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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 27.09.2011, Az.: 3 StR 259/11
Pauschales Abstellen auf den Erziehungsgedanken zur Rechtfertigung der Anwendung von Jugendstrafrecht als Revisionsgrund
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 27.09.2011
Referenz: JurionRS 2011, 26230
Aktenzeichen: 3 StR 259/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Hildesheim - 11.04.2011

Rechtsgrundlage:

§ 349 Abs. 2 StPO

Fundstelle:

NStZ-RR 2011, 385-386

Verfahrensgegenstand:

Gefährliche Körperverletzung

BGH, 27.09.2011 - 3 StR 259/11

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 27. September 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 11. April 2011, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  2. 2.

    Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Seine Revision hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg.

2

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Dagegen hat der Strafausspruch keinen Bestand.

3

Nach den Feststellungen griffen der Angeklagte und zwei Mittäter aus Lust an einer Schlägerei mehrere junge Männer an. Sie schlugen mit ihren Fäusten auf den Geschädigten W. ein, der auf den Boden stürzte. Einer der Angreifer schlug dem Geschädigten R. mehrfach so wuchtig mit der Faust in das Gesicht, dass dessen Nasenbein brach. Anschließend traten der Angeklagte und ein Mittäter mit ihren Sportschuhen heftig gegen den Kopf und Körper des am Boden liegenden W. . Sowohl die Schläge gegen den Kopf des R. als auch die Tritte gegen den Kopf des W. waren potentiell lebensgefährlich.

4

Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit 17 Jahre und vier Monate alten Angeklagten wegen Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe für erforderlich gehalten. Schädliche Neigungen hat es wegen seiner positiven Persönlichkeitsentwicklung seit Mitte 2009 nicht sicher feststellen können. Bei der Bemessung der Jugendstrafe hat es zu Gunsten des Angeklagten u.a. gewertet, dass er noch nicht einschlägig in Erscheinung getreten ist, durch vorangegangenen Alkoholkonsum enthemmt war, nach Vollstreckung eines Freizeitarrestes keine Straftaten mehr begangen hat und inzwischen seine schulische Ausbildung ernst nimmt. Zu seinen Lasten hat es vor allem berücksichtigt, dass er die Tat initiierte, die gefährliche Körperverletzung gegenüber zwei Menschen in drei Alternativen beging, äußerst brutal handelte und beide Opfer erheblich verletzt wurden. Unter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hat es unter Beachtung der begonnenen positiven Entwicklung eine Jugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten für angemessen gehalten.

5

Ohne Rechtsfehler ist die Jugendkammer davon ausgegangen, dass wegen der Schwere der Schuld die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich ist. Durchgreifende Bedenken bestehen jedoch gegen die Erwägungen, mit denen sie die Höhe der verhängten Jugendstrafe begründet hat. Diese lassen besorgen, sie könnte nicht bedacht haben, dass sich auch bei einer wegen Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe deren Höhe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten bemisst (Eisenberg, JGG, 14. Aufl., § 18 Rn. 20 ff.). Die Urteilsgründe stellen in erster Linie - wie bei der Strafzumessung nach Erwachsenenstrafrecht - auf das in der Tat zum Ausdruck gekommene Unrecht ab. Sie erwähnen den Erziehungsgedanken nur pauschal, ohne das Tatunrecht gegen die Folgen der Verbüßung der verhängten Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten abzuwägen. Insbesondere stellt die Jugendkammer nicht dar, warum trotz der festgestellten positiven Entwicklung dem vorrangigen Erziehungsgedanken nur durch Verbüßung einer langdauernden Jugendstrafe, die noch dazu die begonnene schulische Ausbildung unterbrechen würde, Rechnung getragen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 1987 - 2 StR 353/87, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 2; BGH, Beschluss vom 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8).

6

Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.

Becker
Pfister
von Lienen
Schäfer
Menges

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