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Bundesgerichtshof
Urt. v. 10.06.2015, Az.: IV ZR 474/14
Anspruch eines Versicherungsnehmers auf Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Lebensversicherung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 10.06.2015
Referenz: JurionRS 2015, 18671
Aktenzeichen: IV ZR 474/14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

OLG Celle - 02.02.2012 - AZ: 8 U 125/11

Rechtsgrundlagen:

§ 5a Abs. 1 S. 1 VVG

§ 5a Abs. 2 S. 4 VVG

BGH, 10.06.2015 - IV ZR 474/14

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 20. Mai 2015 eingereicht werden konnten,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 2. Februar 2012 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf bis zu 13.000 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Lebensversicherung.

2

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Dezember 1995 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Zum vereinbarten Abruftermin am 1. Dezember 2007 zahlte der Versicherer die Versicherungssumme zuzüglich Schlussüberschussbeteiligung aus. Mit Schreiben vom 8. Februar 2010 erklärte d. VN schließlich den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F.

3

Mit der Klage verlangt d. VN Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich der bereits gezahlten Ablaufleistung, insgesamt 12.059,85 €.

4

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

5

Der Versicherer hat die Einrede der Verjährung erhoben.

6

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Es könne dahinstehen, ob d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und eine Belehrung über das Widerspruchsrecht erhalten habe. Der Vertrag sei jedenfalls gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden. Zudem sei ein etwaiges Widerspruchsrecht d. VN verwirkt.

9

II. Die Revision ist begründet.

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1. Ein - mit der Revision allein weiterverfolgter - Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung nicht versagt werden.

11

a) Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalt ist davon auszugehen, dass der von d. VN erklärte Widerspruch - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig war und infolgedessen der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen ist.

12

aa) Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob d. VN mit dem Versicherungsschein die Versicherungsbedingungen und eine Belehrung über das Widerspruchsrecht erhielt. Auch den Zugang einer Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) hat es nicht festgestellt.

13

bb) Wenn d. VN - was für das Revisionsverfahren zu unterstellen ist - die vorgenannten Unterlagen nicht erhalten hat, bestand das Widerspruchsrecht nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

14

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225 [EuGH 19.12.2013 - Rs. C-209/12]). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier für das Revisionsverfahren zu unterstellen - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

15

b) Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt nicht in Betracht (vgl. S enatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

16

c) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

17

2. Ein etwaiger Rückgewähranspruch war bei Erhebung der Klage im August 2010 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die ma ßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen. Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2010 beginnen, da d. VN erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte d. VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners i.S. von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, WM 2015, 865 Rn. 19 ff.).

18

3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

19

Da es auch hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46). Gegebenenfalls wird es sich auch erneut mit der Frage der Verwirkung zu befassen haben.

Mayen

Harsdorf-Gebhardt

Dr. Karczewski

Lehmann

Dr. Brockmöller

Von Rechts wegen

Verkündet am: 10. Juni 2015

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