Bundesgerichtshof
Urt. v. 20.09.2004, Az.: II ZR 264/02
Anfallen des wegen Zuerkennung des Hauptantrags nicht beschiedenen Hilfsantrags im Berufungsverfahren durch Rechtmitteleinlegung des Beklagten; Grundsatz der Dispositionsmaxime; Beschränkung der vom Kläger zur Überprüfung gestellten Streitgegenstände durch Einlegung eines Rechtsmittels; Einlegung eines Rechtsmittels als Voraussetzung für die volle Überprüfung des unveränderten Klagebegehrens im Rechtsmittelzug
Bibliographie
- Gericht
- BGH
- Datum
- 20.09.2004
- Aktenzeichen
- II ZR 264/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 19544
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- OLG Celle - 17.07.2002
- LG Lüneburg
Rechtsgrundlage
Fundstellen
- BGHR 2005, 192-193
- BGHReport 2005, 192-193
- BauRB 2004, V Heft 12 (Kurzinformation)
- BrBp 2005, 123
- BrBp 2005, 38
- DB 2004, X Heft 46 (amtl. Leitsatz)
- DStR 2005, 40 (Volltext mit amtl. LS)
- FamRZ 2004, 1962 (Volltext mit amtl. LS)
- JZ 2005, 65* (amtl. Leitsatz)
- MDR 2006, 554 (red. Leitsatz)
- MDR 2005, 162 (Volltext mit amtl. LS)
- NJW 2004, VIII Heft 48 (Kurzinformation)
- NJW-RR 2005, 220-221 (Volltext mit amtl. LS)
- ProzRB 2005, 37 (Volltext mit amtl. LS)
- ProzRB 2004, V Heft 12 (Kurzinformation)
Amtlicher Leitsatz
Der wegen Zuerkennung des Hauptantrags nicht beschiedene Hilfsantrag des Klägers wird allein durch die Rechtsmitteleinlegung des Beklagten Gegenstand des Berufungsverfahrens.
In dem Rechtsstreit
hat der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes
auf die mündliche Verhandlung vom 20. September 2004
durch
den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und
die Richter Prof. Dr. Goeette, Kraemer, Dr. Strohn und Caliebe
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 17. Juli 2002 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als über die Hilfsanträge der Kläger nicht entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Kläger gründeten am 31. Dezember 1996 eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zum Zwecke des Erwerbs eines Grundstücks in P., der Fertigstellung der begonnenen Bebauung, dessen Vermietung und Verwaltung und damit im Zusammenhang stehender Tätigkeiten. Durch notariellen Vertrag vom 30. Dezember 1998 trat der Beklagte dieser Gesellschaft bei. In § 2 des Vertrages wurde eine Beteiligung des Beklagten am Gesellschaftsvermögen von 94 % und der Kläger von jeweils 1,5 % vereinbart. Gemäß § 3 b des Vertrages sicherten die Kläger zu, daß die Gesellschaft zur Zeit des Beitritts des Beklagten keine Verbindlichkeiten habe, die höher als 1.659.946,00 DM seien. In der Beitrittsurkunde war eine von dem Beklagten zu erbringende Gegenleistung an die Gesellschaft nicht vereinbart. In einer Gesellschafterversammlung vom selben Tage vereinbarten die Parteien:
"Herr J. Ju. stellt die Gesellschafter von den gegenüber der V.bank AG - Ha.- eingegangenen Verpflichtungen bis zur Höhe von DM 1.659.946,00 (in Worten: ...) im Innenverhältnis frei."
Im Oktober 2000 schlossen die Kläger den Beklagten aus der Gesellschaft aus und begründeten dies damit, daß der Beklagte seiner Freistellungsverpflichtung gegenüber der V.bank sowie gegenüber der H.bank nicht nachgekommen sei.
Mit ihrer Klage haben die Kläger die Feststellung der Wirksamkeit des Ausschlusses des Beklagten sowie Zahlung des auf ihn entfallenden Kapitalfehlbetrages und hilfsweise Zahlung eines Betrages, in dessen Höhe sie von den Banken in Anspruch genommen worden seien, sowie Freistellung von der verbliebenen Darlehensverpflichtung bei der H.bank verlangt.
Das Landgericht hat der Klage mit dem Hauptantrag stattgegeben. Das Berufungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage mit dem Hauptantrag abgewiesen und eine Entscheidung über die Hilfsanträge der Kläger nicht getroffen.
Auf die gegen das Urteil des Berufungsgerichts eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger hat der Senat die Revision zugelassen, soweit über die Hilfsanträge der Kläger nicht entschieden worden ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Ablehnung einer Entscheidung über die Hilfsanträge ausgeführt, die von den Klägern in erster Instanz gestellten Hilfsanträge seien dem Senat nicht angefallen. Eine Beschäftigung mit den Hilfsanträgen sei mit § 537 ZPO a.F. unvereinbar. Das Argument, die "Erledigung" des Hilfsanspruchs werde durch die Einlegung der Berufung wieder in Frage gestellt, so daß auch der unerledigt gebliebene Teil ohne weiteres dem Berufungsgericht anfalle, überzeuge nicht.
II.
Diese Ansicht des Berufungsgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, daß im Berufungsverfahren der wegen Zuerkennung des Hauptantrages nicht beschiedene Hilfsantrag des Klägers der Berufungsinstanz allein durch die Rechtsmitteleinlegung seitens des Beklagten anfällt (RGZ 77, 20, 126 f.; BGH, Urt. v. 16. November 1951 - I ZR 22/51, LM § 525 ZPO Nr. 1; Urt. v. 29. Juni 1957 - IV ZR 313/56, BGHZ 25, 79, 85; Urt. v. 29. Januar 1964 - V ZR 23/63, BGHZ 41, 38, 39 ff.; Urt. v. 24. Januar 1990 - VIII ZR 296/88, NJW-RR 1990, 518, 519; Urt. v. 24. September 1991 - XI ZR 245/90, NJW 1992, 117; Sen.Urt. v. 20. September 1999 - II ZR 345/97, NJW 1999, 3779 - für das Revisionsverfahren). Hiervon abzuweichen besteht auch unter Würdigung der von dem Berufungsgericht angeführten Literaturstimmen (Rimmelspacher in Münch.Komm./ZPO, 2. Aufl. § 526 Rdn. 28; derselbe in Aktualisierungsband § 528 Rdn. 44; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO 21. Aufl. § 537 Rdn. 10; Merle, ZZP 83, 436, 448 ff.; Brox, Recht im Wandel, Festschrift Carl Heymanns Verlag 1965, S. 121, 134 ff.) kein Anlaß. Denn zu den Grundbedingungen des Klageverfahrens, die auch im Rechtsmittelzug weiter gelten (§ 537 ZPO a.F.), gehört es, daß der Kläger durch seine Anträge bestimmt, mit welchen Ansprüchen sich das Gericht befassen muß. Diese von dem Kläger zur Überprüfung gestellten Streitgegenstände kann der Beklagte allein durch ein Anerkenntnis oder durch die Hinnahme einer Verurteilung, nie jedoch dadurch beschränken, daß er Rechtsmittel einlegt. Es besteht keine Veranlassung, von dem Kläger, der in erster Instanz voll obsiegt hat, die Einlegung eines Rechtsmittels - auch nicht im Wege einer Eventual-Anschließung (Gummer/Heßler in Zöller, ZPO 24. Aufl. § 528 Rdn. 20; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO 3. Aufl. § 528 Rdn. 15) - gegen ein zu seinen Gunsten ergangenes Urteil zu verlangen, um die volle Überprüfung seines unveränderten Klagebegehrens im Rechtsmittelzug sicherzustellen.
III.
Da das Berufungsgericht aufgrund seines abweichenden Rechtsstandpunkts zu den Hilfsanträgen keine Feststellungen getroffen hat, ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird bis zur Entscheidung über die Zulassung der Revision auf 1.552.727,38 EUR, danach auf 802.272,38 EUR festgesetzt.