIII ZB 11/20

Redaktioneller Leitsatz:

Bei der Anordnung eines Transitaufenthalts gemäß § 15 Abs. 6, Abs. 5 AufenthG stellt es eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens dar, wenn das Gericht bei der Bestimmung des Anhörungstermins dem Rechtsanwalt des Betroffenen keine ausreichende Möglichkeit einräumt, an dem Termin teilzunehmen oder eine Terminverlegung zu beantragen. Das ist bei einer Unterrichtung des Rechtsanwalts - hier - nur etwas mehr als zwei Stunden vor dem Termin dere Fall; dies ist unzureichend. Eine solche Verfahrensgestaltung vereitelt eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung. Dies führt ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft, so dass nicht mehr zu prüfen ist, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht.

Der XIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. März 2022 durch den Richter Prof. Dr. Kirchhoff, die Richterin Dr. Roloff, den Richter Dr. Tolkmitt sowie die Richterinnen Dr. Picker und Dr. Rombach
beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 21. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Januar 2020 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 7. Oktober 2019 die Betroffene bis zum 18. Oktober 2019 in ihren Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Die Betroffene, eine kongolesische Staatsangehörige, traf am 17. September 2019 mit einem Flug aus Casablanca am Frankfurter Flughafen ein und äußerte bei der Einreisekontrolle ein Schutzersuchen. Ihr Asylantrag wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 25. September 2019 abgelehnt. Noch am selben Tag verweigerte die Bundespolizei der Betroffenen die Einreise. Ihr Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wurde vom Verwaltungsgericht am 30. September 2019 zurückgewiesen.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht am 7. Oktober 2019 zur Sicherung der Abreise den Aufenthalt der Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft des Frankfurter Flughafens bis 19. Oktober 2019 angeordnet. Die dagegen gerichtete, nach der am 18. Oktober 2019 erfolgten Abschiebung der Betroffenen nach Marokko mit einem Feststellungsantrag fortgesetzte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie den Feststellungsantrag hinsichtlich des Zeitraums bis zum 18. Oktober 2019 weiterverfolgt.

3

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hält die Voraussetzungen für die Anordnung des Transitaufenthalts gemäß § 15 Abs. 6, Abs. 5 AufenthG für gegeben. Der Grundsatz des fairen Verfahrens sei nicht dadurch verletzt worden, dass das Amtsgericht den Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen zum Anhörungstermin am selben Tag um 11.00 Uhr mit einer Vorlaufzeit von rund zwei Stunden geladen habe. Der Anwalt habe dem Amtsgericht weder seine Verhinderung angezeigt noch einen Verlegungsantrag gestellt oder Umstände vorgetragen, aus denen das Amtsgericht einen Verlegungsantrag hätte ableiten müssen. Ein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz liege ebenfalls nicht vor.

5

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Dem Feststellungsantrag ist stattzugeben, weil das Amtsgericht bei der Anhörung der Betroffenen gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen hat.

6

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8, vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7, und vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird, gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG oder entsprechender Fortdauer einer bereits erlassenen einstweiligen Anordnung ein neuer Termin zu bestimmen (BGH, Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5, vom 7. April 2020 - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f., und vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7, vom 12. November 2019 - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7, und vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 8).

7

b) Bei der Bestimmung des Anhörungstermins war dem Amtsgericht bekannt, dass die Betroffene von Rechtsanwalt F. vertreten wurde. Es hat dessen Unterrichtung über den Anhörungstermin deshalb zu Recht für erforderlich gehalten. Indem es Rechtsanwalt F. mit einem um 8.52 Uhr übermittelten Telefax zu einem Anhörungstermin um 11.00 Uhr am selben Tag geladen hat, hat es ihm jedoch keine ausreichende Möglichkeit eingeräumt, an dem Termin teilzunehmen oder eine Terminverlegung zu beantragen. Eine Reaktion des Anwalts auf das Telefax binnen lediglich etwas mehr als zwei Stunden war nicht zu erwarten. Das Amtsgericht musste vielmehr die naheliegende Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich der Rechtsanwalt während der üblichen Dienststunden zur Wahrnehmung von Terminen bei Gerichten aufhalten konnte, und zwar auch außerhalb seines Kanzleisitzes. Zwar ist ein Rechtsanwalt gehalten, eilige Eingänge nach Möglichkeit, etwa über Mittag - was hier zu spät gewesen wäre - und vor Dienstschluss seiner Mitarbeiter, in seiner Kanzlei abzufragen, oder dafür Sorge zu tragen, dass er in geeigneter Weise von seiner Kanzlei über eilige Eingänge unterrichtet wird. Wird eine angemessene Reaktionszeit für die Prüfung berücksichtigt, ob ein Verlegungsantrag gestellt werden soll und welche Möglichkeiten dafür gegebenenfalls im Hinblick auf eine Eilbedürftigkeit der Sache oder den Terminkalender des Anwalts bestehen, war eine Unterrichtung nur etwas mehr als zwei Stunden vor dem Termin aber unzureichend (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 9, und vom 18. Mai 2021 - XIII ZB 46/19, juris Rn. 9).

8

Aus der vom Beschwerdegericht angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10, juris) folgt nichts Abweichendes (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 10). Soweit der vom Beschwerdegericht angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 31. Januar 2012 (V ZB 117/11, juris Rn. 4) für den vorliegenden Fall etwas Anderes entnommen werden könnte, hält der Senat daran nicht fest.

9

Hatte der Rechtsanwalt demnach keine ausreichende Möglichkeit, seine Verhinderung anzuzeigen und einen Verlegungsantrag zu stellen, durfte das Beschwerdegericht aus dem Fehlen entsprechender Erklärungen gegenüber dem Amtsgericht nicht auf eine verfahrensfehlerfreie Anhörung schließen.

10

c) Damit hat das Amtsgericht entgegen der Beurteilung des Beschwerdegerichts durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung vereitelt. Dies führt ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft, so dass nicht mehr zu prüfen ist, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (BGH, Beschlüsse vom 10. November 2020 - XIII ZB 129/19, juris Rn. 13, und vom 18. Mai 2021 - XIII ZB 46/19, juris Rn. 12).

11

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

Kirchhoff

Roloff

Tolkmitt

Picker

Rombach

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