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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 31.01.2012, Az.: V ZB 117/11
Rechtmäßigkeit der Anordnung des Aufenthalts im Transitbereich eines Flughafens zur Sicherung der Abreise bei Möglichkeit der Beschaffung von Passersatzpapieren innerhalb von zwei Monaten
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 31.01.2012
Referenz: JurionRS 2012, 10889
Aktenzeichen: V ZB 117/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Frankfurt am Main - 28.01.2011 - AZ: 934 XIV 42/11 B

LG Frankfurt am Main - 12.04.2011 - AZ: 2-28 T 17/11

Rechtsgrundlage:

§ 15 Abs. 6 AufenthG

BGH, 31.01.2012 - V ZB 117/11

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Für die Anhörung zur Haftanordnung nach § 15 Abs. 6 AufenthG muss dem Verfahrensbevollmächtigten die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Anhörungstermin teilzunehmen. Es liegt aber kein Verfahrensfehler vor, wenn das Amtsgericht vergeblich versucht hat, den Bevollmächtigten telefonisch zu erreichen und die Betroffene erklärt, sich auch ohne Anwesenheit ihres Bevollmächtigten äußern zu wollen.

  2. 2.

    Die Grenzbehörde hat die Zurückweisung auch im Falle des Transitaufenthalts ernstlich und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Januar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 12. April 2011 wird auf Kosten der Betroffenen zurückgewiesen.

Der Antrag der Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Die Betroffene, eine staatenlose palästinensische Volkszugehörige, kam am 30. Dezember 2010 mit dem Flugzeug aus Singapur am Flughafen Frankfurt am Main an und legte eine palästinensische ID-Karte vor, die nicht als Pass oder Passersatz gilt. Sie wurde im Transitbereich des Flughafens untergebracht. Den gegen die am 12. Januar 2011 erfolgte Zurückweisung ihres Asylantrags gerichteten Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wies das Verwaltungsgericht am 28. Januar 2011 zurück. Am gleichen Tag hat das Amtsgericht den Aufenthalt der Betroffenen in der Asylbewerberunterkunft auf dem Gelände des Flughafens Frankfurt am Main bis einschließlich 27. April 2011 angeordnet. Mit der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat die Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der richterlichen Anordnung und von deren Vollzug beantragt, nachdem ihr am 7. März 2011 die Einreise gestattet worden war. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, für deren Durchführung sie die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt.

II.

2

Das Beschwerdegericht meint, die materiellen Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 AufenthG seien erfüllt. Aufgrund der Angaben in dem Haftantrag sei im Zeitpunkt der Haftanordnung eine alsbaldige Abreise der Betroffenen zu erwarten gewesen. Die Beteiligte zu 2 habe bis zu der Einreise der Betroffenen auch nicht gegen das Beschleunigungsgebot verstoßen. Die amtsgerichtliche Anhörung der Betroffenen leide nicht an einem Verfahrensfehler. Der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen sei nicht erreichbar gewesen, und die Betroffene habe zudem auf die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes verzichtet.

III.

3

Die statthafte (Senat, Beschluss vom 7. Juli 2011 - V ZB 116/11, Rn. 2, [...]) und auch im Übrigen (§ 71 FamFG) zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Die amtsgerichtliche Anordnung und ihr Vollzug waren rechtmäßig.

4

1. Die Betroffene ist nicht deshalb in ihren Rechten verletzt, weil ihre Anhörung vor dem Amtsgericht nicht im Beisein ihres Bevollmächtigten stattgefunden hat. Einem Verfahrensbevollmächtigten muss zwar die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Anhörungstermin teilzunehmen (Senat, Beschluss vom 25. Februar 2010 - V ZA 2/10, Rn. 10, [...]). Das ist hier aber erfolgt. Das Amtsgericht hatte vergeblich versucht, den Bevollmächtigten telefonisch zu erreichen. Dessen Kanzlei ist freitagsnachmittags nicht besetzt, wie der automatischen Ansage des Anrufbeantworters zu entnehmen war. Angesichts dessen war die sodann durchgeführte Anhörung nicht verfahrensfehlerhaft, zumal die Betroffene erklärt hatte, sich auch ohne Anwesenheit ihres Bevollmächtigten äußern zu wollen.

5

2. Die Anordnung des Aufenthalts im Transitbereich eines Flughafens zur Sicherung der Abreise richtet sich nach § 15 Abs. 6 AufenthG. Ob dabei die in § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG für die Abschiebungshaft vorgesehene Frist von drei Monaten gleichwohl aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beachten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2011 - V ZB 116/11, Rn. 3, [...]), kann hier dahinstehen. Denn entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wird die richterliche Anordnung den Anforderungen an eine Prognoseentscheidung im Sinne von § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG gerecht (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, InfAuslR 2011, 27 Rn. 22). In dem Antrag der beteiligten Behörde ist dargelegt worden, dass der Vertreter der palästinensischen Generaldelegation bei der Vorstellung der Betroffenen am 27. Januar 2011 deren Volkszugehörigkeit zweifelsfrei bestätigt und die Beschaffung von Passersatzpapieren innerhalb von zwei Monaten in Aussicht gestellt hatte. Die beteiligte Behörde hat ausgeführt, dass es nach Beschaffung der Passersatzpapiere innerhalb einer Woche möglich sei, über den Grenzverbindungsbeamten in Kairo die Genehmigung der ägyptischen Behörden zur Verbringung der Betroffenen in den Gazastreifen über Kairo einzuholen. Auf diese Angaben hat sich das Amtsgericht bei seiner Anordnung ersichtlich gestützt, auch wenn es sie nicht im Einzelnen wiederholt hat. Aufgrund dieser detaillierten Angaben bestand kein Anlass für weitere Ermittlungen gemäß § 26 FamFG. Insbesondere an den Angaben des Vertreters der palästinensischen Generaldelegation musste das Amtsgericht nicht zweifeln. Dass die palästinensische Generaldelegation entgegen diesen Angaben am 25. Februar 2011 mitteilen würde, der Antrag für einen Reisepass könne nur in Ramallah gestellt werden, die Einreise sei derzeit nicht möglich, und die Bearbeitungszeit betrage mindestens drei Monate, war im Zeitpunkt der richterlichen Anordnung nicht vorhersehbar.

6

3. Auch in der Zeit vom 25. Februar 2011 bis zum 7. März 2011 war die Maßnahme rechtmäßig. Allerdings hat die Grenzbehörde die Zurückweisung auch im Falle des Transitaufenthalts ernstlich und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mit der größtmöglichen Beschleunigung zu betreiben (Senat, Beschluss vom 7. Juli 2011 - V ZB 116/11, Rn. 5, [...]; Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315, 316 Rn. 23). Diesen Anforderungen ist die beteiligte Behörde aber gerecht geworden. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hat sie neben ihren Bemühungen, Passersatzpapiere zu beschaffen, versucht, die Rückführung nach Singapur zu erreichen. Dies gelang zunächst nicht, weil die Reiseroute der Betroffenen nicht rekonstruiert werden konnte. Dass sie nach dem Scheitern der Zurückführung in den Gazastreifen versuchte, trotz der noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen zu der Reiseroute eine Rückführung nach Singapur über Singapur Airlines zu erreichen, war nicht von vornherein aussichtslos.

7

4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

IV.

8

1. Der Antrag der Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist in Ermangelung der erforderlichen Erfolgsaussicht zurückzuweisen.

9

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Krüger

Stresemann

Czub

Brückner

Weinland

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